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Heilige Kriege

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Es ist viel die Rede von der religiösen Motivation der muslimischen Krieger im Kampf gegen die Franken, die in ihr Territorium eindrangen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Idee des Dschihads, des bewaffneten Kampfes „auf dem Pfad Gottes“. In den folgenden Kapiteln werden wir sehen, dass der Dschihad nur eine von vielen Reaktionen der Muslime auf die Franken war. Da er jedoch in mittelalterlichen islamischen Quellen – und modernen Kommentaren – eine so herausragende Rolle spielt, ist es wichtig, die Idee und ihre Geschichte in den Jahren bis zur Epoche der Kreuzzüge zu verstehen.10

Dass sowohl Franken als auch Muslime Anhänger der Idee eines Heiligen Krieges waren, ist bekannt; es gibt jedoch keinen Beleg für eine Verbindung des Dschihads im Islam mit dem Konzept eines Kreuzzugs, das sich später im lateinischen Christentum entwickelte. Mag sein, dass sie sich aufgrund ihrer gemeinsamen Wurzeln in einem universellen Monotheismus, dessen Gott ein eifersüchtiger ist, in gewisser Weise ähneln. Aber beide bildeten sich unabhängig voneinander und unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. Sowohl Kreuzzug als auch Dschihad müssen von anerkannten Autoritäten – Päpsten beziehungsweise Kalifen oder Imamen – ausgerufen werden; Kalifen sind jedoch, wie wir gesehen haben, keine Päpste, und die meisten Kalifen duldeten die von anderen gepredigten Dschihads lediglich. Beide Formen des Heiligen Kriegs versprechen jenen, die darin ihr Leben opfern, Märtyrertum und ewige Erlösung. Mit einem Kreuzzug war aber noch eine ganze Reihe institutioneller Anreize verbunden, etwa der kirchliche Schutz von Familie und Besitz, den es im Dschihad nie gab. Kreuzzüge folgten einem zentralisierten Prinzip, stellten einen Akt der Treue zur Kirche und ihrem Führer dar, dem Papst. Ein Dschihad hingegen war zumindest in der Praxis viel weniger zentral gesteuert und konnte in den richtigen Händen zum privaten Eroberungszug ausarten, aus dem eine Regierung hervorging, die dem Kalifen Konkurrenz machte.11 Auf einen Kreuzzug zu gehen, war ein vorübergehender Akt der Buße, der wie der Dschihad Gläubige mit deutlicher Neigung zur Selbstverleugnung anzog. Er beruhte auf einem Schwur, der durch Tod oder Absolution erfüllt werden konnte. Der Dschihad hingegen war für die Gläubigen eine dauerhafte Verpflichtung. Und schließlich zielten Kreuzzüge direkt auf die „Befreiung“ von Ländern, die man als rechtmäßig christlich betrachtete, während der Dschihad den Zweck verfolgte, Ungläubige zum Islam zu bekehren. Grob gesagt ging es beim Kreuzzug um die Rettung des Heiligen Landes und das (eigene) Seelenheil, beim Dschihad um die Rettung von Seelen.

Gemeinsam ist dem islamischen Dschihad und dem christlichen Kreuzzug, dass sie beide als Beleg für den angeblich „inhärenten“ oder „wesenshaften“ Charakter der jeweiligen Zivilisation herhalten müssen, die sie hervorgebracht hat. Aber weder der Islam noch das Christentum ist von Natur aus gewalttätig; beide waren und sind als Denksysteme innerlich viel zu breit gefächert, um auf diesen einfachen Nenner gebracht zu werden. Das islamische Recht, dessen Teil das Konzept des Dschihads ist, entwickelte sich unter mittelalterlichen, imperialen Rahmenbedingungen in einem von Kriegereliten dominierten Kontext, in dem Krieg und die Eroberung nichtmuslimischer Länder etwas ganz Normales waren. Der klassischen, von den verschiedenen Schulen des islamischen Rechts (mit leichten Abweichungen) formulierten Idee gemäß sollte der Dschihad daher dazu dienen, Gewalt und Kriegführung zu kontrollieren: Bedingungen zu ihrer Auslösung und Beendigung setzen, die Rechtlosigkeit der Durchführung beschränken, festlegen, gegen wen sich der Krieg richtete, die Schäden, die Nichtteilnehmer erlitten, begrenzen und verdeutlichen, was den Krieg verdienstvoll machte und was nicht. Der Lohn, den der Dschihad versprach, war beträchtlich und ein gewichtiger Anreiz für jeden Frommen, die Feinde Gottes zu bekämpfen.

