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5.

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Die Tage kamen und vergingen. Baldurs Zustand verbesserte sich sichtbar. Fieberphantasien wurden abgelöst von Momenten der Klarheit, denen wiederum ein todesähnlicher Schlaf folgte, so tief und fest, dass kaum eine Atmung festzustellen war. Gerda hatte aus Ästen und Zweigen eine behelfsmäßige Trage zusammen-gezimmert, welche in der Lage sein sollte, das Gewicht ihres Sohnes zu tragen.

Der Überfall auf ihr Zuhause lag siebzehn Tage zurück, als sich Gerda entschloss, diesen Ort für immer zu verlassen. Es versprach ein wunderschöner Tag zu werden. Ein leichter Wind ermutigte die Bäume, mit ihren Blättern eine sanfte Melodie aus Wispern und Rascheln anzustimmen, während die Vögel in den Wipfeln die Köpfe unter den Flügeln hervorholten, unschlüssig, ob sie in das Lied des Waldes einstimmen sollten. Die Sonne war noch nicht zu sehen, jedoch konnte man ihr Erscheinen bereits erahnen.

Gerda ging mit der Trage in der Hand zu ihrem noch immer namenlosen Pferd.

„ Hast du dir einen Namen ausgedacht, oder möchtest du, dass ich dir einen aussuche?“

Mittlerweile fand sie es nicht mehr befremdlich, mit einem Pferd zu reden. Es war ja sonst niemand da.

„ Ich glaube, ich sollte dich Alsvidr nennen; der Name des Pferdes, welches den Sonnenwagen zieht. Oder wäre das zu anmaßend? Wie gefällt dir Ullrein oder Donar? “

Während Gerda das Tragegestell am Sattel befestigte, tätschelte sie mit einer Hand den Hals des Pferdes.

„ Ist dir alles zu kompliziert, oder? Wie wäre es mit Nils? “

Sie verknotete die letzten Gurte, nahm die Zügel in die Hand und ging hinüber zu ihrem Sohn, der noch immer schlief. Das Pferd schnaubte leise.

„ Jetzt hör auf, dich zu beschweren. Nils ist ein rechtschaffener Name. Viele großartige Männer hießen Nils.“

Das Schnauben des Tieres wurde lauter. Störrisch stemmte es seine Hinterbeine in den Waldboden, nicht bereit, auch nur einen Schritt weiter zu gehen.

Nervös versuchte Gerda zu erkennen, was das Pferd so beunruhigte. Sie spähte in die Dämmerung zwischen den Bäumen, lauschte den Geräuschen des erwachenden Waldes, doch nichts deutete auf eine Gefahr hin.

Doch plötzlich glaubte sie, eine schemenhafte Bewegung zwischen den Bäumen wahrzunehmen. Ganz langsam näherte sie sich dem Rand der Lichtung, als hinter ihrem Rücken unvermittelt ein ohrenbetäubendes Brüllen ertönte. Gerda fuhr auf der Stelle herum und sah eine riesige Gestalt zwischen den Bäumen hervorbrechen. Das Wesen ähnelte einem Menschen, wobei es allerdings eine Körpergröße von beinahe acht Fuß erreichte. Die gewaltigen lederartigen Flügel auf seinem Rücken verstärkten das Entsetzen noch, welches von Gerda Besitz ergriffen hatte. Nils, der in panischer Angst versuchte, sich von dem Tragegeschirr zu befreien, hatte keine Chance. Mit einem Hieb seiner gewaltigen Pranken brach der Dämon dem Pferd das Genick. Als der Traumfänger Gerda das Gesicht zuwandte, konnte sie auch, wie bereits in Wolfstein, den vertrauten Geruch von Tod und Verwesung wahrnehmen, welcher das Erscheinen dieser Kreaturen seit jeher begleitete.

