Читать книгу Afghanistan, Srebrenica & zurück - Norbert F. Schaaf - Страница 21
Оглавление17 Im Wohncontainer der Helikopterpilotin
Burkhart lag wach im Bett, horchte auf das sich nähernde Autogeräusch. Als der Wagen vor dem Haus hielt, sprang er auf zum Fenster und zog die Vorhänge auseinander. Ein Blick genügte und er atmete erleichtert auf. Für einen Augenblick dachte er daran, in den Bademantel zu schlüpfen, doch kroch er rasch wieder ins Bett. Er wusste, dass Mary-Jo es nicht mochte, wenn er sich Sorgen machte. Er hörte den Kübel abfahren und seine Frau die Tür aufschließen. Er lauschte auf die vertrauten Geräusche, wenn sie die Mütze ablegte, die Uniformjacke auszog und die Schuhe abstreifte, bevor sie den Kühlschrank öffnete, um die Karaffe mit selbstgemixtem Tomatensaft herauszunehmen.
Auf Strümpfen schlich sie ins Schlafzimmer, hob bedauernd die Achseln und verzog das Gesicht. „So sorry, sweetheart“, flüsterte sie liebevoll, „obwohl ich mir immer die größte Mühe gebe, dich nicht zu wecken.“
Ohne Uniform hätte sie genauso gut Hotelmanagerin oder Krankenschwester sein können, die in Baton Rouge frühmorgens von der Nachtschicht nach Hause kam, um sich zur Ruhe zu legen, das abgespannte Gesicht mit etwas Rouge auf den Wangen nun nachlässig-hastig abschminkend, die Kurzhaarfrisur ein wenig zerzaust. Sie sah ihren Mann an, hob die dünnen Augenbrauenstriche. „Kannst du nicht schlafen?“
„Ehrlich gesagt kann ich nie besonders gut schlafen, wenn du nachts weg bist“, entgegnete er. „Da ich meist so tue, als sei ich gerade aufgewacht, fiel es dir nur nicht auf.“
Sie strich mit der Hand über seine Bartstoppeln. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du keine Angst zu haben brauchst, wenn ich im Dienst bin?“
„Ich habe immer Angst um dich, wenn du unterwegs bist“, erwiderte er, „und die Maschine besteigst.“
Sie seufzte, griff nach einer Zigarette. Schon der erste Zug schmeckte nicht, sie hatte zu viel geraucht diese Nacht.
„Mach mir´s nicht so schwer“, bat sie. „Schlimm genug, dass der Commander mir immer vorhält: `Kriegführen ist Männersache, lassen Sie sich das von einem alten Fuchs gesagt sein´. Der olle Knochen weiß die Frauen am liebsten zu Hause am Herd, möglichst weit weg.“
„Und nun muss er mit einer Pilotin auskommen...“
„...die einen Softie als Gatten dabei hat, der sich Sorgen macht wie ein weinerliches Hauspumpel.“
„Vielleicht gäbe es weniger Militäreinsätze, wenn die Lebenspartner grundsätzlich immer mitkommen würden.“
Mary-Jo lachte. „Jedenfalls wären sie kürzer. Hätte nicht manche Offiziersfrau gleichzeitig einen Job im Lazarettbereich hier oder drüben in Cervia, wäre sie zehntausend Meilen entfernt daheim, was kaum einer meiner lieben Kollegen lange aushielte.“
„Vor allen du nicht, Mary-Jo, da...“
„Deshalb durfte ich dich ja als Anstandswauwau mitnehmen“, schnitt sie ihm grinsend das Wort ab. „Bell mal, Burky!“
Burkhart schmollte. Vor wenigen Tagen, in der Nacht zum ersten Augusttag, war sie um Haaresbreite dem Tod entkommen. „Ich muss immer an den letzten Juliabend denken, my Love“, sagte er. „Nie hast du mir Einzelheiten über jene Nacht erzählt...“
