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Die Küchen-Samurais

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Dashi, Kombu und Ponzu von Hinterzarten bis Wittenberge: nur Japan-Mode oder ein tieferes Verständnis für eine der größten Küchen der Welt?


Edelprodukt: Echter Wasabi aus Nagano wächst 18 bis 24 Monate und kostet bis zu 80 Euro pro Wurzel

© SHUTTERSTOCK

Kein Zweifel: Deutschlands Köche sind im Japan-Fieber. Und sie stehen damit nicht allein. Die leichte und bekömmliche japanische Küche mit ihrem Fokus auf Saisonalität und erstklassigen Produkten trat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Siegeszug um die Welt an. Es fing an mit Sushi, die innerhalb weniger Jahre vom mythenbehafteten Kultobjekt einer eingeschworenen japanischen Fangemeinde zum globalen Fastfood wurden. Und es ging, zumindest in der gehobenen Gastronomie, weiter mit Yuzu, Wasabi und Miso, die Köche längst nicht mehr nur bei spezialisierten Händlern, sondern auch im Sortiment großer Anbieter wie Metro oder Hamberger finden.

Heute ist es Trend, seine Hollandaise mit Miso anzurühren oder Yuzu-Eis als Dessert zu servieren. Doch demonstriert solche Produktwahl ein tieferes Verständnis für eine der größten Küchen der Welt? Meist wird nur an der Oberfläche gekratzt, werden einzelne Lebensmittel aus ihrem kulturellen Kontext gelöst und als effektvolles Element in einer ansonsten rein westlichen Küche genutzt, ähnlich wie das vor 20 Jahren inflationäre Zitronengras. Wenn man bedenkt, dass in der streng hierarchisch geprägten Gesellschaft Japans noch vor nicht allzu langer Zeit eine klassische Ausbildung zum Sushi-Meister gut zehn Jahre in Anspruch nahm, erscheint der spontane Griff ins Japan-Regal junger westlicher Köche eher unbedarft.


Im Münchner Werneckhof serviert Tohru Nakamura Aal „Shirayaki“, in Dashi gegart und über Steinkohle gegrillt

© TOHRU NAKAMURA

Einer, der Japans Aromenwelt von Kind auf verinnerlichte, ist Tohru Nakamura, aufgewachsen in München als Sohn einer Deutschen und eines Japaners. Zweimal im Jahr reiste die Familie nach Tokio, das hält er bis heute so. Eine Dashi ist ihm deshalb so vertraut wie eine bayerische Leberknödelsuppe. Dass man die mit Kombu-Algen angesetzte Brühe mit Bonitoflocken aromatisiert, wissen auch andere Köche. Nakamura aber, der fließend Japanisch spricht, diskutiert bei seinen Besuchen auf Tokios Märkten mit den Händlern und kennt die feinen Unterschiede im Geschmack, je nachdem, ob die Flocken etwa vom Rücken- oder Bauchstück des Fischs stammen. Und natürlich kauft er keine fertigen, in Tüten abgepackten Flocken, sondern große Stücke, die er selbst à la minute hauchdünn hobelt. In Japan geradezu kultisch verehrte Produkte wie Thunfisch oder Ozaki-Beef (das er immer auf der Karte führt) behandelt er mit dem Respekt dessen, dem auch die Hintergründe von Kultur und Philosophie bewusst sind. Nakamura kennt auch die typischen Aalrestaurants, die nichts anderes als diesen in Japan sehr beliebten Fisch anbieten, aus eigenem Erleben. Deshalb gibt es bei ihm den Aal nicht nur in der beliebten „Unagi“-Variante (mit Sojasauce glasiert), sondern auch in der „Shirayaki“-Version, die den Eigengeschmack viel purer präsentiert: Der Aal wird in Dashi zu zartester Textur gegart und anschließend über Binchotan, der Kohle der japanischen Steineiche, gegrillt. Dazu serviert Nakamura wie in Japan eine Maiscreme, deren Süße mit der Fettigkeit des Aals harmoniert, und aromatisiert das Ganze mit dem japanischen Bergpfeffer Sancho sowie, als westliche Elemente, Verveine und mit Sake abgeschmeckter Beurre blanc.

