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Genuss im Doppelpack

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Kleine(re) Rechnung, großer Geschmack: Die Zweitlokale namhafter Köche haben für viele Gäste einen besonderen Reiz. Und sichern so manchem Gastronomen das wirtschaftliche Überleben


In der Potsdamer Villa Kellermann serviert Tim Raue seine Version der Königsberger Klopse mit Roter Bete und Kartoffelpüree

© JÖRG LEHMANN

E s ist ja nicht so, dass Tim Raue unterfordert gewesen wäre. Immerhin führt er in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße eines der besten Restaurants Deutschlands, das längst auch international einen Namen hat. Dazu kommen drei Lokale seiner französischen Bistro-Marke Colette in Berlin, München und Konstanz sowie das Hanami auf hoher See. Doch als Günther Jauch ihn fragte, ob er sich vorstellen könne, ein Restaurant in der historischen Potsdamer Villa Kellermann zu eröffnen, zögerte er nicht lange. Über das Konzept waren sich die beiden schnell einig: Keine Haute Cuisine, sondern eine zeitgemäße Interpretation deutscher Klassiker, inspiriert von der Region und ihren Produkten, das war man dem Genius Loci schuldig. „Mein Qualitätsanspruch ist hier der gleiche wie in der Rudi-Dutschke-Straße, nur anders umgesetzt“, sagt Tim Raue. Im Tagesgeschäft steht für diesen Anspruch sein langjähriger Mitarbeiter Christopher Wecker. So hält es der 45-Jährige bei all seinen Restaurants, für das operative Geschäft ist jeweils ein eigener Küchenchef zuständig. Das Delegieren hat Raue, der heute in Berlin rund 80 Mitarbeiter beschäftigt, gelernt. Er weiß, dass eine Diversifizierung ohne langjährige, loyale Mitarbeiter, die seinen Küchenstil und seine Philosophie verinnerlicht haben, nicht funktionieren könnte: „Ich muss auch meinen Jungs Gelegenheit geben, Verantwortung zu übernehmen, sich zu beweisen.“



Klassisches Brasserie-Ambiente in Klaus Erforts Schlachthof in Saarbrücken

© SCHLACHTHOF BRASSERIE SAARBRÜCKEN

Ein Koch, der unternehmerisch denkt – heute ist das wichtiger denn je. Denn ein Gourmetrestaurant, mit dem damit verbundenen hohen Aufwand an Personal, Pacht und Wareneinsatz, ist kaum mehr rentabel zu führen. Wer als Koch keinen Hotelier oder Investor im Rücken hat, braucht (mindestens) ein zweites Standbein. International ist das längst selbstverständlich: Erfolgreiche Köche filialisieren, von Daniel Humm in New York über Massimo Bottura in Modena bis zu Gordon Ramsay, der rund 35 Restaurants weltweit betreibt, davon 15 in London. Auch die Crème der französischen Haute Cuisine, von Anne-Sophie Pic über Pierre Gagnaire bis Guy Savoy, findet es völlig selbstverständlich, in ganz Frankreich und teilweise rund um den Globus Lokale zu betreiben. Spitzenreiter ist Alain Ducasse mit derzeit 30 Adressen weltweit. Er ist für Raue Vorbild: „In Deutschland wird Spitzengastronomie immer mit einer Kulturinstitution gleichgesetzt, nach dem Motto: Wenn Karajan nicht vorne steht, dann spielen die Philharmoniker nicht. Angelsachsen und Asiaten kämen niemals auf die Idee, alles an einem Menschen aufzuhängen. Auch moderne Führungsstrukturen basieren nicht darauf, dass es nur einen Karajan gibt.“

In der deutschen Gastronomie setzt sich dieses Denken langsam durch – zwangsläufig. Erfolgreiche Zweitlokale unter einem Dach führen in Berlin auch das Rutz (Weinbar Rutz) sowie Sonja und Peter Frühsammer, die in ihrem Bistro Grundschlag an rustikalen Holztischen exzellente Bistroküche servieren – vom köstlichen Spargelsalat mit Krabben bis zum Rindsgulasch. Yoshizumi Nagaya führt in Düsseldorf ein paar Häuser von seinem Stammrestaurant entfernt das jüngere Yoshi by Nagaya, wo traditionelle japanische Küche auf dem Programm steht, eine sinnvolle Ergänzung zum Nagaya, wo er weiter seine hochklassige japanisch-europäische Fusionküche bietet. In der Hamburger Hafencity startete Matteo Ferrantino von Anfang an parallel: mediterrane Degustationsmenüs im Bianc, belegte Panini und kleine Gerichte ein paar Schritte weiter im Picnic.

