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3.

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Zartblasse Wolken zogen träge vor einem unbeschreiblich blauen Hintergrund dahin. Klein und nahezu durchscheinend waren sie nicht in der Lage, diesen wunderschönen Sommertag zu beeinträchtigen. Während ihrer Wanderung veränderten sie ständig ihr Aussehen und ein Beobachter mit ein wenig Fantasie war ohne weiteres in der Lage, bekannte Gestalten oder auch Gesichter in den ätherischen Konturen zu erkennen. Zog dort nicht ein riesiges Schiff seine Bahnen? Deutlich konnte man die Masten und Segel sehen, welche im nächsten Augenblick unter einer starken Windböe ihre Form verloren und nun Ähnlichkeit mit den Türmen einer Burg aufwiesen. Und diese kleine Wolke, südlich der Burg, ähnelte sie nicht dem Gesicht eines alten Mannes, bärtig und voller Falten. Die tief liegenden dunklen Augen starrten zornig herab bevor sie, einer plötzlichen Laune des Windes folgend, aufrissen und scheinbar zu Leuchten begannen. Der alte Mann fügte den zahllosen Falten auf seiner Stirn noch einige Ebenbilder hinzu. Er öffnete seinen Mund und plötzlich war deutlich seine Stimme zu hören.

„Du musst dich konzentrieren, Hexenkind. Wenn deine Gedanken abschweifen, verlieren die Illusionen an Kraft.“

Der blaue Himmel riss auseinander und verschlang die flüchtigen Wolkengebilde. An seiner Statt erschien nun ein wolkenverhangenes, von Regen und Unwetter kündendes Firmament. Freya war enttäuscht. Wieder einmal war es ihr nicht gelungen, eine Illusion lange genug aufrecht zu erhalten. Thoralf sah sie schmunzelnd an, während Hilda einen Arm um ihre Schultern legte.

„Den Wächter hast du bezwungen. Du kannst in die Gedanken anderer eindringen, und sie Dinge sehen lassen, die nicht existieren. Doch ein Trugbild zu erschaffen, das in der Lage ist, alle zu täuschen, die es sehen, ist um ein Vielfaches komplizierter.“

Hilda nahm Freyas Gesicht in ihre Hände und sah ihr tief in die Augen.

„Du darfst nicht verzweifeln. Es ist schwierig, doch nicht unmöglich.“

„Vielleicht sind wir ja doch nicht zur Ausbildung der Kleinen vorgesehen.“

Thoralf blickte nachdenklich in den bedrohlich aussehenden Himmel hinauf.

„Glaubst du nicht auch, dass wir Freya alles gezeigt haben, was es zu zeigen gab, sie alles gelehrt haben, was des Lehrens würdig war“

Ein blendender Blitz riss die Wolken auseinander, dicht gefolgt vom dumpfen Grollen des Donners. Erste Regentropfen bahnten sich einen Weg zur Erde. Geboren in Schwindel erregender Höhe begann ihr kurzes Dasein in Form eines Wassertropfens der, wäre er in der Lage sich zu wundern, sich fragen würde, warum alle Dinge rasend schnell größer wurden, bevor er mit einem leisen Klatschen auf der Erde aufschlug.

Dieser Regen war anders! Zwar fielen gewaltige Wassermassen der Schwerkraft folgend auf die Erde zu, doch kam nicht einer dieser unzähligen Tropfen unten an. Sie verschwanden spurlos noch bevor sie den Boden erreichten.

Verblüfft betrachtete Freya dieses Schauspiel und plötzlich begann sie zu verstehen. Dieses Gewitter war nichts weiter, als eine perfekte Illusion.

Aufgeregt wandte sie sich an Hilda.

„Das ist großartig! Ich denke schon, dass du mich weiter ausbilden sollst. Ich möchte auch irgendwann so eine perfekte Illusion hervorbringen können.“

„Das ist mitnichten mein Werk!“

Ratlos sah sich die alte Hexe um.

