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6.

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Es war ihr nicht leicht gefallen, doch wusste sie, dass es die richtige Entscheidung war. Hilda und Rosa würden Baldur sicher zu Thoralf führen, während sie sich auf die Suche nach Freya begab, ein mühseliges Unterfangen ohne Pferd und ganz allein.

Tief in ihrer Seele spürte Gerda, dass es Freya gut ging, aber dennoch war sie beunruhigt. Ihre Tochter war von einem Traumfänger entführt worden!

Wenn eine dieser Kreaturen auf die Welt zurückgekehrt war, so bedeutete das mit großer Sicherheit, dass auch die übrigen nicht mehr in ihrer Verbannung lebten. Gerda wusste nur zu gut, welches Unheil die Erstgeborenen anzurichten vermochten, war sie doch beteiligt gewesen am großen Krieg gegen diese Kreaturen.

Das Wesen hatte eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Abgebrochene Äste wiesen ihr den Weg, tief hinein in das Herz des Waldes. Während sie der Spur des Entführers folgte, bemerkte sie, dass kein Vogel sang in den Bäumen, an denen der Traumfänger vorbeigekommen war. Selbst die Bäume schienen, voller Entsetzen die Luft anzuhalten. Und obwohl der Überfall auf Gerdas Zuhause schon mehr als drei mal sieben Tage zurücklag, glaubte sie noch immer, den Gestank der Kreatur an den Blättern und Ästen ringsum wahrzunehmen. Immer tiefer hinein in den Wald führte die Spur und Gerda hätte schon längst jede Orientierung verloren, wäre sie nicht ein Kind der Bäume, ein Mitglied des geheimen Ordens gewesen. Sie kannte jeden Baum und jeden Strauch in diesem Wald, in dem sie schon so viele Jahre lebte. Sie wusste auch um den Reichtum tierischen Lebens in den verschiedenen Regionen. Doch schien es, als sei der Wald entlang des Pfades, den der Traumfänger gewaltsam angelegt hatte, ausgestorben. Kein Rascheln im Laub war zu hören, kein freudiges Gezwitscher in den Ästen. So also sah ein Ort aus, der von einem Erstgeborenen besucht worden war, selbst viele Tage später noch schien ein Widerhall der Bosheit dieser Kreaturen die Luft zu verpesten. Wie erst mochte es dann wohl an jenem traurigen Ort aussehen, an dem sich der ganze Rest der Gruppe aufhielt?

Als die Reihen der Bäume lichter wurden, wusste Gerda, dass sie sich der Lichtung der Blumen näherte. Es war dies einer der schönsten Orte des gesamten Waldes. Die meiste Zeit des Jahres war das Gras auf dieser Lichtung braun und unansehnlich, als hätten die Strahlen der Sonne es verbrannt.

Doch zweimal im Jahr, im Frühling und im Spätsommer, luden gewaltige Wolken ihre Wassermassen über diesem Teil der Welt ab. Dann begann die Wiese zu leben. Das Gras wurde saftig grün und aus der Erde sprossen so viele Blumen, dass sie einen Teppich zu bilden schienen. Nirgends gab es einen schöneren Platz, nirgends mehr Leben, als an diesen Tagen an diesem Ort.

Es war noch eine Weile hin, bis zum Frühlingsgewitter, welches dieses Wunder hervorbringen würde und dennoch, als Gerda auf die Wiese hinaustrat, stellte sie erstaunt fest, dass es hier schon jetzt vor Leben wimmelte. Hier hatten sie sich versammelt, all die Tiere, die sie auf ihrem Weg vermisst hatte. Die Äste der Bäume bogen sich unter der Last der verschiedenen Vögel durch, Hasen, Füchse und Mäuse saßen in seltener Eintracht nebeneinander, Hirsche, Rehe und einige Wildkatzen drängten sich am Waldrand zusammen. Sie alle hatten sich auf einem kleinen Teil der Lichtung, direkt gegenüber der Stelle, an der Gerda die Wiese betrat, eingefunden. Der überwiegend größte Teil des braunen Grases wurde von den Tieren gemieden, obwohl sie alle dorthin sahen, auf eine Stelle rechts neben Gerda. Dort lag, eingebettet in seine Flügel, ein toter Traumfänger.

Fassungslos starrte Gerda das Wesen an. Nie zuvor hatte sie eine dieser Kreaturen tot gesehen. Normalerweise verschwanden sie einfach, wenn man sie besiegte, was nahezu unmöglich war.

Vorsichtig näherte sie sich der Stelle, um die jegliches Leben einen Bogen machte. Als sie vor dem Erstgeborenen stand, konnte sie erkennen, dass er nicht länger aus Fleisch und Blut zu bestehen schien. Ein seltsam matter Glanz lag auf seinem Körper, rau und schwarz. Als sie behutsam den rechten Flügel des Traumfängers berührte, entfuhr dem leblosen Körper ein tiefer Seufzer, der ihr die Haare zu Berge stehen ließ und der noch viele Meilen entfernt vernommen werden konnte. Ein jeder, der diesen Laut deuten konnte, wusste fortan, dass ein Erstgeborener seinen Meister gefunden hatte und niemals wieder in seinen Körper zurückkehren würde, der vor Gerdas Augen zu feiner Asche zerfiel und vom Wind davongetragen wurde. Während Gerda noch ungläubig auf den traurigen Rest dessen starrte, was einmal eines der mächtigsten Wesen verkörpert hatte, begann sich die Versammlung der Tiere in Ihrem Rücken aufzulösen, und als sie sich umschaute, befand sich außer ihr nur noch ein großer alter Bär auf der Wiese. Mit klugen Augen sah er die Hexe an, nicht scheu, doch auch nicht aggressiv. Einem inneren Gefühl folgend, ging Gerda zu dem riesigen Tier hinüber. Lange betrachtete sie ihr Gegenüber.

