Читать книгу Afghanistan, Srebrenica & zurück - Norbert F. Schaaf - Страница 13
Оглавление9 Partyöde
Burkhart blickte grinsend zu den beiden herüber und verschwand in der Küche, um Orangenscheiben für die Cocktails zu schneiden. Er öffnete die Besteckschublade und rief ins Wohnzimmer hinüber: „Anica, bist du so lieb! Ich benötige deinen hausfraulichen Beistand.“
Als sie unter der Tür erschien, hielt er ihr Apfelsine und Schälmesser hin. Sie sah, dass er das Gesicht verzog.
„Chancen?“ fragte er.
„Was meinst du, Burkhart?“
„Er hat dir seine goldene Karte gegeben.“
„Das hast du gesehen?“
Er schüttelte den Kopf. „Doch würde es mich sehr wundern, hätte er es nicht getan.“
„Du redest in Orakeln.“ Sie hob die Augenbrauen.
„Du kleines Dummerchen, saudumm´s“, entgegnete er mundartlich, gemütlich. „Nun ja, ihr Frauen habt ein Talent, gerade das nicht bemerken zu wollen, was man von euch möchte.“
„Und was, bitte schön?“
„Dasselbe wie von einem guten Dutzend anderer Frauen, denen er seine Karten angedreht hat, seit er hier ist.“
Anica schnitt routiniert Orangen in Scheiben. „Und du willst mir weismachen, dass tatsächlich jemand dieser Einladung gefolgt ist? Was sagt denn seine Gattin dazu?“
„Sie ist eine vielbeschäftigte Frau“, antwortete er. „Sie hat die letzte gar nicht bemerkt. Es heißt, sie selbst hat einen Aufklärungsoffizier einer französischen Antiterroreinheit.“
„Ein Bosniake als Fremdenlegionär?“
„Kroatischer Freischärler in der Herzegowina. Wehrkunde in der Praxis oder Husarenritt ohne...“
„Du bist ja abscheulich“, unterbrach sie ihn kopfschüttelnd. „Richtig geschmacklos! Und dein Geschlechtsgenosse will mich über das Liebesleben von Haudegen im Allgemeinen und Einheimischen im Besonderen aushorchen.“
„Mach dir nichts draus“, feixte er. „Man hat es schwer. Bei diesem emanzipierten Frauenzimmer von Gemahlin...“
„Heiliger Bimbam!“ stöhnte Anica. „Bin ich in ein Vermittlungsinstitut für vernachlässigte Bleichgesichter geraten oder in eine Dinnergesellschaft?“
„Supper“, verbesserte Burkhart, goss gepressten Orangensaft in eine Karaffe. „Doch ab sofort ist es eine Trinkgesellschaft. Gib mir eine Flasche Krimsekt aus dem Kühlfach.“
Anica wischte sich die Hände ab, reichte die Flasche über den Küchentisch. Während er sie entkorkte, sagte er in ernstem Ton: „Ich habe die Kamensieks deinetwegen eingeladen. Ich denke, es könnte dir nützlich sein, sie zu kennen. Sie, die Frau. Sie hat die Hosen an sowie die Fäden in der Hand, die sie vielleicht für dich einmal ziehen kann, wenn du es nötig brauchst. Weißt du eigentlich, was sie ist?“
„Subalterne Diplomatenangestellte.“
Er lachte höhnisch. „Denkste! Sie ist im Rang eines Oberst im medizinischen Führungsstab der Bundeswehr, Fachrichtung: Psychologie. Zurzeit schreibt sie an dem Buch: `Bürgerkrieg in der Sezession´. Wirklich!“
„Na und?“
„Sie war vorher beim Verfassungsschutz. Lass dich nicht durch ihr Auftreten täuschen. Sie kommt einem vor wie eine nicht zu Ende gemachte Tanzschülerin mit Fachabitur. Das ist sie jedoch keineswegs, sondern schon ein hohes Tier.“
„Da soll sie darauf Acht geben, dass keine alten Mauern wieder hochgezogen werden“, versetzte Anica in gleichgültigem Tonfall. „Das interessiert mich nicht die Bohne, Burky.“
Er sah sie mitleidig an. „Vergiss nicht, dass ich einmal sehr genau wusste, was dich interessiert, Anica.“ Er hielt ihr ein Glas zum Probieren hin.
