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4.

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Tim, der alte Bär, lebte schon seit vielen Zeitaltern an den Ufern des Flusses.

Er hatte einst seinen Freund, den Fuchs, losgeschickt, um Ursula zu Widukind zu führen, er hatte die hungrige Frau mit Honig versorgt und in den kalten Nächten durfte sie sich an sein Fell schmiegen. Er war es auch, der sich um die leblosen Körper der Liebenden gekümmert hatte. Zuerst um Ursula und Jahre später um Widukind. Doch niemals würde er jemandem verraten, was mit Ihnen geschah.

Und nun saß er hier, ratlos, am Ufer des Nerd.

„Achte auf die Zwillinge der Hexe“ hatten sie ihm gesagt.

„ Beschütze sie, wenn du Ihnen begegnest“ lautete sein Auftrag.

Und er hatte ihn erfüllt! Stolz betrachtete er das Menschenkind zu seinen Füßen. Das Junge wäre ertrunken, wenn er, Tim, es nicht gerettet hätte.

Doch wie sollte es jetzt weitergehen? Er war ein Bär und nicht in der Lage, sich um ein Menschenjunges zu kümmern. Betrübt leckte er dem Jungen das Gesicht, worauf dieser undeutliche Worte zu murmeln begann. Erschrocken fuhr der Bär zurück. Es war an der Zeit, zu verschwinden, bevor das Kind wieder zu sich kam. Fast lautlos zog sich der alte Tim zurück und als Baldur Augenblicke später die Augen öffnete, glaubte er, von einem Bären geträumt zu haben, der ihn aus dem Fluss gerettet hatte.

Etwas benommen betrachtete Baldur die Umgebung, in die es ihn verschlagen hatte. Er saß unweit des Flusses auf einer Wiese am Waldesrand. Vor ihm, in Richtung Süden schien die Wiese endlos zu sein. Hinter ihm lag schweigend der Nadelwald und nordöstlich erhoben sich die gewaltigen Berge, in denen sich, verborgen in einem tiefen Tal, Ursulas Höhle befand. Sehnsüchtig blickte Baldur in diese Richtung in der Hoffnung, Hildas roten Haarschopf irgendwo auftauchen zu sehen. Aber er konnte nichts sehen. Dafür sah man ihn umso besser, wie ihm plötzlich bewusst wurde. Was, wenn die Traumfänger Hilda getötet hatten und jetzt auf der Suche nach ihm waren? Er konnte nicht hier bleiben, sondern musste zurück in den Wald. Dort war er sicher. Allerdings hatte Hilda gesagt, er solle nach Süden gehen. In dieser Richtung erstreckte sich, soweit das Auge reichte, eine Graslandschaft. Es gab dort kaum Möglichkeiten, sich vor etwaigen Verfolgern zu verstecken. Baldur beschloss, Hildas Rat vorerst zu ignorieren. Er würde im Schutze des Nadelwaldes in Richtung Westen wandern, geradeso, als hätte er mit Rosa und Hilda die Schlucht mit Ursulas Höhle überquert um den einmal eingeschlagenen Weg geradlinig fortzusetzen. Er konnte nicht ahnen, dass diese Entscheidung weitreichende Konsequenzen haben, und sehr viel Leid nach sich ziehen würde.

Nicht einmal fünf Meilen südlich von Baldurs jetzigem Standort wurde die Wiese von einem kleinen Bach zerschnitten. Auf der einen Seite des Baches begann ein kleines Wäldchen, auf der anderen Seite stand eine Hütte vor deren Tür ein alter Mann saß, der gemütlich eine Pfeife rauchte und geduldig auf das Erscheinen des Bruders der kleinen Freya wartete.

Doch dies konnte der Junge nicht ahnen. Und so kam es, dass Baldur seine Schritte hinein in den Tannenwald lenkte, fort von der Wiese, seiner Schwester und dem alten Thoralf, der sich seit einiger Zeit um Freya kümmerte.

Als am Abend desselben Tages eine abgekämpfte Hilda den Fluss überquerte und die Blumenwiese betrat, konnte sie nicht wissen, dass Baldur entgegen ihres Rates in Richtung Westen weitergegangen war. Sie setzte ihre Reise nach Süden fort und der alte Tim, der das Geschehen beobachtete, schüttelte seinen gewaltigen Kopf und dachte „Menschen!“. Dann trottete auch er von dannen, immer auf der Spur des Menschenjungen, den zu beschützen er versprochen hatte. So nahm das Schicksal seinen Lauf und niemand vermag heute zu sagen, ob es gut oder schlecht war, dass Baldur erst sehr viel später bei Thoralf ankam.