Als von Juristen unter den Ulama entwickeltes und debattiertes Konzept stand der Dschihad zuallererst auf den beiden fundamentalen Säulen des islamischen Rechts: dem Koran sowie dem Beispiel des Propheten und seiner Gefährten, der Sunna, die aus den Überlieferungen, dem Hadith, erschlossen wurde. In Koran, Hadith und den Schriften der Juristen war der Dschihad ein Begriff mit vielen Auslegungsmöglichkeiten, die alle mit der Kernbedeutung „Bemühen“ zusammenhingen, oft gedeutet als „Kampf auf dem Wege Gottes“, fi sabil Allah. Dazu zählte selbstverständlich der Krieg gegen Ungläubige, aber auch das innere Ringen mit der Sünde. Diese Variante des Dschihads, manchmal als „größerer Dschihad“ bezeichnet, wird von modernen Verfechtern gern überbetont, weil ihnen die herausragende Rolle des Dschihads in mittelalterlichen islamischen Quellen Unbehagen bereitet, sie hat aber tatsächlich klare Wurzeln im Koran und ist in jeder Hinsicht ebenso authentisch wie der militante „kleinere Dschihad“. Dennoch ist ebenso klar, dass mittelalterliche Muslime, wenn sie von Dschihad sprachen, fast immer den bewaffneten Kampf gegen Ungläubige meinten.

Im Ansatz war der Dschihad missionarisch, er brachte das Haus des Islams gegen das Haus des Krieges in Stellung und forderte, dass Nichtmuslime konvertierten (und Abtrünnige zum Gehorsam zurückkehrten). Juden und Christen, die nicht zum Glaubensübertritt bereit waren (wie in der Mehrheit der in diesem Buch aufgeführten Fälle), hatten die Möglichkeit, Untertanen eines islamischen Staats zu werden, wobei sie den legalen Status von „schutzbefohlenen Völkern“ (dhimmis) erhielten. Dhimmis durften in mittelalterlichen islamischen Gesellschaften im Allgemeinen ihre Religion ungehindert ausüben und die Umsetzung der meisten ihrer Gesetze eigenen Gerichtsbarkeiten unterstellen, wenn sie im Gegenzug eine Sondersteuer (dschizya) entrichteten; unter besonders strengen Herrschern (oder solchen, die besonders streng erscheinen wollten) konnte es für Dhimmis weitere soziale Erniedrigungen geben, etwa ein Verbot des Tragens von Waffen und die Pflicht, spezielle Gewänder zu tragen, die sie von Muslimen unterschieden. Solche Fälle kamen jedoch selten vor: An erster Stelle stand die Dschizya, die die meisten Dhimmis als Garantie verstanden, in Ruhe gelassen zu werden – als tolerierte, aber untergeordnete Gäste einer triumphalen islamischen Gesellschaft.