Sie schwieg. Damals waren plötzlich aus der samtenen Dunkelheit Werfergranaten von den Bergen zwischen den abgestellten Helikoptern eingeschlagen. Sie hatte sich in Startbereitschaft im Pilotensitz ihrer Maschine angeschnallt und war vor Schreck wie gelähmt gewesen, als ringsum die aufzuckenden Detonationen Flugmaschinen zertrümmert und Brände entfacht hatten, die in Windeseile von auslaufendem Treibstoff genährt zu himmelhohen Flammenwänden aufgetürmt worden waren. Ein Artilleriegeschoss hatte das Rumpfheck der Maschine samt zerschmettertem Rotor abgerissen, sie war auf den Asphalt geknallt, und Mary-Jo und ihr Co-Pilot, der sich beinahe in die Hosen gemacht hätte, hatten sich mit einem Sprung ins Freie gerettet und waren um ihr Leben gelaufen, während sich das Flugbenzin aus dem Haupttank auf die Piste ergossen hatte. Ums nackte Überleben waren sie gerannt, ihr Kamerad – noch ohne angelegte Ausrüstung – schneller als sie, hinter ihnen war eine grellorange Flammengarbe hochgeschossen, deren Hitze ihre Kombination versengt hatte. Die beim Laufen hinderliche Behelmung mit Sprechanlage sowie den Fallschirm samt Pistolengurt hatte sie abgestreift, während ein Feuerlöschzug an ihr vorbeigeprescht war. Auf das Trittbrett springend hatte sie sich am Türgriff festgeklammert, bis das Fahrzeug aus dem Bereich des explodierenden Granaten heraus war. Im betonierten Unterstand beim Flugleitgebäude hatte sie sich mit anderen Offizieren und Mechanikern verkrochen, allen hatten noch lange nach dem Angriff die Hände gezittert, vor allem aus Fassungslosigkeit darüber, wie es den serbischen Angreifern möglich gewesen war, trotz mehrfacher Sicherungen so nahe an den Stützpunkt zu gelangen. Kein Aufklärer oder Sicherungsposten hatte etwas bemerkt. Um ihren Mann nicht unnötig zu beunruhigen, hatte sie ihm Detailschilderungen des Vorfalls erspart.
Wie etwa jenen Nachteinsatz kürzlich, als sie bei 700 Fuß wusste, dass sie beschossen wurde. Irgendetwas schlug an die Unterseite ihres Helikopters, drang jedoch nicht durch sie hindurch. Unten wurden keine Leuchtspurgeschosse abgefeuert, aber Mary-Jo sah in der Tiefe die hellen flackernden Lichtpünktchen. Sie kreiste und ging sehr schnell runter, wobei sie auf den Knopf drückte, der das Feuer der Bordgeschütze mit automatischer Zieleinrichtung freigab, die an beiden Seiten der Maschine montiert waren. Jeder fünfte Schuss war ein Leuchtspurgeschoss, und die Kugeln glitten raus und abwärts, unvergleichlich anmutig, wie Mary-Jo schien, näher und näher an ihr Ziel, bis sie auf den winzigen Lichtpunkt trafen, der aus dem Walddickicht eines strategisch bedeutsamen Berges aufleuchtete. Schlagartig hörte der Beschuss von unten auf, der Helikopter gewann wieder an Höhe, flog weiter. Mary-Jos Co-Pilot, mit einem Gesicht wie eine Luftaufnahme von Steinbrüchen und über und über mit losen Hautfalten und sichtbaren Adern behängt, gähnte und murmelte: `Ich glaube, ich hau mich heut früh in die Koje und seh zu, ob ich mit ein wenig Bock auf diesen Krieg aufwach´.
