Читать книгу Afghanistan, Srebrenica & zurück - Norbert F. Schaaf - Страница 17

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13 Mary Jos Wohncontainer

In mentaler Taubheit noch passierte Anica den Ortseingang Sarajevos, lenkte ihren Roller durch die kahle Straße der Containersiedlung. Der Winkelbungalow von Mary-Jo und Burkhart war noch beleuchtet, die Reporterin hielt, schaltete den Motor aus. Vor wenigen Stunden erst war sie an gleicher Stelle gewesen, doch nun kam es ihr vor wie eine halbe Ewigkeit.

„Es ist die latente Feindseligkeit“, hörte sie Mrs. Sparks durch ein offenes Fenster gerade sagen, „die hier überall anzutreffen ist. Sogar bei den Bündnispartnern. Sie macht uns unsere Aufgabe so schwer. Jedermann sagt: `You are welcome!´ Aber seine Augen sagen: Könnte ich dich in die Neretva werfen, ich würde es tun. Alle murmeln ihr stereotypes `You are welcome´ und denken dabei ganz anders. Für sich nennen sie uns Schweine und Affen. Unsereiner wird nicht warm mit den Menschen und nicht mit dem Land. Man fühlt sich einfach unwohl.“

„Sie halten uns zum Narren“, schloss sich Mr. Sparks an. „Neidhammelei bei den Alliierten, orientalische Hinterfotzigkeit bei den einen und orthodoxer Konservatismus bei den anderen. Man braucht nur in ihre Gesichter zu schauen.“

Anica schwirrte der Kopf, sie nahm ihn zwischen die Hände. Gedankenblitze, furchtbare Gedankenblitze, und Menschenschreie wie kreischende Sägeblätter hallten in ihren Ohren nach. Zitternd trat sie durch die improvisierte Terrassentür. Der Hausherr empfing sie mit dunklen Augenrändern und einem Achselzucken, als wolle er seine Verdrießlichkeit darüber ausdrücken, dass die Party immer noch in vollem Gang war.

„Da kannst du genauso gut ein Ei angucken“, äußerte Frau Kamensiek, „und herauszufinden suchen, ob es innen schlecht ist.“ Sie machte eine abschätzige Handbewegung.

Ihr Mann drehte die Musik etwas lauter. „Falls jemand tanzen möchte...“

Burkhart und Anica sahen sich vielsagend an, als sie sich behutsam der Runde zugesellten. Die Journalistin, allmählich mit ruhigerem Herzschlag, fragte sich, ob es richtig war, zur Party zurückzukehren. Einerseits war sie noch ganz gefangen von der Ungeheuerlichkeit des zuvor Erlebten und sehnte sich nach Geborgenheit und Aussprache, andererseits konnte sie hier aller Erfahrung nach nur mit phrasenhaften Argumenten von Außenstehenden rechnen. Mal sehen, dachte sie, ob ich durch meinen Beitrag wenigsten etwas verändern kann...

Es tanzte niemand. Mrs. Sparks stellte die Lautstärke wieder leiser, setzte ihr Glas ab und erklärte: „Wenn ihr mich fragt, hat man hier einige Fehler gemacht. Der schwerwiegendste ist wohl, dass man nicht von Anfang an das Land unter amerikanische Militärverwaltung gestellt hat. Wir wären viel weiter gekommen damit.“

Frau Kamensiek hob die Oberlippe zu einem flüchtigem Lächeln und sagte in höflichem Ton: „In welcher Zeit leben Sie, gnädige Frau? Die Zeiten Kennedys sind passé.“

„Eben“, beharrte Mrs. Sparks. „Jetzt und hier leben wir. Nach dem Untergang der Sowjetunion sind falsch verstandene Rücksichtnahmen fehl am Platz. Mehr denn je.“

„Völkerrechtlich immer noch sehr kompliziert“, wagte ihr Mann einzuwenden. „Das musst du immerhin bedenken, meine Liebe.“

„Es sind Situationen denkbar“, erklärte Mrs. Sparks, „in denen man sich nur Unannehmlichkeiten einhandelt, wenn man das Völkerrecht anzuwenden versucht.“

„Es genügt, es einzuhalten“, mahnte ihr Mann und hob den dicken Zeigefinger. „Demokratie in unserem Sinn ist immerhin unbrauchbar für ein Land mit solchen Verhältnissen. Die Menschen sind einfach nicht reif dafür. Sie sind es gewohnt, hart, sprich autoritär, angepackt zu werden, dann herrscht Ruhe und Ordnung und man kann über Demokratie reden. Sie sollen sich brüderlich zusammenschließen, wie es jetzt die Kroaten und Moslems vorexerzieren. Anders ist das nicht zu schaffen.“

„Soll heißen, wir schaffen es nun nicht mehr?“ fragte Burkhart, der sich wie immer mit den Zielen seiner Frau identifizierte.

