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5.

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Das Leben war seltsam geworden!

Tag für Tag versuchte Freya zu begreifen, was eigentlich geschehen war. Wie konnte es sein, dass in dem einen Moment noch alles wunderschön war und einen Augenblick später das Leben nur noch aus Feuer, Asche und Angst bestand? Warum hatte das Schicksal ausgerechnet ihre kleine Familie ausgewählt, um der Welt zu zeigen, dass die Traumfänger zurückgekehrt sind?

Gewiss, Thoralf hatte versucht, ihr die Zusammenhänge zu erklären. Er gab sich redlich Mühe, erzählte hier ein wenig und lies dort eine Andeutung fallen, doch im Allgemeinen war der alte Mann genauso seltsam, wie der ganze Rest ihres neuen Lebens.

Freya war hier in Sicherheit und Thoralf erwähnte immer wieder, dass ihre Ausbildung, hart und entbehrungsreich, bevorstände, jedoch nicht durch ihn.

Seine Aufgabe sei es, ihren Bruder Baldur zu einem Krieger auszubilden. Doch Baldur kam nicht und Freya konnte nichts tun, außer warten.

Sie kümmerte sich um die täglich anfallenden Arbeiten in Haus und Garten, wobei mit Garten die riesige Wiese gemeint ist, die sich über viele Meilen in jede Richtung erstreckte. Immer wenn das Mädchen eine besonders schöne Blume im Gras sah, fügte sie diese zu ihrem Traumstrauß hinzu. Bei solchen Gelegenheiten schmerzte sie die Ungewissheit über Baldurs Schicksal besonders stark, doch der alte Thoralf beruhigte sie immer wieder.

Überhaupt schien nichts den alten Mann aus der Ruhe bringen zu können. Tagein, Tagaus saß er vor seiner Hütte und verpestete die wunderschöne Luft mit dem Gestank verbrennender Pflanzen, der aus seiner Pfeife stieg.

„Wir bekommen Besuch, Hexenmädchen.“

Freya zuckte beim Klang der Stimme des alten Mannes zusammen. Wieder einmal waren ihre Gedanken abgeschweift. Dies geschah immer öfter in den letzten Tagen, seit Thoralf sie aus den Klauen des Monsters gerettet hatte. Die Wirklichkeit erschien ihr unwahr, alle Geräusche erklangen dumpf, als wären ihre Ohren mit Moos verstopft. Sie fürchtete diese Momente, in denen die einzige Realität ein nicht vorhandenes Wohnzimmer mit einer großen Vase, voll der schönsten Blumen zu sein schien. Schuldbewusst sah sie Thoralf an. Dieser nahm ihr Gesicht in seine alten runzligen Hände und tätschelte ihr die Wangen. Er liebte es, die Tochter Gerdas als Hexenmädchen zu bezeichnen. Irgendwie machte es sie noch niedlicher.

„Wir müssen wirklich bald mit deiner Ausbildung beginnen. Zu oft schweifen deine Gedanken ziellos durch die Welt. Ein Jeder kann sie hören, kann in dir lesen. Das ist nicht gut. Doch nicht heute, auch nicht morgen. Für deine Ausbildung ist ein Anderer vorgesehen.“

Thoralf lächelte Freya an, wobei die Jahre von ihm abzufallen schienen. Jung und schön sah er in solchen Momenten aus.

„Hättest du mehr, als nur dies eine Kleid, würde ich dir raten dich umzuziehen, deine Tränen zu trocknen und deine Haare schön zu machen. Wieder etwas, um das zu kümmern ich mich versäumt habe. Nun, dein jetziger Anzug muss genügen. Komm setz dich zu mir und schau mit mir nach Süden, denn dein Bruder ist auf dem Weg hierher.“

Freyas Herz schien für ein paar Schläge auszusetzen. Ihr geliebter Bruder kam. Endlich! Aufgeregt sprang sie auf der Wiese herum. Sie flocht sich lange Grashalme in die Haare, ungeachtet der Tatsache, dass auch das Gras dadurch sterben würde. In diesem Moment war es ihr egal. Baldur war auf dem Weg zu ihr!

Während die Stunden vergingen, begann das Mädchen langsam wieder klarer zu denken. Aus Aufregung wurde Unruhe, aus Hoffnung Angst. Und auch Thoralfs gutmütiges Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an.

Als der Tag sich dem Ende neigte und die Schatten länger wurden, starb die letzte Hoffnung in dem kleinen Herz, denn über die Wiese näherte sich eine Gestalt, gebückt mit einem Stock in der Hand und flammenroten Haaren. Das war ganz sicher nicht Baldur. Tränen begannen, Freyas Sicht zu behindern und neben sich hörte sie Thoralf murmeln.

„Welch bösartiges Geschick. Die Kinder der Hexe haben ihren eigenen Dickkopf. Wie Blätter im Wind treiben wir dahin, mal rechts taumelnd, mal links, doch immer im Sturm gefangen. Doch nie sah ich ein Blatt, das im Sturm rückwärts flog. Bis heute! Möge Kvasir dich beschützen, Baldur, Gerdas Sohn.“

Thoralf erhob sich und ging der rothaarigen Gestalt entgegen. Als Freya sich die Tränen aus den Augen wischte, erkannte sie, dass es sich bei ihr um eine alte Frau handelte.