Mary-Jo hob die zu einer dünnen Linie gezupften Augenbrauen. „Sie können ihre – übrigens miserablen – Luftstreitkräfte kaum einsetzen, Burky“, sagte sie. „Du weißt, es herrscht absolutes Flugverbot über Bosnien, und unseren als UN-zugehörig gekennzeichneten Maschinen können sie nichts anhaben. Es wird schon alles gut gehen. Noch einige Monate, höchstens aber ein Jahr, dann können wir zu unserem Bankkonto heimkehren.“
„Ich habe ein ungutes Gefühl dabei, Mary-Jo.“ Er wog den Kopf. „Von daheim aus stellt sich das alles völlig anders dar. Mit jedem Tag, den ich hier verbringe, sehe ich mich erneut mit der Frage konfrontiert, ob ich nicht lieber eine lebendige Chefin in einem kleinen Flugzeuggeschäft haben sollte als eine tote mit einem modernen, großen einschließlich...“
„Denk nicht dran“, fuhr sie ihm barsch ins Wort. „Es ist überhaupt nie gut, zu viel und zu oft über ein und dieselbe Sache nachzudenken. Natürlich habe auch ich mir alles ganz anders vorgestellt. Doch wer kann schon ahnen, dass uns die bosnischen Serben derart einschnüren?“
Eine Zeitlang lagen sie schweigend nebeneinander. Mary-Jo war müde, schloss die Augen. Matt spielte sie mit den Haarsträhnen ihres Mannes, der sachte ihre andere Hand drückte. Immer, wenn sie über ihre verzwickte Situation hier nachdachten, kamen ihnen Zweifel, ob die Verbündeten in den UN ihre Position in diesem Land würden auf Dauer halten können und wollen; da verstanden sie sich stumm. Die Sicherheitsgarantien waren das Papier nicht wert, auf denen sie gegeben wurden, Waffenstillstände wurden ständig geschlossen und wieder gebrochen, da zu viele Seiten daran beteiligt waren und zu unterschiedliche Interessen auf dem Spiel standen. Die bosnischen Serben verstanden es ungeheuer gut, ihre Kampftaktik den landschaftlichen und klimatischen Bedingungen anzupassen, so blendend sich auch ihre islamischen Gegner erfolgreich dem feindlichen Verhalten stellten. Es hatte wenig Sinn, sich etwas vorzuspiegeln: Die sogenannten Schutztruppen wurden zwischen den verfeindeten Parteien aufgerieben; sie waren in diesem Land von Feindseligkeit umgeben, darüber konnten lächelnde oder unterwürfige Gesichter nicht hinwegtäuschen. Und die einheimischen Führer waren in ihren eigenen Reihen ebenso machtlos wie bei anderen Volksgruppen unbeliebt. Wer eine Beruhigung der Verhältnisse erwartete, eine Stabilisierung der politischen Macht sowie das Schweigen der Waffen, befand sich im Irrtum. Die Soldaten hielten sich an die relativ gute Löhnung, die der Dienst mit sich brachte. Jedoch war ihr Leben, das bekamen sie zu spüren, sobald sie in das erste heiße Gefecht verwickelt wurden, keinen Schuss Pulver mehr wert. Der Gegner, der nicht einmal aus dem Schatten der schluchtenzerklüfteten Berge trat, um erbarmungslos zuzuschlagen, war mit den militärischen Mitteln der UN nicht zu fassen. Die Hayward-Balls hegten die Erwartung, dass man sich endlich zu dem Entschluss durchringen mochte, die serbischen Stellungen öfter zu bombardieren, noch mehr hofften sie freilich, zusammen mit ihrer Haut den Sold nach Hause hinüberzuretten.
Mary-Jo war beileibe keine Schafsnase, die nicht wusste, worauf sie sich eingelassen hatte, als sie hierher gegangen war. Oft genug hatte sie den Worten ihres Vaters, eines dekorierten Veterans, gelauscht, um zu wissen, dass es galt, die Zeit unbeschadet zu überstehen. Darin bestand ihre einzige Ideologie und war gleichzeitig ihr praktisches Programm, das sie wie ein Bordcomputer ihrer Maschine herunterzuspulen trachtete. Doch Burkhart machte es ihr schwerer als die Soldatenfrauen ihren Männern, wofür sie Verständnis aufbrachte. Doch was half es, immer und immer wieder darüber nachzugrübeln? Für ihn kam es darauf an, ihr moralisch den Rücken freizuhalten, für sie, gut zu pilotieren und keinen Fehler zu begehen. An die Gefahr, einmal als Geisel genommen und an einen Munitionsschuppen gefesselt zu werden wie schon manch anderer der UN-Truppe, wagte das Ehepaar nicht zu denken, geschweige denn darüber zu reden.
„Schlafen wir jetzt ein bisschen“, sagte Mary-Jo. Sie ließ sich von ihrem Mann die angerauchte Zigarette aus der Hand nehmen, sah, wie er sie im Aschenbecher zerdrückte.
