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Fernöstliche Religionen – Buddhismus

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Eine starke Anziehungskraft übt vor allem in Deutschland der Buddhismus aus. Die Zahl der deutschen Buddhisten beträgt rund 130 000. Dazu kommen rund 120 000 hier lebende buddhistische Asiaten. Die Faszination hängt sicher zusammen mit der Gestalt des Dalai Lama, des Oberhaupts der tibetischen Form des Buddhismus. Er gilt wegen seiner strikten Gewaltfreiheit, seiner betont modernen Religiosität und seiner tiefen Freundlichkeit vielen Zeitgenossen als der sympathischste Mensch der Erde. Wenn der freundliche alte Herr kommt, füllen sich die größten Säle. Sogar ein veritables Fußballstadion in Frankfurt musste herhalten, um die herbeiströmenden 52 000 Zuhörer – mehr als zwei Drittel davon Frauen – aufnehmen zu können. „Der Dalai Lama kommt“, so hieß die viertägige Großveranstaltung, mit der dafür geworben wurde. „Die Kunst des Lebens“ wolle der Tibeter vermitteln. „Einmal im Leben den Dalai Lama treffen. Nutzen Sie diese einzigartige Gelegenheit. Holen Sie sich einen Impuls, der Ihnen neue Kraft im Alltag gibt.“ So lautete die Internet-Werbung.8

Vielfach wird der Buddhismus als „Religion ohne Gott“ oder als eine philosophische Weltanschauung bezeichnet. Buddha betrachtete sich weder als Gott noch als Verkünder einer Gotteslehre. Er habe die Lehre nicht aufgrund einer göttlichen Offenbarung erhalten. Vielmehr habe er durch seine Meditation ein Verständnis der Natur des eigenen Geistes und der Natur aller Dinge erhalten. Diese Erkenntnis sei jedem zugänglich, wenn er seinen Weisungen folge. Die von ihm aufgezeigte Lehre sei auch nicht streng und genau zu befolgen. Der Buddha warnte sogar vor blinder Autoritätsgläubigkeit und hob die Selbstverantwortung des Menschen hervor. Er verwies auch auf die Vergeblichkeit von Bemühungen, die Welt und ihre Geheimnisse mit Hilfe von Begriff und Sprache zu fassen, und mahnte eine gesunde Skepsis gegenüber dem geschriebenen Wort oder feststehenden Lehren an, die in anderen Religionen in dieser Radikalität kaum anzutreffen ist.

Darum versteht sich der Dalai Lama auch nicht als ein Missionar. Von einem Wechsel der Religion rät er grundsätzlich ab. Es sei besser, in der eigenen, vertrauten spirituellen Tradition zu bleiben und sie zu vertiefen. Im Grunde hätten alle Weltreligionen ja dasselbe Ziel: „Alle wollen den Menschen dabei helfen, friedvoller und ausgeglichener, ja glücklicher zu werden und das menschliche Potenzial besser zu nutzen.“ Wer sich mit dem Buddhismus vertraut machen wolle, solle den Kern, die Praxis – „das, worum es geht“ – suchen und nicht an Äußerlichkeiten oder Traditionen kleben.

Was macht die weltweit zurzeit einzigartige Faszination des Dalai Lama aus? Er tritt den Menschen – ob in Asien oder dem Westen – gegenüber als eine Person, die ganz aus einer alten religiösen Tradition lebt und ihr Leben in den Dienst dieses Glaubens stellt. Ihm gelingt dabei ein Kunststück, das den Kirchenführern nicht gelingt – und das zum Teil auch nicht gewollt ist: dem religiösen Anspruch alles Bedrohliche, unbedingt Fordernde, eine angemaßte Männermacht Demonstrierende und Verbothafte zu nehmen. Stattdessen verkörpert der Dalai Lama eine zur Selbstironie fähige, verständnisvolle, heitere Seite von Religion. Darüber hinaus dürfte die buddhistische Religion insgesamt deswegen auf manche Menschen anziehend wirken, weil die Gottesfrage hier offengehalten wird: Es gibt kein fest umschriebenes Bild eines Gottes, der Eigenschaften hat, die man genau zu kennen glaubt. Und es gibt keine Dogmen, kein ausformuliertes Glaubensbekenntnis, keine Katechismuswahrheiten, die anzunehmen sind.

So bieten der Buddhismus und der ihn hierzulande vor allem repräsentierende Dalai Lama sich dar als eine ideale Projektionsfläche für heutige Menschen, die in ihren Alltagsnöten nach Hilfe suchen, wie sie die komplexen Widersprüchlichkeiten der modernen Lebenswelt aushalten und gestalten können.9

Ein deutscher Buddhist bekennt:

„Vor dreißig Jahren bin ich Buddhist geworden und es geblieben. Warum? Die Gründe sind vielfältig. – Am meisten beeindruckt hat mich, wie klar der Blick des Buddha auf unser Leben ist, wie tief er reicht. Hier spricht jemand, der hinter die Kulissen des Daseins geschaut hat. Jemand, der selbst völlige geistige Freiheit erreicht hat und anderen den Weg dahin zeigt. Die buddhistischen Lehren geben mir Zukunftsorientierung und Rat für meine alltägliche Praxis – im Umgang mit anderen und mit mir selbst. Drei Felder versuche ich also zu beackern: das des Wissens, das mir ein besseres Verständnis der Existenz ermöglicht, mir Ziele setzt und Wegweiser ist; das des besseren Miteinanders und Füreinanders, auf dem das soziale und gesellschaftliche Zusammenleben gedeihen soll; und schließlich das der Meditation. Sie lässt mich teilhaben an einer spirituellen Praxis, die sich bewährt hat, aber in unserer Kultur nur noch ein Schattendasein führt. – Für mich finden im Buddhismus Religion und Wissenschaft zusammen. Mir gefällt das prinzipielle Nein des Erwachten zu Dogmatismus und blindem Glauben. Der Buddha als beispielloser Vertreter einer universellen Wissenschaft des Geistes lädt ein, seine Entdeckungen selbst kennen zu lernen und zu prüfen. Er lädt ein, nicht mehr. Kein missionarischer Druck. Buddhist geblieben bin ich aber auch, weil ich zu unterscheiden lernte zwischen den zeitlosen Wahrheiten des Erwachten und dem Menschlichen und Allzumenschlichen, das später aus ihnen gemacht wurde und wird. Das eine suche ich, mit dem anderen kann ich kritisch und offen umgehen.“10

Religiös ohne Gott

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