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Die Krähe – Nyctimene

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»Deine Reise bringt dir keinen Nutzen. [550] Verachte nicht, was meine Zunge dir voraussagt. Halte dir vor Augen, was ich war und was ich bin. Frage dich dann, ob ich’s verdient habe. Du wirst finden, daß mir meine Gewissenhaftigkeit zum Verhängnis wurde. Denn einst hatte Pallas den Erichthonius, ein Kind, das ohne Mutter entstand, in ein Körbchen aus attischer Weide eingeschlossen [555] und den drei Töchtern des doppelgestaltigen Cecrops mit dem strengen Gebot übergeben, keinen Blick auf ihr Geheimnis zu werfen. Versteckt unter dem leichten Blätterwerk einer dichtbelaubten Ulme, kundschaftete ich aus, was sie tun würden. Zwei von ihnen, Pandrosos und Herse, bewahren das Anvertraute ohne Falsch. Aglauros allein nennt ihre Schwestern feige, [560] schiebt mit der Hand das Geflecht auseinander, und sie sehen darin ein Kind und eine Schlange, die sich emporreckt. Ich berichte der Göttin das Geschehene. Dafür ernte ich folgenden Dank: Ich werde ausdrücklich aus Minervas Gefolge verstoßen und muß hinter der Nachteule zurückstehen. Meine Bestrafung kann den Vögeln [565] zur Warnung dienen, sich nicht durch Geplapper Gefahren einzuhandeln. Aber ist sie nicht etwa seinerzeit von sich aus auf mich zugekommen, ohne daß ich sie um irgend etwas Derartiges gebeten hätte? Du kannst Pallas selbst fragen: Zürnt sie mir auch noch so sehr – selbst im Zorn wird sie das nicht bestreiten können. Mein Vater war nämlich Coroneus, der in Phocis berühmt war [570] – ich sage dir damit nichts Neues –, und ich war eine Prinzessin. Reiche Freier umwarben mich; denke nicht gering von mir! Meine Schönheit wurde mir zum Verhängnis. Denn als ich mit gemächlichen Schritten, wie gewohnt, ganz außen am Strand über den Sand hinschlenderte, sah mich der Meergott und fing Feuer. Und nachdem er mit Bitten [575] viel Zeit und Schmeichelworte unnütz vertan hat, will er es mit Gewalt versuchen und folgt mir. Ich fliehe, verlasse den festen Strand, und vergebens mühe ich mich in dem lockeren Sande ab. Dann rufe ich Götter und Menschen zu Hilfe; doch meine Stimme erreicht keine Menschenseele. Aber die Jungfrau ließ sich bewegen, für die Jungfrau einzutreten, [580] und sie kam mir zu Hilfe. Ich streckte die Arme zum Himmel; die Arme färbten sich schwarz von leichten Federn. Ich mühte mich, das Kleid von den Schultern abzuwerfen, doch es war schon zu Flaum geworden und hatte tief in der Haut Wurzeln geschlagen. Ich versuchte, mit der flachen Hand an die entblößte Brust zu schlagen, [585] doch ich hatte keine Hände mehr, und meine Brust war nicht mehr entblößt. Ich lief; und der Sand hemmte meine Füße nicht mehr, sondern ich erhob mich von der Erdoberfläche. Bald fliege ich im Schwung durch die Luft davon. So wurde ich Minervas unbescholtene Gefährtin. Doch was nützt mir das alles, wenn jetzt Nyctimene, die durch ein grausiges Verbrechen zum Vogel wurde, [590] als Nachfolgerin meinen Ehrenplatz eingenommen hat? Oder hast du etwa noch nicht gehört, was auf ganz Lesbos die Spatzen von den Dächern pfeifen, daß Nyctimene das Ehebett ihres Vaters geschändet hat? Sie ist zwar jetzt ein Vogel, aber schuldbewußt entzieht sie sich den Blicken, meidet das Tageslicht, verbirgt ihre Schande im Dunkeln, [595] und darum verjagen alle sie aus dem weiten Himmelsraum.«

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