Читать книгу Umverteilung neu - Oliver Tanzer - Страница 6

Es begann mit einem göttlichen Fluch

Оглавление

Plutos, der Gott des Reichtums, wurde geboren aus Wollust und Mord. Die Göttin der Fruchtbarkeit, Demeter, verfiel während eines Festes der Himmlischen dem Charme und der Schönheit des Titanen Iasion. Ein frisch gepflügtes Feld war das Bett, auf dem die beiden Plutos zeugten. Die Erde an ihrem Rücken aber verriet Demeter, als sie in den Kreis der Götter zurückkehrte. Zeus entdeckte das Verhältnis und tötete Iasion mit einem Blitz. Das Kind der Demeter aber blendete er. So klammert sich der kleine Plutos an sein Füllhorn, randvoll mit den Reichtümern der Erde. Und er verschüttet sie blind und ohne Ansehen der Verdienste über einzelne Menschen.

Der Autor, der vor gut 2600 Jahren diese Sage erfand, hatte einen tiefen poetischen Sinn für verborgene Schatten der Psyche und gleichzeitig die hellste Klarsicht über die ehernen Gesetze gesellschaftlicher Realität: die Sucht und das Verlangen, aus denen Reichtum entsteht, die natürlichen Ressourcen der Erde, aus denen er sich speist, die Willkür, mit der er sich fortpflanzt.

Aus diesen Komponenten werden wir im Folgenden das Problem der Verteilung herausschälen. Dies und die Frage, welche Rolle dabei das Gemeinwesen einzunehmen hat, sind die Kernfragen der menschlichen Gesellschaft. An ihr entzünden sich seit mehr als 2000 Jahren Intrigen, Aufstände, Kriege und Revolutionen.

Lange schien das Problem nicht aktuell zu sein – zumindest nicht für die reichen Teile der Menschheit. In einer Gesellschaft des überbordenden Konsums und des scheinbar unbegrenzten Wachstums hatte ein jeder sein Auskommen – und sehr viele hatten sehr viel mehr als das. Nun aber fallen die Schatten der Globalisierung und der Wirtschaftskrise auf uns. Das ändert das Bild. Brüche werden sichtbar und Sprünge klaffen in der scheinbar heilen kapitalistischen Fassade.

Die Sicherheit als Grundpfeiler, der allgemeine Reichtum als Substanz, das solide Sozialgefüge als Polster der Gesellschaft scheinen verloren zu gehen. Warum ist das so? Gibt es Lehren und Modelle, die zu einem gerechteren Miteinander führen würden, die gleichsam Plutos die Augen öffnen könnten?

Auf den folgenden Seiten werden wir einige von ihnen vorstellen. Platon und Aristoteles suchen wir im antiken Athen auf, Thomas von Aquin im mittelalterlichen Paris, Adam Smith im schottischen Glasgow des 18. Jahrhunderts – um nur einige zu nennen. Die Werke der großen Wirtschaftsdenker sollen auf die Themen Arbeit, Zins, Geldwirtschaft und Gerechtigkeit hin durchforstet werden.

In diesem Sinne begeben wir uns auf eine Reise durch die Geschichte der Verteilung von Gütern und Chancen, die im Zentrum der abendländischen Welt um 500 v. Chr. beginnt: in Griechenland – nur einen historischen Wimpernschlag nach dem Sündenfall Demeters und Iasions. Dort öffnet sich ein Kosmos des politischen Denkens, der die schönsten, manchmal seltsamsten und bizarrsten Blüten treibt, welche – ehe sie zugrunde gehen – ihre Samenkörner über das gesamte Abendland ausstreuen.

Umverteilung neu

Подняться наверх