Auch Thoralf schien verblüfft, doch nur für einen Moment. Dann zogen plötzlich feine Lachfältchen in seine Augenwinkel und schmunzelnd sagte er:

“Ich glaube, wir waren Alle etwas unvorsichtig. Fragen wir den jungen Simon, wer für dieses Wunder verantwortlich ist“

Während Freya und Hilda verständnislos zu Thoralf blickten, trat ein blondgelockter Junge schüchtern hinter der Hütte hervor.

„Nun, Simon, hast auch du neuerdings Kräfte entwickelt? Kräfte, die jene unseres kleinen Hexenkindes übertreffen?“

Jetzt breitete sich auch auf Hildas Zügen ein Lächeln aus.

„Oder hast du uns vielleicht noch einen Besucher mitgebracht?“

Wie aus dem Nichts erschien direkt neben Hilda eine junge Frau. Ein glockenhelles Lachen ertönte, als die Alte zurückschreckte.

„Ich freue mich, dich lebend anzutreffen, Hilda. Die letzten Informationen, die ich erhielt, schienen das Gegenteil anzudeuten.“

Sie beugte sich zu Freya herab und das Mädchen war fasziniert von der Schönheit dieser Fremden.

„Du bist also Gerdas Tochter, Baldurs Schwester, die Hoffnung der Welt“

Es war eine Feststellung, keine Frage.

„Du siehst sowohl deiner Mutter, als auch deinem Bruder ähnlich. Ja, ohne Zweifel, du bist Freya.“

Die Frau wendete sich ab und setzte sich zwischen Hilda und Thoralf auf die Bank. Das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde undeutlicher.

„Nun Thoralf, die Dinge entwickeln sich anders als geplant. Ich sollte die Ausbildung Freyas übernehmen, während du dich um Baldur kümmern solltest.“

Das Gesicht der Fremden nahm einen bekümmerten Ausdruck an.

„Leider hat das Schicksal anders entschieden. Das Mädchen befindet sich in deiner Obhut, während ihr Bruder den Weg in unser Dorf fand.“

Freya sprang erregt auf

„Baldur ist in Sicherheit? Wo ist er?“

Die Augen der Frau wurden noch ein wenig trauriger. Sie legte Freya ihre Hände auf die Schultern.

„Mein Sohn Simon wird dir berichten, was geschah. Ich muss mit Thoralf und Hilda beraten, wie es weitergehen soll.“

Der blonde Junge kam näher. Schüchtern nahm er Freya an der Hand und führte sie ein Stück von den Erwachsenen weg.

„Du bist also Baldurs Schwester! Er ist mein bester Freund, musst du wissen und außerdem hat er mich vor den grässlichen Traumfängern gerettet.“

Freya blickte erstaunt zu dem Jungen.

„Dein bester Freund? Wie lange kennt ihr euch denn schon? Zwei Tage, eine Woche?“

Simon deutete den Spott in Freyas Stimme richtig.

„Eigentlich kannten wir uns nur einen halben Tag und eine halbe Nacht. Trotzdem ist er mein Freund. Er hat mein Leben gerettet!“

„Ich finde, du solltest mir alles erzählen, und zwar von Anfang an!“

Die beiden Kinder setzten sich auf die Wiese und Simon erzählte Freya alles, was er wusste. Nachdem er seine Geschichte beendet hatte, herrschte einen Moment lang Schweigen. Dann entschloss sich Freya dem Jungen aus ihrem Leben zu berichten. So vergingen die Stunden und die Nacht brach herein, ohne dass die Unterhaltungen unterbrochen wurden. Auf der einen Seite saßen die Kinder im Gras und erzählten einander sämtliche Abenteuer, die sie bisher erlebt hatten, auf der anderen Seite lauschten Hilda und Thoralf ungläubig Maries Worten.

„Du sagst, Baldur hat den Traumfänger mit Worten festgehalten. Das ist unglaublich. Wenn das wahr ist, dann ist er bei Weitem stärker, als ich geglaubt hätte. Stärker als ich, stärker als seine Mutter. Eigentlich kenne ich nur eine Person, die dazu in der Lage wäre. Thoralf!“

„Da hast du Recht, Hilda. Die Geschichte, die uns Marie Niemandskind erzählt hat, klingt wirklich unglaublich. Und ich würde mich auch freuen, besäße der Junge wirklich bereits solche Kräfte. Doch sehe ich momentan keinen Grund zur Freude. Baldur ist verschwunden!“

Schweigen breitete seine Flügel über den Menschen aus. Schwermut begann in die Herzen der Erwachsenen einzuziehen und ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit schien von der gesamten Wiese Besitz zu ergreifen. Selbst das Gras zu ihren Füßen schien zu verdorren. Marie erhob sich und ging zu den Kindern. Vorsichtig nahm sie Freya in die Arme.

