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Herz für Gourmets

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Weniger bekannte Stücke vom Tier, lange wegen Skandalen verpönt, werden wieder salonfähig und inspirieren Köche zu neuen Kreationen – von der Zunge bis zum Nierenzapfen


© SHUTTERSTOCK

Als Sven Elverfeld vor einiger Zeit entschied, Kalbsherz auf die Karte zu setzen, war er sich nicht sicher, wie es bei den Gästen ankommen würde. Ein lange missachtetes Stück vom Tier auf der Karte eines der höchstbewerteten Restaurants in Deutschland, neben Kaisergranat, Wolfsbarsch und Kagoshima-Wagyu? Doch die Gäste waren offener als angenommen, die Innerei, serviert mit Ochsenherztomate, Sud von grünen Tomaten und Pimientos de padrón, wurde zum regelrechten Renner. „Die Kunst besteht darin, solch ein Produkt auf höchstes Niveau zu heben“, sagt Elverfeld, der das Herz von einem Händler bezieht, der sich auf nicht alltägliche Stücke vom Tier spezialisiert. „Wenn wir es nicht schaffen, die Gäste da wieder ranzuführen, wer dann?“

Wie Elverfeld möchten immer mehr Köche ihren Gästen beweisen, dass ein Rind oder Kalb aus viel mehr Delikatessen besteht, als nur den bekannten klassischen Cuts. Das hat bei Harald Rüssel in Naurath oder bei Viktoria Fuchs in Münstertal, bei Daniel Gottschlich in Köln oder Daniel Schmidthaler in der Feldberger Seenlandschaft mit Wertschätzung fürs Tier zu tun, mit dem Nachhaltigkeitsgedanken, der gerade die junge Generation beschäftigt, und last not least ist es natürlich auch ein Kostenpunkt, denn unbekanntere Stücke schonen den Wareneinsatz. Zum Beispiel das Onglet, zu Deutsch Nierenzapfen (der Stützmuskel des Zwerchfells) und unter seinem englischen Namen Hanging Tender von den Speisekarten amerikanischer Steakhäuser nicht wegzudenken. „Für mich ist das ein schöneres Stück als das Filet“, sagt Elverfeld, „kräftiger und eleganter in Struktur und Geschmack.“ Er serviert es gebraten, mit Roter Bete, geschmorter Kartoffel, Champignons und Sauerrahm.

Während man in Supermärkten und in der gastronomischen Mittelklasse immer noch den Eindruck gewinnen kann, ein Tier bestünde nur aus Filet und Rücken, entdecken gerade jüngere Köche, wie viel spannender andere Partien sind. Zum Beispiel beim Lamm der zarte, fettgemaserte Schopf. Oder der köstlich aromatische Bauch. Die Auswahl ist vielfältig, ein Blick in die klassische Wiener Küche genügt, wo man nicht nur dem Tafelspitz, sondern auch dem Schulterscherzerl, dem Kavalierspitz, dem Rieddeckel, dem Beinfleisch und vielem mehr huldigt.

Besonders auffällig ist diese Renaissance unbekannterer Cuts und innerer Werte (wo sonst?) in der Berliner Szene. Marco Müller von der Rutz Weinbar serviert grundsätzlich kein Filet mehr, sondern lieber Ibérico-Nacken oder superzartes Rippchen vom Wollschwein. Philipp Vogel bringt im Orania zum asiatisch inspirierten Schweinebauch „Dong Po Rou“ mit gepickeltem Pak Choi auch kross ausgebratenen Schweineschwanz auf den Tisch. Und im Herz und Niere, wo man von Anfang an (auch) auf selten zu habende Teile setzte, zeigt man die Möglichkeiten einer modernen Innereienküche auf, wenn man den Schmelz einer Terrine vom Kuheuter mit Roten Beten, Navetten und cremigem Kräutereis abrundet.

Doch auch in einem auf den ersten Blick so klassisch wirkenden Haus wie Burg Schwarzenstein im Rheingau ist ganzheitliches Denken im Umgang mit dem Tier längst etabliert. Auf seiner von Weinbergen eingerahmten Terrasse serviert Nils Henkel gepökelte Kalbszunge, als sei es das Natürlichste der Welt, die zarte, schmackhafte Spezialität richtet er ganz unprätentiös mit geräuchertem Mark, Brunnenkressepüree und Pilzen an, umspielt von würzigem Bratensaft, den er aus der Kalbsbrust gezogen hat. Henkel kauft bei einem Metzger, der selbst schlachtet und ihm so jedes gewünschte Teil liefern kann: „Ich sehe es als spannende Herausforderung, aus weniger bekannten Schnitten hochwertige Gerichte zu kreieren.“ Auch das Herz vom Kalb ist Stammgast auf seiner Karte, sous vide gegart und mal in Bärlauchjus glasiert, begleitet von grünen Bohnen und deren Gelee, mal asiatischer inspiriert in Teriyaki-Sauce.

Und wie sagt Vincent Klink, für den „Nose to tail“ schon selbstverständlich war, lange bevor junge Szeneköche wussten, wie man das schreibt: „In allen alten Esskulturen geht es entweder um die intensiv schmeckenden Innereien oder um den Kopf.“


Nils Henkel: Kalbsherz in Teriyaki-Bouillon

© WONGE BERGMANN FÜR NILS HENKEL

Gault&Millau Restaurantguide Deutschland 2020

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