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Die tyrrhenischen Schiffer
ОглавлениеJener versetzte furchtlos: »Mein Name ist Acoetes, meine Heimat Maeonien, meine Eltern stammen aus dem einfachen Volk. Mein Vater hat mir kein Land hinterlassen, um es mit kräftigen Ochsen zu beackern, [585] keine Herden, die Wolle tragen, keine Rinder. Er war ja selbst arm und pflegte mit Garn und Angelhaken die Fische zu überlisten und die Zappelnden mit der Angelrute aus dem Wasser zu ziehen. Seine Kunst war sein ganzer Reichtum. Als er sie mir weitergab, sprach er: ›Nimm, du Nachfolger und Erbe meines Berufes, die Schätze, die ich habe.‹ [590] Und sterbend hinterließ er mir nichts als Gewässer. Das allein kann ich als mein väterliches Gut bezeichnen. Dazu lernte ich bald, um nicht immer an dieselben Klippen gebannt zu sein, mit der Rechten das Schiff zu lenken, und ich merkte mir mit den Augen das regenbringende Gestirn der olenischen Ziege, [595] die Taygete, die Hyaden, die Bärin, die Häuser der Winde und die Häfen, die für Schiffe geeignet sind. Unterwegs nach Delos laufe ich einmal den Strand von Chios an, wende mich mit den Rudern nach rechts, mache einen leichten Sprung und lande im feuchten Sand. [600] Sobald die Nacht vorüber ist – gerade hat Aurora begonnen, sich zu röten –, steh’ ich auf, gebe Weisung, frisches Trinkwasser zu holen, und zeige meinen Leuten den Weg zur Quelle. Ich selbst halte auf einem hohen Hügel Ausschau, was der Wind mir verspricht, rufe meine Begleiter und kehre zum Schiff zurück. [605] ›Hier sind wir!‹ antwortet als erster der Gefährten Opheltes und führt am Strand entlang einen Jungen von mädchenhafter Schönheit, den er als vermeintliche Beute auf einsamem Felde gefangen hat. Jener scheint, von Schlaf und Wein beschwert, zu taumeln und nur mit Mühe zu folgen. Ich betrachte seine Kleidung, sein Aussehen und seine Gangart: [610] Nichts habe ich an ihm gesehen, was man für sterblich hätte halten können. Ich bemerkte es und sagte es auch den Gefährten: ›Ich weiß nicht, welche Gottheit in diesem Körper wohnt, aber in diesem Körper wohnt eine Gottheit. Wer du auch sein magst, sei uns gnädig und steh uns in unserer Arbeit bei. Verzeih auch diesen Männern.‹ – ›Spar dir die Mühe, für uns zu beten‹, [615] spricht Dictys – es gab keinen, der schneller bis zur obersten Segelstange emporsteigen, ein Tau ergreifen und daran hinabgleiten konnte. Diesen Worten pflichtet Libys bei und der blonde Melanthus, dem das Vorderdeck anvertraut war, und auch Alcimedon und Epopeus, der durch seine Stimme den Takt und die Pausen beim Rudern bestimmte, der Mann, der die Gemüter anfeuerte. [620] Auch alle andern stimmen zu. So blind macht sie die Gier nach Beute. ›Ich werde es dennoch nicht zulassen, daß dieses Schiff durch eine so heilige Fracht mit Fluch beladen wird‹, sprach ich, ›hier habe ich am meisten zu sagen.‹ Am Eingang trete ich ihnen entgegen.