Nach dem ersten Schluck sagte sie: „Ich weiß gar nicht, was du damit sagen willst.“
„Feines Stöffchen“, erklärte er. „Echt russisch.“
„Ukrainisch“, verbesserte sie ihn. „Wie der Name sagt: von der Krim.“
„Egal“, meinte er. „Ich weiß über deine Weltanschauung Bescheid. Und du weißt, dass ich sie nicht unbedingt teile. Aber ich respektiere sie wie ich dich respektiere. Ich will dir lediglich einen Gefallen erweisen. Das ist alles. Du brauchst mir nicht zu sagen, warum du hier bist, ich weiß es ohnehin. Ich werde zu niemandem darüber sprechen. Nicht einmal zu Mary-Jo.“
„Was glaubst du, warum ich hier bin, Burk?“
„Jedenfalls nicht als willfährige Kriegsberichterstatterin, weder der EU, noch der NATO oder auch der UNO“, erwiderte er lächelnd.
„Was hältst du denn von deren Truppenkontingenten hier?“
„Reden wir über was anderes. Ich werde mich glücklich schätzen, wenn Mary-Jo ihre Zeit hier hinter sich hat.“
Anica betrachtete gedankenvoll sein halbgeleertes Glas. Die Orangenschnitte glänzte in der klaren, perlenden Flüssigkeit. Als sie noch Tag für Tag in Berlin unterwegs war und Burkhart in der Staatsanwaltschaft volontierte, hatte sie angenommen, dass sich dieser junge, selbstbewusste Mann mit dem scharfen Intellekt eines Tages ihrer Lebensphilosophie anschließen würde. Jedoch war er nach kurzem, heftigen Flirt mit der militanten Linken von einem Tag auf den anderen desertiert und hatte sich Hals über Kopf in die Teilnehmerin einer politischen Veranstaltung verliebt: Die Hubschrauberpilotin Mary-Jo Hayward hatte nach der alljährlichen Alliiertenparade in West-Berlin die Einladung zu einer Podiumsdiskussion der Freien Universität angenommen.
Er ließ sein Glas gegen das ihre klirren, prostete ihr zu. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, was sie von Politik im allgemeinen und Machtausübung im besonderen hielt, und es gehörte für ihn nicht viel Phantasie dazu, sich auszurechnen, wem ihre Sympathie auf dem Balkan nicht galt. Anica hingegen war es eigentlich nie gelungen, Burkharts Charakter zu begreifen. Was brachte einen abenteuerlustigen Weltverbesserer dazu, eine Besatzungssoldatin aufzureißen? So hatte er sich mit eigenen Worten einmal ausgedrückt, ohne damit herauszurücken, was ihn aus dem Lande trieb. War er mit dem Leben in Deutschland nicht mehr fertig geworden? Wäre er den Verlockungen des polychromen amerikanischen Traums auch dann noch erlegen, wenn er ein wenig gewartet hätte, um die jähe Wende der Grenzöffnung und den Fall des Eisernen Vorhangs zu erleben? Oder hat ihn die Furcht vor dem dubiosen Milieu abgeschreckt, in dem Anica lebte, und die Aussicht auf eine wenig geachtete Existenz als zukünftiger Staatsanwalt verängstigt? Ihre Beziehung war von kurzer Dauer gewesen. War Liebe dabei im Spiel gewesen? Handelte es sich um eine Affäre, das übliche Abenteuer mit einer Vorgesetzten? Hatte er es aus der dicken Akte seiner Erinnerung gestrichen? Oder war da etwas zurückgekehrt? Was erwartete er von ihr?
Er trat dicht an sie heran und sagte, als hätte er ihre Gedanken gelesen: „Kommst du zu mir, spätestens an dem Tag, bevor du zu dieser Enklave Srebrenica gehst?“
„Ja, ja“, antwortete Anica rasch, unverbindlich. Irgendetwas in ihr widersetzte sich; den Kontakt zu Burkhart Ball hielt sie distanziert, aber aus dem Bewusstsein einer ehrlich gelebten, wenn auch ehemaligen Freundschaftsbeziehung. „Warum eigentlich?“
„Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust“, erwiderte er und fügte schnell ablenkend hinzu: „Denkst du noch manchmal an diesen kroatischen Jungen? War ein hübscher, knackiger Theologiestudent.“
„Nie“, beteuerte Anica. Die Sache mit Goran war lange her und längst vergessen. Sie konnte sich nicht einmal mehr sein Aussehen vorstellen. Die Erinnerung an ihn war zur Unkenntlichkeit verblasst, geblieben die Information über seine Priesterweihe und die von ihm erworbenen serbokroatischen Sprachkenntnisse.