Eines jedoch ist gewiss; die Zeit zwischen der Schlacht in Ursulas Höhle und dem Beginn der Ausbildung bei Thoralf machte aus dem Kind Baldur einen mutigen jungen Mann.

Die Sonne begann, sich dem Horizont zu nähern, die Dämmerung zog herauf.

Obwohl Baldur im beständigen Zwielicht inmitten der Nadelbäume unterwegs war, konnte er doch die Veränderung wahrnehmen. Hatte er sich zunächst vor dem Wald gefürchtet, so verstand er mittlerweile immer besser, was Rosa gemeint hatte, als sie sagte, die Tannen und Kiefern seien die freundlichsten Geschöpfe in diesem Teil der Welt. Er fühlte eine Geborgenheit, wie schon lange nicht mehr. Die Schatten zwischen den Bäumen bargen keinen Schrecken für ihn, im Gegenteil, sie waren warm und freundlich. Sie schützten ihn vor fremden Blicken und die dicke Schicht brauner Tannennadeln, die auf dem gesamten Waldboden verteilt war würde ganz sicher ein bequemes Nachtlager bilden. Während Baldur seine Gedanken schweifen lies, merkte er nicht, dass die Abstände zwischen den Bäumen immer größer wurden. Unvermittelt betrat er eine Lichtung und stieß einen überraschten Schrei aus, als er feststellte, dass er nicht allein war. Auf der Lichtung stand ein junger Mann, in grüne und braune Gewänder gekleidet. Im Moment beugte er sich über einen Hirsch, den er allem Anschein nach gerade erlegt hatte. Als er den Schrei in seinem Rücken vernahm, fuhr er mit dem Messer in der Hand herum.

„Nun, was mag das für eine Geschichte sein? Ein Kind allein im Wald, die Nacht beginnt bereits und weit und breit kein Unterschlupf“

Amüsiert betrachtete der Fremde Baldur.

„Wirst du sie mir erzählen, deine Geschichte?“

Eigentlich schien von dem Fremden keinen Gefahr auszugehen, irgendwie war er Baldur sofort sympathisch, aber Hilda hatte ihn gewarnt, niemandem zu vertrauen. Andererseits war er bewaffnet und hatte gerade ein königliches Abendessen erlegt. Baldur beschloss, nur einen Teil seiner Geschichte preiszugeben.

„ Mein Name ist Baldur und ich war unterwegs mit meinen beiden Tanten. Wir wollten meinen Onkel besuchen. Doch wir wurden von Räubern überfallen und getrennt. Ich bin in den Fluss gefallen und habe das Bewusstsein verloren. Jetzt bin ich hier, wo immer das auch sein mag, und weiß nicht, wo ich hingehen soll“

Das war eine extrem vereinfachte Form seiner Geschichte, die so nahe an der Wahrheit blieb, wie es dem Jungen geraten schien.

„Nun, das mag so sein, oder auch nicht. Wenn interessiert es? Jedenfalls hast du Glück, dass wir uns begegnet sind. Nicht weit von hier befindet sich das Dorf, in dem ich wohne, doch ohne meine Hilfe hättest du es sicher nicht gefunden. Du bist herzlich eingeladen, die Nacht in einer behaglichen Hütte zu verbringen. Ich bin ein Niemand, denn so nennen wir uns selber. Wir sind unsichtbar für die anderen Menschen, weil wir gelernt haben, uns zu tarnen. Immer wenn jemand meint einen Schatten vorbeihuschen gesehen zu haben und ruft „ Hallo, wer ist dort?“, aber niemand reagiert, beantwortet er seine Frage selber: „Niemand“. Das ist der Grund, warum wir uns so nennen.“

Unwillkürlich musste Baldur lächeln. Hatte ihm Hilda nicht geraten, Niemandem zu trauen? Nun, hier war ein Niemand! Hieß das jetzt, dass er ihm trauen konnte?