„Wenn ich nicht wüsste, dass du schon lange tot sein musst, würde ich glauben, du seiest der alte Tim. Doch kein Tier, nicht einmal ein Bär lebt so lange.“

Der Bär sah sie an und seine braunen Augen schienen zu sagen:

„ Na, wenn du das sagst….“

„ Ich weiß, dass ihr meinen treuesten Verbündeten seid. Nie ließ ich zu, dass den Tieren des Waldes ein Leid geschah, doch heute nun erbitte ich eure Hilfe. Eine dieser Kreaturen“ sie wies mit ihrer Hand zu der Stelle, an der gerade noch der tote Traumfänger gelegen hatte „ hat meine Tochter entführt. Er oder einer seiner Artgenossen. Ich bin auf der Suche nach ihr. Bitte helft mir, sie zu finden.“

Es gab einiges, was der alte Brummbär dazu hätte sagen können, zum einen, dass Freya in Sicherheit war, zum anderen, dass sein Auftrag anderer Natur war, doch da er wusste, dass Gerda nicht, wie einst Ursula, in der Lage war, ihn zu verstehen, schwieg er nur und sah weiterhin in die wunderschönen blauen Augen der Hexe. Dann, nach langen Minuten drehte er ihr den Rücken zu und trottete in den Wald hinein. Die Pflicht rief ihn.

„Achte auf die Zwillinge der Hexe und beschütze sie, wenn du ihnen begegnest“ lautete sein Auftrag. Das Mädchen war in Sicherheit, doch wo war der Junge?

Zweifelnd sah Gerda den gewaltigen Körper des Bären zwischen den Bäumen verschwinden. Ob er ihr Anliegen verstanden hatte? Es würde sich früher oder später erweisen, zunächst einmal galt es jedoch, die Suche fortzusetzen.

Unschlüssig blickte sie sich um. In welche Richtung sollte sie sich wenden?

Die Spur des Entführers ihrer Tochter endete genau hier. Nichts deutete darauf hin, was mit ihrem Kind geschehen war. Egal, in welche Richtung Gerda ihre Schritte lenken würde, es konnte sich am Ende als Fehler erweisen. Die alte Sonja hätte in einem solchen Fall die Runen befragt, doch Gerda hatte nie sonderlich viel von dieser Kunst gehalten. Das schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen; auch die Runen waren nicht gerade Gerdas Freunde. Wann immer sie die magischen Knochen warf, das Ergebnis ergab nie einen Sinn in ihren Augen.

In Gedanken versunken, fuhr sie entsetzt zusammen, als etwas ihre Beine berührte. Mit einem Aufschrei sprang sie zurück und hob beide Arme, bereit sich zu verteidigen. Doch im verdorrten Gras vor ihren Füßen saß nur eine weiße Katze, die jetzt ein klägliches Maunzen ertönen ließ. Erleichtert hockte Gerda sich hin und begann das verängstigten Tier zu streicheln, worauf sich dieses umgehend auf den Rücken warf und der kraulenden Hand den verwöhnungsbedürftigen Bauch darbot.

„ Na, mein Kleines, ich glaube du wirst wohl ein Kater sein, kein Weibchen würde so poussieren.“

Das weiße Fellknäuel schnurrte zufrieden.

Während Gerda das Katerchen liebkoste, begann sich in ihrem Kopf etwas zu regen, eine Erinnerung, schwach und undeutlich. Noch konnte sie nicht darauf zugreifen, doch irgendetwas sagte ihr, dass es ungemein wichtig war. Und es hing mit dem Kater zusammen!

In manchen Regionen herrschte der Aberglaube, dass Hexen generell alt und hässlich waren, unfähig menschliche Gesellschaft zu ertragen, waren ihre einzigen Gefährten schwarze Kater. Das war natürlich Blödsinn, aber es gab so viele Gerüchte auf der Welt, für die diese Bezeichnung zutraf, dass es nicht von Bedeutung war. Sollten die Menschen doch glauben, was sie wollten. Von jeher fürchteten sie, was sie nicht verstanden. Und um ihrer Furcht ein Gesicht zu geben, dachten sie sich entsprechend schreckliche Kreaturen aus. Irgendwann wurde Furcht zu Hass und jeder, der „anders“ war wurde verfolgt, verleumdet, getötet. So war die Menschheit schon immer gewesen, und würde wohl auch für immer so bleiben. Es war so, es ist so, es wird immer so sein; merkwürdigerweise schien dieser Gedanke mit der nicht greifbaren Erinnerung in Gerdas Kopf zusammen zu hängen. Es war, es ist, es wird; das Vergangene, das Seiende, das Werdensollende; die Nornen des Schicksals!

Hieß es nicht in einer alten Überlieferung, dass der Bote der Schicksalsweber häufig ein weißer Kater sei? Einen Versuch war es wert.

„ Komm, mein Kleiner. Führe mich, wohin auch immer du mich führen sollst“

Der Kater gab einen enttäuschten Laut von sich, als Gerdas Hand damit aufhörte, sein Bauchfell zu kraulen. Widerstrebend erhob er sich und ging mit majestätischen Schritten in den Wald, wobei er all die Arroganz an den Tag zu legen schien, zu der er fähig war. Schmunzelnd erhob sich Gerda, um ihm zu folgen.

Im Bann der Traumfänger

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