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3.

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Es war finster, als Baldur die Augen aufschlug. Etwas hatte ihn geweckt, ein Wort, ein Hauch, eine Bewegung. Doch konnte er in dieser Finsternis nichts erkennen. Als er vorsichtig seine Arme ausstreckte, erkannte er auch den Grund für die Schwärze vor seinen Augen; er lag mit dem Gesicht zur Felswand in einer kleinen Nische der Höhle. Behutsam drehte er sich um, so dass er den Höhleneingang und den klaren Sternenhimmel sehen konnte. Ihm stockte vor Schreck der Atem. Zwischen ihm und dem Eingang zur Höhle stand eine Frau, schimmernd im Licht des Mondes. Hinter ihr konnte er das Licht der Sterne sehen, da sie selbst durchscheinend war, zart wie Spinnweben auf den Blättern der Bäume. Von Entsetzen gelähmt brachte Baldur kein Wort heraus. Unfähig, auch nur einen Zeh zu bewegen starrte er die Erscheinung an, die ihm mit jedem Augenblick der verrann, immer vertrauter erschien. Er kannte diese wunderschönen blonden Locken und diese strahlend blauen Kulleraugen. Es war Freya, die dort vor ihm stand, eine viele Jahre ältere Freya zwar, doch zweifelsohne seine geliebte Schwester. Baldur wollte aufspringen und zu ihr eilen, doch konnte er sich noch immer nicht rühren. Freya lächelte ihrem Bruder zu und führte ihren Zeigefinger zu den Lippen, als Hinweis, dass er schweigen möge. Dann winkte sie ihm mit ihrer rechten Hand zu und die Starre fiel von ihm ab. Er erhob sich und folgte ihr vor die Höhle. Dort angekommen sahen sie einander tief in die Augen und Baldur begriff, dass er keineswegs Freya vor sich hatte. Es gab kleine, jedoch deutliche Unterschiede. Vollends verwirrt, versuchte er erneut zu sprechen. Dieses Mal gelang es ihm ohne Probleme.

„Wer bist du? Du siehst aus, wie meine Schwester und doch bist du es nicht.“

„Ich bin, was immer du möchtest. Ich bin, wonach du dich sehnst.“

Die Frau hatte zu ihm gesprochen, ohne die Lippen zu bewegen.

„Das verstehe ich nicht. Bist du ein Traum?“

„Ich bin!“

Langsam begann die Angst Baldurs Rücken heraufzuklettern. Diese Frau war ihm unheimlich.

„Aber du musst doch irgendwie aussehen. Was für einen Körper hast du denn, wenn ich gerade nicht an dich denke?“

Wieder lächelte ihn die Erscheinung an, doch dieses Mal glaubte Baldur, spitze Zähne in diesem ansonsten makellosen Mund gesehen zu haben.

„Ich bin deine Hoffnung und auch deine Angst. Ich bin dein treuester Verbündeter und dein größter Feind. Ich erhalte dich am Leben und werde eines Tages dein Tod sein“

Vorsichtig wich Baldur vor dem Ebenbild seiner Schwester zurück.

„Finde mich und ich werde dafür sorgen, dass du der größte Krieger wirst, der je auf der Erde weilte. doch frage mich nicht, welchen Preis du dafür bezahlen wirst. Alles geschieht zu seiner Zeit. Es gibt eine Zeit des Nehmens, eine Zeit des Kampfes und letztlich kommt die Zeit, da alle Rechnungen beglichen werden müssen.“

Die großen Kulleraugen verwandelten sich in lidlose, schräge Augenschlitze, das blondgelockte Haar fiel zu Boden und machte einer vernarbten haarlosen Kopfhaut Platz und der süße Schmollmund war plötzlich voll nadelfeiner Zähne. Entsetzt schrie Baldur laut auf und sprang zurück.

Dabei stieß er sich den Kopf an der Felswand und erkannte, dass er noch immer in seiner Nische lag und das Ganze ein fürchterlicher Traum gewesen war.

Schweißgebadet und unfähig länger liegen zu bleiben erhob er sich und ging zum Höhleneingang. Die Sonne begann, im Westen zu verschwinden. Zeit zum Weitermarschieren. Gerade wollte er sich umdrehen, um Rosa und Hilda zu wecken, als etwas Schimmerndes seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Eine eiskalte Hand schien ihm das Herz zusammenzupressen, er glaubte zu ersticken. Keine drei Fuß von ihm entfernt glänzte golden ein großes Büschel wunderschöner lockiger Haare.

Die alten Frauen lauschten seiner Erzählung, ohne ihn zu unterbrechen. Beide hatten besorgte Gesichter. Zwar waren sie nach den Traumfängern die zweitältesten Geschöpfe auf der Erde, doch hatten sie in letzter Zeit festgestellt, dass es scheinbar noch ältere, zumindest jedoch mächtigere Wesen gab, von deren Existenz sie bisher nichts geahnt hatten.

„Vielleicht werden wir niemals erfahren, was diese Erscheinung bedeutet, noch welcher Art man sie zuordnen mag. Doch glaube ich, dass die Botschaft ernst gemeint war.“

Rosa blickte versonnen auf ihre Hände, als könnte sie dort die Antworten lesen.

„Da wir aber nicht wissen, wo dieser Geist zu Hause ist, sollten wir an unserem ursprünglichen Plan festhalten.“

„ Und was war der ursprüngliche Plan?“ fragend blickte Baldur seine Begleiterinnen an „ ich meine, abgesehen davon, mich stundenlang durch den Regen zu führen und mir Schauergeschichten zu erzählen.“

Er spürte den Zorn zurückkehren, der ihn tags zuvor zu einem unbesonnenen Gefühlsausbruch verleitet hatte.

