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Das göttliche Monopol

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Was also soll die Kirche jenen predigen, die in der mittelalterlichen Gesellschaft ihr Fortkommen suchen und nach Existenzverbesserung streben, die Kredite nehmen oder gewähren und Gewinn machen, die Zins nehmen und bezahlen und auch lukrative Geschäfte mit den Muselmanen abwickeln?

Die Kirchenfürsten sind in einer moralisch verzwickten Lage, ist die Kirche doch selbst eine der größten Finanzmächte des Mittelalters, die fallweise als Unternehmerin des kompromisslosesten Schlages in Erscheinung tritt. Sie fördert Kaufleute seit dem frühen Mittelalter nicht nur durch Geleitbriefe und unterstützt sie durch päpstliche Verordnungen und Konzilsbeschlüsse. Sie errichtet auch eines der ersten Monopole des Abendlandes und wohl auch eines der kuriosesten der Geschichte überhaupt: den Handel mit Alaun, wie Kaliumaluminiumsulfat im Mittelalter genannt wird. Alaun ist ein wichtiger Rohstoff für die Färberei, Weißgerberei und Tuchmacherei.48

Von diesem begehrten Material gab es reiche Vorkommen in der Nähe der Stadt Tolfa, einem Gebiet, das zum Kirchenstaat gehörte. Der Heilige Stuhl tat sich für den „Vertrieb“ des Alauns mit den Medici in Florenz zusammen, die den Verkauf in ganz Europa übernahmen. Ihre Vorgangsweise erfüllt dabei nach heutigen Gesetzen eindeutig den Tatbestand der Nötigung. Zunächst wurde ein Emissär der Medici bei den möglichen Alaun-Kunden, also Fürsten und Städten mit Tuchindustrie, vorstellig. Gab es Widerstand gegen das Angebot, drohte der Papst allen, die Alaun anderswo kaufen wollten, mit Exkommunikation. Wer sich auch davon nicht beeindrucken ließ, bekam es mit der Privatarmee der Medici zu tun, die – finanziert vom Kirchenstaat – mit dem Schwert dort eingriff, wo das Monopol mit Gottes Hilfe allein nicht herstellbar war.

Die Kirche versuchte sich in dieser Phase also zum einen in biblischer Prinzipientreue, zum anderen diskreditierte sie sich durch ihre Raffsucht selbst. Das Ergebnis: ein Meinungschaos mit härtesten innerkirchlichen Disputen und heilloser Verwirrung in den Beichtstühlen, wo es die Priester des Öfteren mit Tätern und Opfern des verpönten Wuchers zu tun bekamen. In der Not interpretierte ein jeder Priester die Bibel nach seinem Geschmack. Die einen beriefen sich auf das „Gleichnis von den anvertrauten Talenten“ (Mt 25,14 – 30), die anderen auf das Zinsverbot von Lukas, wieder andere auf die urkommunistischen Ansätze des Johannes Chrysostomos oder die Eigentumssentenzen des Apostels Paulus.

Hier nun will Thomas von Aquin eingreifen, einen Leitfaden für die verwirrten Geistlichen geben, ihnen über philosophische und religiöse Weisheit die Welt deutbar machen. Das ist der eigentliche Sinn seines Hauptwerks, der Summe der Theologie. Es ist ein ungeheures Unterfangen. Thomas arbeitet wie besessen daran. Er beschäftigt zum Teil vier Sekretäre gleichzeitig, denen er seine Gedanken zu verschiedenen Themenbereichen in die Federn diktiert. Eine Anekdote offenbart seinen fanatischen Einsatz: Als er 1269 vom französischen König Ludwig IX. zur herrschaftlichen Tafel geladen wird, ist er alles andere als ein aufgeweckter Gesprächspartner. Zunächst brütet er bloß stumm vor sich hin, bis sich die Gesellschaft ohne ihn in anderwärtige Unterhaltung vertieft. Dann erhellt sich seine Miene und von einem Geistesblitz ergriffen donnert er die Faust auf den königlichen Tisch und schreit: „Das erledigt die Manichäer! Reginald (Reginald von Piperno, Thomas’ Sekretär, Anm.), steh auf und schreib!“49

Diese Erzählung passt eigentlich nicht in das Bild, das dem Leser aus anderen Publikationen entgegenschlägt: Thomas von Aquin wird heute als öder Kirchendoktor mit einem Hang zu Spitzfindigkeiten ohne Realitätsbezug verunglimpft. Doch recht besehen war er der letzte Philosoph, der versuchte, das Göttliche mit dem Irdischen zu verzahnen und die Welt als vom Prinzip des Guten und der Hoffnung gelenkte Einheit zu sehen. Die Existenz des Menschen steht damit in ständiger Kommunikation mit dem Transzendenten. Dieses Prinzip lässt Thomas auch in seiner Wirtschaftslehre walten, in deren Zentrum Gerechtigkeit, Zins und Geld stehen.

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