Читать книгу Das Haus der Spione - Nicole-C. Vosseler - Страница 20
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ОглавлениеWahrhaftig, dachte Nicholas oft, welch ein merkwürdiges Haus! Es konnte vorkommen, dass er sich unversehens vor derselben Tür wiederfand, durch die er erst wenige Augenblicke zuvor einen der Flure zum Westflügel betreten hatte. Entweder, wunderte er sich dann und kratzte sich am Kopf, war der Baumeister angetrunken, zu Scherzen aufgelegt oder es geht hier in der Tat nicht mit rechten Dingen zu! Dass er beim zweiten Versuch tatsächlich in der kleinen Halle des Westflügels anlangte, brachte ihn der Lösung dieses Rätsels auch nicht näher.
Von echter Magie hatte er bislang nichts zu sehen bekommen, sosehr er auch danach Ausschau gehalten hatte. Und selbst wenn des Nachts die Holzbalken ächzten und stöhnten, als seien sie ihrer Last müde, fanden sich keinerlei Hinweise auf Spuk oder sonstige Erscheinungen gespenstischer Art. Leider, wie Nicholas fand. Er war nun schon fast eine Woche in Mortlake und die ewigen Bücherlisten begannen, ihn zu langweilen. Ein bisschen Abwechslung hätte nicht schaden können. Es gab da zwar noch die geheimnisvolle Tür, die ihm keine Ruhe ließ, aber weitergekommen war er mit diesem Rätsel nicht. Wie ungeschickt, dass sich diese ausgerechnet in unmittelbarer Nähe zum Arbeitszimmer des Magus befand! So lief Nicholas ständig Gefahr, erwischt zu werden, während er um die Tür herumschlich. Auch sein im Grunde schlauer Einfall, einmal um das Haus herumzugehen und nach einem Fenster zu suchen, das ihm einen Blick in den mysteriösen Raum werfen ließ, erwies sich als Sackgasse. Er fand zwar ein Fenster, aber dieses war mit Brettern vernagelt – und das auch noch von innen, wie Nicholas mit wachsendem Unmut festgestellt hatte. Dennoch schien ihm diese Tür das lohnendste der zahlreichen großen und kleinen Rätsel von Mortlake zu sein. Und bis zum Abend hatte Nicholas eine Idee.
»Wo ist denn der Doktor heute?«, fragte Nicholas betont nebensächlich, während er die noch ungeschickten Hiebe von Dee junior mit einem Holzschwert abwehrte. Mistress Dee blätterte mit der freien Hand in einem Buch. Die kleine Katherine schlummerte auf dem Schoß ihrer Mutter langsam ein. Sie hatte vor dem Essen mit Nicholas Holzklötze aufeinandergestapelt und war nun völlig erschöpft.
»Hm?« Jane Dee sah geistesabwesend von ihrem Buch auf, als Nicholas’ Worte zu ihr durchgedrungen waren. »Oh, er wollte mit Master Kelley noch ein wichtiges Experiment durchführen. Das wird sicher bis in die Nacht hinein dauern.«
Mistress Kelley war vor dem prasselnden Feuer in ihrem Sessel eingenickt. Als der Name ihres Mannes fiel, gab sie ein lautes Schnarchen von sich und hob ruckartig den Kopf. Sie blinzelte ein paar Mal in die Runde und döste dann wieder ein.
Kelley. Etwas Kaltes ballte sich in Nicholas’ Magen zusammen. Noch so etwas in Mortlake, was er nicht verstand. Wobei dieser unangenehme Mensch dem klugen Doktor eine Hilfe sein mochte, blieb Nicholas schleierhaft. Nie hatte er Kelley in der Bibliothek angetroffen. Dafür umso öfter bei den Dienstmädchen, die ihre Schritte beschleunigten, sobald er in ihrer Nähe auftauchte. Auch Mistress Dee schien nicht gut auf Kelley zu sprechen zu sein. Nicht zuletzt, weil er keine Gelegenheit ausließ, seine eigene Frau anzugiften, obwohl diese sehr bemüht schien, sich möglichst unsichtbar zu machen. Arthur nutzte diesen kleinen Moment der Unachtsamkeit und pikste seinen neuen Spielkameraden mit der stumpfen Schwertspitze zwischen die Rippen. Nicholas stöhnte auf und presste die Hand auf die betreffende Stelle, betrachtete dann entsetzt seine Handfläche.