Vom Entsetzen gelähmt sah Gerda nicht, wie die Schatten hinter ihr, denen sie sich gerade genähert hatte, Gestalt annahmen. Während sie den Traumfänger und das tote Pferd, dem sein neuer Name kein Glück gebracht hatte, anstarrte, vernahm sie nicht das Rascheln in ihrem Rücken, nicht die flüsternden Stimmen, die Beschwörungen in der alten Sprache murmelten. Doch ihr Instinkt verriet ihr, dass sich ihr etwas näherte. Eine kreatürliche Angst lies prickelnde Schauer ihren Rücken hinaufwandern. Vorsichtig begann sie sich umzudrehen, doch sollte sie diese Bewegung nie zu Ende führen. Bevor sie sehen konnte, was in ihrem Rücken geschah, löschte ein greller Blitz ihr Bewusstsein aus.

…Sie hatte geglaubt, immun zu sein, nicht in der Lage einen Menschen zu lieben, einen Priester. Sie hatte sich getäuscht!

Die Beziehung zwischen ihr und Ansgar war etwas Einmaliges, etwas Wundervolles. Es war die Verschmelzung zweier verbotener Götter, die Wiedergeburt des alten Glaubens und gleichzeitig der Beginn einer neuen Hoffnung.

Sie waren wie im Rausch, gaben sich ohne Bedenken dem anderen hin.

Sie liebten sich wie Verdurstende, die nach Wochen des Darbens auf eine Wasserstelle treffen, wie Erfrierende, die plötzlich mitten im ewigen Winter ein Lagerfeuer vorfinden: gierig und zügellos!

Es war ein intensiver aber kurzer Sommer der Euphorie und Träumereien, dem ein bitterer Herbst folgen sollte.

Bregos Gefolgsleute hatten es geschafft, einen Spion in den Reihen der Getreuen Ansgars unterzubringen. Durch dessen Verrat war es ihnen ein Leichtes, das unterirdische Versteck aufzuspüren. Fast alle Anhänger der alten Götter wurden getötet, Gerda wurde gefangen genommen und Ansgar konnte mit seinen beiden Leibwächtern, Lars und Gunnar, fliehen.

Die folgenden Wochen bestanden für Gerda aus Schmerz und Qualen, aus Folter und Gewalt.

In der Nacht, bevor Gerda das Brandzeichen der Hexen erhalten und auf dem Markt für sieben Tage zur Schau gestellt werden sollte, überfiel Ansgar mit dem Rest seiner Getreuen das Gefängnis. Und obwohl sie dabei alle den Tod fanden, glomm der Funke der Hoffnung weiter, da Gerda die Flucht gelungen war.

Mit sehr viel Glück und mit Hilfe ihrer Fähigkeiten gelang es ihr, zu ihren Schwestern zurückzukehren, nur um festzustellen, dass diese sich entschlossen hatten, den Kampf gegen den Baaliel-Kult gar nicht erst aufzunehmen.

Die Schwesternschaft war total zerstritten. Ein Teil war der Meinung, dass es doch egal sei, welchen Gott die Menschen anbeteten. Es sei nur wichtig, die Kontrolle über alles Leben zu behalten. Hilda führte diese Gruppe an.

Der Rest der Hexen hatte sich um die vorsichtige Sonja gescharrt. Sie betrachteten das Verhalten ihrer Schwestern als Verrat an den Göttern. Sie befürworteten einen Rückzug der Schwesternschaft, ein Leben fern der Menschen um des eigenen Überlebens willen.

Sonja war es auch, die Gerdas Schwangerschaft feststellte und alle Schwestern an die alte Prophezeiung erinnerte.

„Am Anbeginn der Zeit wurden den Göttern zwei Kinder geboren, Sol und Mani.

Als die Götter die unvergleichliche Schönheit der Kinder sahen, beschlossen sie, sie zu Hütern des Wertvollsten zu machen, welches je erschaffen wurde, der Sonne und des Mondes. Und so kam es, das Sol die Wagenführerin des Streitwagens der Sonne wurde, während ihr Bruder Mani den Wagen des Mondes lenkt. Aber Ve, der Gott des Übels, wurde eifersüchtig. Er erschuf zwei finstere Kreaturen, die er den Kindern hinterjagte, die Wölfe Skalli und Hati.

