Читать книгу Afghanistan, Srebrenica & zurück - Norbert F. Schaaf - Страница 12

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8 Der Partyverlauf

Sie wurden unterbrochen von einer lärmenden Männerstimme.

„Bitte unsere Verspätung entschuldigen zu wollen. Aber nach der unverhofften Granatierung wurden wir noch mitten in der Stadt aufgehalten. Eine Streife hat zwei Passanten erschossen, die auf Anruf nicht stehenblieben. Man vermutete eine Terroraktion separatistischer Muslime und riegelte das gesamte Stadtviertel ab. Wie mir das leid tut!“ Mr. Sparks begrüßte jeden unter strahlendem Lächeln mit Handschlag, wobei er abgehackte Lacher ausstieß.

„Das hat er sich angewöhnt“, sagte manieriert Mrs. Sparks, die hinter ihrem rundlichen Mann erschien, „seit er Burky kennen gelernt hat. Die Deutschen geben einander ständig die Hand. Sogar den Hunden schüttelt man die Pfötchen, ist das nicht einfach niedlich?“

Mrs. Hayward-Ball trank ihren Saft aus und hüstelte verlegen. Frau Kamensiek brachte ein bemühtes Lächeln zustande. Anica hingegen lachte innerlich über die Ironie der sportlich gestrafften, gespannt wie eine Feder wirkenden Amerikanerin, die ihr leicht auf die Schulter klopfte und jovial sagte: „Hello, Reporterin! Sie wollten irgendwohin reisen, in die Gegend um Srebrenica, wenn ich nicht irre?“

„Richtig“, nahm Mr. Sparks das Wort. „Warum lassen Sie sich nicht sehen?“

„Noch fehlt mir die Genehmigung, Colonel“, antwortete Anica. „Das Public-Relations-Center vertröstet mich von einer Woche auf die andere. Angeblich ist für Srebrenica bisher keine Antwort auf die Anfrage gekommen.“

Sparks runzelte die Stirn. Seine gebräunte Gesichtshaut ließ Anica an dünnes Leder denken. „Schwindelei“, rief er. „Ich habe Ihren Antrag persönlich am nächsten Tag nach unserem Gespräch an die zuständigen UN-Stellen weitergeleitet und im Handumdrehen die Genehmigung erreicht. Mit der Maßgabe, dass ich selbst über den eigentlichen Termin entscheide, zu dem Sie kommen. Das hängt mit gewissen Dingen zusammen, auf die man gerne einzelne TV-Reporter ansetzen möchte. Ohne den Rattenschwanz der redaktionellen Wichtigtuer, wenn Sie wissen, was ich meine. Man hat dort einiges vor. Wurde Ihnen dieser Bescheid nicht übermittelt?“

Anica zuckte die Achseln. Srebrenica war seit März 1993, als der französische General Morillon das Städtchen besuchte und von der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung festgehalten wurde, mit ein paar umliegenden Dörfern von der UNO zur `Safe Area´ erklärt worden. Die Einwohnerzahl stieg dann von 6000 auf etwa 40000. Es hieß, dass die UN-Schutzzone von etwa 450 leichtbewaffneten niederländischen Blauhelmen beaufsichtig wurde. Die Kanonen auf den sechsrädrigen Panzerfahrzeugen, die sie dabei hatten, waren speziell für die Mission in Srebrenica abmontiert und durch leichtere Maschinengewehre ersetzt worden. Es war schließlich eine Friedensmission. Anica seufzte, während sie sich ins Gedächtnis rief, was sie von Srebrenica wusste: Die niederländische UN-Truppe Dutchbat war seit Monaten in der Enklave eingeschlossen und zunehmend abgeschlossen von der Versorgung mit Munition, Benzin und Lebensmitteln. Die 450 niederländischen Soldaten waren den angreifenden serbischen Truppen sowohl quantitativ wie qualitativ hoffnungslos unterlegen. Blauhelme wurden als lebende Geiseln festgekettet an Objekte, die möglicherweise von NATO-Flugzeugen hätten bombardiert werden können.

