Читать книгу Das Haus der Spione - Nicole-C. Vosseler - Страница 11

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He, Kleiner«, Nicholas fühlte sich unsanft an der Schulter gerüttelt, »‘s ist Zeit zum Aufstehen! Ich muss die Schenke noch ausfegen, heute werden die ersten Gäste sicher früh kommen!«

Nicholas fuhr schlaftrunken hoch. Im Traum war er wieder im Pfarrhaus in Newgate gewesen und er brauchte ein paar Herzschläge, um sich zu erinnern, wo er war. Will Cheddar, der Wirt des Blauen Karnickel, stand vor ihm, zur ganzen Größe seiner hünenhaften Gestalt aufgebaut. Die schaufelähnlichen Hände auf die Hüften unter der Lederschürze gestützt, grinste er den Jungen gutmütig an. »Dacht schon, ich krieg dich gar nicht mehr wach! War spät gestern, hm? Hat sich’s für dich wenigstens gelohnt?«

Hastig tastete Nicholas nach seinem Wams, das ihm auf der harten Holzbank als Kopfkissen gedient hatte. Der Lederbeutel war noch da und enthielt fühlbar die gleiche Hand voll Münzen wie zu der Stunde, als er sich zu seiner viel zu kurzen Nachtruhe begeben hatte. Nicholas entfuhr ein erleichterter Seufzer. Will lachte dröhnend auf, dass sein Bauch erbebte.

»Keine Angst! Der Laden hier läuft so gut, dass ich’s nicht nötig hab, dir dein hart ergaunertes Vermögen abzunehmen!« Er gab Nicholas einen so heftigen Klaps auf den Rücken, dass dieser beinahe von der Bank herabrutschte. »Geh dich mal pudern und frisieren. Ich schau derweil, ob ich meiner Herrin und Meisterin was zum Essen für dich abluchsen kann.«

Nicholas rieb sich die noch schlafverklebten Augen, gähnte herzhaft und stieg in seine Stiefel. Nachdem er seine Besitztümer eingesammelt hatte, schlurfte er zur rückwärtigen Tür der Gaststube. Im Hof war es empfindlich kalt, selbst für Mitte November, und nach seinem Besuch des Aborts überlegte Nicholas sich gut, ob er wirklich nähere Bekanntschaft mit dem Wasser im Brunnen machen wollte.

»Hilft alles nix«, murmelte er schließlich vor sich hin, »wie der letzte Landstreicher musst du ja nun auch nicht aussehen.« Heldenhaft zog er sich das Hemd über den Kopf. Als er sich über den gemauerten Rand des Brunnens beugte, hielt er inne. Die schiefen Häuser aus uralten Holzbalken und abblätterndem Putz verdunkelten den Innenhof, machten so die Wasseroberfläche zu einem Spiegel, aus dem Nicholas sich selbst entgegenblickte. Es gab Momente, da wünschte er sich, weniger unauffällig auszusehen, sondern etwas Außergewöhnliches darzustellen. So wie an diesem Morgen. Irgendwie war dieser Morgen seltsam. Nicholas hatte ein flaues Gefühl im Bauch, das nicht von seinem knurrenden Magen herrührte und das ihn nicht mehr verlassen hatte, seit er von Will geweckt worden war.

Nicholas schüttelte den Kopf über sich und seine krausen Gedanken, hielt die Luft an und tauchte kurzerhand bis weit über beide Ohren in das eiskalte Brunnenwasser.

Den Bauch voll mit Mistress Cheddars süßem Haferbrei, einer dicken Scheibe Brot mit Butter und einem Becher verdünnten Starkbieres trat er wenig später auf die belebte Gasse. Das Metallschild über der Tür, ein schielendes Kaninchen von ausgeblichener blauer Farbe, quietschte vernehmlich, als es im scharfen Wind hin- und herschaukelte. Die Schenke war einer der vielen Schlafplätze, die Nicholas über die Stadt verteilt hatte. Will Cheddar hatte nichts dagegen, wenn Nicholas ab und zu mit seinen Tricks die Gäste unterhielt. Die meisten glaubten, mit dem Jungen leichtes Spiel zu haben. Sie waren eher erstaunt denn verärgert, wenn sie Runde um Runde die gesetzten Pennys an ihn verloren. Mit flinken Fingern mischte Nicholas die Karten, ließ sie in einem lang gezogenen Bogen von links nach rechts und wieder zurückfliegen und fächerte sie dann in einem exakt ausgezirkelten Halbkreis auf dem Tisch auf. Wie von Zauberhand war dabei die Karte, die der Gast im Spiel zuvor blind aus dem Stapel gezogen und nur den Umstehenden gezeigt hatte, als einzige aufgedeckt. Vertieft in dieses vertrackte Spiel bestellte sich manch ein Zuschauer, ohne aufzublicken, einen Becher nach dem anderen. Und so kam Nicholas’ Anwesenheit in der Schenke auch dem Geldbeutel von Will Cheddar zugute. Deshalb und weil er den Jungen mochte, winkte er auch nur ab, wenn Nicholas seine Übernachtung und die Mahlzeiten bezahlen wollte.