Der Dschihad ist also nicht gleichbedeutend mit Militarismus als Gegensatz zum Pazifismus, sondern vielmehr Krieg aus frommen Motiven im Unterschied zu den vielen weltlichen Anlässen, Krieg zu führen. Theoretisch konnte nur der Herrscher – Kalif oder Imam oder einer seiner Vertreter – einen Dschihad erklären, der je nach den Begleitumständen defensiv oder offensiv (um einen modernen Begriff zu verwenden: präventiv) ausgerichtet war. Die meisten Juristen betrachteten den Dschihad als fard ʿala al-kifaya, als dauerhafte religiöse Pflicht der muslimischen Gemeinschaft und nicht ihrer sämtlichen Individuen. Die Ausübung des Dschihad durch eine ausreichende Zahl von Muslimen befreite andere Muslime von dieser Pflicht. Unter gewissen Umständen konnte er jedoch zum fard ʿala al-ʿayn erhoben werden, zur Verpflichtung für jeden körperlich tauglichen Einzelnen, wie die Pilgerschaft und das Gebet. Uneins waren Juristen in der Frage, ob man andere bezahlen durfte, damit sie ersatzweise für einen in den Krieg zogen. Die am Dschihad Beteiligten wurden als mudschahidun bezeichnet (gleichbedeutend mit dem heute geläufigen Begriff „Mudschahedin“) und sollten den Juristen zufolge immer Männer sein; Frauen kamen so gut wie nie infrage. Den Dschihad umgab eine gewisse Aura von Machismo, was den Wertvorstellungen der patriarchalischen Welt des mittelalterlichen Islams entsprach. Wer während des Dschihad in der Schlacht sein Leben verliert, erlangt den Status eines Märtyrers (shahid) mit dem Versprechen besonderer Vergünstigungen im Jenseits. Seine Sünden werden vergeben (nicht jedoch weltliche Schulden erlassen), und das lange Warten auf die Auferstehung, das andere ertragen müssen, bleibt ihm erspart. Stattdessen kommt er sofort in den Genuss des ewigen Lebens in Gott und der Wonnen des Paradieses.

Der Lohn des Dschihads beschränkte sich nicht auf die Eintrittskarte zum Paradies für die Gefallenen. Es gab auch für Überlebende spirituelle und soziale Vergünstigungen, wenn sie vom Schlachtfeld zurückkehrten, weil der Dschihad auch mit Ideen von Großzügigkeit und Gegenseitigkeit verbunden war. Muslimische Kriegsveteranen wurden nicht nur mit dem Sieg und der Beute belohnt, sondern mit allen Ehren, die Männern zustanden, die willig waren, auf dem Weg Gottes „ihr Leben zu verkaufen“, Verfehlungen wiedergutzumachen, Schwurbrecher zu bestrafen und auf der Seite der Machtlosen gegen Unterdrückung zu kämpfen. „All dies war die Frucht seines Dschihads in dieser Welt“, kommentierte ein mittelalterlicher muslimischer Historiker den prachtvollen, freigebigen Empfang eines Veteranen des syrischen Kriegs gegen die Franken in Bagdad und fügte hinzu, „der Lohn im Jenseits“ werde „noch größer sein“.12

Der Dschihad stimmte demnach mit einem der zentralen moralischen Impulse des Islams überein: dem Drang, „das Gute zu gebieten und dem Bösen zu wehren“. Dieses Ideal ermutigte jeden Muslim zur Tat, jedoch nicht unbedingt als Dschihadi. Die vielen Kompromisse des Alltagslebens führten den Gläubigen auf eine Gratwanderung zwischen Rechtschaffenheit und Sünde, und deshalb waren fromme Muslime aufgefordert, durch kleinere Eingriffe zugunsten der Moral ein Abrutschen zu vermeiden, etwa indem sie Mitmuslimen, die sich auf dem Marktplatz unfairer Geschäftspraktiken bedienten, die Leviten lasen. Auf dieser Ebene war der Dschihad der Inbegriff des selbstlosen „Gebietens und Wehrens“. Und es war nicht nur der Kampf, der Männer zum Dschihad zog. Ein allgemeines Merkmal des islamischen Heiligen Krieges war, dass auch Ulama, wiewohl nicht militärisch ausgebildet, ins Haus des Krieges aufbrachen, um ihren Beitrag zu leisten. Dabei mochten sie sich in den Sattel schwingen und selbst kämpfen, aber auch als rechtliche Berater der Dschihadkämpfer dienen – oder einfach als Prediger, Mystiker und Gelehrte anderen Gelehrten begegnen. Für moderne Ohren klingt eine solche Verschmelzung der Welten von Wissenschaft und Krieg widersinnig. Damals jedoch war der gelehrte Krieger oder kämpfende Gelehrte eine durchaus gängige Erscheinung.

