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Actaeon

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Den ersten Anlaß zur Trauer inmitten von so viel Glück bot dir, Cadmus, dein Enkel, das fremdartige Geweih, das ihm auf der Stirn wuchs, [140] und ihr Hunde, die das Blut eures Herrn sättigte. Doch bei genauerem Zusehen wird man an ihm keine Sünde finden, sondern Fortuna die Schuld geben müssen. Denn was für eine Sünde lag in seinem Irrtum?

Es gab daselbst einen Berg; der war gefärbt vom Blut verschiedener Tiere. Schon hatte der Mittag die Schatten verkürzt, [145] und die Sonne war von Morgen und Abend gleich weit entfernt; da redet der junge Hyanter seine Jagdgenossen, die abseits vom Wege die Schlupfwinkel durchstreiften, mit sanfter Stimme an: »Netze und Eisen sind feucht, ihr Gefährten, vom Blut der Tiere, und der Tag hat uns genügend Glück gebracht. Wenn das nächste Morgenrot [150] auf krokusfarbenen Rädern das Tageslicht heraufführt, werden wir wieder an das Werk gehen, das wir uns vorgenommen haben. Jetzt aber ist der Sonnengott von Ost und West gleich weit entfernt und läßt die Felder vor Hitze aufspringen. Stellt euer gegenwärtiges Geschäft ein und nehmt die geknüpften Netze weg.« Die Männer führen den Befehl aus und unterbrechen ihre Arbeit.