„Wir nicht und die ganzen UN nicht“, entgegnete Mrs. Sparks. „Es sei denn, man ist bereit, Opfer zu bringen. Heilige Kühe müssen geschlachtet werden. Das einseitige Waffenembargo gegen Bosnien ist doch eine Farce. Der Iran liefert via Zagreb nicht an Bosnien, wie die Medien melden, der Empfänger ist vielmehr die muslimische Armee des Alija Izetbegovic, die, wie man erstaunt zur Kenntnis nehmen muss, von UN-Truppen massiv unterstützt wird. Heiliger Krieg! Gott, wenn ich das schon höre. Ehrenvoller Krieg, vaterländischer Krieg: alles hohle Worthülsen. Der Mensch ist das größte Raubtier an der Spitze aller Geschöpfe, hochtechnisiert heutzutage, aber nichtsdestoweniger reißerisch – von Natur aus. Mit Demokratie ist da noch kein Blumentopf gewonnen worden. Oder hat man das Volk gefragt, ob es das gewollt hat, was sich uns heute hier bietet? Man hat es geführt! Nämlich an der Nase herum! Am schlimmsten sind die Journalisten! Sie weiden sich am Unglück der vom Krieg Betroffenen und behaupten, ihre Leser und Zuseher verlangten danach. Anwesende selbstverständlich ausgenommen.“ Erst jetzt hatte sie Anica neben Burkhart bemerkt.

„Weshalb sollte die Demokratie so untauglich sein?“ mischte sich die Reporterin ein. Sie hatte sich bisher reserviert verhalten, keinen Aufhänger für einen Diskussionsbeitrag erkennen können und dem Gedankenaustausch in sich gekehrt zugehört. „Der Dalai Lama äußerte unlängst“, setzte sie energisch hinzu, „die westliche Spielart der Demokratie sei den orientalischen Völkern genauso angemessen wie die Religionen des Nahen Ostens für die Bürger der nördlichen Industriestaaten.“

„Sag ich doch“, ereiferte sich Mrs. Sparks. „Die fundamentalistischen Islamisten haben schon viel zu viel Einfluss. Juden gibt es ja so gut wie keine mehr, ausgenommen in Israel, wo sie hingehören. Heute haben die Mohammedaner die Rolle des Finanzjudentums übernommen: Ihre Petrodollar haben die ganze Welt infiziert. Stammt der Aidsvirus nicht aus Arabien?“

Anica bemerkte amüsiert den unwilligen Blick, mit dem Sparks seine Frau streifte. „Manchmal, Lilian, bringst du die Dinge mächtig durcheinander.“

„Wieso? Haben die Juden unseren Herrn Jesus etwa nicht ans Kreuz geschlagen und die Muslims seine Gebeine geschändet?“

„Deswegen ist Gottes eigenes Land ja Amerika“, gab Anica trockenen Tonfalls zurück. „Der letzte Hort allerchristlichster Lebensführung.“

„Spotten Sie nur“, schimpfte Mrs. Sparks. „Während ihr Deutschen Verwaltungsspezialisten nach Mostar schickt, halten unsere Jungs ihren Kopf hin und bezahlen mit ihrem Blut für die Demokratie auf dem Balkan.“

„Wir sind erwachsene Menschen“, sagte Sparks. „Man soll uns nicht zumuten, an Dinge zu glauben, die für die Leser der Sonntagsblätter bestimmt sind. Was wir hier erleben, sind ganz normale Geburtswehen eines industriegesellschaftlich organisierten Nationalstaates, der im Entstehen begriffen ist. Und da es sich quasi um dreieiige Drillinge handelt, von denen der erste in eine Fuß-Steiß-Lage geraten ist, sind wir mit einem Hebammenteam vor Ort.“

„Interessante These, Colonel“, sagte Kamensiek und rückte seine Brille zurecht. „Das müssen Sie aber näher erläutern!?“

„Na, ihr Deutschen habt uns doch die Suppe eingebrockt. Mit eurer überstürzten völkerrechtlichen Anerkennungspolitik sind Tatsachen geschaffen worden, an denen wir nicht mehr vorbeikommen. Das hat man davon, wenn ehemalige Geheimdienstchefs an die Regierung kommen. Sie sollten doch von Ex-Präsident Bush, der CIA-Chef war, gelernt haben. Stattdessen machen sie einen Mann zum Außenminister und Vizekanzler...“

„...der vormals Leiter des bundesdeutschen Nachrichtendienstes war...“, schob Kamensiek nicht ohne Stolz ein.