„Zwei Restaurants, eine Küche, das ergibt Synergien beim Mise en place und in der Kalkulation.“

Maximilian Lorenz

Für die Gäste liegen die Vorteile eines Zweitlokals auf der Hand: Es ist mit einem Namen verbunden, der für Qualität steht. Man profitiert vom Know-how eines großen Küchenchefs, ohne gleich tief in die Tasche greifen zu müssen. Wer Schwellenangst vor dem großen Gourmettempel hat, findet hier einen Einstieg. Doch auch viele Gastronomen sehen die Doppelstrategie als Win-win-Situation. „Die Synergieeffekte sind einfach klasse“, sagt Fritz Keller vom Schwarzen Adler in Vogtsburg am Kaiserstuhl. Seit vielen Jahren betreibt seine Familie direkt gegenüber des namhaften Hauses den Rebstock, den Prototyp einer badischen Wirtschaft. „Wenn wir beim Bauern ein Milchkalb kaufen“, so Keller, „dann gibt es das Filet und das Kotelett im Adler. Im Rebstock aber servieren wir den Kalbskopf und ein schönes Blanquette de Veau. Das hat für mich auch mit dem Respekt vor der Kreatur zu tun, dass jedes Teil vom Tier verwertet wird.“ Vorteile der Zweigleisigkeit sieht Keller nicht nur im Einkauf, sondern auch in der Ausbildung, „weil die jungen Leute im Rebstock auch noch lernen, wie eine Grundsauce geht oder wie man ein Fleisch entbeint.“

Neu ist die Idee mit dem Zweitlokal also nicht, neu ist nur die Konsequenz, mit der die jüngere Köchegeneration die Strategie verfolgt. Ähnliche Geschäftstüchtigkeit kannte man bisher in Deutschland vor allem von Fernsehköchen wie Johann Lafer, Alexander Herrmann und natürlich Alfons Schuhbeck. In seinem Kosmos aus Gastronomie, Eventmaschine, Gewürz- und Feinkosthandel machen seine sechs Restaurants heute nur noch 30 Prozent des Umsatzes aus. Seine Erfolgsmaximen: „Positives Denken, Augenmaß und vor allem Flexibilität.“


Maximilian Lorenz bietet Gourmetburger im Kölner Pigbull BBQ

© MAXIMILIAN LORENZ

Doch auch, wer keine Karriere als „Platzlhirsch“ anstrebt, profitiert von gastronomischer Dualität. Klaus Erfort, neben Tim Raue der einzige 19,5 Punkte-Koch, der schon seit vielen Jahren in der Selbstständigkeit ohne Hotel und doppelten Boden besteht, verdankt diesen Balanceakt auch dem langjährigen Engagement in seinem Zweitlokal Schlachthof, einer Brasserie im Pariser Stil mit Schwerpunkt Fleisch im Saarbrücker Schlachthofviertel. Kein deutscher Koch aber war so früh vom Unternehmervirus erfasst wie Maximilian Lorenz. Der Rheinländer machte sich schon mit 21 Jahren selbstständig, erkochte sich rasch höhere Weihen und führt heute drei Lokale in Köln, das Gourmetrestaurant Maximilian Lorenz und die Weinbar Heinzhermann liegen sogar unter einem Dach. „Da wir für beide Restaurants aus derselben Küche kochen, erreichen wir Synergien im Mise en place und es bietet sich auch die Möglichkeit einer gewissen Mischkalkulation“, sagt Lorenz. Zusätzlich eröffnete er noch das szenige Pigbull BBQ, wo er zeigt, was ein 17 Punkte-Koch aus einem Burger machen kann: In der Version „Der dicke Oxs“ belegt er einen Bun mit gesmoktem und geschmortem Ochsenbäckchen samt Orangenmayonnaise sowie Rotkohl-Preiselbeer-Salat. Und verleiht so dank der vielfältigen Fruchtnoten einem eigentlich schweren Gericht Frische, Schwung und einen Hauch von Haute Cuisine.


Gault&Millau Restaurantguide Deutschland 2020

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