Читать книгу Das Haus der Spione - Nicole-C. Vosseler - Страница 13
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ОглавлениеW-wie«, stammelte Nicholas, der einem Käfer gleich auf dem Rücken lag. »Ich meine, woher . . .«
Er kam sich unsagbar dämlich vor. Wütend ignorierte er die helfend hingestreckte Hand und stand hastig auf.
»Das mit der Tür?« Der Mann mit dem weißen Bart ließ selbige wieder ins Schloss fallen. Schmunzelnd sah er zu, wie Nicholas übertrieben heftig den Staub aus Wams und Hose klopfte. »Ich habe schon viel Zeit meines Lebens in St. Paul’s verbracht und irgendwann gelernt, dass es nirgendwo schadet, die Hintertüren zu kennen«, erklärte er vage.
»Euer Buch!«, rief Nicholas unvermittelt und deutete auf die leeren Hände des Mannes.
Dieser zuckte bedauernd mit den Schultern. »Musste ich leider einem besonders eifrigen Verfolger zwischen die Beine werfen.«
»Das – das tut mir leid.« Schuldbewusst senkte Nicholas den Blick.
»Nicht der Rede wert«, winkte der Mann ab. »Es war ohnehin keine sonderlich wertvolle Ausgabe. So hatte es zumindest einen gewissen praktischen Nutzen.«
»Danke jedenfalls«, murmelte Nicholas gepresst. Er war grundsätzlich niemandem gerne zu Dank verpflichtet, schon gar keinem Fremden. »Professor«, bemühte er sich dennoch um eine höfliche Anrede.
»Doktor genügt. Doktor John Dee.«
Nicholas’ Kinnlade klappte nach unten.
»Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hast du schon von mir gehört.«
Jeder im Königreich hatte das. Dr. Dee, der Magus von Mortlake. Alchemist, Astronom und Astrologe, Mathematiker und Philosoph. Er hatte seinerzeit in die Sterne geschaut und den günstigsten Tag für die Krönung Elisabeths berechnet. Ein Tag, der ihr eine lange und glorreiche Herrschaft garantieren sollte. Die Königin zählte ihn zu ihren engsten Ratgebern und doch verstummten die Gerüchte nicht, dass er mit finsteren Mächten im Bunde stand.
Nicholas machte den Mund wieder zu und nickte. Dr. Dee lächelte nachsichtig.
»Sei unbesorgt. Ich kenne meinen Ruf nur zu gut.« Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Du hast ja vorhin am eigenen Leib erfahren, wie schnell man der schwarzen Magie beschuldigt werden kann – gerechtfertigt oder nicht.« Seine Miene hellte sich wieder auf. »Gar kein schlechter Trick übrigens.«
Eine freudige Röte zeichnete sich auf Nicholas’ Wangen ab. »Dennoch habt Ihr ihn durchschaut«, stellte er leicht enttäuscht fest.
Dr. Dee lachte, ein leises, tiefes Lachen. »Damit musst du immer rechnen: dass du jemandem begegnest, der diese Kunst ebenso beherrscht wie du. Wahre Meisterschaft besteht darin, allen anderen immer mindestens zwei Winkelzüge voraus zu sein.«
»Meine Karten . . .« Sehnsüchtig dachte Nicholas an sein Kartenspiel, das bei seiner Flucht in der Kathedrale zurückgeblieben war. Es war noch fast neu gewesen.
»Auf der Cheapside gibt es einen französischen Drucker, der die neuesten Kartendecks führt. Ich glaube, ich schulde dir eines. Wie wär’s?«
Nicholas’ Blick fiel über Dr. Dees Schulter. Sie befanden sich an der Nordseite von St. Paul’s und nur einen Steinwurf davon entfernt erhob sich die graue Fassade der Christ Church in Newgate. St. Paul’s und die Cheapside markierten die nördliche Grenze von Nicholas’ Streifzügen durch die Stadt. Weiter hatte er sich nie gewagt, und das aus gutem Grund. Die Silhouette der Kirche von Pastor Hardcastle wiederzusehen, löste Beklemmung in ihm aus. Um diesem Anblick zu entgehen, hätte er noch viel mehr getan, als Dees Angebot anzunehmen.
Dr. Dee hatte nicht zu viel versprochen. Der Laden führte die verschiedensten Kartenspiele. Nicht nur die französischen Muster mit Pik, Herz, Kreuz und Karo in Schwarz und Rot, wie Nicholas sie benutzte und Dr. Dee ihm nun auch wieder eines kaufte. Es gab auch deutsche oder Schweizer Karten mit bunten Wappenschildern, Blumen, Eicheln und Schellen. Aus Spanien stammten Karten, die Kelche, Schwerter, Münzen und Keulen als Symbole trugen. Nicholas bestaunte fremdartige Decks, die nur Bilder zeigten: Vogelschwärme, edle Damen und Ritter, Einhörner, stolze Rösser. Gänzlich verlor Nicholas sich jedoch in einem Spiel, das »Tarot« genannt wurde. Für seine Tricks hatte es keinen praktischen Nutzen und die Bilder gaben ihm Rätsel auf. Ein Narr schritt weit aus und spielte auf seiner Flöte. Auf einer anderen Karte war ein Mann zu sehen, der an einem Bein aufgehängt kopfüber an einem Ast baumelte. Einen Turm gab es und Gevatter Tod mit seiner Sense. Nicholas konnte den Blick kaum von diesen seltsamen Karten lösen und musste sie einfach haben.
Anschauen und aussuchen hatte hungrig und durstig gemacht. So saßen sich Nicholas und Dr. Dee später am Nachmittag in einer Schenke gegenüber, der Meerjungfrau, zwischen der Friday und der Bread Street. Dee nippte dann und wann an seinem Rotwein und begnügte sich mit Brot und Käsewürfeln, während Nicholas sich über eine sämige Linsensuppe mit Speck hermachte.