„ Wenn ihr solche Meister im Tarnen seid, dass ihr nahezu unsichtbar werdet, muss ich wohl über den magischen Blick verfügen. Ich sehe dich klar und deutlich.“

Jetzt lächelte auch der Niemand.

„ Ich war unvorsichtig. Seit vielen Tagen bin ich auf der Jagd, es sind schwere Zeiten. In den Wäldern lebt kaum noch Wild und alle quält der Hunger. Keiner weiß, wohin die Tiere verschwunden sind.“

Der Niemand hielt Baldur seine ausgestreckte Hand entgegen.

„Schlag ein und versprich mir, dass du das Versteck unseres Dorfes nicht verraten wirst. Dann können wir gemeinsam diesen kapitalen Hirsch auf unsere Schultern legen und triumphierend auf den Dorfplatz marschieren“

Baldur reichte dem Fremden die Hand und versprach lächelnd, Niemandem den geheimen Platz zu verraten, an dem das Dorf zu finden wäre.

„ Hast du eigentlich auch einen Namen, Herr Niemand? Ich meine, einen richtigen Namen. Ihr könnt doch nicht alle Niemand heißen. Wie soll man euch den da auseinander halten können?“

„ Du kannst mich Wido nennen, denn ich bin ein Kind des Waldes. Und nun komm, lass uns gehen“

Wido warf sich den Hirsch über die Schultern und ging in Richtung Süden davon, zurück in die Richtung in der Ursulas Höhle lag. Das gefiel Baldur überhaupt nicht, doch wollte er die Nacht mit einem vollen Bauch in der Sicherheit eines Dorfes verbringen, musste er wohl oder übel folgen.

Seine Sorge erwies sich als unbegründet, denn nach einer knappen Meile waren sie bereits an ihrem Ziel angekommen. Sie kamen aus dem Wald auf eine weitere Lichtung, auf der dicht aneinander gedrängt etwa ein dutzend Hütten standen. Verwundert fragte sich Baldur, warum Wido der Meinung war, dass dieses Dorf unauffindbar sei. Allmählich begann der Junge zu fürchten, es mit einem Verrückten zu tun zu haben, der sich einbildete unsichtbar zu sein, ebenso wie sein Dorf.

Aber das war ihm egal. Verrückt oder nicht, Wido hatte eine eigene Hütte und einen ganzen Hirsch auf seinem Rücken. Nur das zählte im Moment.

Als die beiden das Dorf betraten, kamen die Bewohner aus ihren Hütten und begannen zu jubeln angesichts des zukünftigen Festbratens auf Widos Schultern.

Wido ließ den Hirsch zu Boden gleiten und sofort kamen einige Frauen, um sich der Zubereitung des Tieres zu widmen.

Nachdem Baldur der Dorfgemeinschaft vorgestellt worden war, führte ihn Wido zu einem Haus etwas abseits vom Zentrum des Dorfes.

„ Hier wohne ich mit meiner Familie. Du kannst dich hier ein wenig ausruhen, während wir das Essen vorbereiten. Ich schicke dir meinen Sohn vorbei, sobald das Fest beginnt“

Baldur betrat die Hütte. Etwas überrascht sah er sich um. Von außen hatte die Behausung einen eher primitiven Eindruck auf ihn gemacht, im Inneren jedoch wirkte sie geräumig und fast schon luxuriös. Müde legte sich der Junge auf eines der Betten und während er dem Trubel vor der Hütte lauschte, schlief er ein.

„ Steh auf, das Essen ist fertig. Beeile dich, wenn du etwas abbekommen möchtest“

Baldur öffnete die Augen und sah einen Jungen mit hellblonden Haaren vor seinem Bett stehen.

„ Na los, du Schlafmütze, steh auf“

Noch immer müde, aber auch sehr hungrig erhob sich Baldur.

„ Mein Name ist Simon und wie heißt du?“

„ Hier heißen scheinbar doch nicht alle Niemand. Einige haben ganz gewöhnliche Namen.“

Während Baldur dies dachte, fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare.

„ Ich heiße Baldur“

„Ein schöner Name. Wir werden bestimmt Freunde!“

Baldur sagte Simon nicht, dass er nicht vorhatte, so lange zu bleiben. Er folgte dem Jungen nach draußen.

