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1. Teil Allgemeine Steuerlehre und allgemeines Steuerschuldrecht › D. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht

D. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht

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Da das Steuerrecht an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anknüpft, müssen wirtschaftliche Erwägungen bei der Besteuerung eine entscheidende Rolle spielen. Diese zeigen sich im Steuerrecht wie folgt:

1. Teil Allgemeine Steuerlehre und allgemeines SteuerschuldrechtD. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht › I. Auslegung der Steuergesetze

I. Auslegung der Steuergesetze

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Bei der Anwendung der Steuergesetze können gesetzliche Tatbestandsmerkmale nicht ohne weiteres wie in anderen Rechtsgebieten ausgelegt werden. Vielmehr muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob ein und derselbe Begriff bei der Anwendung eines Steuergesetzes anders auszulegen ist als etwa im Zivilrecht. So knüpft bspw. das Erbschaftsteuerrecht an die gleichen Vorgänge an wie das Erbrecht. Daher enthalten sowohl das ErbStG als auch das 5. Buch des BGB in ihren jeweiligen Tatbeständen insoweit identische Begriffe. Dabei gilt die Leitlinie, dass Begriffe in Steuergesetzen, die an Akte des Zivilrechtsverkehrs anknüpfen, grundsätzlich genauso auszulegen sind wie im Zivilrecht (zivilrechtsakzessorische Auslegung).

1. Teil Allgemeine Steuerlehre und allgemeines SteuerschuldrechtD. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht › II. Die Zurechnung von Sachen (wirtschaftliches Eigentum)

II. Die Zurechnung von Sachen (wirtschaftliches Eigentum)

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Gemäß § 39 Abs. 1 AO werden Wirtschaftsgüter dem Eigentümer zugerechnet. Maßgeblich für die Zurechnung ist nach dieser Grundsatzvorschrift also das Eigentum im zivilrechtlichen Sinne (Sacheigentum). Aber bereits der Begriff „Wirtschaftsgut“ deutet an, dass die Vorschrift nicht nur die Zuordnung von Sachen i.S.v. § 90 BGB regelt. Vielmehr fallen auch Forderungen unter den Begriff des Wirtschaftsguts.


Wirtschaftsgut i.S.v. § 39 AO sind Sachen, Rechte oder sonstige Vorteile wirtschaftlicher Art.

Da im zivilrechtlichen Sinne niemand Eigentümer eines Rechts sein kann, ist bereits an dieser Stelle eine vom Zivilrecht abweichende Auslegung des Begriffs des Eigentümers geboten. Der Begriff des Eigentümers meint auch den Gläubiger einer Forderung oder den sonstigen Rechtsinhaber (z.B. den Vorkaufsberechtigten).

Nach § 39 Abs. 2 AO sind Wirtschaftsgüter unter den dort genannten Voraussetzungen aber nicht dem zivilrechtlichen sondern dem wirtschaftlichen Eigentümer zuzurechnen.


Wirtschaftlicher Eigentümer ist, wer Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten eines Wirtschaftsguts innehat und den zivilrechtlichen Eigentümer insoweit vollständig verdrängt.

Maßgeblich für das wirtschaftliche Eigentum ist stets eine Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls.

Beispiel

Der Unternehmer U erwirbt eine Produktionsmaschine unter Eigentumsvorbehalt vom Großhändler H und übereignet sie kurz darauf zur Sicherung eines Darlehens an die Bank B, nutzt sie aber selbst weiter im Betrieb. Zivilrechtlicher Eigentümer ist B. Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ist die Maschine steuerlich aber dem U zuzurechnen.

Gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO werden Wirtschaftsgüter zudem niemals einer Gesamthand zugerechnet. Das Steuerrecht erkennt die zivilrechtliche Rechtsfigur der Gesamthandsgemeinschaft nicht an. Eine solche wird vielmehr stets als Bruchteilsgemeinschaft behandelt, d.h. das zivilrechtliche Eigentum einer Gesamthandsgemeinschaft gehört steuerrechtlich anteilig den einzelnen Gemeinschaftsmitgliedern.

Beispiel

Die ABC-OHG, an der A, B und C zu je einem Drittel beteiligt sind, ist als Eigentümerin eines von ihr vermieteten Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Zivilrechtlich ist die OHG Eigentümerin des Grundstücks. Nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO ist das Grundstück dagegen A, B und C zu je einem Drittel zuzurechnen.

1. Teil Allgemeine Steuerlehre und allgemeines SteuerschuldrechtD. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht › III. Unerheblichkeit von Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit

III. Unerheblichkeit von Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit

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Nach § 40 AO kommt es für die Besteuerung nicht darauf an, ob das Verhalten des Steuerpflichtigen neben einem Steuertatbestand auch ein gesetzliches Verbot erfüllt oder sittenwidrig ist. Die Wertneutralität des Steuerrechts erfordert, dass alleine das wirtschaftliche Ergebnis eines Verhaltens besteuerungsrelevant ist. Dies ist schon deshalb geboten, weil nicht einzusehen ist, wieso der rechtstreu Handelnde wirtschaftliche Vorteile versteuern soll, der rechtsuntreu Handelnde dagegen nicht.

