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Wildwechsel

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Reh, Hirsch und Wildschwein, die ihr Leben frei in heimischen Wäldern verbrachten, sind das ultimative Bekenntnis zur Regionalität. Ganz zu schweigen von seltenen Genüssen wie Wildhase, Rebhuhn oder Schnepfe


Superfood aus heimischen Revieren: Kein anderes Produkt hat eine solche Nähe zum Terroir wie Reh, Hirsch oder Wildschwein

© LOOK / WOTHE, KONRAD

Ende des Jahres, wenn die Jagdsaison in unseren Breiten auf ihrem Höhepunkt ist, bietet die Karte der Schwarzwaldstube in Baiersbronn eine selten gewordene Delikatesse: Lièvre à la Royale. Das königlichste aller Wildgerichte ist von unseren Speisekarten fast völlig verschwunden, weil es erstens sehr aufwendig zuzubereiten ist und zweitens die unabdingbaren Zutaten, Wildhasenbrust und -blut, heute schwer zu bekommen sind. Doch gerade diese Herausforderung reizt einen Vollblutkoch wie Torsten Michel. Dank über Jahre gepflegter Kontakte zu einer Gruppe engagierter Jäger im österreichischen Burgenland wird er in der Saison ausreichend mit dem seltenen Wildhasen und auch mit dessen Blut versorgt. Es stammt vom frisch erlegten Tier, geht vakuumiert direkt auf die Reise und dient in der Küche der Schwarzwaldstube dazu, die hinreißende Sauce aus Foie gras und den Innereien des Hasen zu binden. „Wildhase ist diffizil zuzubereiten“, sagt Michel, „er verträgt nicht viel Hitze, man muss sehr konzentriert arbeiten.“ Mit etwas Glück können Gourmets in der Saison auch wilde Wachtel, Rebhuhn, Fasan oder die seltene Schnepfe im Gourmetrestaurant der Traube Tonbach genießen. „Die Aromatik einer wilden Wachtel ist mit Zuchttieren nicht vergleichbar“, so Michel. „Das ist, als ob man Supermarktschokolade mit Grand Cru vergleicht. Da ist eine Wildheit auf dem Teller, die begeistert.“



Harald Rüssel machte eigens für seine Küche den Jagdschein

Mit dem Boom regionaler Lebensmittel und der Rückbesinnung auf echte Saisonalität hielt Wildbret wieder vermehrt Einzug in die Gastronomie, kreative Köche wie Torsten Michel verleihen ihm einen ganz neuen Auftritt. Auch wenn Wildgerichte, allen voran das Reh, heute dank Importware und Tiefkühltruhe fast ganzjährig auf den Speisekarten zu finden sind – Ende des Jahres und über die Feiertage haben sie Hochsaison. Sie gehören auch deshalb in den Herbst und Winter, weil Wildhase, Fasan, Wildente und -taube nur dann in heimischen Wäldern geschossen werden dürfen. Noch rarer ist eine Spezialität wie die Schnepfe, die auf der roten Liste steht. In der Schwarzwaldstube ist sie gelegentlich zu haben – sofern der Deutsche Jagdverband sie zum Abschuss freigeben darf.


Rehrücken mit Blaubeeren in Christian Jürgens’ Überfahrt

© JÖRG LEHMANN, ANNA SCHNEIDER / NEON FOTOGRAFIE

Das A und O jedes anspruchsvollen Wildgerichts ist eine gute Bezugsquelle. Die Küche muss sich darauf verlassen können, dass das Reh oder Wildschwein in freier Natur lebte und stressfrei geschossen wurde, dass es unmittelbar nach der Jagd aufgebrochen und heruntergekühlt wurde, ohne lange Transportwege. Christian Scharrer vom Restaurant Courtier in Weissenhaus an der Ostseeküste schwört schon seit vielen Jahren auf Reh vom niederbayerischen Gutshof Polting: „Es ist von überragender Qualität und vor allem Frische, die mir gerade beim Reh sehr wichtig ist. Die Sensibilität und Erfahrung von Franz Riederer ist wie eine Garantie, ein Teil unseres Erfolgs ist auch seiner.“ Das Reh aus Polting lässt er sich deshalb quer durch Deutschland schicken.