Dort herrschte eine rege Betriebsamkeit. Die Dorfgemeinschaft saß um das Lagerfeuer verteilt und alle starrten aufgeregt auf den Braten, der langsam über dem Feuer gedreht wurde. Der Hunger hielt die Bewohner des Dorfes nicht davon ab, wild durcheinander zu reden, zu lachen und zu schimpfen. Mittendrin gewahrte Baldur einige Kinder, die herumtollten und einander Streiche spielten.

Sein Herz wurde schwer, denn plötzlich musste er an Freya denken. Sie hatten auch immer zusammen gespielt und allerlei Unfug ausgebrütet. Wo mochte sie jetzt wohl sein?

Wido kam auf Baldur zu.

„Hast du dich ein wenig erholt? Ich möchte dir jemanden vorstellen. Vielleicht kann sie dir helfen.“

Mit diesen Worten nahm er Baldur bei der Hand und führte ihn an Gruppen aufgeregt plappernder Dorfbewohner vorbei zu einer abseits sitzenden jungen Frau.

„ Hallo Marie. Hier ist der Junge, von dem ich dir erzählt habe.“

Marie sah zu Baldur auf.

„Setz dich zu mir, Baldur, Gerdas Sohn. Lass uns etwas essen, denn du musst hungrig sein“

„ Woher kennen sie den Namen meiner Mutter?“

Verwirrt sah Baldur die junge Frau an. Sie hatte lange tiefschwarze Haare und in ihren Augen glaubte er ein Glitzern zu erkennen.

„ Sie sind auch eine Hexe, nicht wahr?“

Marie lies ein helles Lachen erklingen.

„ Es ist nicht gerade galant, eine junge Frau als Hexe zu bezeichnen, mein Junge. Deine Offenheit könnte dir in Zukunft einigen Ärger einbringen. Auf jeden Fall bleibst du für immer ein Junggeselle, wenn du nicht an deinen Umgangsformen arbeitest.“

Maries Lachen verstärkte sich und Baldur hätte in diesem Augenblick geschworen, nie eine schönere Frau gesehen zu haben.

„ Lass uns erst essen, dann werde ich deine Fragen beantworten. Doch eines möchte ich gleich richtig stellen: Ich bin keine Hexe!“

Die folgende Stunde verbrachte Baldur an Maries Seite, ständig damit beschäftigt seinen Teil des köstlichen Bratens zu verzehren, nicht zu viel von dem vergorenen Traubensaft zu trinken und ununterbrochen die Anmut seiner Tischgefährtin zu bestaunen. Als die Nacht weit fortgeschritten und der Hunger gestillt war, nahm Marie den Jungen zur Seite.

„ Ich glaube, wir sollten uns nun ein wenig unterhalten. Zunächst einmal nehme ich an, dass die beiden Tanten, mit denen du unterwegs warst, auf die Namen Rosa und Hilda hörten.“

Baldur konnte nicht anders, er nickte.

„Gut! Wie kommt es dann, dass du hilflos und verloren hier auftauchst? Ohne die beiden mächtigsten Hexen, die je gelebt haben?“

Marie sah tief in Baldurs Augen und ohne an Hildas Warnung zu denken, sprudelte die ganze Geschichte aus ihm heraus, angefangen bei Freyas Alptraum bis hin zu Rosas Tod und Hildas vermutlich letztem Kampf.

Als er geendet hatte, herrschte für eine geraume Zeit Schweigen. Marie starrte in die Flammen des Feuers und schien über das Gehörte nachzudenken. Baldur sah auch in die Flammen. Er war entsetzt, wie schnell er Hildas Warnung vergessen und einer Wildfremden alles erzählt hatte. Als er seine Augen auf Marie richtete, sah er sie lächeln.

„ Mach dir keine Sorgen, zu viel gesagt zu haben. Niemand vermag, mir zu widerstehen. Es ist eine Gabe, ähnlich der Kunst der Hexen. Wer mir in die Augen schaut, redet die Wahrheit, ob er will, oder nicht. Deine Geschichte ist bei mir sicher, obschon ich gestehen muss, dass sie mich schockiert hat. Rosa tot und Hildas Schicksal ungewiss, die Traumfänger wieder unter uns und du bist vom Weg abgekommen. Das mag sich als schlimm erweisen!“ Nachdenklich sah Marie zum Waldrand und als Baldur ihrem Blick folgte, glaubte er am Rande des Lichtscheins einen gewaltigen Bären zu sehen. Doch da Marie keine Anstalten machte, in Panik zu verfallen, zuckte Baldur nur mit den Schultern und sah in eine andere Richtung.

