Читать книгу Im Bann der Traumfänger - Olaf Falley - Страница 18

7.

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Der Kater führte Gerda über einen schmalen Pfad, der sich fast geradlinig in Richtung des Gebirges schlängelte zu einem Ziel, dass viel näher lag, als sie vermutet hatte. Urplötzlich blieb ihr Führer auf einer kleinen Lichtung stehen, und zwischen den Bäumen erschienen ungefähr ein dutzend Menschen, alle mit Pfeil und Bogen bewaffnet, wobei die Pfeile ausnahmslos auf Gerda gerichtet waren.

„ Du bist im Begriff, geheiligten Boden zu betreten, Hexe.“

Die Frau, die direkt vor Gerda stand spie ihr diese Worte förmlich entgegen.

„Deinesgleichen ist hier nicht erwünscht. Verschwinde!“

„ Ich weiß zwar nicht, wer ihr seid, doch eure Gastfreundschaft beeindruckt mich“

Sarkastisch lächelte Gerda ihr Gegenüber an. Sie hatte keine Angst, vermutlich würden einige Gesten genügen, um diese Wilden schreiend davonlaufen zu sehen.

„ Ich folgte dem Kater, den die Nornen mir gesandt haben und werde dies auch weiterhin nicht aufgeben.“

Daraufhin begannen einige der Anwesenden, ausnahmslos Frauen, zu lachen.

„Nun, dann bist du am Ziel, törichte Tochter eines Narren. Der Kater wird keinen Schritt weiterlaufen. Er gehört zu unserem Dorf und wir sind bestimmt keine Schicksalsweber, es sei denn wir erfüllen dein Schicksal wenn wir unsere Pfeile von den Sehnen lassen.“

„ Warum seid ihr so aggressiv? Ich habe euch doch gar nichts getan. Ich weiß ja nicht mal, wer ihr seid“

„Und dabei wollen wir es belassen. Kehre um, und komme nie wieder in unser Gebiet“

„Wenn ihr wisst, dass ich eine Hexe bin, solltet ihr auch wissen, dass ich die Macht habe, euch alle zu töten. Wie kommt es, dass ihr dennoch so furchtlos sprecht?“

„Du hast keinerlei Macht, Gerda. All die Macht, die du je besessen hast ist mit der Rückkehr der Traumfänger auf deine Kinder übergegangen. Du bist nichts weiter, als ein Kräuterweib!“

„Wer seid ihr?“

Gerda war blass geworden. Diese Wilden wussten viel mehr über sie, als möglich war.

„ Wie ich bereits sagte, wir sind Menschen, die mit Deinesgleichen keinen Kontakt wünschen.“

Die Wortführerin der Waldmenschen bemühte sich jetzt, ihre Sätze weniger angriffslustig klingen zu lassen.

„Ich weiß, was geschehen ist und es tut mir Leid für dich, doch folgt dir das Unglück auf den Fersen. Wer immer dir, oder deinen Kindern Gastfreundschaft gewährt, wird ein böses Erwachen haben. Deshalb erwarte keine Hilfe von uns.

Nur so viel: Deine Tochter ist in Sicherheit. Der alte Narr, Thoralf, hat sich ihrer angenommen. Er war es auch, der den Erstgeborenen tötete. Deshalb nenne ich ihn einen Narren. Er hat den Zorn dieser Sippe auf den Wald gelenkt.“

„Nun, das sind erfreuliche Neuigkeiten, doch sage ich euch, die Narren seid ihr. Thoralf hat wenigstens Mut bewiesen und ist dem Traumfänger gegenübergetreten. Wo wart ihr, Wächter des Waldes, zu diesem Zeitpunkt? Feige hinter einem Baum, den Lauf der Dinge erwartend?“

Gerdas Gesprächspartnerin winkte müde ab.

„ Es ist leicht, mutig zu sein, wenn man über die Macht verfügt. Wir besitzen nur Pfeil und Bogen, um uns vor der Rache der Traumfänger zu schützen. Thoralf ist nicht mehr hier. Er hat den Wald zu einem Angriffsziel für die Erstgeborenen gemacht und ist dann verschwunden. Es ist euer Krieg, nicht der Unsere, doch werden wir die Folgen am bittersten zu spüren bekommen. Doch du hast Recht, unsere Gastfreundschaft lässt in letzter Zeit zu wünschen übrig. Wir alle sind müde und gereizt. Du sollst für eine Nacht unser Gast sein und unsere Geschichte erfahren.