Das Engagement im Dschihad war auch eine Beschwörung des göttlich gelenkten Kriegs des Propheten und seiner Gefährten und der Heldentaten arabischer Krieger in den monumentalen Schlachten des frühen Islams. „Unter den Männern sind jene, die in die Schlacht ziehen, wie die Gefährten des Propheten (mögen sie Gott zum Wohlgefallen sein) in die Schlacht zogen: um Eingang ins Paradies zu erlangen und nicht um eigennütziger Zwecke willen oder um sich Ansehen zu verschaffen“, schrieb ein arabischer Chronist der Kreuzzüge über die Motive zweier muslimischer Gelehrter, die im Kampf gegen den Zweiten Kreuzzug bei Damaskus den Märtyrertod fanden. Zugleich pries er den Heldenmut, den frühe harte Kerle wie der Mitstreiter des Vetters des Propheten, Malik al-Ashtar („der mit dem erschlafften Augenlid“), bewiesen, der sich nach einem grausamen Hieb, der seinen Schädel brach, notdürftig den Kopf verband, sich wieder auf seinen Gegner stürzte und ihn „bis zum Sattel hinunter in zwei Hälften spaltete“.13 Mittelalterliche Muslime begriffen den Dschihad nicht nur als gerecht, sondern auch als mannhaft, selbstlos und heroisch, als Nachvollzug der Taten der größten Generation des Islams. Daher zogen im Dschihad kämpfende muslimische Heere immer auch Krieger an, die nicht einberufen worden waren, sondern aus eigenem Antrieb teilnahmen, als Freiwillige (mutatawwiʿa), bisweilen aus Gegenden, die weit von der umkämpften Front entfernt lagen. Für die vielen Muslime, die gegen die Franken in den Dschihad zogen, bedeutete dies, sich selbst als Geschenk darzubringen: der muslimischen Gemeinschaft, den Schwachen, die sie verteidigten, und selbst den starrsinnigen Ungläubigen, denen sie großmütig eine letzte Chance boten, Gottes Gnade zu empfangen.

Ihre Gegner sahen das selbstverständlich anders. Und, dies sollte man betonen, auch nicht jeder muslimische Kämpfer sah das so. In der tiefgreifenden, modernen wie mittelalterlichen Diskussion über den Dschihad wird allzu leicht vergessen, dass nicht alle Muslime automatisch im Zeichen des Dschihad gegen die Franken kämpften und dass Krieg (ob als Dschihad oder nicht) nicht ihre einzige Reaktion auf die fränkische Aggression war. Derselbe Chronist, der die Motive der beiden oben erwähnten gelehrten Dschihad-Märtyrer pries, brachte einen Großteil seines Lebens damit zu, gegen die Franken zu kämpfen – und bezeichnete seine eigenen kriegerischen Bemühungen nicht ein einziges Mal als Dschihad (sehr wohl aber die anderer). Wie wir noch sehen werden, gab es an den fränkisch-muslimischen Grenzen ebenso viel Pragmatismus wie Dschihad, Ausgleich und Entgegenkommen, zähneknirschende Toleranz, Knüpfung von Allianzen und sogar regelrechte Freundschaft. Unseren – meist von Ulama verfassten – Quellen war jedoch nicht daran gelegen, der Nachwelt von Pragmatismus zu berichten, außer um ihn zu verdammen. Der Dschihad mag die vorherrschende prägende Kraft in den Beziehungen der Muslime zu den Franken gewesen sein, er war aber nie die einzige. Vor allem sollte man bedenken, dass der Dschihad nicht die gängige Form des muslimischen Umgangs mit Ungläubigen war, sondern lediglich unter bestimmten Umständen aus spezifischen Gründen heraufbeschworen wurde. Im Zeitalter der Kreuzzüge erforderte die fränkische Invasion den Dschihad nur in Verbindung mit anderen Faktoren, etwa wenn religiöse Führer ihn als Teil eines Programms der spirituellen Erneuerung predigten, geschwächte Herrscher dazu aufriefen, um die militärische Energie ihrer Untertanen zu mobilisieren, oder wenn aufstrebende Politiker darauf zurückgriffen, um Unterstützung für die Gründung neuer Staaten mit unzweifelhafter islamischer Legitimation zu sammeln.

Der Kampf ums Paradies

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