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Erwachen


1.

Er hatte lange geschlafen und war sehr hungrig. Vorsichtig schlich er durch die Armenviertel der Stadt. Dort, wo die Not am Größten war, wo durch Krankheiten und Gewalt ständig Menschen zu Tode kamen war sein Jagdrevier. Hier tauchten immer wieder neue Gesichter auf. Gestrandete, die von der Gesellschaft ausgespien worden waren, Verbrecher auf der Flucht vor dem Richter oder auch Matrosen, die beschlossen hatten, den Rest ihres Lebens auf dem Festland zu verbringen. Die meisten hatten weder Familie noch Freunde. Ihr gesellschaftlicher Umgang beschränkte sich auf die abendlichen Besuche der zahlreichen heruntergekommenen Spelunken. Es fiel kaum jemandem auf, wenn plötzlich ein Bettler weniger an den Straßenecken herumstand oder ein Trinker nicht mehr in seiner Lieblingskneipe erschien.

Dieses Desinteresse der Menschen war der Grund, warum er durch das Armenviertel schlich, ein König, der vom Abfall lebte.

Die Straße wurde nur von flackerndem Kerzenlicht erleuchtet, welches seinen Ursprung hinter schmutzigen Fenstern hatte. Der Mond war heute nicht zu sehen, aber das war egal denn die Finsternis war sein Vertrauter.

Dort, wo es Armut gab, gab es auch immer Gewalt. Organisierte Gewalt. Banden von Halsabschneidern, Dieben und anderem zwielichtigen Gesindel bevölkerten die Straßen bei Nacht. Nicht, das sie dies nicht auch am Tage täten, aber nachts waren sie aktiver. Im Schutze der Dunkelheit gingen sie ihren verbrecherischen Tätigkeiten nach. Doch die Dunkelheit, die ihre Identität verbarg, war gleichzeitig ihr Feind. Denn sie verbarg auch ihn, wenn er sich leise an seine Opfer heranschlich um ihnen ihre Erinnerungen und letztendlich auch ihr Leben zu rauben.

Heute Nacht hatte er es auf eine Gruppe Tagelöhner abgesehen, die damit beschäftigt waren, Kisten und Fässer aus einem Keller auf ein bereitstehendes Pferdefuhrwerk zu verladen. Auf Grund der Uhrzeit durfte man getrost davon ausgehen, dass der Besitzer dieser Waren ganz sicher nicht in diese nächtlichen Aktivitäten eingeweiht, geschweige denn mit ihnen einverstanden war.

Viele Händler hatten hier im Armenviertel ihr Domizil, was zum Teil daran lag, das ihre Geschäfte eher zwielichtiger Natur waren. Manch einer konnte sich aber auch die extrem hohen Ladenmieten im Stadtzentrum einfach nicht leisten.

Das Wesen interessierte sich nicht für derlei Nebensächlichkeiten. Der Mensch war eine Nahrungsquelle, je verderbter seine Seele umso höher der Nährwert.

Und diese Diebesbande vor ihm war wie eine überreich gedeckte Tafel. Von seinem Anblick gelähmt, waren sie nicht in der Lage, zu fliehen. Gierig grub er seine Klauen in das warme Fleisch. Seine weiß-blauen Augen strahlten vor Glückseligkeit und seine Flügel zitterten in wilder Erregung, während er eine schwarze Seele nach der anderen in sich aufnahm.

Das Vorletzte, was der durch laute Geräusche aufgescheuchte Bewohner dieses Hauses sah, war ein bluttriefendes, riesiges menschenähnliches Wesen mit kräftigen Flügeln. Sein letzter Blick galt den schlanken Fingern, welche seinen Hals zerfetzten. Das Knirschen, als das Wesen ihm den Schädel zerbiss, hörte er schon nicht mehr.

Noch immer hungrig machte die Kreatur sich auf den Weg in das Innere des Gebäudes.

Im Bann der Traumfänger

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