Читать книгу Der Kampf ums Paradies - Paul M. Cobb - Страница 21

Dämmerung über Sizilien

Оглавление

Trotz des niederschmetternden Verlusts von Palermo war die normannische Vorherrschaft alles andere als eine ausgemachte Sache, als Roger die Eroberung von Sizilien in die Hand nahm. Starke Argumente sprachen für eine Fortsetzung der muslimischen Herrschaft. Die muslimischen Heere waren den Normannen, die beständig Probleme hatten, Truppen aufzubringen, zahlenmäßig noch immer überlegen. Erschwerend kam hinzu, dass Roger immer wieder aufs Festland zurückgerufen wurde, um seinen Bruder bei dessen dortigen Feldzügen zu unterstützen, und die Insel Untergebenen überlassen musste, die nicht über erfahrene Kämpfer verfügten. Bedeutende muslimische Städte im Zentrum hielten nach wie vor stand, ganz besonders Castrogiovanni. Zwei wichtige Häfen, Syrakus im Südosten und Trapani im Nordwesten, blieben in muslimischer Hand. Und die zerklüftete Landschaft des restlichen zu erobernden Siziliens zwang die Normannen zum Verzicht auf schnellen Landgewinn; stattdessen waren strapaziöse Belagerungen von Städten und Festungen an der Tagesordnung. Kein Wunder, dass es selbst mit Palermo in normannischer Hand weitere zwanzig Jahre dauerte, die Insel endgültig zu erobern, und dass die sizilianischen Muslime zurückschlugen, sobald Roger auf sich allein gestellt war.

Dies war keine zentral organisierte Strategie, um die Normannen zu vertreiben, sondern eine draufgängerische, kompromisslose Woge des Widerstands sizilianischer Muslime. Ihren Anfang nahm sie am Vorabend von Roberts Abreise. Ein muslimischer Würdenträger aus Castrogiovanni namens Ibrahim hatte mit Roberts und Rogers Neffen Serlo (dem aufsteigenden Stern im normannischen Sizilien) einen Pakt geschlossen und vorgegeben, sich mit dem jungen Mann befreunden zu wollen, ihn dann an einen geeigneten Ort gelockt und von einem Trupp seiner Leute töten lassen. Seine Leiche, so berichtet Malaterra, wurde verstümmelt, sein Kopf in Castrogiovanni öffentlich ausgestellt mit der Botschaft, durch den Tod dieses Mannes „kann Sizilien von nun an eher ruhen“.22 Der Chronist fügt hinzu, Ibrahim habe die Köpfe von Serlos Männern „dem König in Afrika“ gesandt, das heißt: dem Emir der Ziriden in Tunesien, der sich immer noch daran beteiligte, die Normannen zu vertreiben. 1074 überfielen ziridische Schiffe Kalabrien, im Jahr darauf landeten sie in Mazara, eroberten die Stadt zurück und belagerten die Zitadelle. Nach etwa einer Woche kam Roger mit einer Streitmacht zum Entsatz an, die die Ziriden in der Stadt einschloss, wobei es zahlreiche Opfer gab.

Doch es gab noch andere Möglichkeiten, den Normannen Stiche zu versetzen. Ende 1075 schlug Ibn al-Ward, der Emir von Syrakus, in Catania zu, wo Roger seinen Stellvertreter und Schwiegersohn Hugues de Gercé zurückgelassen hatte. Ibn al-Ward nutzte eine beliebte Kriegslist: Er sandte einen kleinen Trupp los, um Hugos Soldaten aus der Stadt weg und auf die Verfolgung zu locken, bis sie sich umzingelt fanden. Viele Normannen wurden getötet, auch Hugo selbst. Ibn al-Ward kehrte als Triumphator mit reicher Beute nach Syrakus zurück.

Dieser Coup war alarmierend genug, dass Roger vom Festland nach Sizilien eilte, auf seinem Weg sämtliche Felder verwüstete (es war gerade Erntezeit) und eine allgemeine Hungersnot auslöste. 1077 nahm sein Heer den Hafen von Trapani ein. 1079 wurde Taormina zu Land und zur See angegriffen, und Rogers Flotte zwang die eingetroffenen Schiffe der Ziriden zur Aufgabe, sodass Syrakus als einziger größerer Hafen in muslimischer Hand blieb. Muslimische (und normannische) Revolten verhinderten, dass Roger von diesen Erfolgen profitieren konnte, 1085 kehrte er jedoch aufs Schlachtfeld zurück – im Zuge eines Bündnisses, das Siziliens Schicksal besiegelte: Die Normannen hatten mit den Ziriden Frieden geschlossen, womit sich alle muslimischen Hoffnungen auf Hilfe von außen zerschlugen. Das logische erste Ziel war Syrakus, das im Herbst fiel, nach viermonatiger Belagerung und dem Tod von Ibn al-Ward während eines Seegefechts mit Rogers Flotte. 1087 folgte Agrigent und schließlich die Stadt, in der in gewisser Weise alles begonnen hatte: Castrogiovanni, dessen Herrscher aufgab, nachdem Roger seine Frau und Kinder als Geiseln genommen hatte.