„Darf ich dir eine Frage stellen?“

„ Nur zu“ antwortete Marie lächelnd.

„ Wido erzählte mir, dieses Dorf sei unauffindbar, ebenso, wie er unsichtbar wäre. Ist er verrückt, oder ist das wieder so ein Geheimnis, das ich noch nicht erfahren darf, weil ich noch ein Kind bin?“

„Nein und ja“

„Ist das ein Rätsel?“

„Nein. Wido ist mitnichten verrückt, doch ist das Geheimnis unseres Dorfes nicht für fremde Ohren bestimmt. Wärst du allein hierhergekommen, hättest du das Dorf nicht gefunden. Übrigens finde ich den Gedanken witzig, dass Wido verrückt sein könnte. Du musst wissen, dass er mein Gemahl und Simon unser gemeinsamer Sohn ist.“

Erneut ertönte Maries glockengleiches Lachen und Baldur kam sich ziemlich bescheuert vor.

„ Wir sollten heute Nacht ausgiebig ruhen, doch im Morgengrauen will ich mich gemeinsam mit dir auf den Weg machen. Hilda hatte Recht. Du musst so schnell wie möglich zu Thoralf und mit deiner Ausbildung beginnen.“

Ein Schatten schien sich auf Marie gelegt zu haben. Sie wirkte plötzlich traurig und verzweifelt.

„ Alles endet irgendwann“ hörte Baldur sie flüstern.

Im nächsten Moment schien sich die Erde aufzutun und der Himmel seine finstersten Kreaturen herabzuschicken. Neben Baldur ertönte ein fürchterliches Gebrüll und aus dem Wald brach ein riesiger Bär hervor. Doch niemand schien sich vor ihm zu fürchten. Alle starrten gebannt nach oben. Vom Himmel schwebten zwei Traumfänger herab. Eine Panik brach los. Die Dorfbewohner rannten wild durcheinander. Doch die Erstgeborenen verschwendeten keine Aufmerksamkeit auf sie, ihr Ziel hieß Baldur. Marie stellte sich schützend vor den Jungen und der Bär stellte sich vor Marie.

Die Traumfänger zögerten.

„Geh aus dem Weg, Weib. Vielleicht verschonen wir dein Dorf, wenn du uns den Jungen gibst“

Die Stimme der Kreatur erklang in allen Köpfen gleichzeitig, sanft, wie ein Frühlingsregen und betörend schön.

„Erkennst du mich denn nicht, elende Kreatur? Glaubst du wirklich, ich würde dir die Hoffnung der Welt zu Füßen legen. Wenn du den Jungen willst, musst du ihn dir holen.“

„Du wirst ihn mir bringen, Weib, denn kann ich diesen Balg nicht haben, nehme ich derweil mit deinem eigenen Sohn vorlieb.“

Mit diesen Worten stürzte sich der Traumfänger auf den hilflosen Simon und erhob sich mit ihm in die Lüfte. In diesem Augenblick geschahen viele Dinge gleichzeitig, Marie schrie auf, aus dem Wald kam ein weiterer Bär, noch gewaltiger, als der erste und Baldur rief Worte in einer Sprache, die er gar nicht kannte. Worte, die ihm scheinbar von selbst in den Mund flogen. Der Traumfänger sah sich außerstande, mit seiner Last höher zu steigen. Baldurs Worte schienen ihn knapp fünfzehn Fuß über dem Waldboden festzuhalten. Der zuletzt erschienene Bär setzte zu einem gewaltigen Satz an. Und während der alte Tim den Traumfänger ansprang und seine Klauen die Flügel der Kreatur zerfetzten, während Simon zu Boden fiel und von dem anderen Bären aufgefangen wurde, während Marie mächtige Worte auf die fürchterliche Kreatur schleuderte bemerkte niemand, wie ein Schatten aus dem Wald heraustrat und mit dem entsetzten Baldur unter seinem Arm lautlos wieder verschwand. Viele Jahre sollten vergehen, bevor Baldur erfuhr, was in dieser Nacht weiter geschehen war. Doch dies ist eine andere Geschichte die an anderer Stelle erzählt werden soll.

Im Bann der Traumfänger

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