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Am nächsten Morgen verzweifelte Nicholas beinahe auf seiner Leiter. Je weiter er und der Magus sich durch das Regal hindurcharbeiteten, desto länger und schwieriger schienen die Buchtitel zu werden.

»Nummer 52: Historia Britannico-rum principum a Ca-do-wa-la-dro Rege ad Leolinum, per Hum-fredum Lloyd collecta.« Erschöpft holte er Atem. Nicholas schielte hinab zu Dee, sah, dass dieser noch schrieb, und blätterte behutsam zwischen den Seiten, die vom Alter schon vergilbt und mürbe waren. Dass es sich um eine Geschichte der Herrscher Britanniens handelte, zusammengestellt von einem Humphrey Lloyd, das hatte er verstanden. »Wer war dieser König Cad-Cad-«

»Cadwallader«, ergänzte Dee, ohne aufzublicken. »Er war vor neunhundert Jahren König der Briten. Ein Waliser, der aus dem Hause Gwynedd stammte. König Heinrich VII. , der Großvater von Königin Elisabeth, führte seine Ahnenreihe auf ihn zurück. Er entlieh auch den roten Drachen in seinem Wappen Cadwallader. Ein anderer Waliser, ebenfalls ein Gwynedd, Roderich der Große, ist mein Ahnherr.«

»Ihr seid aus Wales?«

Dee tunkte die Feder in die Tinte und kritzelte auf seiner Liste eine Bemerkung neben den Buchtitel.

»Meine Vorfahren. Mein Vater war Weinhändler in London, Lieferant für König Heinrich VIII. Dee ist übrigens eine englische Umformung des ursprünglichen Namens Ddu, welcher auf Walisisch schwarz bedeutet.«

Wie auf Geheiß gab es einen lauten Knall in einem der Laboratorien in der Nähe, unmittelbar gefolgt von beißendem Geruch und einer Kanonade an gotteslästerlichen Flüchen. Dr. Dee ließ die Feder fallen und rannte mit besorgtem Blick und wehendem Gewand aus der Bibliothek.

Doch es schien nichts Schlimmeres geschehen zu sein, denn im Haus blieb alles ruhig. Die Studenten arbeiteten weiter fleißig an ihren Tischen. Nicholas blätterte noch ein wenig in Humphrey Lloyds Geschichtssammlung, verlor aber schnell die Lust daran, als er auf ähnlich unaussprechliche Namen wie die des walisischen Königs stieß. Seufzend stellte er das Buch an seinen Platz zurück. Seine Waden schmerzten schon vom langen Stehen auf der Leiter, doch der Magus kehrte nicht zurück. Achselzuckend kletterte Nicholas herunter, um sich die Beine zu vertreten. Und fast wie von selbst trugen ihn diese zur Bibliothek hinaus und weiter durch den geheimnisvollen Westflügel. Aber heute konnte er nicht wie am Sonntag ungesehen durchs Haus streifen. An diesem normalen Werktag wuselten etliche beschäftigt aussehende Männer und Hausburschen den Korridor entlang. Doch niemand verschwendete einen zweiten Blick auf Nicholas.

Um das Laboratorium mit den Ölen und Kräutern, unter dessen Türschwelle immer noch ein stechender Geruch hervordrang, machte er einen großen Bogen. Die Tür zum Kartenzimmer daneben stand weit offen. Vorsichtig riskierte Nicholas einen Blick. Als er sicher war, dass der Raum leer war, schlich er neugierig zum Kartentisch. Er musste unwillkürlich grinsen, als er feststellte, dass die Pläne, die der finstere Kelley gestern so eilig zusammengerafft hatte, verschwunden waren. Ihm war während des Essens gestern Abend unbehaglich zumute gewesen. Wären Blicke Waffen, so hätte Nicholas auf der Stelle tot vom Stuhl sinken müssen, derart hatte Kelley ihn mit Blicken durchbohrt. Doch hatte er ihre Begegnung im Kartenraum mit keiner Silbe zur Sprache gebracht und wohl auch dem Magus nichts davon erzählt. Überhaupt: Wie kam der liebenswerte Dr. Dee zu einem solchen Ekelpaket von Gehilfen? Mortlake schien nicht wenig Geheimnisse zu bergen.