»Blut«, keuchte er, »oh Gott, das ist mein Ende!« Mit theatralisch verdrehten Augäpfeln sank er in die Knie und tat ein paar flache Atemzüge. Klappernd fiel das Holzschwert auf den Boden. »Leb wohl, du schöne Welt«, stieß er hervor, ehe er seitwärts umkippte. Die Lider geschlossen, die Zunge heraushängend, lag er zwei Herzschläge lang so da, ehe er vorsichtig unter den Wimpern hervorschielte. Arthur stand mit offenem Mund vor ihm, hin- und hergerissen zwischen Entsetzen und triumphierender Verblüffung. Nicholas schlug die Augen auf und im nächsten Moment kugelten sich die beiden Jungen vor Lachen über den blau gemusterten Teppich.
»Ojemine, schon so spät! ’s ist Schlafenszeit, Arthur«, unterbrach Mistress Dees Stimme ihr Tollen. Der Junge protestierte lautstark, aber seine Mutter blieb unnachgiebig. Den bockenden Jungen an der Hand, die schlafende Katherine im Arm, wandte sie sich an Nicholas: »Und du?«
»Ich – äh –, ich wollte noch etwas in der Bibliothek nachschlagen«, beeilte er sich zu erklären, bemüht, unter Mistress Dees forschendem Blick nicht rot zu werden.
»In Ordnung«, nickte sie ihm zu. »Mach aber nicht zu lange.«
»Gewiss nicht«, versicherte Nicholas. Es fiel ihm schwer, seine Ungeduld im Zaum zu halten, als er sich in der Halle von Mistress Dee verabschiedete, die mit den Kindern die Treppe hochging. Erst als Nicholas sich außer Sichtweite wusste, beschleunigte er seine Schritte und eilte den Westflügel entlang. Vereinzelt begegneten ihm gähnende Studenten, die aber keine weitere Notiz von ihm nahmen. Mit langem Hals warf er links und rechts Blicke in diejenigen der Laboratorien, deren Türen offen standen. Doch entweder waren sie leer oder es wurde so eifrig darin gearbeitet, dass niemand einen Blick für Nicholas übrig hatte. Von Dee und Kelley keine Spur.
Kurz vor dem Arbeitszimmer des Magus schlüpfte Nicholas aus den Stiefeln und schlich auf Strümpfen weiter. Unheimlich war es hier, so still, und der Schein der letzten Öllampe im Gang warf zuckende Schatten über den Stein. Dann umgab ihn völlige Dunkelheit. Wie um sich selbst Sicherheit zu geben, fuhr Nicholas mit der freien Hand über seine Wamstasche, spürte den Draht darin, den er aus einem der Versuchsräume hatte mitgehen lassen. Auch die Kerze, die Zunderbüchse und den Feuerstein hatte er sich – nun ja, geborgt. Er tastete sich bis an die mysteriöse Tür heran und blinzelte. Ein winziger Lichtschimmer schwebte in der Dunkelheit, kaum mehr als ein hingehauchter Tupfen. Nicholas brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass der Schein aus dem Schlüsselloch drang. Jetzt konnte er auch Stimmen hören, ganz leise, fast nur ein Flüstern. Kein Zweifel: Sie kamen von der anderen Seite der Tür!
