Читать книгу Gault&Millau Restaurantguide Deutschland 2020 - Patricia Bröhm - Страница 12

Wahlrecht für alle

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Es gab eine Zeit, da durfte der Gast selbst entscheiden, was er im Restaurant isst. Heute gilt: Je ambitionierter der Koch, desto kleiner die Auswahl. À la carte – ein großes Kulturgut ist vom Aussterben bedroht

In den großen Pariser Restaurants, vom Pavillon Ledoyen über L’Épicure bis zu Guy Savoy, sind auch die Speisekarten groß, beinahe unhandlich. Warum? Weil man dem Gast à la carte noch die ganz große Auswahl bietet. International werden solche genussverheißenden Ungetüme immer seltener, aber es gibt sie noch, auch bei uns. Zum Beispiel in den Baiersbronner Restaurants Bareiss und Schwarzwaldstube, wo man auch ansonsten die klassische Esskultur in zeitgemäßer Form hochhält. Hier wird dem Gast neben drei Menüs auch eine ansehnliche à la carte-Auswahl geboten. Und wer bei Claus-Peter Lumpp zur Vorspeise Gänseleber bestellt, der bekommt nicht etwa einen Teller, sondern vier, die große Gänseleber-Oper: als Hauptprotagonist die Terrine mit gesalzenem Karamell und Portwein, dazu ein Törtchen von gebrannter Gänselebercreme und Haselnüssen, eine Praline mit Sesam und der gebratenen Leber und, last not least, ein Gänselebereis.

So viel Opulenz ist man heute als Gast nicht mehr gewohnt. Serviert wird ein Menü, basta. Wenn wir Glück haben, zählt es zehn Gänge, und wir dürfen uns davon ein paar aussuchen. Wenn wir Pech haben, zählt es sechs Gänge inklusive Käse und Dessert – und das ist alles, was das Restaurant zu bieten hat. Sie essen keine Taube und möchten einen anderen Hauptgang? Geht nicht. Sie bitten um einen Teller Nudeln für die Kinder? Nicht vorgesehen. Sie möchten keine sechs Gänge essen, sondern nur Vorspeise und Hauptgang? Da brauchen Sie übermenschliches Verhandlungsgeschick.

Avantgardeköche wie Ferran Adrià oder René Redzepi veränderten nicht nur die Küche für immer, sondern auch das Verhältnis zwischen Koch und Gast. Im El Bulli wurde zeitweise ein Degustationsmenü von 50 Gängen en miniature serviert – der Gast hatte sich bedingungslos in die Hände der Küche zu geben. Die küchenlogistisch geniale Idee, dem Gast nur noch ein Menü anzubieten, adaptieren heute Heerscharen von Köchen – auch wenn sie ansonsten nicht ganz so genial sind wie ihre großen Idole. Schon klar, das Ein-Menü-Restaurant ist kalkulatorisch ein Traum, der Einkauf kann reduziert, das Personal minimiert werden. Doch immer weniger Gäste möchten vier Stunden bei Tisch verbringen, um andachtsvoll Gang um Gang zu würdigen. Und nicht nur das: Das Ein-Menü-Konzept ist eine echte Gästeverhinderungsmaßnahme – Stammgäste, die zwei bis dreimal die Woche kommen, gewinnt man so garantiert nicht.

Gault&Millau Restaurantguide Deutschland 2020

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