„Du solltest vorsichtiger mit deinen Fähigkeiten umgehen, Kleine. Deine Trauer erfüllt im Moment alles Lebende im Umkreis. Du hast die Macht, den Menschen die Hoffnung zu nehmen, nur durch deine eigene Hoffnungslosigkeit. Dein Bruder lebt, da bin ich mir ganz sicher. Er ist auf dem Weg, seine Ausbildung zu beginnen und du wirst ihn ganz bestimmt bald wieder sehen. Wenn du möchtest, werde ich deine Ausbildung übernehmen. In deiner freien Zeit kannst du mit meinem Sohn spielen, denn du sollst ein Kind bleiben, solange das möglich ist.“

Der Vorhang aus Schwermut begann sich zu heben und Hilda spürte erst jetzt, dass diese ganze Verzweiflung von Freya ausgegangen war. Das Mädchen hatte in seiner Trauer eine Illusion der Niedergeschlagenheit geschaffen, die auf alle Anwesenden übergegriffen hatte. Das war beeindruckend.

Am nächsten Morgen war Freya schon sehr früh munter. Vorsichtig kroch sie aus ihrem Bett und schlich nach draußen. Dort wartete ein wunderschöner Morgen darauf, von den Menschen bestaunt zu werden. Der Himmel war vollkommen wolkenlos und die Sonne wärmte bereits angenehm. Misstrauisch blickte Freya sich um. Der Tag begann einfach zu schön für ihren Geschmack.

Ganz sicher war dies wieder eine Illusion von Simons Mutter. Sie ging zurück in Thoralfs Hütte. Zu ihrer Überraschung schliefen dort noch alle, auch Marie.

Glücklich darüber, dass der Sonnenschein und der blaue Himmel echt waren, rannte Freya wieder nach draußen. Ausgelassen tobte sie über die Wiese, wobei sie sich immer weiter von der Hütte entfernte. Dabei stellte sie fest, dass das Gras hier viel höher wuchs. Dieser Umstand weckte ihre kindliche Neugier, zumal sie sicher war, dass von der Hütte aus die Wiese einen gleichmäßigen Eindruck hinterließ. Freya schaute sich um. Hinter ihr, weit entfernt wie es schien, konnte sie Thoralfs Unterkunft erkennen. Vor ihr, soweit das Auge blicken konnte, Gras, welches Freya schon jetzt bis zum Bauch reichte.

Vorsichtig beugte sie sich nach vorn um einen der riesigen Grashalme genauer zu untersuchen. Er sah aus wie ein jeglicher Grashalm, den sie in ihrem Leben gesehen hatte, ein einfacher grüner Stängel, ohne besondere Merkmale. Am oberen Ende teilte sich der Halm in fünf dünne Stränge, die eine bräunlich schimmernde Kugel umschlossen. Fasziniert wollte Freya gerade einen dieser Halme pflücken, um ihn mitzunehmen. Vielleicht konnte Hilda ja erklären, was dies für ein seltsames Gras war. Da spürte sie, wie ihr jemand zaghaft an den Haaren zupfte. Sie richtete sich kerzengerade auf, konnte jedoch niemanden entdecken. Dafür sah sie etwas Anderes. Das Gras war während ihres kurzen Aufenthaltes weiter gewachsen. Es überragte sie mittlerweile beinahe um eine Handbreite. Langsam begann Angst ihren Rücken entlang zu schleichen.

Und wieder spürte sie das vorsichtige Ziehen an ihren Haaren. Sie schob ihre Haare mit beiden Händen nach oben und hielt sie dort fest, während sie verzweifelt versuchte, den zu finden, der sie neckte. Als sie wieder ein Ziehen bemerkte, griff sie blitzschnell zu und hatte nur ein Büschel Gras in den Händen.

