Читать книгу Afghanistan, Srebrenica & zurück - Norbert F. Schaaf - Страница 14

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10 Die Trafo-Station am Fluss

Eine halbe Stunde später stand die Journalistin vor den Trümmern der Umspannstation. Ihr zuvorgekommen war eine Handvoll Reporter hiesiger Anstalten und Zeitungen sowie drei ausländische Kriegsberichterstatter, doch das störte sie nicht. Kollegen, die wie sie selbst ihre Arbeit machten, empfand sie nicht als lästige Konkurrenz. Allenfalls den DPD-Bildkorrespondenten Paul Zudeck-Perron registrierte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue, weil er sich als Verehrer durchaus nicht abweisen ließ, sondern notorisch ihre kalte Schulter ignorierte. Er stand wie immer völlig verschwitzt mit seinen drei Fotoapparaten auf der Brust dort dabei, wo amerikanische Journalisten bereits für gute Lichtverhältnisse aus zwei starken Halogenstrahlern gesorgt hatten. Achselzuckend richtete Anica ihre filmbereite Kamera auf das turmartige Bauwerk. Zwei Wände waren aufgerissen, durch die klaffenden Löcher starrte das Kabelgewirr zwischen Schalttafeln und Messinstrumenten, Zählern und Isolatoren aus dem Inneren heraus. Einige Elektriker arbeiteten beim Schein voluminöser Stabtaschenlampen.

„Sie müssen die Sprengkörper innen angebracht haben“, sagte einer der einheimischen Pressevertreter und steckte den Kopf wieder in die Maueröffnung. „Das wird nicht in ein paar Stunden repariert sein.“

Unter dem verebbenden Blitzlichtgewitter der Fotoreporter wimmelte es von Polizisten am Schauplatz der Explosion. Spurensicherer krochen suchend am Boden umher. Anica wollte gerade ihr Gerät wieder einpacken, als mehrere Militärlaster heranrollten. Von den Ladeflächen der anhaltenden Pritschenwagen sprangen Dutzende von Soldaten in buntscheckigen Kampfanzügen. Beunruhigt sah die Reporterin, wie sie sich zu Gruppen formierten, dabei ihre Waffen durchluden. Sie hielt ihren Filmapparat achtlos mit dem Objektiv gegen den Boden gerichtet, ließ jedoch die als Handtäschchen getarnte japanische Kleinstkamera mitlaufen. Sie trug sie unter den rechten Arm geklemmt und schwenkte sie, sich wie beiläufig drehend, auf die Soldaten. Die Lichtverhältnisse wie auch die Objektivführung waren nicht optimal, gleichwohl sollten die so entstehenden Bilder immerhin dokumentarischen Wert bekommen. Der Kommandeur der kleinen Einheit, ein drahtiger, jung aussehender Hauptmann, musterte die Medienvertreter und ließ sich ihre Akkreditierungskarten zeigen. Als er Anica entdeckte, tippte er mit zwei Fingern lässig an den Helm und fragte: „What station, Madam?“

„Private, junger Mann“, antwortete sie lächelnd.

Er runzelte die Stirn. „Darf ich Ihren Presseausweis noch mal sehen?“ Nach einem Blick darauf sagte er: „Es fehlt der blaue Schein.“

Zudeck-Perron war hinzugetreten, sah den Offizier erwartungsheischend und mit einem charmanten, gewinnenden Lächeln an, von dem Anica wusste, dass er es normalerweise für TV-Kameras reserviert hielt und bei gewissen recht jungen Damen mit unterschiedlichem Erfolg anwendete.

„Ich habe ihn in der Jackentasche“, sagte die Reporterin und lächelte den Offizier freundlich an. Diese erkerhafte Raubvogelnase hast du doch schon einmal gesehen, dachte sie, fühlte, wie schamvolle Hitze in ihr aufstieg. Der jugendliche Hauptmann mit dem Megaphon, fiel ihr siedendheiß ein, vor wenigen Stunden auf der Kreuzung trug er seinen Helm am Koppel.

Ob er selbst mich gleichfalls erkannt hat?

„Nehmen Sie mich mit“, bat Zudeck-Perron und klopfte verlegen grienend die Taschen seiner unverkennbaren dunkelbraunen Lederjacke ab; er trug sie wie ein Markenzeichen, im Winter gefüttert und mit Lammfeldkragen, und versuchte, so oft es ging, bei Live-Schaltungen mit ihr ins Fernsehbild zu gelangen. Er fand nicht, was er suchte, sagte hastig: „Das mit dem Blauen regeln wir dann später.“

„Na gut, Sie können mitkommen, Madam“, sagte der Hauptmann mit zusammengekniffenen Augen, ohne den Fotoreporter eines Blickes zu würdigen. „Doch muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es in den Bergen sehr geregnet hat; der Fluss führt viel Wasser. Und auch sonst – Sie müssen wissen, dass Sie sich in Gefahr begeben.“

„Wo man bekanntlich umkommt“, setzte Zudeck-Perron bissig hinzu ohne Beachtung zu finden. Sein Lächeln war zu einer grinsenden Maske gefroren.

„Doch da ist ja der blaue Schein als Versicherung, Madam“, fuhr der Offizier fort. Wenn er die Journalistin wiedererkannt haben sollte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.

„Wohin soll es gehen?“ fragte Anica, und der Fotograf vergrößerte seine rechte Ohrmuschel mit der hohlen Hand.

„Die Spurensucher haben eine Fährte verfolgen können. Nicht auszuschließen, dass es zu einer Schießerei kommt, Madam.“

„Ich werde mich ducken“, versprach sie, hielt dem Hauptmann einen zwischen Zeige- und Mittelfinger gefalteten Hundertmarkschein hin. Anstandslos steckte der Offizier ihn ein. Sie hing sich die Kamera über die Schulter und sah sich nach den Lastwagen um. Die Soldaten marschierten bereits in langen Schlangen in die Dunkelheit. Den maliziösen Blick Zudeck-Perrons im Rücken folgte die TV-Reporterin den Soldaten einige hundert Meter über harten Lehmboden hinab zum Miljacka-Ufer, wo flussabwärts eine Reihe provisorischer Flüchtlingshütten stand. Auf dem Wasser schwamm Unrat aller Art; Anica konnte ihn in der Dunkelheit, die durch trübe Kerosinlampen kaum aufgehellt wurde, mehr riechen als sehen. Die Soldaten versahen ihren Dienst offenkundig äußerst beflissen und hatten den besiedelten Uferstreifen binnen weniger Minuten hermetisch abgeriegelt.

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