1. Teil Allgemeine Steuerlehre und allgemeines SteuerschuldrechtD. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht › IV. Unerheblichkeit der Unwirksamkeit von Rechtgeschäften

IV. Unerheblichkeit der Unwirksamkeit von Rechtgeschäften

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Nach § 41 Abs. 1 S. 1 AO ist es für die Besteuerung grundsätzlich (vgl. § 41 Abs. 1 S. 2 AO) unerheblich, wenn ein Rechtsgeschäft unwirksam ist, solange das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts dennoch besteht. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn eine Übereignung zwar rechtlich nichtig ist, aber dennoch ein Wechsel des Eigentums im wirtschaftlichen Sinne erfolgt. Ergibt sich die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts aus § 134 BGB oder § 138 BGB, so ergibt sich die steuerliche Unerheblichkeit dieser Unwirksamkeit nicht aus § 41 AO sondern aus dem spezielleren § 40 AO.

1. Teil Allgemeine Steuerlehre und allgemeines SteuerschuldrechtD. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht › V. Unbeachtlichkeit von Scheingeschäften

V. Unbeachtlichkeit von Scheingeschäften

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Nach § 41 Abs. 2 S. 1 AO sind Scheingeschäfte steuerlich unbeachtlich.


Scheingeschäfte sind rechtlich wirksame Rechtsgeschäfte, deren wirtschaftliches Ergebnis von den Parteien nicht gewollt ist und deshalb entweder schon nicht herbeigeführt oder nicht bestehen gelassen wird.

Extrem praxis- und klausurelevant!

Die in Klausur und Praxis bedeutsamsten Fälle von Scheingeschäften sind Verträge zwischen Angehörigen, Verträge zwischen einer Kapitalgesellschaft und deren beherrschenden Gesellschaftern sowie Verträge zwischen Personengesellschaften und den Angehörigen von deren Gesellschaftern, die jeweils steuerliche Vorteile bewirken sollen. Solche Verträge sind durch das Fehlen der zwischen „neutralen“ Vertragsparteien üblichen Interessengegensätze gekennzeichnet. Die Finanzverwaltung stuft solche Verträge daher als Scheingeschäfte ein, es sei denn es werden im Vorhinein klare und formwirksame Vereinbarungen getroffen, die inhaltlich dem unter fremden Dritten üblichen entsprechend (Fremdvergleich) und wie unter Fremden Dritten vollzogen werden.[1]

Beispiel

M ist von F geschieden und schuldet ihr monatlichen Unterhalt i.H.v. 2000 € (24 000 € im Jahr). Nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG können pro Jahr 13 805 € Unterhaltsaufwendungen als Sonderausgaben steuermindernd berücksichtigt werden. Da M ein Unternehmen betreibt und Steuern sparen möchte, vereinbart er mit F, dass sie als Sekretärin für ihn arbeiten und dafür ein Entgelt i.H.v. 10 195 € (= 24 000 € ./. 13 805 €) jährlich erhalten soll. Diesen Betrag und sämtliche Sozialabgaben könnte M nach § 4 Abs. 4 EStG steuermindernd als Betriebsausgaben absetzen. Tatsächlich sind sich M und F darüber einig, dass F im Büro des M nichts zu suchen und keinerlei Arbeitsleistung für ihn zu erbringen hat (§ 33a EStG soll hier aus Vereinfachungsgründen außer Betracht bleiben). Der Arbeitsvertrag zwischen M und F ist nach § 41 Abs. 2 S. 1 AO für die Besteuerung unerheblich, weil der Vertrag nicht tatsächlich vollzogen wird, d.h. M kann die Lohnaufwendungen nicht nach § 4 Abs. 4 EStG als Betriebsausgaben geltend machen. F hingegen erzielt keine Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit i.S.v. § 19 EStG, sondern Unterhalt und damit sonstige Einkünfte i.S.v. § 22 Nr. 1a EStG i.H.v. 24 000 €. Wegen ihrer privaten Veranlassung (Scheidung) können die entsprechenden Ausgaben des M gemäß § 12 Nr. 2 EStG nicht steuermindernd berücksichtigt werden.

1. Teil Allgemeine Steuerlehre und allgemeines SteuerschuldrechtD. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht › VI. Verbot des Gestaltungsmissbrauchs

VI. Verbot des Gestaltungsmissbrauchs

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Nach § 42 Abs. 1 S. 1 AO ist die rechtsmissbräuchliche Steuerumgehung unzulässig, d.h. die Steuer entsteht so, wie wenn keine rechtsmissbräuchliche Gestaltung gewählt worden wäre (§ 42 Abs. 1 S. 3 AO). Was ein Missbrauch ist, definiert § 42 Abs. 2 S. 1 AO. Unerheblich ist, ob der Steuerpflichtige in Steuerumgehungs- bzw. Missbrauchsabsicht handelt. § 42 Abs. 2 AO enthält lediglich objektive Tatbestandsmerkmale.

Vom Missbrauch zu unterscheiden ist die zulässige Steuervermeidung.


Die Steuer in zulässiger Weise vermeidet, wer wirtschaftlich angemessen handelt und dabei keinen gesetzlichen Steuertatbestand erfüllt.

Bei der Beurteilung der Angemessenheit muss je nach Sinn und Zweck des einzelnen Steuergesetzes im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände beurteilt werden.

JURIQ-Klausurtipp

In der Klausur ist bei der Annahme eines Missbrauchs äußerste Zurückhaltung geboten. Im Zweifel ist wegen der verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 GG garantierten wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des Steuerpflichtigen nicht von einer unangemessenen Gestaltung auszugehen. Gelangt man unter entsprechend aufwändiger Argumentation zu dem Ergebnis, dass eine an sich steuerlich missbräuchliche Gestaltung vorliegt, so kann nach § 42 Abs. 2 S. 2 AO dennoch wegen außersteuerlicher Gründe ein Missbrauch ausgeschlossen sein.

Steuerrecht

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