Es tobt der verwegenste von allen, Lycabas, der aus einer tuskischen Stadt vertrieben [625] und für einen gräßlichen Mord mit Verbannung bestraft worden war. Mit seiner männlichen Faust zerschlug mir dieser beinahe die Kehle, während ich Widerstand leistete. Und er hätte mich mit einem Schlag ins Meer hinausgeschleudert, wäre ich nicht trotz meiner Besinnungslosigkeit im Tauwerk hängengeblieben. Die gottlose Schar heißt die Untat gut; da endlich sprach Bacchus [630] – Bacchus war es nämlich –, als wäre er durch das Geschrei aus dem Schlaf gerissen worden und käme nach einem Rausch wieder zur Besinnung: ›Was tut ihr? Was ist das für ein Geschrei? Und sagt, ihr Seeleute: Wie bin ich hierher geraten? Wohin wollt ihr mich bringen?‹ – ›Hab keine Angst‹, versetzte Proreus. ›Sag, welchen Hafen du erreichen willst! [635] Wir werden dich in dem Land absetzen, das du dir wünschst.‹
Liber sprach: ›Nehmt Kurs auf Naxos! Das ist meine Heimat; euch wird das Land gastlich aufnehmen.‹ Die Betrüger schwören bei dem Meer und bei allen Göttern, so werde es geschehen, und befehlen mir, am bunten Schiff die Segel schwellen zu lassen. [640] Naxos lag rechts. Als ich nach Steuerbord segelte, flüstert jeder um die Wette: ›Was tust du, Rasender? Welcher Wahnsinn hat dich gepackt, Acoetes?‹ – ›Fahr nach links‹, geben die meisten mir durch Winken zu verstehen, andere zischeln mir ins Ohr, was sie wünschen. Ich erstarrte und sprach: ›Ein anderer soll das Steuer übernehmen!‹ [645] Und ich gab mein Handwerk auf, um nicht am Frevel mitzuwirken. Alle schelten mich, die ganze Mannschaft murrt. Einer von ihnen, Aethalion, spricht: ›Auf dir allein beruht offenbar unser ganzes Heil.‹ Er löst mich ab und erfüllt meine Aufgabe, läßt Naxos hinter sich liegen und schlägt den entgegengesetzten Kurs ein.
[650] Da treibt der Gott mit ihnen sein Spiel; als habe er eben erst den Betrug bemerkt, blickt er vom gekrümmten Heck in die Ferne übers Meer und spricht, als weine er: ›Schiffsleute, nicht diese Küste habt ihr mir versprochen, nicht dieses Land habe ich mir gewünscht. Womit habe ich diese Strafe verdient? Welchen Ruhm bringt es euch, [655] wenn ihr als Männer einen Knaben, wenn ihr zu mehreren einen einzelnen hintergeht?‹ Ich weinte schon lange. Die gottlose Schar lacht über unsere Tränen und peitscht mit hastigen Ruderschlägen das Meer. Bei ihm selbst schwöre ich dir nun – denn kein Gott ist so nahe wie er –, daß meine Erzählung ebenso wahr ist, [660] wie sie unwahrscheinlich klingt: Es blieb das Schiff im Meer stehen, nicht anders, als befände es sich auf einer trockenen Werft. Sie staunen; doch unbeirrt lassen sie die Ruder auf die See niedersausen, setzen volle Segel und versuchen so, mit zweifachem Antrieb zu fahren. Doch da behindert Efeu die Ruder; mit biegsamen Ranken kriecht er weiter [665] und schmückt die Segel mit schwellenden Dolden. Der Gott selbst, die Stirn mit beerenreichen Trauben umkränzt, schwingt den Stab, der mit Weinlaub umschlungen ist. Rings um ihn ruhen Tiger, Trugbilder von Luchsen und die wilden Gestalten gefleckter Panther.
[670] Da sprangen die Männer auf; trieb sie Raserei oder der Schrecken dazu an? Und als erster begann Medon am Körper schwarz zu werden; sein Rückgrat drückte sich nach außen und krümmte sich zu einem Bogen. Lycabas beginnt, zu ihm zu sprechen: ›In was für ein Wundertier verwandelst du dich?‹ Und indem er noch redete, war sein Maul breit und seine Nase eingedrückt; [675] die Haut war hart geworden und bekam Schuppen. Doch während Libys die Ruder, die sich sträubten, zum Schiffsrumpf drehen wollte, sah er, daß seine Hände plötzlich auf ein kleineres Maß zusammenschrumpften und daß es keine Hände mehr waren, daß man sie schon Flossen nennen konnte. Ein anderer, der seine Arme zu den gedrehten Tauen strecken wollte, [680] hatte keine Arme mehr und sprang gebogen und mit armlosem Körper in die Wellen; die Schwanzspitze ist sichelförmig, wie sich die Hörner des Halbmondes krümmen. Von allen Seiten machen sie Sprünge, triefen vom reichlichen Sprühregen, tauchen wieder auf, kehren unters Wasser zurück, [685] tummeln sich wie in einem Reigentanz, schnellen spielerisch empor, ziehen Meerwasser ein und blasen es aus den weiten Nasenlöchern. Von eben noch zwanzig – denn so viele konnte das Schiff tragen – war ich allein übrig. In kaltem Entsetzen zitterte ich am ganzen Leibe und war kaum mehr meiner Sinne mächtig. Da stärkt mich der Gott und spricht: [690] ›Verbanne die Furcht aus deinem Herzen und halte Kurs auf Dia.‹ Nachdem der Wind mich dorthin getragen hatte, bin ich den Bacchusmysterien beigetreten und besuche sie regelmäßig.«