Skalli verfolgt den von Sol gelenkten Sonnenwagen, sein Bruder Hati jagt dem Mondwagen hinterher. Am Ende aller Tage wird Hati den Wagen Manis einholen und den Mond verschlingen. Das Blut des Mondes wird auf die Sonne spritzen und diese für sehr lange Zeit verdunkeln. Das wird das Ende allen Lebens sein.

Doch sagt die Legende, dass einst einer Wissenden zwei Kinder geboren werden, die das Ende der Welt verhindern können. Es werden, ebenso wie Sol und Mani, Zwillinge von unvergleichlicher Schönheit sein.

Die Mutter wird die Kinder in Zeiten größter Not empfangen und für viele Jahre sicher in ihrem Leib verwahren. Wenn die Zeit gekommen ist, wird sie gebären.“

Und so war es geschehen. Gerda hatte ihre Schwestern verlassen, um ihr eigenes Leben zu führen. Sie lebte viele Leben an vielen Orten. Immer wenn ihr jeweiliger Lebensgefährte starb, wusste sie, dass es an der Zeit war, weiterzuwandern. Als sie schließlich Arnulf kennen lernte, begann Ansgars Samen Früchte zu tragen. Gerda brachte die Zwillinge Freya und Baldur zur Welt, benannt nach den alten Göttern. Arnulf glaubte bis zuletzt, der Vater zu sein. In gewisser Weise war er es auch. Schließlich zog er sie gemeinsam mit Gerda groß und schenkte ihnen seine Liebe.

Der Regen tropfte von den Blättern auf Gerdas Gesicht. Das Geräusch der fallenden Tropfen bildete einen eigenen Rhythmus, gerade so, als wollten sie ihr eine Botschaft vermitteln. Eine leicht verständliche Botschaft für jene, die bereit waren, zu verstehen. Und Gerda war bereit. Ganz vorsichtig bildeten sich in ihrem Kopf Worte aus dem Takt des Regens. Worte, deren Bedeutung sie einst kannte, gesprochen von einer kindlichen Stimme, ähnlich der ihres Sohnes.

Es war wirklich Baldurs Stimme, die zu ihr sprach. Und auch die Worte erkannte sie:

„ Mutter wach auf. Bitte, du musst aufwachen.“

Zaghaft öffnete Gerda ihre Augen und stellte überrascht fest, dass es gar nicht regnete. Es waren Baldurs Tränen, die wie eine Sturzflut auf ihr Gesicht heruntertropften. Fassungslos starrte Gerda ihren Sohn an, unfähig, das Chaos hinter ihrer Stirn zu ordnen.

„Oh, du bist munter. Das ist gut.“

Das hässliche Gesicht einer alten Frau schob sich in ihr Blickfeld.

“Wir dachten schon, du würdest nie wieder erwachen.“

„Bist du das, Rosa?“

Ungläubig betrachtete Gerda das Gesicht der Alten.

„Wo kommst du denn so plötzlich her? Hast du den Traumfänger gesehen? Es war schrecklich. Ich hätte nie geglaubt, dass sie zurückkehren würden.“

„Nun hol doch erst einmal Luft, Kindchen“ sagte eine zweite Stimme hinter Gerda. Selbst, wenn sie die Stimme nicht erkannt hätte, wären doch keine Zweifel an der Identität der Besitzerin aufgekommen. Es gab nur eine Schwester, die sie ständig „Täubchen“ oder „Kindchen“ genannt hatte.

„Hilda!“

Dieses eine Wort war eine Feststellung, ein Aufschrei und eine Frage gleichermaßen. Langsam richtete Gerda sich auf.

„Das dürfte eine interessante Geschichte werden. Doch zunächst…“

Sie stand auf und ging zu ihrem Sohn, der sich, noch immer weinend, neben den toten Nils gekauert hatte.

„..gibt es nichts Interessanteres als meinen geliebten Baldur.“ Sie nahm ihn fest in ihre Arme.

Im Bann der Traumfänger

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