Wenn du uns dann am Morgen verlässt, wirst du uns wohl besser verstehen.“

Gerda nahm den Kater auf den Arm, um ihm den Nacken zu kraulen, während sie sich der Gruppe Frauen anschloss. Sie konnte erkennen, dass das, was sie für Aggressivität gehalten hatte nichts weiter als nackte Angst war. Wenn diese Frauen mit Pfeil und Bogen auf Eindringlinge losgingen und dabei große Reden schwangen, so war dies nichts anderes, als der Mut der Verzweiflung. Ihre Kleidung bestand vorwiegend aus Lumpen und der Form ihrer Körper unter diesen Lumpen nach zu urteilen, lag ihre letzte ausgiebige Mahlzeit schon längere Zeit zurück. Niemand sprach ein Wort auf dem Weg zum Dorf der Kriegerinnen. Der Pfad dorthin war schmal und an manchen Stellen fast zugewachsen, ein sicheres Zeichen dafür, dass die Dorfbewohner es vorzogen, innerhalb der Grenzen ihres Besitzes zu bleiben.

Das Dorf selber war von einer natürlichen Wand umzäunt. Eine dichte Hecke bildete eine nahezu undurchdringliche Barriere und an den Stellen, an denen der Wuchs doch nicht dicht genug war, hatten die Bewohner einen Zaun aus Holzpfählen errichtet. Inmitten dieser Holzwand gab es ein zweiflügeliges Tor, welches im Moment offen stand. Beeindruckt musste Gerda sich eingestehen, dass dies ein ziemlich wehrhaftes Dorf war und plötzlich wusste sie, wo sie sich befand.

„ Ihr seid das Schattenvolk, nicht wahr?“

Es war eigentlich keine Frage, sondern eher eine Feststellung und es verwunderte sie auch nicht weiter, dass sie keine Antwort bekam. Das Schattenvolk war eine Legende, eine Geschichte, die entnervte Mütter ihren Kindern erzählten, wenn diese nicht artig waren.

„Die Schatten werden dich holen“ war ein Satz, den wohl jedes Kind irgendwann einmal zu hören bekam. Gerda und ihre Schwestern wussten, dass dies mehr, als nur eine bloße Legende war. Das Schattenvolk existierte.

Sie waren die Diener der Götter, die Krieger Tyrs und Kvasirs. Der Legende nach bewachten sie den Eingang zum Reich der alten Götter. Jeder, der ein Anliegen an eine der Gottheiten hatte, musste ein Opfer darbringen, welches zumeist aus Fleisch, Obst und Getreide bestand. Waren die Wächter zufrieden, durfte der Bittsteller die Götter befragen. Kein Wunder, dass sie halb verhungert waren. An die alten Götter glaubten nur noch wenige, und kaum einer wäre wohl bereit, ihnen ein Opfer zu bringen. Auf Ketzerei stand der Tod. Wer den alten Göttern huldigte, wurde bei lebendigem Leibe verbrannt, ein Menschenopfer an die neue Gottheit.

Innerhalb der Dorfumfriedung bot sich Gerdas Augen ein noch trostloseres Bild, als sie es erwartet hatte. Es sah alles irgendwie unordentlich aus. Ungewaschene Kinder spielten, von den Erwachsenen völlig ignoriert, in den finsteren Ecken zwischen den Häusern. Über die Art der Spiele mochte Gerda lieber nicht nachdenken. Der gesamte Ort atmete Vergehen und Verzweiflung.

„Sieh dich um, Hexe, und verstehe. Was du siehst, haben wir deinesgleichen zu verdanken. Die Welt war in Ordnung, die Menschen brachten uns, was wir zum Leben brauchten und sie beteten unsere Götter an, getrieben von der Angst vor den Traumfängern. Bis ihr sie vertrieben habt. Ohne die Bedrohung durch die Erstgeborenen begannen sich die Menschen zu fragen, wozu die Götter eigentlich gut waren. Hatten sie ihnen den jemals wirklich geholfen? Die Menschen schufen sich einen neuen Gott und wir gerieten in Vergessenheit.“

„ Aber es hat euch doch niemand daran gehindert, euer Leben zu ändern. Ihr hättet doch alles, was ihr zum Leben braucht selber anbauen können. Aus Götterdienern wären Jäger und Bauern geworden. Was wäre daran so schlimm gewesen?“

„Es ist jetzt schon viele Generationen her, dass wir anfangen mussten, für uns selbst zu sorgen. Es fehlte uns sowohl an Geschick, als auch an Geduld. Unser Stolz war schließlich ausschlaggebend. Unsere Männer waren nicht mehr die Krieger der Götter, so boten sie ihre Dienste anderen Herren an. Sie begannen, durch die Welt zu ziehen, Krieger, die für jeden kämpften, der in der Lage war, sie zu bezahlen. Alle zwei bis drei Monate kamen sie nach Hause und von dem, was sie mitbrachten, konnten alle gut leben.“

Das Gesicht der Anführerin hatte jetzt einen traurigen Ausdruck angenommen und Gerda fiel auf, dass sie bisher noch keinen Mann zu Gesicht bekommen hatte.

