Читать книгу Das Haus der Spione - Nicole-C. Vosseler - Страница 19

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Am Dienstag waren es zwei alte Frauen aus dem Dorf, die die Auflistung des Bibliotheksbestandes unterbrachen. Die eine wollte eine Warze behandelt haben und die andere ein Horoskop für ihren neugeborenen Enkel erstellen lassen. Für Nicholas eine willkommene Gelegenheit, einmal ins Dorf hinunterzulaufen und es in Augenschein zu nehmen. Auf dem Weg dorthin dachte er darüber nach, dass der Magus offensichtlich kein »Nein« zu kennen schien, wenn jemand ihn um Hilfe oder Rat ersuchte.

Doch Nicholas war schneller zurück, als ihm lieb war, denn im Dorf gab es nicht viel zu sehen. Neben der Kirche bestand es nur aus einer Ansammlung von Häuschen, kahlen Obstgärten und nackten Feldern. Da war das Haus des Magus wesentlich spannender und auch der halb verwilderte Garten mit den knorrigen Bäumen am Ufer der Themse versprach mehr Abenteuer als das verschlafene Dörfchen. Die Fassade von Mortlake war ausgebeult von Türmchen, Mauervorsprüngen und Erkern. Efeu und immergrünes Geißblatt überwucherten die Mauern und der wilde Wein verlor gerade seine letzten leuchtend roten Blätter. Drachenköpfige Wasserspeier unter den Dächern und in Stein gehauene Fabelwesen gaben dem Haus ein geheimnisvolles Aussehen. Vor allem, wenn Nebel in den Gerippen der Bäume hing, wirkte das Haus verwunschen.

Während der Garten still und friedvoll dalag, herrschte im Inneren des Hauses geschäftiger Trubel, vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein. Nicholas dämmerte nun auch, weshalb seine Ankunft in Mortlake so gar nichts Besonderes gewesen war, man ihn selten auch nur mit einem flüchtigen Blick bedachte: Wer zum Haushalt gehörte, war es gewohnt, dass ständig neue Gesichter zur Tür hereinschneiten. Studenten, die sichtbar aus vermögenden Familien stammten, mischten sich mit Professoren, denen unter abgeschabten Kappen das Haar in alle Richtungen stand und deren Talare ausgefranst waren. Edelleute in kostbaren Gewändern, behängt mit Ketten und Ringen, machten Stippvisiten. Der eine oder andere Gast kam staubbedeckt und sichtlich zermürbt von einer weiten Reise an, verschwand erst einmal auf unbestimmte Zeit in einem der Gästezimmer, um seine von holprigen Straßen zerrüttelten Knochen wieder zu sortieren und sich auszuschlafen.

Nicholas traute seinen Augen kaum, als er nach seiner Rückkehr aus dem Dorf die Kutte eines katholischen Paters um eine Ecke huschen sah. Kurzerhand schlich er ihm hinterher. Katholische Ordensbrüder waren grundsätzlich verdächtig. Auch wenn nach dem jüngsten Erlass nur Jesuiten als Staatsfeinde betrachtet wurden. Besonders diejenigen aus dem Priesterseminar im französischen Douai. Sie hatten öffentlich gegen Elisabeth gehetzt und wurden daher als Hochverräter angesehen. Sollte einer von ihnen in England aufgegriffen werden, drohte ihm die Todesstrafe.

Es war bemerkenswert, wie sich dieser Pater durch die Halle hindurchlavierte, seine Nase tief in einem dicken Wälzer vergraben. Obwohl er nicht mal für ein Wimpernzucken den Kopf hob, stolperte er nicht und rempelte auch niemanden an.

»Aah, Pater Jacobus«, hörte Nicholas die wohlvertraute Stimme Dr. Dees. Schnell drückte er sich hinter einen Pfeiler. Von dort aus sah er, dass der Pater endlich das Buch zuklappte und dem Magus wild die Hand schüttelte.

