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3.

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Aus der Ferne betrachtet sah Wolfsstein nicht gerade beeindruckend aus. Das erste, worauf das Auge fiel, war der Ozean, schmutziggraue Gischt auf blassblauen Wellen. Wasser soweit das Auge blicken konnte.

Als nächstes blieb der Blick an einem riesigen Felsen hängen, dem Wolfsstein, an dessen Fuß sich die ersten Häuser duckten. Klein und zerbrechlich wirkten sie in der Nachbarschaft des Steingiganten.

Aus der Nähe betrachtet änderte sich dieser Eindruck jedoch. Wolfsstein war eine Festung. Riesige Mauern zogen sich vom Meer zu dem Felsen, der eine ideale natürliche Barriere darstellte. Keine Armee würde diese Mauern so ohne weiteres überwinden. Die breiten Wehrgänge boten den Verteidigern sowohl Schutz, als auch einen ungehinderten Blick auf jeden Angreifer. Im Falle einer Belagerung wäre das Meer ein nahezu unerschöpflicher Nahrungslieferant. Die Wellenbrecher waren so angeordnet, dass Kapitäne, die die hiesigen Gewässer nicht kannten ihre Schiffe unmöglich unbeschadet hindurchmanövrieren konnten. In Friedenszeiten übernahmen Lotsen diese Aufgabe, im Falle eines Krieges standen Schiffe bereit, die in den schmalen Passagen zwischen den Steinwänden versenkt werden konnten.

Der Platz zwischen den Mauern und dem Ozean war die Heimat für fünfzehntausend Menschen, eine unglaubliche Menge. Aber nur wenige der Einwohner waren in der Lage, diese Zahl zu begreifen und noch weniger konnten sie niederschreiben. Schreiben und lesen waren wenig verbreitete Fähigkeiten. Nur die Händler, die Offiziere und die wenigen Adligen waren damit vertraut. Unter den Arbeitern, den Bauern und den Matrosen gab es höchstens einen von hundert, der in der Lage war, gesprochene Worte in Schrift zu verwandeln und diese später auch wiederzugeben.

Gerda näherte sich der Stadtmauer aus Norden kommend, vom Waldesrand. Die Wachposten musterten sie kritisch, sagten jedoch kein Wort und ließen sie anstandslos passieren.

Seit ihrem letzten Besuch in Wolfsstein waren viele Jahre vergangen, fünf um genau zu sein. Und doch war alles noch so, wie sie es in Erinnerung hatte.

Gleich hinter dem Stadttor boten die ersten Händler ihre Waren an. Es waren vorwiegend Lebensmittel. Jeder Fremde, der Wolfsstein erreichte, war vorher mindestens fünf Tage unterwegs, ohne auf eine menschliche Behausung zu treffen. Was lag näher, als die Sinne der Reisenden mit dem Geruch von gebratenem Fleisch und frisch gebackenem Brot zu verwirren? Dass die Preise für die Lebensmittel hier nahezu doppelt so hoch waren, wie im Stadtzentrum konnten die Fremden nicht wissen. Es hatte einst einen pfiffigen Händler gegeben, der versucht hatte auf halber Strecke zwischen Wolfsstein und dem fünf Tagesreisen entfernten Wildbach eine Herberge zu eröffnen. Nachdem man seine grauenvoll entstellte Leiche in der Ruine seiner halbfertigen Gaststätte entdeckt hatte, wurde nie wieder ein ähnlicher Versuch unternommen.

Gerda ritt an der Stadtmauer entlang in Richtung des Hafens. Der Weg durch das Zentrum der Stadt wäre zwar kürzer, er würde sie aber unweigerlich am Gefängnis vorbeiführen, einem Ort, der noch immer böse Erinnerungen an Folter und Qual in ihr wachrief. Ihr Ziel war das Armenviertel.

Erik, der Tuchhändler hatte dort vor vielen Jahren ein Haus gekauft. Damals waren die Bewohner dieser Gegend größtenteils Seeleute. Viele von ihnen nahmen Eriks Waren mit auf ihre Reisen, verkauften sie mit Gewinn und kauften nach ihrer Rückkehr noch mehr seiner Stoffe. Manche brachten ihm auch fremdländische Artefakte mit, um sie gegen seine Waren einzutauschen. Das Geschäft lief hervorragend.

Bis irgendwann die Schiffe ausblieben. Das übersteigerte Sicherheitsdenken der Wolfssteiner und ihre geradezu panische Angst vor einem Angriff vom Meer aus führte dazu, dass immer weniger Kapitäne bereit waren, das Risiko einzugehen, ihre Schiffe durch die Abwehranlagen an Wolfssteins Küste zu manövrieren.

