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Verfassung gegen Ungerechtigkeit

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Aus der gesellschaftlichen Schieflage scheint zumindest in Athen die Erkenntnis zu wachsen, dass es einer grundlegenden Änderung bedürfe: Im Jahr 594 v. Chr. entsteht die erste Verfassung mit dem Ziel der „Eunomia“, der Wohlgesetzlichkeit. Ihr Verfasser ist Poet und nüchterner Staatslenker in einer Person. Die Athener nennen ihn auch den „Versöhner“: Solon9, der Sohn des Exeketides aus Salamis. Seine Rechtsvorlesungen sind Lehrgedichte, so wie das folgende über die triste soziale Lage:

Die Bürger selbst in Unverständnis zerstören

Unsere herrliche Stadt, schnorriger Habsucht voll.

Ungerecht ist der Sinn der Bürger und ihrer Führer

Die, in Sünden verstrickt, leichtsinnig Drangsal erleiden.

Und Solon zur notwendigen Reform:

Solches gebeut mir der Geist, dem athenischen Volke

zu lehren,

wie viel Leiden dem Staat schlimme Verfassung aufzwingt.

Eunomia jedoch bringt gefügte Ordnung zum Lichte,

Fesseln legt sie auf, denen, die Unrecht bejah’n,

ebnet, was rau, und bannt in Schranken

schändlichen Hochmut.

Unheilsblüten jedoch machet sie sprossend schon welk,

hämmert gerad das verbogene Recht und beseitigt

den Ingrimm,

der aus innerm Zwist unter Bürgern entstand,

so entsprießt ihr dann verständige Eintracht der Menschen.

Man möchte nicht glauben, wie groß die praktischen Auswirkungen sind, die diese blumigen Worte haben: Solon kassiert alle Schuldforderungen und befreit die Schuldner von der Knechtschaft. Alle Zwangsarbeiter, die ins Ausland verkauft worden waren, werden auf Staatskosten zurückverhandelt.10

Ferner verbietet er den Kredit mit Leibesbesicherung und führt eine Höchstgrenze für Grundbesitz ein, dazu noch das Erbrecht auf Basis des freien Testaments. Geschworenengerichte sprechen nun Recht, die Bürgerversammlung wird geschaffen, das spätere Zentralorgan der Demokratie.

Bei allem Fortschritt ist Solon skeptisch, was die gesetzliche Verordnung des Guten bewirken mag. Denn wirklich zwingend sei die Ordnung nur für die Armen. Reiche und Mächtige könnten das Recht leicht in ihrem Sinne verdrehen. „Gesetze sind gleich Spinnweben. Sie halten etwas Leichtes und Schwaches fest, während etwas Größeres sie durchschlägt und davonkommt.“ Gegen dieses Größere arbeitet er über zwanzig Jahre lang mit aller Kraft und muss schließlich nach Kilikien emigrieren, als der Tyrann Peisistratos in Athen die Macht ergreift.

So durchdacht Solons Reformen im Bereich der Justiz auch erscheinen, sie berühren jenen Teil der gesellschaftlichen Ordnung kaum, der den eigentlichen Grund für die Missstände bildet: die Erwerbstätigkeit und den Handel mit Gütern.

Hesiods Bild von Arbeit, Schweiß und göttlichem Lohn war weder bei den Staatslenkern noch bei Privatpersonen gefragt. Als „Banausen“ verspotten die Griechen jene Menschen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Sie lassen vielmehr Sklaven arbeiten.

Die Staatseinnahmen werden aus den Erträgen der staatlichen Silbergruben von Laurion lukriert und zum Teil auch durch fragwürdige Privatisierungen. So verkauft die Polis ihre Wegerechte und Zölle an Unternehmer zu einem festgesetzten Betrag. Die wiederum vergeben Lizenzen teurer an Subunternehmer, welche nichts Besseres zu tun haben, als den Wegzoll kräftig in die Höhe zu schrauben, um selbst auch noch zu verdienen. So kam es, dass der Zöllner bald so beliebt war wie ein Straßenräuber – vermöge ähnlicher Tätigkeit – und diesen Ruf bis ins Spätmittelalter behalten hat.

Die von Perikles (500 – 429 v. Chr.) eingeführte Bezahlung von Theatergeld und Sold für die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen festigt zwar die Beständigkeit der Demokratie, plündert aber die Staatskassen. Aus dem chronischen Geldmangel entstehen fragwürdige Formen der Haushaltsfinanzierung: Reichen Bürgern wird unter dem Vorwurf des „Müßiggangs“ das Vermögen entzogen – und zwar per Volksentscheid durch das berüchtigte Scherbengericht (Ostrakismos). So öffnet die Gerichtsbarkeit in Händen einer von Demagogen geleiteten Plebs dem als Volksjustiz getarnten Faustrecht Tür und Tor. Aristophanes nennt das Volk einen „Wespenschwarm“, eine „Menge von ungezügelter Gier“. In der Endausbaustufe dieses korrupten Systems im 5. Jahrhundert halten sich Reiche zum eigenen Schutz bezahlte „Gegendenunzianten“, die im Fall des Falles den gierigen Angreifer selbst zum Objekt des Volkszorns machen sollen.

Dabei suchen einige Athener sehr wohl nach Finanzierungsalternativen für die öffentlichen Aufgaben. Der Politiker und Feldherr Xenophon11 erfindet staatliche Anteilscheine – und damit die schuldenfinanzierte Budgetpolitik: Mit den Erlösen einer Investitionsanleihe, so Xenophon, könne die Infrastruktur Athens ausgebaut werden. Weiters könnten 6.000 Staatssklaven gekauft werden, die man danach vermieten könne. Der Erlös aus diesem Sklavenleasing würde nach Xenophons Berechnung ausreichen, um jedem Vollbürger das Existenzminimum zu sichern.

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