Nicholas ging zurück auf den Korridor und probierte eine andere Tür aus. Dahinter empfing ihn ein unablässiges Klicken und Ticken. Große und kleine Uhren zählten die Zeit in das Zimmer hinein, jede in ihrem eigenen Takt, ihrer eigenen Stimmfarbe. Und jede war anders verziert, bemalt, verschnörkelt. Eine davon war so klein, dass sie bequem in Nicholas’ Wamstasche Platz gehabt hätte. Es gab auch noch andere mechanische Apparate, versehen mit metallenen Hebeln und Zahnrädern, deren Funktion Nicholas ein Rätsel war.

Ein abschließbarer Schrank erregte seine Aufmerksamkeit. Die Tür stand offen, der Schlüssel steckte noch. »Wie nachlässig«, grummelte Nicholas und spähte hinein. Eine kleine Kiste sprang ihm förmlich ins Auge und gleich darauf hielt er sie auch schon in den Händen. Auch in diesem Raum stand in der Mitte ein Tisch. Nicholas stellte die Kiste darauf ab und klappte sie auf. Sorgfältig wickelte er den schweren Gegenstand, der sich darin befand, aus dem schwarzen Seidenstoff. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er den Käfer aus goldgelbem Metall betrachtete, der so groß war, dass er gerade noch in beiden Handflächen Platz hatte. Ein Schlüssel lag am Boden der Kiste und Nicholas fand auch schnell die Öffnung auf der Unterseite des Käfers, in die er passte. Er drehte den Schlüssel herum, einmal, zweimal, weiter bis zum Anschlag. Es knirschte und klackte im Inneren des künstlichen Tieres. Dann klappten die Flügel aus und der Käfer stieg surrend in die Luft. Nicholas riss die Augen auf, schwankte zwischen Entzücken und Furcht. »Zu Hilfe«, entfuhr es ihm, als das Ding Kreise um ihn herum beschrieb. Es im Flug zu fangen, wagte er nicht, aus Angst, die metallenen Flügel könnten ihm die Finger absäbeln. Kurzerhand duckte Nicholas sich und rettete sich unter den Tisch, voller Furcht, der Käfer könnte ihn verfolgen.

Stattdessen sah er den Saum eines langen dunklen Gewandes, darunter flache schwarze Schnallenschuhe, leicht eingestaubt, die am Tisch vorbeistürmten, und augenblicklich hörte das Surren auf. »Nicholas?«, hörte er die fragende Stimme des Magus.

Nicholas verkroch sich noch tiefer unter den Tisch. Er hatte Angst vor der Schelte, die ihn nun erwartete, und gleichzeitig schämte er sich für seine Feigheit. Dee kommt von Ddu und das bedeutet schwarz, ging es ihm durch den Sinn. Und er fragte sich, was wohl die größere schwarze Magie war – der fliegende Metallkäfer oder Dees Erscheinen just in diesem Moment.

»Nicholas?« Dee hatte sich gebückt und sah ihn schmunzelnd an der Tischkante vorbei an. Hochrot kroch Nicholas aus seinem Versteck hervor. »W-was ist das?« Er zeigte mit zitterndem Finger auf das Insekt, das nun so harmlos wirkte, die Flügel wieder eingeklappt und regungslos in der Hand des Magiers.