„Ich werde den Brief an Mammy schreiben“, sagte Burkhart aufstehend. „Schlafen kann ich ohnehin nicht mehr, Darling. Ich stelle dann die Kaffeemaschine an.“
Mary-Jo brummelte etwas von Wohnzimmer aufräumen, ohne die Augen zu öffnen. Burkhart schlüpfte aus dem Pyjama, betrachtete sich im Spiegel. Ich nehme zu, dachte er, besah seinen leicht behaarten Körper, bemerkte daneben das Spiegelbild seiner schlafenden Frau. Er fand sie attraktiv, mit wohlproportioniertem Körper, gleichmäßig ovalem Gesicht, wasserblauen Augen unter geschweiften, dunkelblonden Brauen, gerader Nase und vollen, ebenmäßig geschwungenen Lippen, die Mary-Jos Antlitz nicht davor bewahrten, in anderen Augen als denen ihres Mannes harmonisch-langweilig auszusehen. Es reicht, wenn einer von uns beiden schön ist, überlegte Burkhart, aber später, in nicht allzu ferner Zukunft, sollten wir ein Kind haben. Er ging zum Bad hinüber. Gedankenvoll blickte er auf die Ansammlung kosmetischer Artikel. Er musste zugeben, dass mittlerweile mehr als die Hälfte dieser raffiniert ausgeklügelten, in buntes Plastik verpackten Dinge für seinen eigenen Luxus zur Verfügung standen, die er so selbstverständlich einkaufte wie den Lippenstift für seine Frau. Er war auf eine Bahn geraten, die nicht mehr mit früheren Vorstellungen in der Berliner Subkultur seiner Heimat übereinstimmten. In sein Leben war eine attraktive Frau namens Mary-Jo Hayward getreten, die er liebte und die ihm eine ruhige, verständnisvolle Partnerin war, so wie sie sich ihrerseits auf ihn verlassen konnte. Es gab das Zuhause in Mandleville am Lake Pontchartrain gegenüber New Orleans, das Flugmaschinenunternehmen ihres Vaters, einen umfangreichen Bekanntenkreis, sonntägliche Picknicks am Meer, allabendliches Tennisspiel auf eigenem pflegeleichten Hartplatz, die Weekendpartys sowie dann und wann eine Reise in die Rocky Mountains oder an die Großen Seen. Doch das lag weit weg. Die Gegenwart bedeutete der Black Hawk, den Mary-Jo pilotierte, der Talkessel Sarajevos und die Angst. Es war der Preis für alles andere. Er war zu hoch. Doch hatte sich das erst herausgestellt, nachdem der Kauf des Tickets unmöglich rückgängig zu machen war.
Burkhart trat dicht an den Spiegel heran. Lange durchforschte er sein ovales Jungengesicht, blinzelte in die hellgrauen Puppenaugen. Seine Augäpfel fand er selber schön, er freute sich über sie, über die langen, dichten dunklen Wimpern wie auch über die ebenmäßigen, skeptisch hochgezogenen Brauen, die nur einen Hauch dunkler waren als sein aschblondes Haar; doch ärgerte er sich über seine nicht vollkommen gleichmäßigen, etwas fleischigen Lippen, denn ihm war nicht bewusst, dass gerade sie seinem Jungengesicht einen reifen, erregenden Reiz verliehen.
Im Bademantel ging Burkhart nach nebenan, um Gläser und Flaschen aus dem Wohnzimmer in die Küche zu räumen. Unwillkürlich dachte er an Anica. Es war richtig gewesen, von ihr wegzugehen, ich hätte niemals das Risiko teilen wollen, das sie auf sich nahm, als sie den Dienst bei der Kriminalpolizei aufgab, um sich freiberuflich zu betätigen. Bei ihrer eigenartigen Ausbildung hatten sich für sie, als Frau noch dazu, wenig Möglichkeiten geboten, und sie hatte sich schwer getan, in den freien Journalistenberuf zu finden mit dem langfristigen Plan, eine eigene Agentur zu gründen. Es war ein schneller, harter Entschluss gewesen, sich von ihr zu trennen. Doch Anica hatte immer Freunde, die es auch blieben, nachdem sie sie verlassen hatten oder sie selbst eigene Wege gegangen war. Für Burkhart nahm sich sein damaliger Entschluss aus wie eine Flucht vom Regenschauer in Gewitterhagel. Der Traum von der Erfüllung des Lebens in Wohlstand und Zufriedenheit, fern aller Gefahr, hatte sich bis jetzt als Utopie herausgestellt. Er liebte kalkulierbare Risiken wie seine Frau und ihren Vater, und war auf prekäre Umwege in eine ruhige, sichere Existenz nicht eingestellt. Er kippte den Inhalt der Aschenbecher in den Mülleimer. Ob Anica mich, wie versprochen, anruft, ehe sie nach Srebrenica reist? Werde ich den Mut aufbringen, ihr zu sagen, worum es mir geht? Mit niemandem habe ich darüber sprechen können, am wenigsten mit Mary-Jo, obwohl sie mich höchstwahrscheinlich würde verstehen können.