„Nun Thoralf, ich sehe Gerdas Tochter vor deiner Hütte sitzen, doch wo ist ihr Bruder? Er sollte am Mittag dieses Tages hier eintreffen“

„ Ich hoffte, du würdest mir erklären können, warum er nicht kam, Hilda. Seit dem Morgen warten wir auf ihn, doch scheinbar haben ihn seine Wege an einen anderen Ort geführt.“

Da brach Hilda schluchzend auf der Wiese zusammen. Sie war am Ende ihrer Kräfte und der erlebte Schrecken begann mit aller Gewalt in Ihren Geist einzudringen. Unter Tränen berichtete sie von ihrer Ankunft bei Gerdas zerstörter Hütte, der Vertreibung des Traumfängers, der Übernachtung in Ursulas Höhle und dem Angriff der Kreaturen, der Rosa das Leben gekostet hatte. Wie sie so schluchzend im Gras lag, erregte sie ein tiefes Mitleid in Freyas Herz. Das Mädchen setzte sich zu ihr und begann, ihr über die Haare zu streichen, wobei sie seltsame Worte murmelte. Beinahe sofort versiegten Hildas Tränen und sie blickte verwundert auf das Kind. „Du bist wahrlich Gerdas Tochter. Eine solche Macht, eine solche Heilkraft habe ich schon lange nicht mehr verspürt. Du musst lernen, deine Kräfte gezielt einzusetzen.“

„ Die Worte, du musst lernen, höre ich beinahe täglich, seit ich hier bin. Doch immer folgen ihnen die Worte doch nicht durch mich. Wirst du meine Ausbildung übernehmen?“

Hilda sah Freya lange in die Augen. Schließlich seufzte sie.

„All unsere Pläne sind zunichte gemacht, weil dein Bruder meinen Rat missachtet hat. Warum sollten wir also keine neuen Pläne machen? Es war nicht geplant, dass Thoralf oder ich deine Lehrer sein würden. Die Schicksalsweber hatten es anders vorgesehen, doch glaube ich, dass auch die Götter zuweilen ihre Meinung ändern. Was meinst du, Thoralf, war es vielleicht der Wille des Schicksals, das Baldur unserer Obhut beraubt wurde?“

Thoralf hatte bisher schweigend in den Himmel gestarrt.

„Ich glaube zu wissen, welche Mächte deinen Weg gekreuzt haben. Die Krieger, die den Überfall auf die Höhle begangen haben, waren ohne Zweifel die Leibgarde des Hexenkönigs aus dem Osten. Ein sehr mächtiger und sehr böser alter Zauberer, der die stärksten Männer aussucht und sie durch Folter und Misshandlung zu brutalen, gnadenlosen Kämpfern macht. Der Anführer dieser Horde war gewiss ein Wiedergänger. Nur alte Magie kann ihn zerstören. Und genau das ist dem Jungen in der Nacht erschienen, alte Magie. Als ich deine Geschichte hörte, dachte ich zunächst an einen Sukkubus, der den Alptraum verursacht haben könnte. Doch glaube ich nun, es war eine Norne des Schicksals, eine Schicksalsweberin. Ich weiß, dass die Schwesternschaft sich selbst als die Zweitgeborenen bezeichnet, doch ist dies nur ein Ausdruck völliger Ignoranz. Weder waren die Traumfänger die ersten Lebewesen, noch die Hexen. Es mag für diesen Teil der Welt zutreffen, doch anderenorts leben Geschöpfe, die schon alt waren, als die ersten Traumfänger erschienen. Wir sind, will mir scheinen, Figuren in einem Spiel geworden, dessen Regeln wir zu bestimmen glaubten, dass jedoch von anderen Wesen, weit über uns gelenkt wird.“

„Wäre es an dem, welchen Sinn hätte es dann, Pläne zu schmieden? Wenn alles vorbestimmt ist und jemand unsere Taten lenkt, was nützen die Ideen Einzelner?“

„Indem du dein Leben planst, bekommst du wenigstens das Gefühl, Herr deiner selbst zu sein. Und wer weiß, auch Götter können ihre Meinung ändern, wie du selbst gesagt hast. Vielleicht ist ja genau das geschehen, dass die Götter ihre Meinung geändert haben. Vielleicht hatte ein Wesen eine Idee, die dem, der die Regeln bestimmt so gut gefallen hat, das es zu einer Veränderung im ursprünglich geplanten Ablauf kam.“

Sehnsüchtig blickte der alte Mann in Richtung Süden.

„Es war so knapp. Fast wären die Geschwister wieder vereint gewesen. Doch nun sollten wir handeln. Wenn Gerda noch immer auf der Suche nach ihrer Tochter ist, wird sie früher oder später hier vorbeikommen. Lass uns mit der Ausbildung des Mädchens beginnen, während wir auf ihre Mutter warten.“

Beschämt musste Freya feststellen, dass sie bisher keinen Gedanken an ihre Mutter verschwendet hatte. Immer war nur ihr Bruder durch ihren Kopf gespukt, und mit einem Gefühl der Trauer fragte sie sich nun, wie es ihrer geliebten Mutter wohl ergangen sein mochte.

Im Bann der Traumfänger

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