Doch das Gras wehrte sich. Die braunen Kugeln, die Freya vorher schon entdeckt hatte, öffneten sich. Zum Vorschein kamen zwei Reihen winziger spitzer Zähne. Mit einem Aufschrei ließ Freya das Grasbüschel los und rannte blindlings davon. Zumindest wollte sie es. Doch das Gras hatte andere Pläne.

Die einzelnen Halme verflochten sich in wenigen Augenblicken zu fingerdicken Strängen, die sich um die Füße des Mädchens wickelten. Sie schlug schreiend auf die Fesseln ein, doch wenn sie eine zerfetzte, war sofort die Nächste da. Schon bald lag sie fest verschnürt auf dem Rücken, die Hände eng an den Körper gepresst. Entsetzt sah sie zu, wie die kleinen Münder in den braunen Kugeln am Ende der Halme sich herabbeugten, um die Stränge, die Freya gefesselt hielten dicht über dem Erdboden abzutrennen. Die winzigen Zähne arbeiteten schnell und gründlich. Als die letzte Verbindung des Geflechts zu den Wurzeln zerstört war, beugten sich alle Grashalme im Umkreis herunter, schoben sich unter den gefesselten Körper und begannen, ihn weg zu tragen.

Es kam Freya so vor, als triebe sie auf dem Wasser. Eine gleichmäßige, schaukelnde Bewegung trug sie davon. Ihre Angst verwandelte sich allmählich in Wut. Das war doch nur einfaches Gras. Sollte sie sich geschlagen geben? Besiegt von schwachen, jämmerlichen Grashalmen? Sie würde es diesen hinterhältigen Pflanzen zeigen. Schließlich war sie die Tochter einer Hexe und außerdem sehr begabt im Erzeugen von Illusionen. Sie dachte nach, womit sie dem Gras wohl die meiste Angst einjagen könnte. Sollte sie vielleicht an die Sense in Thoralfs Hütte denken, oder vielleicht an eine Horde Schafe, die genüsslich die Wiese abgrasten? Sie entschied sich für Feuer.

Freya konzentrierte sich. Sie verdrängte Alles aus ihrem Kopf, was nicht mit der Illusion zusammenhing. Dann stellte sie sich vor, wie ein Blitz in einen trockenen, verkrüppelten Baum einschlug, worauf dieser sofort Feuer fing.

Sie malte sich aus, wie sich die Flammen am Stamm des Baumes nach unten fraßen, der Wiese und dem hinterhältigen Gras entgegen. Immer schneller breitete sich das Feuer aus und in dem Moment, als die Flammen das Gras berührten, ertönte in Freyas Kopf ein schriller, vieltausendfacher Schmerzensschrei aus kleinen Mündern mit spitzen Zähnen, der sie das Bewusstsein verlieren ließ. Ihr Körper erschlaffte und die Wellenbewegungen des Grases wurden schwächer. Es schien, als sei die räuberische Vegetation ratlos, was im weiteren Verlauf geschehen sollte. Das Opfer bewegte sich nicht mehr. War es tot, so war es nutzlos.

Plötzlich fuhr ein greller Blitz horizontal über die Wiese. Dort, wo er die unnatürlich langen Grashalme berührte, zerfielen diese in Bruchteilen von Sekunden zu weißer Asche. Durch den so entstandenen Tunnel konnte man vier Personen heraneilen sehen. Während Hilda und Marie Rücken an Rücken Aufstellung nahmen, die Hände mit erhobenen Handflächen nach außen gerichtet, beugte sich Simon nach unten, um Freya von ihren Fesseln zu befreien. Thoralf kam als Letzter. Er konnte mit dem Tempo der anderen nicht mithalten, doch war dies auch nicht nötig. Die beiden Frauen hatten alles im Griff. Thoralf schob Simon sanft aber bestimmt zur Seite. Er hob das bewusstlose Mädchen auf und trug sie, geschützt von Hilda und Marie, aus der gefährlichen Zone.

Im Bann der Traumfänger

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