»Keine Hexerei«, antwortete Dee begütigend, »sondern angewandte Mechanik! Mit diesem Schlüssel hier wird eine Feder aus biegsamem Metall angezogen, die sich dann langsam entspannt und so den Mechanismus im Innern in Bewegung setzt. In Italien hat um die Jahrhundertwende ein Mann namens Leonardo da Vinci gelebt. Er war nicht nur ein begnadeter Maler und Bildhauer, sondern hat sich auch mit Anatomie, Musik und Medizin beschäftigt. Vor allem aber hatte es ihm die Technik angetan. In den Notizbüchern, die nach seinem Tod in ganz Europa verstreut wurden, finden sich Skizzen für Flugmaschinen, Kriegsgerät und Fahrzeuge. Die Berichte davon haben uns damals als junge Studenten in Cambridge in große Begeisterung versetzt. Dieses hübsche Spielzeug«, er wog den Käfer in den Händen und ließ zärtlich den Blick darauf ruhen, »ist das Modell zu einem größeren Käfer, den ich für eine Theateraufführung während meiner Studienzeit gebaut habe. Er war so groß und seine Flugkraft so stark, dass er einen der Schauspieler samt Requisite in die Höhe tragen konnte. Nur für ein paar Augenblicke, aber immerhin.« Schalk blitzte in seinen Augen auf, als er den Käfer wieder sorgsam verwahrte. »Du kannst dir sicher die Aufregung vorstellen, die mein kleines Experiment verursacht hat – und warum ich seither den Ruf eines Schwarzmagiers nicht mehr losgeworden bin.« Er stellte die Kiste zurück in den Schrank, schloss diesen ab und steckte den Schlüssel ein. Was Nicholas doch ein wenig betrübt zur Kenntnis nahm.

»Wenn dich Technik so sehr reizt, dann habe ich noch etwas für dich. Komm mit«, fügte Dee hinzu, ohne eine Antwort abzuwarten. Nicholas hätte eigentlich gerne abgelehnt und stattdessen alleine weitergestöbert. Aber er fühlte sich noch zu wackelig auf den Beinen von seinem gerade überstandenen Abenteuer und so schlich er mit weichen Knien hinterher.

Dee führte ihn in ein Zimmer, das voller Fernrohre in unterschiedlichen Längen und Größen stand. Der Magus zog die flachen Schubladen eines niedrigen Schrankes auf und zeigte Nicholas die geschliffenen Glasscheiben, die darin auf Samt verwahrt wurden. Einige waren dünn wie Papier, andere dick wie Flaschenböden. Mithilfe eines Gestells konnten verschiedene dieser Linsen hintereinandergespannt werden, um optische Experimente durchzuführen, wie Dee ihm demonstrierte.

»Genug des wissenschaftlichen Vergnügens«, seufzte der Magus, als er die letzte Linse wieder in ihr weiches Lager bettete. »Zurück zur trockenen Pflicht und in die Bibliothek. Ehe einer der Hausdiener angelaufen kommt und die Ankunft von Professor So-und-so oder des Earls von Dort-und-dort meldet.« Er verdrehte die Augen und ging voraus.

»Doktor«, begann Nicholas zaghaft eine Frage zu stellen, die ihm bereits seit gestern durch den Kopf schwirrte, »warum habt Ihr ausgerechnet mich nach Mortlake mitgenommen? Warum habt Ihr nicht einen der Studenten gebeten, mit Euch die Liste zu erstellen? Einen Studenten, der sich ohnehin hier aufhält und die Bibliothek schon kennt?«

»Nun«, räusperte sich Dee und schob seine Kappe auf dem Kopf hin und her, »es gab zumindest keinen Grund, dich nicht mitzunehmen! – Oben unter dem Dach habe ich übrigens noch ein Fernrohr stehen«, wechselte er schnell das Thema, »mit dem ich die Sterne beobachte, Himmelskarten und Berechnungen anfertige. Wenn du möchtest, sehen wir uns den Mond und die Sternbilder einmal zusammen an.«

Nicholas runzelte die Stirn, Misstrauen im Blick. Das war doch wahrhaftig keine Antwort auf seine Frage gewesen! Er kaute einen Moment nachdenklich auf der Unterlippe, dann trottete er seinem Meister hinterher.

Das Haus der Spione

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