Nach dem Fall von Castrogiovanni ist ein Abflauen der normannischen Kampflust in den Chroniken zu spüren. Im Frühjahr 1089 umzingelte Roger Butera im Südosten, die letzte noch nicht eroberte muslimische Zone, mit schwerem Belagerungsgerät. Für kurze Zeit war er durch einen Sizilienbesuch des neuen Papstes Urban II., des späteren Architekten des Ersten Kreuzzugs nach Jerusalem, abgelenkt. Als die Stadt fiel, war er aber wieder an Ort und Stelle und ließ die Führungsschicht von Butera wie viele andere gefangen genommene sizilianische Muslime nach Kalabrien umsiedeln. Das letzte Widerstandsnest auf der Insel, das kleine Noto an der Südostspitze, ergab sich 1090 aus eigenem Antrieb. Die Honoratioren des Ortes fuhren bis nach Kalabrien, um sich Roger zu unterwerfen und ihm eine Belagerung zu ersparen. Er schickte seinen Sohn mit ihnen zurück, um alle Einzelheiten zu klären. In den letzten Jahren des Sizilienfeldzugs kam es auch zu halbherzigen normannischen Seeangriffen auf die benachbarten Inseln. 1087 brannte die Besatzung einer gemeinsamen Flotte aus Pisa und Genua, möglicherweise im Vertrauen auf päpstliches Wohlwollen, die Ziridenhauptstadt al-Mahdiya an der tunesischen Küste nieder (die jedoch bald wieder aufgebaut wurde) und eroberte die Insel Pantelleria. 1090 überwachte Roger persönlich die Übergabe der muslimischen Insel Malta – eine Nachlese, die gewichtige Folgen für den späteren Verlauf der Kreuzzüge haben sollte.

Mit dem Fall von Sizilien 1090 ging die muslimische Herrschaft über die Insel ein für alle Mal zu Ende. Es war die erste muslimische Provinz, die zur Gänze an christliche Heere verloren ging, und das neue normannische Herzogtum Sizilien war die erste der fränkischen „Herrschaften“, die aus der islamischen Welt herausgebrochen wurden. Zudem war es mit Sicherheit das strategisch bedeutsamste muslimische Gebiet, das das Christentum je gewinnen konnte. Von Sizilien aus war es Schiffen möglich, die Küsten von Nordafrika und Spanien anzugreifen, die Inseln des Mittelmeers, das byzantinische Imperium und die Küsten von Syrien und Palästina. Selbst aus heutiger Sicht und rein zahlenmäßig ist der Verlust kaum zu erklären. Die Normannen waren (durch Feldzüge in Italien) abgelenkt und in der Unterzahl: Den Quellen zufolge standen zu keiner Zeit mehr als tausend Ritter und etwa ebenso viel Fußvolk auf dem Schlachtfeld. Auch wenn das genaue Verhältnis unklar bleibt, dürfen wir wohl annehmen, dass die muslimischen Streitkräfte größer und besser bewaffnet waren.

Andererseits kamen den Normannen mindestens zwei Dinge zugute. Sie begannen ihren Eroberungsfeldzug im Nordosten der Insel, wo sich die griechisch-christliche Bevölkerung konzentrierte. Obwohl es zwischen griechisch-orthodoxen und römisch-katholischen Christen überall im Mittelmeerraum Spannungen gab, hießen die sizilianischen Griechen – mit einigen wichtigen Ausnahmen – die Normannen offenbar willkommen, und so waren diese Gebiete leichter zu halten. Je weiter die Eroberung fortschritt, umso stärker konnten die Normannen auf die unterworfene Bevölkerung, Christen wie Muslime, zurückgreifen, um ihre Truppen zu verstärken.

Der zweite Vorteil war, dass die Normannen Ibn al-Thumna auf ihrer Seite hatten, der Ostsizilien wie seine Westentasche kannte. Er diente als fähiger Führer und Verbündeter gegen die frühesten muslimischen Gegenangriffe durch Ibn al-Hawwas und die Ziriden. Es kamen noch andere Faktoren zum Tragen. Angesichts der Beharrlichkeit des einheimischen Widerstands der Sizilianer (die alle Quellen betonen) war die schlechte Disziplin und armselige Kampftechnik der Ziridentruppen aus Nordafrika eine ziemliche Enttäuschung. Die Ressentiments der Sizilianer gegenüber deren Versuchen, ihnen „beizustehen“, machten die Sache nicht besser. Und bei aller dadurch entstandenen Ablenkung sorgten enge Verbindungen nach Italien immerhin dafür, dass die Normannen ihre Stammesbrüder und Verbündeten stets zuverlässig hinter sich wussten, während sich die sizilianischen Muslime mit der Zeit immer mehr von breiterer Unterstützung aus der islamischen Welt abgeschnitten sahen. Der größte Teil der sizilianischen Muslime blieb unter normannischer Herrschaft auf der Insel, viele flohen jedoch während der dreißig Jahre anhaltenden Kämpfe. Von sizilianischen Flüchtlingen hören wir aus dem gesamten muslimischen Mittelmeerraum: Nordafrika, Ägypten, Syrien, selbst Spanien, wo viele eine ähnlich tragische Situation vorfanden wie jene, der sie entkommen zu sein hofften. Auch dort hatte sich das Blatt gewendet.

Der Kampf ums Paradies

Подняться наверх