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Der stumme Ochse

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In diese sich in allen ihren Fasern modernisierende Gesellschaft wird 1224 Thomas von Aquin geboren. Seine Familie gehört dem niederen Adel an, der Stammsitz des Geschlechts Aquin befindet sich in Roccasecca, unweit von Neapel. Thomas erhält eine Ausbildung bei den Benediktinern von Monte Cassino. Darauf folgt ein theologisches Studium in Neapel. Die Stadt ist damals eine abendländische Metropole, zu der sie vor allem Friedrich II., der weltoffene Stauferkaiser, gemacht hat. An seinem Hof versammelt er alles, was die damalige Welt an Kunstfertigkeit und Wissen zu bieten hat – vom normannischen Baumeister bis zum sarrazenischen Sterndeuter. Friedrich, ein erbitterter Feind des Papsttums, baut Neapel zu einem der wichtigsten Zentren des philosophischen Austauschs zwischen Abendland und Morgenland aus. Hier werden auch früh die verschollen geglaubten Texte der griechischen Philosophen übersetzt, die über spanisch-maurische Umwege wieder ins Abendland gelangt waren.

In Neapel stieß der junge Thomas also erstmals auf die Schriften des Aristoteles – und wohl auch auf seine christliche Berufung. Ein Predigerorden machte damals in Neapel von sich reden, der Ordo Fratrum Predicatorum, nach ihrem Gründer Dominikus Guzmàn auch Dominikanerorden genannt. Die Dominikaner genossen einen reformatorischen Ruf – allzu revolutionär für Thomas’ kaisertreue Familie, die den jüngsten Spross nicht gleich an die Kirche verlieren wollte. Die Sorge des Clans um den jungen Studenten nahm dann freilich etwas drastische Formen an. Thomas’ Brüder Rinaldo und Randulf entführten ihn auf dem Weg nach Rom und hielten ihn 1244 bis 1245 gefangen, um ihm die dominikanischen Flausen auszutreiben. Doch wie gewöhnlich bei solchen Zwangsmaßnahmen scheinen sie den jungen Mann nur noch mehr animiert zu haben, seine Karriere als Geistlicher weiterzuverfolgen.

Immerhin eröffneten die Dominikaner Thomas den Weg in die europäische Gelehrsamkeit: Latein war die Lingua franca des ganzen Kontinents. In Paris sprach man es ebenso wie in London, Gent, Mailand oder eben Neapel. Die Orden arbeiteten grenzübergreifend und standen in einem mit harten Bandagen geführten Kampf gegeneinander und gegen die bischöfliche Kirche um die weltliche und theologische Deutungshoheit.

Thomas von Aquin scheint sich in diesem System sehr schnell unangreifbar gemacht zu haben. Schon im ersten Jahr als Novize erkannten die Ordensälteren seine außerordentliche Begabung. Der hünenhafte junge Mann verfügte über eine außerordentliche Merkfähigkeit, konnte Texte nach einmaligem Hören absatzweise fehlerlos zitieren und in kürzester Zeit komplizierte philosophische Gedankengänge bis ins kleinste Detail analysieren. In Rom beschloss man deshalb, ihn nach Paris und Köln zu schicken. In beiden Städten war Albert der Große sein Lehrer. Der Student scheint das Wissen regelrecht in sich aufgesogen zu haben und so beschäftigt damit gewesen zu sein, dass er an seine Kommilitonen kaum ein Wort richtete.

Aus der Masse der verachteten Mitstudenten hallte es alsbald zurück: „Stummer Ochse“, hießen sie Thomas. Immerhin fand sich Albertus Magnus zur Verteidigung seines begabten Schülers bereit: „Das Brüllen dieses Ochsen wird noch in der ganzen Welt widerhallen.“

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