Zu den ersten japanischen Küchenchefs, die nach Europa kamen, um hiesigen Gästen den authentischen Geschmack ihrer Heimat nahezubringen, zählte Akira Oshima, der viele Jahre in Amsterdam das Restaurant Yamazato führte. Bis heute gilt das Lokal, inzwischen unter der Ägide von Masanori Tomikawa, als eine der besten Adressen für Kaiseki-Küche in Europa. Kaiseki ist, grob vereinfacht gesagt, eine Art traditionelles, stark ritualisiertes Degustationsmenü, das als Krönung der japanischen Küche gilt. Ein Kaiseki-Menü ist immer eine Ode an die Natur und an die Jahreszeiten. Kleine Portionen, viele Gänge, in der Abfolge von roh zu gekocht und in der Abwechslung von Land und Meer, fest und flüssig, ausgeprägten und zarten Aromen ergibt sich eine Gesamtharmonie.

Ein früher Botschafter authentischer japanischer Küche in Deutschland war Yoshizumi Nagaya, der seit 2003 in seinem Restaurant Nagaya in Düsseldorf (wo sonst?) vormacht, wie japanische und europäische Hochküche zusammenfinden können. Aber auch auf anderen Wegen eroberten die Aromen und Kochtechniken des Archipels im Pazifik europäische Gaumen. Europäische Küchenchefs, die eine Zeitlang in Fernost arbeiteten, sorgten dafür. Der Südtiroler Roland Trettl nennt die Zeit dort prägend und schwärmt noch heute von Tokios Fischmarkt: „Etwas Vergleichbares gibt es in ganz Europa nicht.“ Sein deutscher Kollege Rainer Becker war sechs Jahre in Tokio und verwirklichte 2002 seinen Traum, die dortige Küche einem europäischen Publikum zugänglich zu machen: Er eröffnete in London das Zuma, das innerhalb kürzester Zeit zur Kultadresse avancierte. Sein Konzept orientiert sich am Stil eines Izakaya, der japanischen Version eines Gasthauses mit lockerem Ambiente, aber anspruchsvoller Küche. Mit seinem Konzept ist Becker so erfolgreich, dass er mittlerweile zehn Dependancen und mehrere Pop-ups weltweit eröffnete.


Wanderer zwischen den Welten: Tohru Nakamura verehrt seine rasierklingenscharfen japanischen Messer

© KME STUDIOS

In der deutschen Spitzengastronomie war Christian Bau einer der ersten, der sich in Richtung Nippon orientierte. Noch heute erinnert er sich im Detail an den Geschmack eines über Holzkohle gegrillten Matsusaka-Rinds mit Rettich und geriebener Kartoffel im Tokioer Spitzenrestaurant Koju, „das beste Rindfleisch meines Lebens“. Seit jener ersten Tokio-Reise setzt er sich intensiv mit der japanischen Küche auseinander und adaptiert Kochtechniken und Aromenbilder in seinen grundsätzlich französisch geprägten Küchenstil. Nirgendwo sonst in Deutschland werden Luxusprodukte aus Japan in ähnlicher Ballung und Güteklasse aufgetischt wie bei ihm im saarländischen Perl-Nennig. Bau gelingen nuancenreiche Ost-West-Beziehungen wie gezupfte japanische Schneekrabbe in einem Sud aus Green Zebra-Tomaten und Miso, dazu Burrataperlen und Tomatensorbet oder den nach japanischer Ike Jime-Art geschlachteten Bar de Ligne mit Meeresfrüchten, Seeigel-Tigermilch und geeistem rotem Shiso. Für sein Engagement erhielt Christian Bau im Sommer 2019 eine seltene Ehrung: Im Rahmen einer Zeremonie in der japanischen Botschaft in Berlin wurde er als erster Deutscher überhaupt und als erst dritter Europäer zum „Japanese Cuisine Goodwill Ambassador“ ernannt.

„Ein japanischer Koch nimmt schon beim Schneiden eines Fisches Einfluss auf dessen Aromatik – mit dem Messer.“

Tohru Nakamura

Gault&Millau Restaurantguide Deutschland 2020

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