Das Licht begann zu flackern. Sekunden später erlosch es völlig. Aus nicht allzu weiter Entfernung war das Grollen einer Explosion zu hören. Mrs. Hayward-Ball tastete sich im Schein der auf dem Tisch brennenden Kerzen ans Telefon. Ins Wohnzimmer zurückgekehrt, sagte die Pilotin in fast gleichmütigem Tonfall: „Bosnische Serben oder muslimanische Bosnier haben ein Umspannwerk an der Mice Sokolovica gesprengt. Es wird längere Zeit dauern, bis wir wieder Strom haben.“

„Schweinerei!“ Die Spark setzten wütende Gesichter auf.

Mary-Jo sah auf die Uhr. Sie leerte ihr Glas und ordnete wieder unnötigerweise die Frisur. „Viel Spaß noch, Kinder“, rief sie in die Runde ihrer Gäste. „Leider muss ich Schlag zehn in Brodska sein. Lasst euch durch mein Verschwinden nicht die Stimmung verderben.“

Burkhart half ihr in die Pilotenjacke und fragte besorgt: „Bist du sicher, dass du nicht zu viel getrunken hast, Mary-Jo?“

„Es war ja kaum Champagner dabei. Außerdem fliege ich ja nicht, Burky“, entgegnete sie. „Zwei Staffeln haben Sitzbereitschaft, wir übrigen liegen auf Pritschen und schlafen.“

„Hast du auch alles, was du brauchst?“

Sie nickte. „Kann dich leider nicht mitnehmen.“

„Du hast wirklich nichts vergessen?“

Mary-Jo drückte ihm flüchtig einen Kuss auf die Wange. „Wirf die Bande raus, wenn du genug hast, ja?“

„Sag mir noch eins, Mary-Jo, geh ich dir nicht auf die Nerven mit meiner Fragerei?“

Sie zuckte die Achseln, nickte knapp. „Du stellst dich an wie – ein Eheweib.“

„Dir genügt es vielleicht zu wissen, dass ich wohlauf bin. Mir ist das zu wenig. Ich will alles wissen: Wie du aussiehst, auch im Kampf, wie du sitzt, wie du gehst, was für eine Miene du machst, wenn du an mich denkst.“

„Ach was, dummes Zeug, Burky. Mach dir keine Gedanken. So long.“

Draußen hupte der sechsrädrige Panzerwagen, der die Pilotin abholte; Burkhart begleitete seine Frau bis vor die Tür, derweil man drinnen den politischen Disput wieder aufnahm. Kamensiek stand allein am Fenster und blickte hinaus auf den gepanzerten Kübeltransporter. Anica trat neben ihn und sah über seine Schulter. „Ungemütlicher Job, diese Fliegerei“, sagte sie. „Ein Glück, dass Serbien über keine schlagkräftige Luftwaffe verfügt.“

„Verfügen darf“, verbesserte Kamensiek, sich lächelnd umdrehend. Seine Metallzähne blitzten matt. „Wie ich höre, bringt das Flugwesen auch Ihnen gewisse Probleme. In diesem Falle die zivile Frachtfliegerei.“ Er hielt ihr ein silbernes Zigarettenetui hin, eine bosnische Filigranarbeit aus kunstvoll zu floraler Ornamentik ineinander verschlungenen Silberdrähten, die Rosen und Zypressen zu Sechsecken formiert darstellten.