„ Wir wollten dich zu einem alten Lehrmeister führen, der dich in die Kunst des Kämpfens und die Geheimnisse des Überlebens einführen sollte. Er war früher ein großer Krieger. Sein Name ist Thoralf.“

Etwas schien sich zu verändern, der Hauch eines Schattens auf der Sonne, ein Misston im Gesang der Vögel, ein kühler Luftzug in der Hitze des Mittags; etwas beunruhigte Baldur. Auch Hilda und Rosa schienen etwas zu spüren, denn sie begannen nervös in alle Richtungen zu schauen.

„Wir sollten langsam wieder aufbrechen.“

Hildas Stimme klang beinahe ängstlich.

„ Schließlich wollen wir doch …“

Das Ende ihres Satzes ging in einem grellen Blitz, der von einem gewaltigen Knall begleitet wurde, unter. Rosa begann zu schreien und vor den Augen ihrer entsetzten Begleiter fingen ihre Haare Feuer, welches sich unnatürlich schnell über ihren ganzen Körper ausbreitete. Innerhalb weniger Augenblicke befand sich an der Stelle, an der gerade noch eine hässliche alte Frau gestanden hatte nur noch ein rauchender, verkohlter Klumpen. Noch bevor Baldur in der Lage war, das Geschehen zu begreifen, drangen durch den Höhleneingang etliche Alptraumgestalten herein.

Hilda sprang ihnen entgegen, wedelte mit den Armen und rief laut ein uraltes mächtiges Wort in der fast vergessenen Sprache der Lamia. Eine unsichtbare Barriere verlief plötzlich zwischen Baldur und den Angreifern. Der Anführer dieser Horde, ein Hüne mit einem vernarbten Gesicht dessen Arme fast den gleichen Umfang hatten, wie der Körper des Jungen, zeigte mit seinem ausgestreckten rechten Arm auf Hilda, die auf Baldurs Seite der Barriere stand, und begann zu lachen. Langsam begab er sich zu den Überresten der alten Rosa.

Immer noch lachend stieß er den verbrannten Haufen mit seinem Fuß über den Abgrund, worauf von unten ein freudiges Johlen heraufdrang. Langsam näherte er sich den beiden Gefährten. Als er das unsichtbare Hindernis erreicht hatte, hob er beide Arme, als wolle er um Ruhe bitten. Dann begann er in derselben Sprache, wie zuvor Hilda Sätze zu formulieren. Die Luft begann zu flackern, das Atmen wurde schwer. Hilda verlor die Farbe aus dem Gesicht.

„Lauf!“ brüllte sie und stieß Baldur auf die Felswand zu. Der Junge musste sich ducken, um nicht mit dem Kopf gegen die überhängenden Wände zu stoßen.

Hilda schob ihn immer weiter und endlich sah er vor sich ein finsteres Loch, den Notausgang.

Blind stolperten die beiden durch diese absolute Dunkelheit. Der Weg verlief in mehreren Kehren immer leicht nach unten. Irgendwann, nach Stunden wie es Baldur schien, wurde es hell vor ihnen. Sie verließen den Stollen und fanden sich auf einem schmalen Sims wieder. Unter ihnen rauschte der Nerd durch sein steiniges Bett, über ihnen ragte nahezu senkrecht die Felswand in den Himmel. An dieser Felswand konnte Baldur zwei riesige Fledermäuse erkennen, zumindest glaubte er das. Hilda folgte seinem Blick und ihrer Kehle entrang sich ein entsetztes Stöhnen.

„ Die Erstgeborenen“ keuchte sie. Dann sah sie Baldur in die Augen und sagte „Was immer heute geschehen mag, du musst Thoralf, den Krieger, finden. Laufe immer nach Süden und vertraue Niemandem.“

Mit diesen Worten stieß sie den Jungen von dem Sims nach unten und während Baldur fünfzig Fuß in die Tiefe stürzte, sah er Hilda mit ausgebreiteten Armen die Traumfänger daran hindern, seine Verfolgung aufzunehmen.

Der Aufprall auf das Wasser raubte Baldur fast das Bewusstsein. Mühsam kämpfte er darum, nicht zu ertrinken. Immer wieder wurde er von der Gewalt der Wassermassen am Atmen gehindert. Er verlor die Orientierung, sodass er bald nicht mehr erkennen konnte, wohin er schwimmen musste, um an der Oberfläche zu bleiben. Sein Kopf prallte gegen einen im Wasser verborgenen Felsen und er schrie vor Schmerz auf. Das hatte zur Folge, dass er einen beträchtlichen Teil Wasser schluckte. Er hustete und prustete, aber seine Kräfte begannen bereits zu erlahmen. Verzweifelt klammerte er sich an sein Bewusstsein. Ihm war klar, dass es sein Todesurteil wäre, wenn er seiner Schwäche nachgeben würde. In dem Moment, als er glaubte, den Kampf endgültig zu verlieren, spürte er, wie er fest an den Beinen gepackt und nahezu mühelos aus dem Wasser gehoben wurde. Das Letzte, was er sah, ehe ihn der Schlaf der Erschöpfung umfing, war ein riesiger Bär, der scheinbar interessiert auf sein Gesicht herunter starrte.

Im Bann der Traumfänger

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