„Vor vierzehn Monaten haben wir unsere Männer zum letzten Mal gesehen. Wir wissen nicht, was geschehen ist. Unsere Kinder vermissen ihre Väter und wir sind damit beschäftigt, das Dorf zu ernähren. Für die Erziehung der Kinder bleibt keine Zeit.“

Gerda schüttelte den Kopf.

„Warum verlasst ihr diesen Ort nicht einfach? Geht in die nächste Stadt, arbeitet als Waschfrauen oder Mägde. Ihr habt euer Schicksal doch selbst in der Hand!“

Sie erntete für diesen Satz nur ein mitleidiges Kopfschütteln. Ihr Gegenüber sah sie an, als fürchte sie, Gerda hätte den Verstand verloren.

„ Das geht doch nicht. Wo sollen unsere Männer uns denn suchen, wenn sie zurückkehren? Außerdem sind wir die Auserwählten. Wir haben den Göttern gedient! Sollen wir jetzt wie Abschaum im Dreck kriechen?“

Nun, weit entfernt waren sie von diesem Zustand nicht mehr. Gerda behielt den Gedanken aber lieber für sich. Sie würde diesen Leuten gerne helfen, doch spürte sie, dass ihnen nicht mehr zu helfen war. Ihr Hochmut würde ihr Verhängnis sein. Die Männer waren wahrscheinlich in irgendeinem Kampf gefallen, vielleicht hatten sie dabei sogar auf verschiedenen Seiten des Schlachtfeldes gestanden. Oder sie hatten irgendwo, fernab mit anderen, jüngeren Frauen ein neues Dorf gegründet, wer konnte das sagen?

Dieses Volk würde bald wirklich nur noch eine Legende sein. Und Gerda wusste, dass sie es bis zum Schluss nicht begreifen würden, dass sie selbst die Schuld daran trugen.

Angewidert wendete sie sich ab.

„Ich fürchte, ich muss auf eure Gastfreundschaft verzichten. Ihr seid so sehr damit beschäftigt, euch selbst leid zu tun, dass ich befürchte, eine Nacht in eurer Mitte könnte aus mir eine ebenso wehleidige Jammerfigur machen.“

„ Ich glaube nicht, dass du uns so schnell verlassen wirst. Über die Jammerfigur reden wir später noch, doch zunächst sollst du die Heiligtümer kennen lernen.“

Gerda begriff, dass sie in die Falle getappt war. Das Tor in ihrem Rücken war mittlerweile verschlossen, die Kinder hatten ihr Spiel beendet und standen neben ihren Müttern, ebenfalls mit Pfeil und Bogen bewaffnet und die Anführerin der Gemeinschaft setzte ein falsches Lächeln auf.

„Seid ihr Schwestern nicht auch Diener der alten Götter? Wie kommt es dann, dass du gehen willst, ohne den Eingang zu ihrem Reich gesehen zu haben?“

„Ich habe nichts, was ich als Opfer anbieten könnte.“

Gerda hatte jetzt Angst!

Sie war unvorsichtig gewesen, überheblich war sie den vermeintlich hilflosen Frauen gefolgt. Nun stand sie hier. Ihre Kräfte waren beileibe nicht groß genug, um es mit der gesamten Dorfgemeinschaft aufzunehmen. In den gierigen Blicken der Kinder konnte sie erkennen, welcher Art ihr Opfer sein sollte.

Das Dorf schwelgte im Vorgeschmack des üppigen Festbratens, der da so unerwartet in ihrer Mitte erschienen war. Aus Gerdas Angst wurde Panik.

„Wo befindet sich denn der Eingang zum Reich der Götter. Vielleicht kann ich doch etwas für euch tun, wenn dieser Eingang wirklich existiert.“

„Oh, du wirst etwas für uns tun, das ist sicher.“

Böse lächelte die Kriegerin Gerda an.