Nicholas’ Herz schlug bis zum Hals, als er sich näher schob und durch das Schlüsselloch linste. Der Raum war nur schwach beleuchtet, von nicht mehr als einer Hand voll Kerzen, und etwas Schwarzes schob sich immer wieder in sein Blickfeld, sodass er nichts weiter erkennen konnte. Aber hören – hören konnte er dafür etwas mehr. Und was er hörte, war das Geraune mehrerer Männer. Neben der Fistelstimme Kelleys konnte er die warme Stimme Dees unterscheiden, die kurze Zwischenfragen stellte. Doch da waren noch andere Stimmen – zwei, vielleicht drei andere, aber Nicholas konnte nicht verstehen, worum es ging. Nur ein Wort hob sich aus dem Gesumme ab, immer wieder: »Königin.«
Ein Experiment, so, so . . . Nicholas erlaubte sich ein kurzes Grinsen, spitzte dann aber weiter gebannt die Ohren. Alle seine Muskeln waren angespannt und ihm war heiß vor Aufregung. So heiß, dass seine Hände nass waren vor Schweiß. Und ehe er es sich versah, waren ihm die Stiefel aus den Fingern gerutscht und zu Boden gepoltert.
Die Tür flog auf und Nicholas krachte nach hinten gegen einen steinernen Pfeiler, dass er glaubte, sein Rückgrat sei gebrochen. Eine klauenartige Hand schloss sich um seinen Hals und drückte zu.
»Hab ich dich, du kleine Ratte«, zischte Kelleys übel riechender Atem in Nicholas’ Gesicht. »Ich habe gleich gewusst, dass du nichts als Ärger machen wirst!«
Nicholas japste und schnappte nach Luft. Sterne tanzten vor seinen Augen, als er aus Leibeskräften strampelte und um sich schlug. Dennoch gelang es ihm, über Kelleys Schulter hinweg etwas von dem zu erhaschen, was in dem Zimmer vor sich ging. Er sah einen Wirbel von Umhängen, einen Tisch mit mehreren Bechern, hörte eilige Stiefelschritte, das dröhnende Zuschlagen einer Tür über einem Hohlraum. Und dann, als Nicholas glaubte, seinen letzten gequälten Atemzug zu tun, erschien die vertraute Gestalt Dr. Dees hinter Kelley.
»Lasst es gut sein, Master«, befahl der Magus mit einer Schärfe, die Nicholas noch nie bei ihm gehört hatte. Nur widerwillig löste Kelley seine Krallen von Nicholas’ Kehle. Nicholas war schwummrig zumute und er war sich nicht sicher, ob er sah, wie Dees Hand sich begütigend auf Kelleys Schulter legte – oder wie sich stattdessen seine Finger weniger gutmütig hineinbohrten.
Nicholas keuchte, sog tief die muffige Luft des Korridors ein und rieb sich seinen schmerzenden Hals. Kelley zitterte vor unterdrückter Wut und musterte ihn weiterhin mordlüstern, während Dee ihn ungewohnt ernst anblickte. Er hatte das Gefühl, etwas Unausgesprochenes stünde zwischen den Erwachsenen und ihm selbst. Etwas, über das Dee und Kelley Bescheid wussten, wovon er selbst aber nicht die geringste Ahnung hatte. Dennoch glaubte Nicholas einen Funken altbekannten Vergnügens in den Augen des Magus erkennen zu können. Was ihm mehr als nur unpassend erschien in diesem Moment. Aber vielleicht war es auch nur die Widerspiegelung der flackernden Kerzenflammen im Zimmer, die ihm etwas vorgaukelte.
»Es ist schon spät«, ließ sich Dee schließlich vernehmen. »Wir werden morgen in aller Ruhe darüber sprechen.«
Kelley rauschte wortlos davon und sein Umhang bauschte sich um ihn wie der eines düsteren Racheengels. Der Nachhall seiner Schritte war bereits verklungen und noch immer sah Nicholas Dee abwartend an. Er hoffte auf eine Erklärung oder darauf, dass Dee ihn aus dem Haus jagen würde. Doch dieser wich seinem Blick aus und räusperte sich. »Hab Verständnis, dass ich dir nicht sagen kann, was in diesem Raum vor sich gegangen ist. Und auch nicht, warum Kelley dich so hart angepackt hat. Das kann und das darf ich nicht. Zumindest noch nicht.«
Nicholas lief ein eisiger Schauder über den Rücken, dem sogleich das Kribbeln heißer Wissbegierde folgte.
Was in drei Teufels Namen geht hier vor sich?