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Speckbrei und Hunger

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In Athen, dem Mittelpunkt der griechischen Antike, heißt es nun Anker werfen. Als Berater und Führer durch diese Zeit wird uns Diogenes zur Seite stehen, landläufig bekannt als schrulliger Mann, der aus einem Fass heraus Alexander den Großen anschnauzte, ihm gefälligst aus der Sonne zu gehen. Was ihn für unsere Zwecke besonders geeignet macht, ist, dass er auch selbst einiges von Wirtschaft verstand. Er war der Spross eines Finanzbevollmächtigten und Bankiers in Sinope am Schwarzen Meer. Vater und Sohn waren aber auch mit der künstlichen Vermehrung von Geld beschäftigt – sie wurden jedenfalls wegen Falschmünzerei angeklagt und aus der Stadt gejagt. Diogenes hat daraus die Konsequenz gezogen, fortan arm zu bleiben. Geldgier, so meint er, ist „die Metropole aller Übel“.1

Mit krummem Rücken schreitet er uns nun voran, alles und jedes kritisierend, mit allem und jedem seinen Spott treibend. Das Erste, wovor er uns warnt, ist, sich unter den alten Griechen eine Ansammlung hoch kultivierter Damen und Herren in blütenweißen Togen am azurblauen Meer vorzustellen. In Wahrheit seien sie verrottet, eitel und verroht, wie die Tiere, meint Diogenes. Zur Unterstreichung dieses Urteils geht er an manch sonnigem Tag mit einer entzündeten Öllampe über den dicht belebten Marktplatz von Athen. Sobald jemand an ihn herantritt und fragt, was er denn da treibe mit seinem Licht, antwortet er: „Ich suche Menschen.“2 Alles Tiere also? Diogenes übertreibt und karikiert, doch der wirtschaftliche Zustand dieser ersten Demokratie ist tatsächlich alles andere als erhaben. Extreme Güterknappheit prägt die Ökonomie. Wer gut bürgerlich wohnt, tut das in primitiven, fensterlosen Häusern, gebaut aus Holzrahmen und Lehmziegeln, mit einem von Säulen umrahmten Vorhof. Im Haus ist auch das Vieh – zumeist Rinder und Schweine – untergebracht. Die öffentlichen Bäder der Zeit gleichen eher Kaltwasser-Kneippanstalten als Warmwasser-Thermen und scheinen in einem teilweise erbärmlichen sanitären Zustand zu sein. „Wo säubern die sich, die sich hier säubern?“, fragt Diogenes.3

So karg die Häuser und Wascheinrichtungen sind, so dürftig ist es auch um die lebensnotwendigen Güter bestellt. Mangel ist ein ungebetener Dauergast in den städtischen Kornkammern. Per Gesetz ist deshalb für alle Athener die Ausfuhr von Getreide verboten, und ein ganzer Beamtenapparat überwacht Qualität, Menge und Preis des Mehls. Jedes Handelsschiff, das Piräus mit den üblichen athenischen Exportgütern (Textilien, Eisenwaren, Waffen, Handwerkszeug, Kunstgegenstände) verlässt, ist angehalten, mit Korn beladen wiederzukehren. Der Mangel macht das tägliche Brot auch extrem anfällig für Inflation und Spekulation: Jedes Gerücht von einem ausgefallenen oder verunglückten Transport lässt die Brotpreise oft um bis zu 30 Prozent pro Tag ansteigen.

An einer Vielzahl historischer Quellen lässt sich ablesen, wie sparsam die Athener leben mussten. Eine einzige Mahlzeit pro Tag dürfte die Regel gewesen sein. Bezeichnend deshalb auch die bescheidenen Wunschvorstellungen der Bürger: In dem von den Dichtern der Zeit entworfenen „Schlaraffenland“ altgriechischer Prägung fliegen keine luxuriösen Bratgänse durch die Luft. Der Komödiendichter Pherekrates kann seine Landsleute noch mit der Vorstellung eines „nie verebbenden Stromes von Brühe und Speckbrei“ begeistern, den er durch die Straßen wallen lässt.4

Wo die Bedürfnisse oft schon am Lebensnotwendigen scheitern, dort wird umso auffälliger, wer sich viel mehr als das Notwendigste leisten kann. Athen ist nicht nur voll von Bettlern, auch „Hunde“ genannt, sondern auch Wirkungsstätte zwar weniger, dafür umso reicherer Menschen. Die Konzentration von Grund und Vermögen in der Hand weniger führt immer wieder zu Revolten. Schuldknechtschaft und Kredite, mit Zinsen jenseits der zwölf Prozent, scheinen schon seit dem Beginn des hellenischen Geldwesens5 eines der drückendsten gesellschaftlichen Probleme gewesen zu sein. Der Schweizer Historiker Jacob Christoph Burckhardt (1818– 1897) berichtet von den „Pyramiden aus Schuldsteinen“, die sich auf den Feldern erhoben, zum Zeichen der Hypotheken, welche auf den Grundstücken lasteten. Wer kein Land mehr zu beleihen hat, verpfändet den eigenen Körper, was zu einem tausendfachen Aderlass führt, da Schuldknechte wie Tiere gehandelt und als Zwangsarbeiter ins Ausland verkauft werden.

Schon der erste Verfechter wirtschaftlicher Rechtschaffenheit und Arbeit, Hesiod, beklagt in seinem Lehrstück Werke und Tage um 700 v. Chr. die Verworfenheit des Menschengeschlechts und sieht für die Zukunft tiefschwarz, nachdem Pandora, so Hesiod, von Zeus gesandt, ihre Büchse geöffnet und alle Übel über die Menschheit ausgegossen hat: „Das Recht liegt in den Fäusten. Der Schurke schädigt den Ehrenmann mit krummen Worten und schwört Meineid, Neid wird alle Menschen begleiten, lärmend, hämisch, Hass im Blick. Da nun verlassen Anstand und Ehrgefühl die Menschheit und gehen beide von der Erde zum Olymp. Übrig bleiben den sterblichen Menschen nur bittere Schmerzen und nirgends ist Abwehr des Unheils […] Davor nehmt euch in Acht ihr Könige und Gabenfresser!“6

Immerhin könne sich die Menschheit aus eigener Kraft vor dem moralischen Niedergang retten: durch Arbeit, Rechtschaffenheit und Fleiß. „Vor das Gedeihen haben die Götter den Schweiß gesetzt“, warnt der Dichter, „dem aber zürnen die Götter, der faul dahinlebt, nach Art der stachellosen Drohnen, die faule Prasser sind und den mühsam geernteten Honig verfressen.“7

Diese gut gemeinten Ratschläge scheinen kaum Auswirkungen auf das reale Leben gehabt zu haben. Etwa einhundert Jahre nach Hesiod deklamiert der Dichter Theognis von Megara: „Der Pöbel verführt das Volk, gewährt das Recht den Ungerechten, sei’s um den eigenen Gewinn, sei’s um den Genuss der Gewalt.“8 Selbst der Kriegerstaat Sparta scheint seiner sprichwörtlichen Zucht abhold und dem Mammon verfallen zu sein. Tyrtaios, ein spartanischer Staatspoet, klagt bitter: „Geldgier ist’s, die Sparta zerstört, nichts anderes weiter.“

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