„...während man die Abwehrleute, die für staatliche Sicherheit ihres ehemaligen Landes verantwortlich waren, hinter schwedische Gardinen verbannt“, setzte Anica fort und dachte: Diese Diskussion in der Talk-Show eines heimatlichen Senders hätte bestimmt Rekordquoten erreicht.

„Rot Front“ rief Frau Kamensiek mit erhobener Faust.

Anica lächelte.

„Immer noch besser als: Heil Hitler!“ entgegnete Kamensiek. „Übrigens werden die befreundeten Kroaten heute von einem Ex-Kommunisten angeführt.“

„Wäre er Ostdeutscher“, warf die Journalistin kopfnickend ein, „käme er vor die Schranken des Gerichts.“ Für einen Augenblick trat Schweigen in die Gesprächsrunde. Die Damen schlugen die Beine übereinander und sahen auf die Fußspitzen, die Herren verschränkten die Arme und ließen das Kinn auf die Brust sinken. Alle griffen zu ihren Gläsern, tranken aus und ließen sich von Burkhart nachschenken.

„Doch zurück zum Thema“, fasste sich Kamensiek als erster. „Wer hat hier in Bosnien eigentlich das Sagen?“

„Alle und jeder“, antwortete Sparks. „Der Generaltotengräber mit dem Blauhelm und sein Nachfolger, die Moslemführer, die bosnische Regierung, der orthodoxe Pope, der kroatische Milchmann, die Sandzakfreiwilligen, schwarze Schwäne, Drina-Wölfe, Arkan-Tiger, Veteranen der Ustascha und der Tschetniks und was weiß ich wer noch alles.“

„Wir haben jedenfalls über Serbien die Lufthoheit“, erklärte Mrs. Sparks. „Und die heilige Pflicht, unsere Position zu behaupten.“

„Aber die Russen haben den Serben Restjugoslawiens Unterstützung versprochen“, wandte Frau Kamensiek ein. „Ich hörte gar etwas von Vergeltung, falls die Luftangriffe verstärkt würden.“

„Noch sind wir im Vorteil, gnädige Frau“, sagte der Colonel lächelnd. „Rund um die Uhr wird das gesamte Territorium des ehemaligen Jugoslawien aus dem Weltall beobachtet und fotografiert. Nicht zu vergessen die AWACS-Aufklärer mit euren Jungs in Trapani. Wir kennen selbst die geringste Veränderung auf der Erde. Die Serben sind isoliert, glauben Sie mir.“

„Wissen Sie“, sagte Kamensiek, „ich frage mich manchmal, ob wir unseren Zweck erreichen. Wir bekämpfen die Serben und die Muslimanen berichten von Gräueltaten eben dieser Serben in weit übertriebenen Darstellungen, die sich später als wenig evident erweisen.“

„Jedes der hier begangenen Kriegsgräuel“, räumte Anica ein, „kennen wir aus der Entwicklungsgeschichte derjenigen Nationalstaaten, die heute als Krone der zivilen Weltgesellschaft den Kern des UNO-Sicherheitsrates bilden.“

„Vom Winde verweht“, sagte Mrs. Sparks und blies mit abschätziger Gebärde über ihren flachen Handteller. „Sie nun wieder! Wo doch gerade Deutschland wieder aktuell nach Großmachtlorbeeren strebt, nicht nur in den UN. Der deutsche Nationalismus einer zu spät gekommenen Industriegesellschaft mit seinen Abscheulichkeiten von historischer Einzigartigkeit feiert momentan fröhliche Urständ!“

„Unsere Aktivitäten sind deswegen ja auch vorwiegend psychologisch gezielt“, trug der Colonel vor. „Sie sollen sich ihre Industrie zerschlagen, das Verkehrswesen, überhaupt ihre gesamte Infrastruktur. Das Resultat ist Hunger, Angst und schließlich Missstimmung gegen ihre jeweiligen Führungen. Dann kommt unser Augenblick, in dem für uns die Früchte zu reifen beginnen.“

„Ja, schau´n wir mal“, meinte die Kamensiek. „Ich halte die Konzeption für so unklug nicht. Es ist ein konventioneller Erbstreit zwischen künftigen politischen und wirtschaftlichen Eliten, in dem jedes Mitglied der Erbengemeinschaft sich ein wohlbemessenes Stück aus dem Sezessionskuchen herausschneiden will. Verständlicherweise.“

„So ähnlich hätte auch Franz Josef argumentiert“, sagte Anica. „Ich meine den verstorbenen...“

„Kaiserschmarrn“, warf die Kamensiek dazwischen. „Die Führer der Elitestaaten haben den Weg in die neue Zeit gewiesen, ein Land wie Bosnien braucht nur noch zu folgen und...“

„Vergessen Sie Ihre Rede nicht“, schnitt ihr die Journalistin das Wort ab. „Ich möchte Ihnen jetzt erzählen, was ich in den letzten Stunden erlebt habe. Von Folterungen angefangen, über Erschießungen bis zu Lynchmorden ist alles dabei.“

Man hörte ihr nur widerstrebend und auch gelangweilt zu.