Nicholas hatte es längst aufgegeben, mit Will darüber zu streiten. Dieser Tage war er froh, jeden Penny zu sparen. Noch immer schoss Nicholas voller Wut und Scham das Blut ins Gesicht, wenn er daran dachte, wie er sich hatte hereinlegen lassen. Und dass ausgerechnet ein Mädchen ihn so geschickt bestohlen hatte, vergrößerte seine Schmach noch ins Unendliche.

Zornig schritt er fester aus, vorüber an den Frauen mit ihren Hauben und frisch gestärkten Schürzen, die in der Gasse beisammenstanden, tratschten und lachten, während ihre Kinder um sie herum Fangen spielten. Vorbei an jungen Kavalieren, die sich ihre Kappen vom Kopf rissen und den herausgeputzten Mägden hinterherpfiffen. Die ganze Stadt war gut gelaunt auf den Beinen. Denn heute war der 17. November, der Jahrestag von Königin Elisabeths Thronbesteigung. Überall im Land würde ausgelassen gefeiert werden, mit Musik und Tanz, mit Theaterstücken, Prozessionen, Turnieren und nach Einbruch der Dunkelheit mit Freudenfeuern. Die beste Gelegenheit also für Nicholas, seinen neu gekauften Beutel zu füllen und den Verlust seines Ersparten wieder wettzumachen.

Königin Elisabeth I. von England – für Nicholas war diese Bezeichnung etwas so Entrücktes, Ungreifbares wie Sonne und Mond. Und so nahm er die Existenz der Herrscherin über England ebenso als gegeben hin wie diejenige der Himmelskörper.

»Ich wünschte nur, sie war im Sommer Königin geworden«, maulte Nicholas vor sich hin. Er schlang die Arme fester um sein Wams, um sich vor dem Wind etwas zu schützen. »Verdammt, passt doch auf da oben«, brüllte er zu dem geöffneten Fenster hoch, aus dem gerade der Inhalt eines Nachttopfs auf das Pflaster klatschte und Nicholas nur knapp verfehlte. Im nächsten Moment blieb er wie vom Blitz getroffen stehen.

Keine zwanzig Schritte vor ihm überquerte ein Mädchen die Gasse. Ihren dunkelroten Rock hielt sie gerafft, um die Säume nicht durch die übel riechenden Rinnsale zu beschmutzen, die über die Pflastersteine liefen. Auch wenn sie jetzt sauber und hübsch zurechtgemacht war in der engen tannengrünen Jacke, die Locken ordentlich gekämmt unter der weißen Haube, erkannte er sie doch auf Anhieb wieder.

»He!«, brüllte Nicholas aus Leibeskräften und rannte los.

Das Zigeunermädchen sah erschrocken auf und begann ebenfalls zu laufen. Aber ihre weiten Röcke behinderten sie und auf ihren dünnen Sohlen kam sie auf dem glatten Pflaster immer wieder ins Rutschen. Noch ehe sie sich um die nächste Hausecke retten konnte, hatte Nicholas sie eingeholt und beim Arm gepackt. Grob schüttelte er sie.

»Rück mein Geld raus, du diebische Elster!«

»Lass mich los«, fauchte sie und schlug mit ihrem bestickten Stoffbeutel auf ihn ein. »Ich hab dein blödes Geld nicht!«

»Lüg doch nicht auch noch! Ich will mein Geld zurück!« Er bekam ihren anderen Arm auch noch zu fassen und glaubte sich schon Sieger in diesem Kampf. Doch schneller, als er schauen konnte, hatte sie ausgeholt und ihm mit einem ihrer spitzen Schuhe voller Wucht vor das Schienbein getreten.

Nicholas jaulte auf und sah Sterne vor seinen Augen tanzen. Als sich das Mädchen aus seinem plötzlich gar nicht mehr so festen Griff befreite, verlor er das Gleichgewicht und landete ebenso unsanft wie unehrenhaft auf seinem Hosenboden. Sie lief, so schnell es ihr leichtes Schuhwerk zuließ, und sprang dann gekonnt auf ein Pferdefuhrwerk auf, das gerade die angrenzende Gasse hinabrumpelte.

Das Letzte, was Nicholas von ihr sah, war, wie sie mit baumelnden Beinen auf der Ladefläche saß, geziert ihren Rock zurechtzupfte und ihm mit einem spöttischen Lächeln zuwinkte.

»Ich krieg dich, du hinterhältige Schlange! Verlass dich drauf!«, brüllte Nicholas hinter ihr her, mehr um seine Ehre zu retten denn um dem Mädchen wirklich zu drohen. Mit hochrotem Kopf rappelte er sich unter dem Gelächter der Passanten auf. Er klaubte seine Ballonmütze vom Pflaster, klopfte sie aus und begradigte die abgeknickte Feder. Wütend zog er die Kopfbedeckung bis über beide Ohren.

»Na, das kann ja heute noch heiter werden«, knurrte er übellaunig vor sich hin, als er davonhumpelte.

Damit sollte er recht behalten.

Das Haus der Spione

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