Die gute Nachricht lautet: Immerhin 60 Prozent des hierzulande verkauften Wildfleischs kommt aus Deutschland. Wenn allerdings Supermärkte und Discounter in ihren Tiefkühltruhen Wild anbieten, dann handelt es sich meist um Gatterwild aus Übersee. In Neuseeland und Australien werden die Tiere auf großen Farmen wie Nutzvieh gehalten, inklusive Fütterung und industrieller Schlachtung. Auch in Deutschland wird Wild gezüchtet, allerdings in kleinerem Rahmen. In Jägerkreisen ist diese Form der Wildfleischproduktion naturgemäß verpönt. Nicht zuletzt deshalb, weil sie sich nicht mit dem Bio-Image verträgt, das sich die Branche gern auf die Fahnen schreibt.

WILD AUS DEUTSCHEN WÄLDERN

Wann hat was Saison?

REH

Mitte Mai bis Januar

ROTWILD

Juni bis Ende Januar

WILDSCHWEIN

Mitte Juni bis Ende Januar (Frischlinge ganzjährig)

HASEN

Oktober bis Ende Januar

WILDKANINCHEN

Mitte Juni bis Ende März

FASAN

Oktober bis Mitte Januar

WILDENTEN

September bis Mitte Januar

WILDTAUBEN

November bis Februar

Kaum einer unter Deutschlands Köchen kann beim Thema Wild so aus dem Vollen schöpfen wie Peter Niemann, Küchenchef und Direktor im Schlosshotel Hohenhaus. Zu dem idyllisch im Grünen gelegenen Haus in Nordhessen gehören nicht nur über 80 ha Landwirtschaftsfläche, sondern auch 1600 ha eigener Wald und Wiesen. Vier festangestellte Jäger schießen auf Bestellung für die Küche Rehe, Wildschweine – und sogar Krähen. Es gehört Mut dazu, eine solch seltene Delikatesse auf die Karte zu setzen, aber Niemann legt neben der gebratenen Brust ganz bewusst auch den geschmorten Krähenfuß mit Kralle auf den Teller – der Mann hat eine Mission.

Immer mehr Gastronomen möchten sich beim sensiblen Thema Wild erst gar nicht von Lieferanten abhängig machen und begeben sich selbst auf die Pirsch. Valentin Rottner benannte in Nürnberg sein Restaurant Waidwerk nach seinem liebsten Hobby und Hotelier Hannes Bareiss vom gleichnamigen Haus in Baiersbronn schießt schon seit Jahren in der eigenen Jagd das Wild für die Gourmetküche von Claus-Peter Lumpp. Harald Rüssel, der in Rüssel’s Landhaus unweit der Mosel seit Jahren ganz auf heimische Produkte setzt, machte eigens den Jagdschein, um diese Art von „Regionalität pur“ selbst in die Hand zu nehmen. Gleich hinter seinem Landhotel beginnt der Wald und wenn im Gourmetrestaurant Rücken und Schulter vom Reh mit Sauerkleewurzel, Pfifferlingen, Sellerie und Berberitzenjus auf der Karte steht, dann ist es vom Hausherr selbst oder von einem befreundeten Jäger geschossen. „Kein anderes Produkt hat eine solche Nähe zum Terroir wie das Wild“, sagt Rüssel. „Die Tiere sind auf Wiesen, Feldern und im Wald in ihrer ureigensten und natürlichen Umgebung aufgewachsen, ganz ohne menschliches Zutun und damit der Massentierhaltung mit all ihren Grausamkeiten entgangen.“

Gault&Millau Restaurantguide Deutschland 2020

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