Читать книгу Afghanistan, Srebrenica & zurück - Norbert F. Schaaf - Страница 11
Оглавление7 Der Beginn der Party
Als erste erschienen die Kamensieks, sie blass, intelligent und zurückhaltend, er auch knapp um die dreißig mit einem harten, kantig wirkenden Gesicht, dessen spitze gebogene Nase an einen Rabengeier erinnerte; auch sein borstig-widerspenstiges Schwarzhaar mit eisgrauen Strähnen entsprach Burkharts Beschreibung. Wenn er lachte, was er ständig ohne ersichtlichen Grund tat, zeigte sich ein mit reichlich Gold geflicktes Gebiss, so dass Mary-Jo Anica zuflüsterte: „Sieht aus wie die Bar-Theke vom Holiday Inn.“
Kamensiek rückte seine Hornbrille zurecht und wandte sich an Anica, während sie um den Flaschenkühler standen und Champagnercocktails probierten. „Sie sind lange genug hier, länger als ich. Wie beurteilen Sie die Lage im Lande?“
„Die politische?“
„Mehr allgemein. Freilich lässt sich die militärische Lage hier kaum von der politischen trennen.“
„Sie meinen in Bosnien und der Herzegowina?“
„Im besonderen, ja.“
„Wissen Sie“, wich Anica aus, „das ist eine interessante Frage. Schwierig zu beantworten. Eigentlich beobachte ich die Ereignisse hier nur so vom Rande her.“
„Pudding mit Himbeersauce“, mischte sich Frau Kamensiek in der für sie typischen Art ein, so dass sich Anica wieder mal die Haare sträubten. „Mister Ball sagte mir, Sie seien TV- Journalistin. In diesem Beruf müssten Sie doch mehr sehen als andere Ausländer.“
„Mag ja sein“, lenkte die Journalistin nachsichtig ein. „Doch ich betrachte alles vorwiegend quasi durch das Kameraobjektiv. Da fesseln mich die Motive zunächst rein technisch.“
„Stimmt“, warf Kamensiek ein, „als Fotograf kann ich das nur bestätigen. Während die spannendste Episode abläuft, muss man den Moment erwischen, an dem sie ihren Kulminationspunkt erreicht. Das ist jener Sekundenbruchteil, in dem das Sucherbild all die Substanz aufweist, die das Foto später für sich sprechen lässt.“
„Was man deinen Fotos leider nie ansieht“, meinte seine Frau. „Er macht Dias. Nicht zum anschauen. Wenn Sie wollen, laden wir Sie herzlich zu einem Lichtbildvortrag ein...“
„Vielen Dank“, antwortete Anica, „bei Gelegenheit gern. Wir TV-Kameraleute schießen ja keine Einzelfotos, sondern Serien, deren lebendiger Ablauf auf die Fernsehzuschauer einwirkt. Da kommt es darauf an, an den richtigen Stellen zu schneiden, das Überflüssige zu eliminieren und die passenden Szenen aneinander zu reihen. Als Hobby fertige ich per Computer aus Standbildern Einzelablichtungen und Vergrößerungen. Da spielen dann Raumaufteilung und einkalkulierte Lichteffekte genauso eine Rolle wie der Gesichtsausdruck eines Menschen, die Dynamik der Aktion, Weißabgleich-Einstellungen und viele andere Faktoren. Nicht zu reden von der rein handwerklichen Technik des Kameramenschen, die in jedem Augenblick voll und ganz eingesetzt werden will.“
„Vor allem die Gesichter“, sagte Kamensiek, „sie verkaufen die Bilder. Dafür braucht, man das Gefühl für den absoluten Augenblick, den genau getimeten Höhepunkt...“
„Wie ich höre, Frau Klingor“, warf Frau Kamensiek mit missbilligendem Blick auf ihren Mann dazwischen, „haben Sie das bei der Polizei gelernt. Die Kamera auf demonstrierende Kurden und protestierende Rechtsradikale halten und...“
„...nur erstere identifizieren können“, fuhr Kamensiek fort.