Das ist das erste, was diese Sorte Männer im Ausland tun, dachte Anica, während sie mit einer Hand dankend abwehrte, mit der anderen eines dieser überdimensionierten Zündhölzer anrieb, ihm Feuer gab. Bevor sie sich im Straßenbild auskennen, ehe sie noch wissen, wie teuer ein Laib Brot ist oder was eine Flasche Wein kostet, kaufen sie einheimisches Kunstgewerbe wie Treibarbeiten aus Kupfer, Ledergeflechte und Silbergeschmeide. Ähnliches könnten sie genauso gut bei sich daheim erwerben, wo so ziemlich alles angeboten wird, was der Weltmarkt hergibt. Aber was sollten sie sonst hier tun als materielle Besitztümer ansammeln? – Geistige Werte? Der Geist des Balkans ist ihnen unbequem, nicht geheuer. Ob er einen Wert verkörpert? Keinen, der sich auszahlt oder an der Börse ablesen lässt; also lohnt es nicht, darüber nachzudenken. Sie glauben, genug über den Balkan zu wissen, wenn sie hin und wieder sonntags ein Kloster, eine Moschee besuchen oder eine der landestypischen Brücken bestaunen. Und das, was man hierzulande Theater nennt, empfinden die Besucher als eine Zumutung; die Bücher – obgleich nur zum Teil in kyrillischer Schrift – können sie nicht lesen, vermutlich wäre es ohnehin nur vergeudete Zeit; die Musik? – tja, die folkloristischen Töne à la original Oberkrainer klingen ihnen angenehm in den Ohren, sie sind meist wie die Schlager verwestlicht; aber sonst...

„Sie träumen“, unterbrach Kamensiek Anicas Gedankenflut, „...von ihm?“

„Burkhart verrät meine tiefsten Geheimnisse“, sagte sie.

„Ich kann schweigen“, behauptete er halblaut, „seien Sie unbesorgt. Doch man könnte denken, Sie schämten sich Ihres Freundes.“

„Haben Sie diesen Eindruck? Das täte mir leid. Ich verstecke ihn ja keineswegs.“

„Er macht sich selbst rar. Ich höre, er sei sehr anziehend. Ein richtiger Abenteurer noch...“

„Woran erkennen Sie einen Abenteurer?“

„Wenn jemand nicht gerade Schlips und Kragen beziehungsweise Berufskleidung trägt“, murmelte er kopfwiegend, „kann ich einen Bankangestellten nicht von einem drachenfliegenden Bergsteiger unterscheiden.“

„Kann man auch nicht. Außer mit ein wenig Übung. Wenn Sie sich hierzulande lange genug umsehen, bekommen Sie vielleicht einen Blick dafür. Arbeiten Sie auch in der Vertretung?“

Er nickte. „Aber nicht direkt. Ich bin nur für die Computeranlagen zuständig. Sie besitzen doch ein Bild Ihres Freundes?“

Anica trug eines bei sich, schüttelte jedoch den Kopf. Ihre blonden Haarspitzen berührten fast seine Nase. „Leider“, sagte sie.

„Macht nichts. Ich will auch nicht neugierig sein.“

„Wieso? Neugierde ist auch eine Eigenschaft von Abenteurern. Es gibt Millionen Dinge auf dieser Erde, die man ohne sie nie entdeckt.“

Kamensiek lachte auf. „Es ist so oft zu hören“, sagte er mit gedämpfter Stimme, „dass diese Burschen so sehr geschätzt werden. Ist er nicht Serbe? Was haben die Kerle nur so Besonderes an sich? Ist es der herbe Charme ihres verwegenen Typs, ihre äußerliche Attraktivität oder welcher Anspruch verbirgt sich dahinter?“ Sein Gesicht näherte sie dem ihren. „Gerade die Südländer sollen auf unerhörte Art ihre Leistungsträgerschaft in der Liebe beweisen. Wahre Meister der Liebeskunst. Ist es das, was die Damen so an sie fesselt?“

„Schon möglich.“ Was sollte sie diesem gespreizt redenden, in Managerkategorien denkenden, verklemmten Mann anderes entgegnen? „Die Menschen haben viele schätzenswerte, liebenswürdige Eigenschaften. Nicht so einfach, alle aufzählen zu wollen.“

„So“, sagte er bemüht lächelnd. „Und was macht diese Kerle zu Meistern in Sachen Liebe? Ihre Körperlichkeit? Angeborene Triebhaftigkeit? Sind sie hemmungsloser als unsereins? Beherrschen sie etwa Dinge, von denen wir nichts wissen oder höchstens träumen können?“

Anica wandte den Blick ab, gab sich den Anschein nachzudenken.