[155] Dort war ein Tal, dicht bewachsen mit Kiefern und spitzen Zypressen; es hieß Gargaphie und war der hochgeschürzten Diana heilig. In seinem hintersten Winkel liegt, von Wald umgeben, eine Grotte, die nicht künstlich ausgestaltet ist. Die Natur hatte in freier Schöpferlaune ein Kunstwerk vorgetäuscht, denn aus lebendem Bimsstein [160] und leichtem Tuff hatte sie einen gewachsenen Bogen gespannt. Rechts plätschert ein Quell, dessen seichtes Wasser durchsichtig ist. Ein grasbewachsenes Ufer umsäumt sein breites Becken. Hier pflegte die Göttin der Wälder, vom Jagen ermattet, ihre jungfräulichen Glieder mit klarem Tau zu übergießen. [165] Dort eingetreten, übergab sie einer der Nymphen, ihrer Waffenträgerin, den Wurfspieß, den Köcher und den entspannten Bogen; eine andere fing mit den Armen das abgestreifte Kleid auf; zwei andere lösen ihr die Schuhriemen. Crocale, die Tochter des Ismenus, ist geschickter als die übrigen und schürzt das Haar, das der Göttin lose in den Nakken fällt, [170] zu einem Knoten – obwohl sie ihr eigenes offen herabhängen ließ. Es schöpfen das Naß Nephele, Hyale, Ranis, Psecas und Phiale, und sie gießen es aus bauchigen Gefäßen über sie. Während sich dort Titania im vertrauten Gewässer baden läßt, siehe, da kommt der Enkel des Cadmus, der einen Teil seines Tagewerks aufgeschoben hat, [175] durch den unbekannten Wald, den er mit zögernden Schritten durchstreift, in jenes Gehölz. So führte ihn das Verhängnis. Kaum hatte er die Grotte mit der taufrischen Quelle betreten, als die Nymphen beim Anblick des Mannes sich nackt, wie sie waren, an die Brust schlugen, mit plötzlichem Heulen den ganzen Wald erfüllten, [180] sich um Diana drängten und sich schützend vor sie stellten. Doch größer als sie ist die Göttin selbst und überragt alle um Haupteslänge. Wie Wolken sich färben, wenn die Sonne sie von vorn anstrahlt, oder wie die purpurne Morgenröte glüht, [185] so war die Farbe von Dianas Antlitz, als sie ohne Gewand gesehen wurde. Obwohl ihr Nymphenschwarm sie umdrängte, drehte sie sich schräg zur Seite und wandte das Antlitz rückwärts. Zwar hätte sie gerne Pfeile zur Hand gehabt; doch da sie nur Wasser hatte, schöpfte sie einfach davon und überschüttete damit das Gesicht des Mannes. [190] Und während sie ihm das Haar mit dem rächenden Naß besprühte, fügte sie folgende Worte hinzu, die kommendes Unheil verkündeten: »Jetzt darfst du gern erzählen, daß du mich unverhüllt gesehen hast – wenn du es noch erzählen kannst!« Das war ihre ganze Drohung, und sie läßt auf dem besprengten Haupt das Geweih des langlebigen Hirsches wachsen [195] und den Hals sich ausdehnen, versieht die Ohren oben mit Spitzen, gibt ihm Füße statt der Hände, lange Schenkel statt der Arme und hüllt ihm den Leib in ein geflecktes Fell. Furcht gab sie ihm auch noch ein. Es flüchtet der Held, Autonoes Sohn, und mitten im Lauf wundert er sich über die eigene Schnelligkeit. [200] Doch sobald er Gesicht und Geweih im Wasserspiegel erblickte, wollte er sagen: »Wehe mir!«, doch die Stimme gehorchte ihm nicht. Er stöhnte auf: Das war jetzt seine Stimme, und Tränen strömten ihm übers Gesicht, das nicht mehr das seine war. Nur das Bewußtsein blieb das alte. Was tun? Nach Hause ins Königsschloß zurückkehren [205] oder sich im Wald verstecken? An dem einen hindert ihn die Furcht, an dem andern die Scham. Während er noch zaudert, haben ihn die Hunde erspäht. Als erster gab Schwarzfuß Laut und Spurengänger mit der feinen Nase – Spurengänger war von kretischer, Schwarzfuß von spartanischer Rasse; dann stürmen andere nach, schneller als ein Windstoß: [210] Allesfresser, Späher, Berggänger, alle drei Arcader, der starke Hirschmörder und, zusammen mit Sturmwind, der trotzige Waidmann, die fußschnelle Schwungfeder und die witternde Jägerin, der wilde Waldmann, den kürzlich ein Eber verletzt hatte, die von einem Wolf gezeugte Schluchtengängerin, Paßauf, die das Vieh hütete, [215] Faßan mit zwei Welpen, Haltefest, der Sicyonier mit den schlanken Weichen, Läuferin, Raßlerin, Schecke, Tigerin, Starkmut, Schneeweiß mit hellen, Schornsteinfeger mit pechschwarzen Zotteln, der bärenstarke Spartaner und Windsbraut, die schnelle Läuferin, [220] Sputedich und, zusammen mit dem cyprischen Bruder, das flinke Wölflein und, die schwarze Stirn in der Mitte mit einem weißen Fleck gezeichnet, der Räuber, Mohrchen und mit struppigem Leibe das Zottelchen und, eine Kreuzung eines kretischen Vaters mit einer spartanischen Mutter, Ungestüm, Wildzahn und Belferer mit durchdringender Stimme. [225] Ich habe keine Zeit, auch noch die zu nennen, die ferner liefen. Der Schwarm folgt ihm voll Beutegier über Felsen und Klippen und unzugängliche Zacken, durchs Unwegsame, ja durchs Weglose. Als Gejagter flüchtet er durch die Gegend, in der er oft als Jäger seinen Hunden gefolgt war, wehe, er flieht vor den eigenen Dienern! Er wollte rufen: [230] »Actaeon bin ich, erkennt euren Herrn!« Doch die Worte gehorchen seinem Willen nicht, der Äther hallt wider von Gebell. Als erster verwundete ihn Schwarzmähne am Rücken, als zweiter Wildfänger, Bergsohn biß sich in seinem Bug fest – sie waren später losgezogen, aber auf Schleichwegen über den Berg [235] den anderen zuvorgekommen. Während sie ihren Herrn festhalten, sammelt sich die übrige Meute und schlägt gemeinsam die Zähne in seinen Leib. Schon fehlt es an Platz für weitere Wunden; Actaeon stöhnt und gibt einen Laut von sich, der zwar kein Menschenlaut ist, doch ein Laut, wie ihn kein Hirsch ausstoßen könnte; er füllt die vertraute Bergwelt mit trauervollen Klagen, [240] sinkt auf die Knie wie ein Schutzflehender und schaut bittend in die Runde, als wären seine stummen Blicke flehend erhobene Arme. Doch seine Gefährten treiben ahnungslos die wilde Schar mit den gewohnten Zurufen an; ihre Augen suchen Actaeon, und als wäre er abwesend, rufen sie um die Wette: »Actaeon!« [245] Als er seinen Namen hört, wendet er den Kopf zurück. Sie klagen darüber, daß er nicht da sei, daß er zu spät komme, um das Schauspiel des Fanges zu genießen. O wie gern wäre er wirklich abwesend; doch er ist ja dabei! Wie gern wollte er das Wüten seiner Hunde nur mitansehen, statt es selbst zu spüren! Von allen Seiten umstellen sie ihn, vergraben die Schnauzen in seinem Leibe [250] und zerfleischen ihren Herrn in der Truggestalt des Hirsches. Und erst nachdem seinem Leben durch tausend Wunden ein Ende bereitet war, soll der Zorn der köchertragenden Diana befriedigt gewesen sein.

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