»Grazie, mille grazie, dottore«, begann der Pater überschwänglich und wechselte ins Lateinische, das er aber nicht minder temperamentvoll hervorsprudelte. Bei seinen Streifzügen durch das Haus hatte Nicholas französische Sprachbrocken aufgeschnappt, aber auch Wortfetzen, die ihm gänzlich fremd waren: in Sprachen, die tanzende Melodien hatten, biegsam und geschmeidig waren oder trocken und spröde klangen. Allgegenwärtig war jedoch Latein, die Universalsprache der Gelehrten. Die Sprache, in der man sich untereinander verständigte und in die man alle Namen übersetzte, unabhängig von der jeweiligen Muttersprache.

»Es freut mich, Pater, dass Ihr das Buch gefunden habt, das Ihr schon so lange sucht«, hörte Nicholas nun Dr. Dee sagen.

»In der Tat, in der Tat. Welch wunderbare Sammlung!« Der Pater breitete die Arme aus, als wollte er sämtliche Werke in Dees Bibliothek umarmen und an das Kruzifix drücken, das ihm um den Hals baumelte. »Doch sagt, Doktor«, er blickte vorsichtig um sich, »könntet Ihr mir noch in einer anderen Angelegenheit behilflich sein? Ich würde Euch gerne um einen Gefallen bitten. Es geht um einen Glaubensbruder von mir, der –«

Dr. Dee nahm ihn beim Arm und nickte in Richtung des Westflügels. »Kommt, Pater, lasst uns in mein Arbeitszimmer gehen. Dort können wir ungestört sprechen.«

Jetzt, wo es gerade spannend wird!, schimpfte Nicholas im Stillen. Seine Knie zuckten schon, bereit, den beiden hinterherzuhuschen, als sein Blick auf die Haustür fiel.

Kelley, das Ekel, war in eine hitzige Auseinandersetzung mit einem dürren, pockennarbigen Mann verwickelt, dessen blauer Anzug seine blonden Haare und den Bart fahlgelb wirken ließ. Obwohl fast einen Kopf kleiner als Kelley, schien er hochnäsig auf diesen herabzublicken, fast verächtlich. Voller Genugtuung sah Nicholas, wie Kelley zu schrumpfen schien, sich gleichsam duckte, als wüsste er genau um seine Unterlegenheit. Nicholas war hin- und hergerissen. Welches der beiden Gespräche sollte er jetzt belauschen? Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Kelley und der Besucher bewegten sich ebenfalls in Richtung Westflügel und Nicholas hoffte, so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können.

Auf Zehenspitzen flitzte er von Türrahmen zu Türrahmen den Korridor entlang. In gebührendem Abstand und um Deckung bemüht, falls sich Kelley oder der Mann mit den blau bestrumpften Spinnenbeinen umdrehen sollte. Doch beide schienen sich in Sicherheit zu wiegen. Nicholas lugte gerade um einen Türrahmen herum, als der Pater abermals an ihm vorüberging, wie zuvor in das aufgeschlagene Buch vertieft. Nicholas blickte ihm nachdenklich hinterher. Wenn ein Pater den Magus um Hilfe wegen eines Glaubensbruders bat – dann war Dr. Dee ein Freund der Katholiken. Steckte er gar mit ihnen unter einer Decke?

Schritte, hallend von den Mauern zurückgeworfen, rissen Nicholas aus seinen Überlegungen. Schnell ging er weiter und gab sich ein geschäftiges Aussehen. Im Stillen lobte er sich für seine Geistesgegenwart. Denn es handelte sich um Kelley, der ihm entgegenkam und Nicholas finster musterte. Von dem dünnen Mann war nichts zu sehen.

»So«, zischte Kelley, »schnüffelst du schon wieder herum?«

»Ich bin für den Doktor unterwegs«, log Nicholas ihm frech ins Gesicht.