Was erwartet der Knilch eigentlich von mir? Doch nicht, dass ich ihm mit Intimitäten aufwarte! Augen hat er wie ein krankes Vieh. Vielleicht hat er nicht die richtige Frau. Sie blickte dem Mann seitlich aus den Augenwinkeln ins Gesicht. „Man braucht manchmal diese Art Konversation, sich quasi warm zureden, um sich in einen Zustand zu versetzen, der einem ansonsten versagt bleibt“, äußerte sie in einem leichten Plauderton und fuhr, als er vernehmlich tief Luft holte, fort: „Ich denke, Sie sind da auf einer ganz falschen Fährte. Mit Verlaub gebe ich Ihnen einen Rat. Schließen Sie Bekanntschaft mit möglichst vielen Menschen an jedem beliebigen Ort. Freunden Sie sich mit den Einheimischen an! Sie werden abenteuerliche und erotische Mentalität dort kennen lernen, wo sie sie am wenigsten vermuten.“ Außer bei sich selbst, fügte sie in Gedanken hinzu; er wird es niemals begreifen, sich selbst immer ein Fremder bleiben.

Anica drehte mit ihrer rechten Hand einen Gegenstand in ihrer Jackentasche um und um. Es war eine Miniatursanduhr, die ihr Liebster ihr geschenkt hatte. Sie bestand aus zwei kleinen mundgeblasenen Glaskugeln in einem filigranen, grauweißlichen Elfenbeingerüst vom Mammut, verbunden durch eine winzige Öffnung für den Durchlass des feinen, silbrig-türkisfarbenen Sandes. Die Körnchen hatten die ätherische Farbe der Zeit. In menschlicher Zeitrechnung dauerte es fünf Minuten, bis der Sand von einer Kugel in die andere gerieselt war. Dragan hatte sie ihr überreicht mit den Worten: „Zeit spielt keine Rolle, immer fließt meine Liebe zu dir wie diese Sandkörnchen, wenn du die Kugeln umdrehst. Zweifelst du einmal an meiner Liebe, zeigt dir der fließende Sand, dass ich dich liebe für alle Zeit.“ Ein kaum merkliches Lächeln trat in ihre Züge, Glanz in ihre Augen.

Auf der Straße heulte der Motor des Panzers auf. Die Pilotin war in das weißlackierte Fahrzeug gesprungen, es schoss davon, noch ehe die fensterlose Tür zugeschlagen war. Burkhart winkte hinterher. Wie sehr er sich verändert hat, dachte Anica. Von dem abenteuerlustigen Burschen, der vor einigen Jahren seinen Juristenjob an den Nagel gehängt und sich an den Hals der amerikanischen Helikopterpilotin geworfen hatte, war ein Hausmann übriggeblieben.

„Und ich glaubte, hier endlich einmal etwas über das Mysterium eines echten südländischen Draufgängers zu erfahren“, beklagte sich der Diplomatengatte. Anica zuckte die Achseln. Du lieber mein Vater, dachte sie, da hat einer Sehnsucht nach dem geheimnisumwitterten hemingwayschen Mythos. Er fixierte sie mit einem gönnerhaften Blick. „Trotzdem würde ich mich gerne öfter mit Ihnen unterhalten. Über alles Mögliche. Wenn Sie mal Zeit haben.“ Er zog eine goldene Visitenkarte aus der Brusttasche seines Jacketts. Anica steckte sie lächelnd in die Handtasche. „Werden Sie mich anrufen?“

„Ich weiß es nicht – wann. Bei Gelegenheit. Aber ich nehme es mir vor.“

Afghanistan, Srebrenica & zurück

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