»Hast du auch einen Namen?«, fragte Dee nach einer Weile.
»Nicholas«, nuschelte Nicholas zwischen zwei Mund voll. »Nicholas Christchurch.«
»Was ist mit deinen Eltern?«
Nicholas blickte Dee vorsichtig über den Rand der hölzernen Schüssel hinweg an. Auf den Straßen erzählte man sich viele Geschichten. Er hatte gehört, dass Herumtreiber wie er angelockt wurden und auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Im günstigsten Fall landeten sie in einer Besserungsanstalt, wo sie von früh bis spät beten und Knochenarbeit verrichten mussten. Vagabundieren war ebenso verboten wie die Kartentricks, mit denen er den Leuten das Geld aus der Tasche zog. Wäre er je aufgegriffen und vor den Magistrat gebracht worden, hätte ihm der Pranger oder Gefängnis gedroht. Bei mehrmaliger Verurteilung für Falschspiel oder Diebstahl wurden die Ohren abgeschnitten und wer sich dann immer noch uneinsichtig zeigte, endete am Galgen. Zum Glück für Nicholas nahmen die Gesetzeshüter in der City ihre Aufgabe nicht sonderlich ernst und Southwark lag gleich ganz außerhalb ihrer Gerichtsbarkeit. Nicholas war dennoch stets auf der Hut.
Doch bei allem Misstrauen konnte er in Dees Augen keine Hinterlist entdecken und so antwortete er wahrheitsgemäß: »Ich hab keine. Jedenfalls keine, von denen ich weiß. Ich bin ein Findelkind.«
Dee nickte verstehend. »Kannst du lesen?«
Nicholas’ Hand, die erneut einen vollen Löffel zum Mund führen wollte, blieb auf halbem Weg stehen. Verwirrt sah er Dee an. »Natürlich kann ich lesen! Und schreiben auch!«
»Auch Latein?« Nicholas nickte und kratzte den letzten Rest Suppe aus der Schüssel.
»Und Griechisch?« Nicholas nickte wieder und biss gierig von der fingerdicken Scheibe Brot ab, auf der mehrere Schichten mit Senf bestrichenen kalten Bratens lagen.
»Französisch?« Nicholas wiegte kauend den Kopf und hielt Daumen und Zeigefinger der freien Hand ein kleines Stück auseinander.
Dee zog seine dichten weißen Augenbrauen verstehend in die Höhe und drehte den Becher zwischen seinen Händen hin und her. »Ich bräuchte dringend einen Gehilfen. Meine Bibliothek muss katalogisiert werden und es gibt immer jede Menge an Schreibarbeit zu erledigen. Schlafen und essen könntest du umsonst und ich würde dich angemessen entlohnen.«
»Wie viel?«, fragte Nicholas mit vollem Mund.
»Sagen wir – pro Tag so viel, wie du bisher an einem guten Tag auch mit deinen Karten verdient hast.«
Nicholas stopfte sich den letzten Bissen in den Mund, lehnte sich zurück und ließ den Blick durch den Schankraum schweifen, während er überlegte.
Einen Tisch weiter saß ein Jüngling mit zerrauftem weißblondem Haar. Zwei Fliegen zankten sich halbherzig um einen angebissenen Apfel und einen welligen Brotkanten inmitten von Papierknäueln, abgebrochenen Federn und Tintenklecksen.
»Es reimt sich einfach nicht«, hörte Nicholas ihn stöhnen. Mit tintenbeschmierten Fingern massierte er sich die Nasenwurzel. Wohl nicht zum ersten Mal, denn die Tinte zierte schon an mehreren Stellen sein pausbäckiges Gesicht. »Wär’s Frühling, würd erwachen die Liebe . . . Liebe – was reimt sich auf Liebe?«, brabbelte er vor sich hin, seufzte dann zum Steinerweichen. »Liebe . . . Hiebe . . . Siebe? Nein, Liebe, hm . . . Liebe – Triebe . . . Das ist es!« Ein Leuchten glitt über sein Gesicht und er kritzelte eifrig weiter, während er vor sich hin murmelte: »Aus – mei-nem Her-zen fri-sch-e grü-ne Triebe . . .«
»Dichter!«, spie der Wirt verächtlich aus, als er an den Tisch von Dee und Nicholas trat. »Jeden Tag scheint es ein Dutzend mehr davon in dieser Stadt zu geben! Als ob die jungen Leute keinen besseren Zeitvertreib fänden, als schlechte Theaterstücke oder schmalzige Balladen zu schreiben! – Darf es für die Herrschaften noch etwas sein?«, fragte er halbwegs freundlich, als er die leere Suppenschale wegnahm und mit einem feuchten Lumpen nachlässig über die Tischplatte wischte. Beide schüttelten den Kopf und der Wirt verzog sich achselzuckend wieder hinter seine Theke.
»Nun?«, wollte Dee wissen und strich sich über seinen Bart.
Nicholas war hin- und hergerissen. Er mochte das Leben, das er führte. Es war kein leichtes Leben, aber auch kein schlechtes und besser als das, das er bei den Hardcastles gehabt hatte. Er mochte seine Freiheit und auch, dass er nie wusste, wohin es ihn als Nächstes verschlagen würde. Aber er war neugierig, neugierig auf Dee und seine Welt. Wer konnte schon von sich sagen, dass er bei einem echten Magier in Diensten stand?
»In Ordnung«, nickte er schließlich und beeilte sich hinzuzufügen: »Zumindest probeweise.« Er wischte die Rechte an seinem Wams ab und streckte sie Dee hin.