Kelley lachte und es klang wie das Meckern einer Ziege. »Das kannst du deiner Großmutter erzählen!« Er beugte sich vor und Nicholas zuckte unwillkürlich zusammen, als Kelleys fauliger Atem über sein Gesicht strich. »Du weißt doch – Neugierde tötet die Katze, wie man so schön sagt. Was glaubst du, um wie viel mehr das für kleine Jungs gilt? Ich an deiner Stelle wäre auf der Hut.«

Nicholas schluckte, gab sich aber unerschrocken. Er reckte sich, um größer zu wirken, und streckte die Nasenspitze in die Höhe. »Ihr entschuldigt mich, Master Kelley, aber ich habe zu tun.« Wichtigtuerisch stolzierte er weiter und hörte mit Erleichterung, wie sich Kelleys Schritte hinter seinem Rücken entfernten. Als nur noch das Knarzen seiner eigenen Stiefel zu hören war, blieb er stehen.

Er war am Ende des Korridors angelangt und die letzte Tür auf der linken Seite war das Arbeitszimmer des Magus. Der Doktor wollte mit dem Pater hier in Ruhe sprechen, überlegte Nicholas, und wenn Kelley mit dem dünnen Mann hier langgegangen und alleine zurückgekommen ist, dann . . . Er schlich näher und presste das Ohr an das Holz.

Zuerst vernahm er nur das gleichmäßige Gemurmel zweier Stimmen. Die eine war ihm vertraut. Sie gehörte dem Magus. Die andere kannte er nicht. Nicholas konnte hören, wie Dr. Dee im Zimmer auf und ab eilte und hörbar mit Papieren hantierte.

Nun setzt Euch doch schon hin, sonst verstehe ich rein gar nichts, murrte Nicholas inwendig.

Wie durch Gedankenübertragung scharrte ein Stuhl über den Boden und Schritte und Rascheln verstummten augenblicklich.

». . . einen Maulwurf . . . Gesandtschaft des französischen . . .«, hörte Nicholas den Besucher jetzt sagen. Da dieser mit dem Rücken zur Tür saß, verschluckte der Raum große Teile seiner Rede. ». . . der Sprache mächtig . . . mit einer List . . .«

Eine kleine Pause entstand, ehe Dee antwortete: »Ich denke, damit kann ich Eurem Herrn behilflich sein. Ich kenne da einen jungen Mann, Student an der Universität von Cambridge. Sehr ehrgeizig und gebildet. Er würde sich gut eignen. Wenn Sir Francis es wünscht, bin ich gerne bereit, den Kontakt herzustellen.«

Ein höflich klingendes Gemurmel war die Antwort. Als im Zimmer Stühle rückten, trat Nicholas hastig von der Tür zurück und schlüpfte hinter eine steinerne Säule. Der Winkel dahinter lag in völliger Dunkelheit, da hier der Gang endete. Nicholas hörte, wie die Tür schwungvoll geöffnet wurde.

»Es freut mich, dass Sir Francis sich wohl befindet und auch Lady Ursula«, plauderte Dr. Dee munter, während er sich mit seinem Besucher entfernte. »Bestellt ihnen meine allerherzlichsten Grüße und . . .«

Sie waren gerade außer Hörweite, als Nicholas stutzte. An der Wand neben ihm kam ihm etwas seltsam vor. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und schwarz auf dunkelgrau konnte er eine Fläche in der Steinmauer ausmachen. Tastend fuhr er mit der Hand darüber und unterdrückte einen Fluch, als er sich die Fingerknöchel an einem Metallteil stieß. »Eine Tür«, murmelte er verblüfft und runzelte die Stirn.

Nicholas war immer stolz darauf gewesen, die Straßen und Gassen Londons wie seine Wamstaschen zu kennen. Er hatte ein gutes Gedächtnis für Himmelsrichtungen und Entfernungen und vergaß so schnell keine Ecke, die er einmal besucht hatte. Doch er konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern, bei seinen Streifzügen durch das Haus diese Tür schon einmal gesehen, geschweige denn dahintergeblickt zu haben. Er ging ein paar Schritte zurück und kniff die Augen zusammen. Dann grinste er. Natürlich! Weil dieser Winkel des Westflügels immer im Dunkeln lag, war sie ihm entgangen. Man musste schon wissen, dass es diese Tür gab, um sie zu finden. Oder man drückt sich als Lauscher in die Ecke und stolpert buchstäblich darüber, ergänzte Nicholas in Gedanken und zog am Türgriff. Nichts. Vielleicht lässt sie sich in die andere Richtung öffnen? Er drückte dagegen – genauso vergeblich: Die Tür bewegte sich nicht.