„ Folge mir!“

Über einen ausgetretenen Pfad erreichten sie den Fuß des Berges. Dort, umgeben von immergrünen Ranken befand sich der Eingang zu einer finsteren Höhle. Als Gerda näher trat, konnte sie erkennen, dass der Weg hinter diesem Eingang nicht etwa waagerecht in den Berg hinein verlief, vielmehr blickte sie in eine bodenlose Öffnung. Das Licht verlor sich schon nach weniger als vier Fuß, so dass man die Tiefe des Loches nur erahnen konnte. Und doch war dies Gerdas einzige Chance den Dorfbewohnern zu entkommen. Ohne nachzudenken und ohne zu zögern sprang sie in die Dunkelheit. Es schien ihr, als fiele sie endlos lange, in Wirklichkeit waren es jedoch höchstens zwölf Fuß, wie sie erkennen konnte, als sie nach oben blickte, wo sich gegen das Sonnenlicht die wutverzerrten Gesichter der Kriegerinnen abzeichneten. Rasch sprang Gerda auf und floh in die Finsternis des Ganges, der sich vor ihr auftat. Nach wenigen Schritten blieb sie stehen. Ihr war, als hätte sie ein Geräusch gehört. Angestrengt lauschte sie, alle Sinne bis zum äußersten gespannt. Und richtig, da war es wieder. Der Klang kurzer, schneller Schritte und dann unvermittelt, direkt vor ihr ein klägliches maunzen. Überrascht beugte sich Gerda nach unten und ihre tastenden Hände bekamen weiches Fell zu spüren.

„Da bist du ja wieder. Du hast wohl ein schlechtes Gewissen, weil du mich in diese Lage gebracht hast? Willst du mir den Ausgang zeigen?“

Die Antwort bestand aus einem wohligen Schnurren. Vorsichtig setzte Gerda den Kater auf den Boden.

„Dann führe mich hinaus.“

Es fiel ihr nicht leicht, dem Tier in dieser absoluten Finsternis zu folgen. Das Geräusch seiner Schritte war das einzige, wonach sie sich richten konnte.

Dann nach etwa zehn Minuten, begann sich weit vor ihr ein verschwommener Schimmer zu zeigen, Licht! Gerda beschleunigte ihre Schritte und als sie an der Quelle des Lichtschimmers angekommen war, stellte sie fest, dass sie sich in einer großen Höhle befand, die von einer unsichtbaren Lichtquelle erhellt wurde.

Nicht, dass ein Licht notwendig gewesen wäre! Der einzige Bewohner dieser Höhle war eine alte Frau und ein Blick in ihre Augen verriet Gerda, dass sie blind waren. Gerdas Blick fiel auf den Kater, der schräg vor ihr stand. Er schien zu lächeln. Dann drehte er Gerda sein Köpfchen zu, sah ihr tief in die Augen und verschwand durch einen schmalen Tunnel.

„Nun, da bist du also.“

Die Stimme der alten Frau klang wie das Flüstern des Windes, der durch die fallenden Blätter streicht.

„Ich war nicht sicher, ob du kommen würdest, denn ich bin blind für alles, was ist und irgendwann sein wird. Ich sehe lediglich, was gewesen ist. Und das, was war, wird sich nie ändern. Die Taten einzelner mögen das Heute oder auch das Morgen verändern, niemals jedoch das Gestern. So scheine ich ein schlechter Ratgeber für deine Suche zu sein, doch urteile nicht voreilig.“

Gerda war fasziniert. Sie war im Reich der Schicksalsweberinnen angekommen und nach allem, was sie gehört hatte, musste die alte Frau in der Mitte der Höhle Urd sein, das Gewesene.

„Es ist nicht meine Absicht, voreilig zu urteilen. Ich wäre glücklich, wenn du etwas Licht in die Geschehnisse der letzten Tage bringen könntest, denn da du weißt, was gewesen ist, hast du einen gewaltigen Vorteil mir gegenüber. Ich kann den größten Teil der Geschehnisse nur erraten.“

„Nicht alles darf ich dir sagen, doch so viel sollst du wissen; die Geschehnisse nehmen ihren vorgesehenen Lauf. Du und deine Kinder, ihr habt viele Verbündete, von denen ihr nichts wisst, die euch trotzdem helfen und über euch wachen. Selbst unter den Feinden könnte dein Sohn einen Freund finden, das heißt, gefunden hat er ihn schon, doch wird er ihm auch vertrauen? Davon könnte das Schicksal deiner Welt abhängen. Ich weiß, dass deinem Sohn meine Schwester erschienen ist, Skuld, das Werdensollende, doch kann ich nicht vorhersehen, ob diese Begegnung von Vorteil für den Jungen war, denn ich bin, wie gesagt, das Gestern, nicht das Morgen.“

Mit ihren blinden Augen sah die alte Frau zu Gerda herüber.

„Du wirst nun schlafen, Tochter des Waldes, denn nur deshalb hat dich mein Bote hergebracht. Schlafen, und dich erinnern; erinnern an die Macht, welche einst in dir ruhte.“

Gerdas Augenlider wurden schwer, ihr Blick begann sich zu verschleiern und das Letzte, was sie sah, bevor der Schlaf die Herrschaft über ihr Bewusstsein übernahm, waren zwei blitzende Sterne in dem Gang, durch welchen der Kater verschwunden war und als sie einschlief glaubte sie, ein sanftes Schnurren zu vernehmen.

Im Bann der Traumfänger

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