Das war auch nicht mehr notwendig, da das bis dahin eher beschauliche Städtchen Wildbach die Zeichen richtig gedeutet und den eigenen Hafen zu einem gigantischen Umschlagsplatz ausgebaut hatte. Seither lief Wildbach Wolfsstein den Rang einer Küstenhandelsstadt ab und das einst angesehene Seefahrerviertel wurde zum Umschlagplatz für Hehlergut und zum Aufenthaltsort für allerlei zwielichtiges Gesindel.

So gesehen war das Ende, welches dem Tuchhändler beschieden war, nicht einmal so überraschend. Irritierend waren für Gerda allerdings die Umstände, die das Ableben Eriks begleiteten.

Warum sollte jemand Weinfässer bei einem Tuchhändler stehlen, man brach ja auch nicht in ein Gasthaus ein, um die Bettlaken mitzunehmen!

Und wer tötete die Einbrecher und gleichzeitig den Bestohlenen?

Es war alles so verwirrend, dass eigentlich nur eine Erklärung übrig blieb: es gab keine Erklärung und alles war nur ein Zufall.

Vorsichtig näherte sich Gerda dem Haus des Tuchhändlers. Sie hatte sich eine Strategie zurechtgelegt, um sich den Tatort anschauen zu können, sollte man versuchen, sie daran zu hindern. Allerdings waren alle Pläne hinfällig, als sie sich dem Haus auf einen Steinwurf genähert hatte. Zum einen gab es niemanden, der versuchte, sie fernzuhalten; zum anderen brauchte sie nicht näher an das Gebäude, um zu wissen, was passiert war. Der Geruch war unverkennbar. Wie eine Woge schlugen die Erinnerungen über ihr zusammen. Die Erinnerungen an eine Zeit, als die Hierarchie der Welt noch anderen Gesetzmäßigkeiten unterworfen war.

Es würde das Ende sein. Unwiderruflich. Entweder würde die Schwesternschaft untergehen, oder die Traumfänger würden dem Vergessen anheimfallen. Es würde heute geschehen. Unausweichlich.

Zu sagen, es standen sich zwei Heere gegenüber, wäre übertrieben, betrachtet man die Zahlen der Krieger. Betrachtet man jedoch ihre Macht, muss man sagen, es standen sich zwei Welten gegenüber.

Auf der einen Seite die Traumfänger, geflügelte Dämonen im Dienste der Hexenmeister aus dem Osten die seit Anbeginn der Zeit die Geschicke allen Lebens bestimmt hatten. Sie waren nach eigenem Bekunden die Erstgeborenen, der Beginn der Existenz und auch deren Ende. Auf der anderen Seite die Schwesternschaft des reinen Weges, von den Menschen als Hexen verflucht und gefürchtet.

Als die Auseinandersetzung begann, erzitterte die Erde unter dem Getöse der aufeinander prallenden Heere. Der aufgewirbelte Staub verdunkelte den Himmel und verwehrte den Strahlen der Sonne den Zutritt. Es wurde kalt auf der Welt für eine sehr lange Zeit, bitterkalt!

Das vergossene Blut der Gegner tränkte die Äcker und machte sie unfruchtbar.

Der Kampf tobte viele Wochen und die Magie, die von den Gegnern als Waffe benutzt wurde, war überall auf der Welt zu spüren. Es lag ein feines Singen in der Luft, die Tiere verhielten sich unruhig und die Menschen klagten vermehrt über Schlafprobleme. Viele wachten schweißgebadet auf und sahen noch die letzten Fetzen ihrer Träume im Geist davon schweben, geflügelte Ungeheuer mit fürchterlichen Klauen und bluttriefenden Fängen.

Als der Kampf vorbei war, fühlte sich keine Seite als Sieger. Zu hoch waren die Verluste auf beiden Seiten. Am schlimmsten jedoch war der Umstand, dass die eingesetzte Magie für immer verloren war. Unwiederbringlich war sie mit der Umgebung verschmolzen. Die Pflanzen hüllten sich nun in eine ganz besondere Aura, die Tiere begannen, ihr Dasein zu begreifen, der Kampfplatz war ein Ort von ganz besonderer Schönheit geworden.

Es war der Geruch der Traumfänger. Es gab keinen Zweifel!

Die Erstgeborenen waren auf die Welt zurückgekehrt!

Im Bann der Traumfänger

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