Burkhart legte einen Arm um sie. „Nun komm jetzt“, sagte er. „Auf mich warten Gäste.“
„Ist dies Land hier nicht wie ein Prisma“, hörte Anica Sparks schwadronieren, „ein geschliffenes Glas, in dem sich die Sonnenstrahlen brechen und unterschiedliche Farben an die dahinterliegende Wand projizieren?“ Man lachte leicht.
Die Unterhaltung war allmählich verflacht. Da sich niemand mehr fand, der Sparks widersprach, war ihm der Drang genommen, weiter über seine Theorien zu dozieren, zumal auch Mrs. Sparks alles gesagt hatte, was in dieser Runde zu sagen war. Die Kamensiek war darüber wenig überrascht. Sie wusste genauso viel wie Sparks. Ihr Mann wurde von Mrs. Sparks in ein Gespräch gezogen über die Beziehungen zwischen Amerikanern und hier diensttuenden deutschen Aufklärern sowie die Möglichkeiten, anlässlich eines Wochenendurlaubs jenseits der Adria das gesellige Leben zwischen den Verbündeten zu intensivieren.
Anica hörte eine Weile interessiert zu, wie der Gatte der Psychologin über die Vorzüge des Leiters der deutschen Vertretung sprach. Sie war dem Mann einmal kurz begegnet. Der hagere, asketisch anmutende Herr strahlte eine unübersehbare Selbstgefälligkeit aus; als Abkömmling süddeutschen Landadels glaubte er sich a priori besonders gut auszukennen in der dem deutschen Sprachraum unfernen Region, die er bereits als noch minderjähriger Fahnenjunker der Reichswehr unter Hitler „betreten“ hatte. Nach anschließendem Studium hatte er seine Diplomatenkarriere begonnen, in der Zeit, als die alte Bundesrepublik gutes Wetter machte in einem Staat, mit dem man zwei Dinge gemeinsam hatte: wirtschaftliche Interessen und das Feindbild Moskau.
„Trink, Anica“, störte Burkhart mit einem Sektcocktail die TV-Reporterin auf, die auf ihre Uhr sah. Es ging auf Mitternacht und immer noch gab es kein elektrisches Licht. Anica stand auf, wandte sich an den amerikanischen Offizier.
„Wann steigt denn diese ominöse Sache, die Sie mir versprochen haben, Colonel?“
„Es handelt sich um eine ungeheure Sensation, liebe Anica. Sie bekommen schon früh genug Bescheid. Versprochen. Aber noch ist es nicht soweit. Jetzt sehen Sie erst mal nach, wer den Strom schon wieder abgeknipst hat. Vielleicht habe ich dann zunächst eine kleine Bootsfahrt auf der Drina für Sie. Diese andere, sensationelle Geschichte bekommen Sie, wenn es an der Zeit ist. Nochmals: versprochen ist versprochen.“
So eine „große Sache“, die sich, wenn sie überhaupt zustande kommt, dann doch nicht verwerten lässt, dachte Anica und nippte noch einmal an ihrem Glas, bevor sie aufbrach.
„Pardon, aber jetzt möchte ich zu der Transformatorenstation, Burkhart“, sagte sie an der Tür. „Vielleicht springen ja ein paar nette Bilder dabei heraus. Vorher schaue ich aber nach, ob die Satellitenschüssel noch auf dem Hoteldach steht. War nett, die Candlelightparty, danke für den Abend.“
„Was ich dir noch sagen wollte, Anica“, flüsterte der Hausherr. „Damals, in Berlin, habe ich dich für eine Utopistin gehalten, die der abwegigen Idee wahrer liberaler Rechtsstaatlichkeit hinterherläuft. Erinnerst du dich, wie wir uns auf dem Kudamm darüber unterhielten?“
„Sehr gut sogar, Burk. Du hast mich eine Gerechtigkeitsfanatikerin geschimpft und mitleidig lächelnd auf mich herab gesehen. Ich glaube, ich habe dich damals wirklich gern gehabt. Aber das ist jetzt eine Weile her.“
„Verdammt lange. Da muss ich bis in die Schluchten des Balkans kommen, um zu bemerken, wie wenig ich eigentlich von der Welt kenne. Weißt du...“
„...heute mehr? Genau das wollte ich dich gerade fragen, ob du mittlerweile schlauer geworden bist?“
„Einigermaßen, um neu darüber nachdenken zu können, was du mir damals zu erklären versuchtest.“
„Also hast du dazu gelernt? Ist es das, was du mir sagen willst?“
„Auch das. Zumindest.“ Er zögerte einen Augenblick, bevor er hinzusetzte: „Ich bin froh, dass es dich hier gibt, Anica.“