„Das sind doch innere Angelegenheiten des Staates Bosnien-Herzegowina“, kommentierte Mrs. Sparks.

„Da wollen wir uns nicht einmischen“, ergänzte die Kamensiek mit erhobenem Zeigefinger. „Keine der Schutzmächte.“

„Ich glaube, es wird Zeit“, verkündete Mr. Sparks unvermittelt mit Blick über leere Gläser, leitete so den allgemeinen Aufbruch ein. „Übrigens, was die Sache um die Region um Srebrenica angeht, da sind noch gewisse Auswertungen abzuwarten. Aber ich denke an Sie, Mrs. Klingor.“ Er musste dabei an amerikanische Satellitenaufnahmen vom Frühjahr denken, auf denen serbische Vorbereitungen für den Angriff auf die geschützte Enklave Srebrenica klar zu erkennen gewesen waren. Was aber wohl nichts mit der aktuellen Situation zu tun haben musste.

Frau Kamensiek runzelte unwillkürlich die Stirn, weil auch sie seit dem März Kenntnis hatte von den Sattelitenaufnahmen der Amerikaner über den Raum Srebrenica, und zwar von dem UNO-Spitzenfunktionär und Bundeswehrgeneral a. D. Friedemann Hölzenbein, die dieser nicht auf dem offiziellen UNO-Dienstweg, aber mit eigenen Augen gesehen hatte. Hölzenbein hatte auch von Diskussionen berichtet über eine mögliche Verlegung eines dänischen Panzer-Bataillons nach Srebrenica, was speziell von der amerikanischen Botschafterin bei den UN Madeleine Albright strikt abgelehnt wurde.

„Und grüßen Sie Ihren Freund“, wünschte Kamensiek zum Abschied augenzwinkernd zu Anica. „Unbekannterweise. Ich will doch sehr hoffen, dass sich das bald ändert.“

„Nimm´s nicht tragisch“, flüsterte Burkhart Anica zum Abschied ins Ohr. Am Gespräch hatte er sich mit keinem Wort beteiligt, sondern versonnen die Knöchel seiner Hände geknetet.

Die Reporterin spürte verstärkte Traurigkeit. Und Sehnsucht gesellte sich dazu, Sehnsucht nach einem verständnisvollen Gedankenaustausch und körperlicher Geborgenheit, Sehnsucht nach ihrem Freund Dragan. Was macht er im Augenblick, fragte sie sich, wo befindet er sich? Wie viele Menschen gibt es hier, die überhaupt etwas wissen von ihren Angehörigen, sei es nun Angenehmes oder Leidiges? Er kommt oft überraschend, sagte sie sich, ich werde ihn bestimmt bald wiedersehen.

So dachte sie, um sich zu beruhigen, bemüht, hart zu bleiben und nicht an andere, schrecklichere Möglichkeiten zu denken. Doch gleichzeitig lag Wehmut auf ihrem Gemüt, fast mütterliche Trauer, beinahe die gleiche, die sie empfand, wenn sie sich um ihre Kinder ängstigte. Und wenn sie schwach wurde und ihren Gefühlen freien Lauf ließ, kam ihr dieser Mann – ein großer, kräftiger, breitschultriger Hüne – kleiner vor als ein Kind. Der Himmel, den er beflog, und der Krieg, der ihn bedrohte, erschienen ihr dann unvorstellbar gewaltig, und sie fürchtete, dieses winzige Menschlein, ihr Geliebter, könnte in diesem Krieg verlorengegangen sein. Dass ihn aus dieser belastenden Ungewissheit plötzlich irgendein Faden mit ihr verbinden könnte, hielt sie in diesem Augenblick für höchst unwahrscheinlich. Doch unverhofft kommt oft, dachte sie bei sich und drehte Dragans Sanduhr in der Jackentasche; zweifle in der Hoffnung, hoffe im Zweifel. Das wäre auch Burkhart zu wünschen bei seiner morbiden Besorgnis um seine Frau Mary-Jo.

Afghanistan, Srebrenica & zurück

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