»Das Mistding klemmt«, schimpfte er und warf sich mit aller Kraft dagegen. Doch außer einem dumpfen Schmerz, der sich in seiner Schulter ausbreitete, tat sich rein gar nichts. Nicholas blickte ungläubig drein. Er hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass Türen in Mortlake nicht abgeschlossen wurden, dass er ein paar Augenblicke brauchte, um zu begreifen, dass diese verschlossen war.

»Entweder«, überlegte er halblaut, »entweder muss dahinter ein noch wertvollerer Schatz verborgen sein als die Edelsteine im Laboratorium. Oder . . .« Ein Leuchten glitt über seine Züge bei diesem Gedanken. »Oder aber dahinter steckt ein gewaltiges Geheimnis!« Er beugte sich vor und äugte durch das Schlüsselloch. Zappenduster. »Hm«, machte Nicholas und wies drohend mit dem Zeigefinger auf die Tür, als er sich zum Gehen wandte. »Pass auf, dich krieg ich schon noch!«

Vor dem Arbeitszimmer des Magus blieb er stehen. Bislang hatte der Respekt vor Dr. Dee ihn davon abgehalten, sich darin umzusehen. Doch jetzt, nach dem Besuch des Paters, nach dem des dünnen Mannes, nach der Entdeckung der geheimnisvollen Tür, war die Verlockung übermächtig. Noch rang er mit sich, kratzte mit dem Absatz nicht vorhandenen Dreck vom Boden. Dann angelte seine Hand wie von selbst nach dem Türgriff.

In seinem ganzen Leben hatte Nicholas noch kein solches Durcheinander gesehen. Papiere über Papiere, Pergamente, Briefe, Bücher, Karten, Pläne. Auf dem Schreibtisch, darunter, drum herum. Aus Schränken hervorquellend, darauf gestapelt, darunter gestopft. »Ich glaube«, stöhnte er entsetzt, »Magie und Ordnung sind unvereinbar!« Es hätte Wochen, gar Monate gebraucht, um sich auch nur einen Überblick zu verschaffen, und wahrhaftig Zauberei, um gezielt etwas zu finden.

Auf Zehenspitzen stieg Nicholas über die auf dem Boden ausgebreiteten Schriftstücke, schlängelte sich an den Bücherstapeln vorbei, bis er am Schreibtisch stand. Mit langem Hals ließ er seinen Blick darüberschweifen. Er suchte nach etwas, das den merkwürdigen Gesprächen, von denen er Bruchstücke belauscht hatte, einen Sinn verlieh. »Könnte auch alles Taktik sein«, murmelte er vor sich hin. »Wer auch immer hier herumzuschnüffeln versuchte – er würde schlicht und einfach nichts finden in diesem Wirrwarr!«

Ein Blatt ganz oben auf einem der Stapel erregte seine Aufmerksamkeit. Es war mit altgriechischen Buchstaben beschrieben. Doch so angestrengt Nicholas auch versuchte, es zu entziffern, er konnte sich keinen Reim darauf machen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Dann blitzte ein Lächeln in seinem Gesicht auf. »Wie schlau! Englische Wörter, mit altgriechischen Buchstaben notiert . . . Darauf muss man erst einmal kommen!« Weiter brachte ihn diese Erkenntnis allerdings auch nicht. »ChrM«, buchstabierte er ratlos. »Ag.frz.Gesdft. -S.F.W’am. – Na großartig«, knurrte er enttäuscht. »Dass irgendwas mit französisch im Gange ist, weiß ich auch so. Aber was? Was bedeuten die Kürzel?« Missmutig schlich er aus dem Zimmer hinaus und stapfte den Gang entlang. Zum ersten Mal bedauerte er, dass es niemanden gab, dem er seine Entdeckungen hätte anvertrauen können, niemanden, mit dem er sich darüber hätte beratschlagen können.

Das Haus der Spione

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