„Nicht ganz so“, erwiderte Anica lächelnd. Sie hatte als Erste Kriminalhauptkommissarin tatsächlich an einem mehrwöchigen Videokurs teilgenommen, erstens aus persönlichem Interesse und zweitens, um nicht dümmer als ihre Untergebenen da zu stehen. „Bisweilen ist das Ergebnis der lichtbildnerischen Arbeit unbefriedigend, wenn es auch nur an Kleinigkeiten mangelt wie Motorzoombedienung und Focus-Justierung. Oder Fingerspitzengefühl zum Beispiel. Jedenfalls bleiben politische Überzeugungen zunächst mal ganz außen vor.“
Die Kamensieks nickten mit zusammengepressten Lippen. Er fand als erster wieder Worte. „Zum bilateralen Aspekt solcher Bilder, und der lässt sich zweifellos nie wegleugnen, leitet Sie aber doch wohl, wenn ich richtig vermute, im Wesentlichen Ihr politischer Instinkt.“
Anica leerte ihr Glas. „Wenn Sie das so formulieren wollen...“ Sie dachte an den Herweg unter Granateinschlag und den Tod des Legionärs, doch von sich aus wollte sie dieses Thema nicht anschneiden.
„Interessanter Job“, bemerkte Frau Kamensiek. „Für wen arbeiten Sie?“
Anica ließ sich Zeit mit der Antwort, die so ausfallen musste, dass für die Konsulatsangehörige möglichst keine Frage offen blieb. Sie füllte umständlich die Gläser, um schließlich zu erklären: „Ich bin freiberuflich tätig, wenngleich ich mich ein wenig abgesichert habe. Mit zwei Sendeanstalten zu Hause habe ich feste Verträge. Ex-Jugoslawien ist aktuell. Ich könnte allein von diesen Verträgen leben. Doch ich bestand darauf, noch mit einer internationalen Agentur zusammenarbeiten zu dürfen. Auf diese Weise komme ich einigermaßen zurecht und kann nicht klagen.“
„Das denke ich mir“, sagte die Kamensiek. „Haben Sie große Konkurrenz?“
„Die belebt das Geschäft, ja. Abgesehen von der einen oder anderen Kameracrew von deutschen Privatanstalten, die meist ebenso knapp bei Kasse wie kurzatmig sind, gibt es ernstzunehmende amerikanische Mitbewerber. Die Leute von CNN zum Beispiel sind nicht zu unterschätzen. Da gilt es, früh aufzustehen, wenn man ihnen zuvorkommen will.“
„Nun, wir Deutschen sind ja ausgeschlafene Profis“, sagte Kamensiek blasiert. „Das hat sich inzwischen überall auf der Welt herumgesprochen.“
Auch Frau Kamensiek lächelte mit einem deutlichen Anflug von Stolz. „Zurück zur Ausgangsfrage“, sagte sie. „Mich interessiert hauptsächlich die psychologische Perspektive der Kampfhandlungen hier. Haben die Bemühungen der UNO, zuvorderst die US-Amerikaner, Erfolg, der Bevölkerung von Bosnien-Herzegowina klarzumachen, dass die freie Welt sie vor den anachronistischen Kommunisten Belgrads in Schutz nimmt? Oder ist die Propaganda der Serben nicht ohne Wirkung, was meinen Sie?“
Anica zupfte ihr rechtes Ohrläppchen, bevor sie antwortete. „Vorerst hält sich der Erfolg in Grenzen, denke ich. Die Parteien sind aus hunderterlei Gründen zerstritten, die sogenannte Regierung nicht überall beliebt, das ist vielerorts zu spüren. Außerdem werde ich den Eindruck nicht los, dass die Menschen hier die Anstrengungen der Militärs und Diplomatie, auch der US-amerikanischen, nicht uneingeschränkt zu schätzen wissen. Aber vielleicht irre ich mich da auch.“
Die Kamensieks schüttelten den Kopf. „Ich weiß nicht“, sagte sie, während er äußerte: „Ich glaube nicht, meine liebe Frau Klingor. Leider. In der kurzen Zeit meines Hierseins habe ich dieselben Eindrücke gewonnen. Man soll sich ja bemühen, die Ursachen für die jetzige Situation zu ergründen.“
„Für einen geschulten Blick stellt dieses Land wieder ein großartiges Studienobjekt dar“, erklärte die Kamensiek.