Читать книгу Der Kampf ums Paradies - Paul M. Cobb - Страница 9

Die Welt, auf den Kopf gestellt

Оглавление

Soweit wir wissen, fügte al-Bakri seiner Geografie, obgleich diese eine faszinierende Skizze von Jerusalem enthält, keine Weltkarten bei. Viele andere Geografen taten dies jedoch, und sie alle folgten dem gleichen allgemeinen Bild, weil sie auf die antike hellenistische Kartografie zurückgriffen, insbesondere auf das Werk des alexandrinischen Gelehrten Ptolemaios. Die vielleicht berühmteste mittelalterliche islamische Karte der Welt (Abb. 2) findet sich in Manuskripten des marokkanischen Geografen al-Idrisi aus dem 12. Jahrhundert und wird daher meist ihm zugeschrieben.3 Idrisi vollendete sein Werk geraume Zeit nach dem Beginn der Kreuzzüge (1154 im Auftrag des christlichen Königs von Sizilien, Roger II.). Dennoch und obwohl es eine bemerkenswert detaillierte Darstellung von Westeuropa und England (und sogar Irland) bietet, ist seine Weltsicht als solche ziemlich konventionell und kann der Einfachheit halber als Beispiel dafür dienen, wie Muslime vor den Kreuzzügen die Gestalt der Welt und den Platz ihrer Nachbarn darin sahen.


Abb. 2 Die nach Süden ausgerichtete Weltkarte von al-Idrisi, um 1154 (Wikimedia Commons)

Moderne Betrachter sind von Idrisis Karte auf den ersten Blick meist verwirrt. Zwar ist klar, dass die hellen Bereiche für Land stehen, die dunkleren für Wasser und die geschlängelten, verzweigten Linien für Flüsse; die kleinen hellen Flecken sind demnach Inseln. Die dunklen höckrigen Kleckse müssen Berge sein, die langen Ketten von Buckeln und Wülsten Gebirgszüge (was auch sonst?). Eine absolut zugängliche Weise, die Welt abzubilden. Aber welche Welt?

Erst wenn man die Karte auf den Kopf stellt, wird sie verständlich. Die Lage der Windrichtungen auf dem Kompass ist selbstverständlich nur eine Frage der Gewohnheit. Es gibt keinen wissenschaftlichen oder sonstigen Grund, weshalb Norden auf der Karte oben sein müsste. Für die meisten muslimischen Kartografen des Mittelalters lag Norden gewohnheitsmäßig unten. Ihre Welt stand für moderne Augen buchstäblich auf dem Kopf, und Idrisi hätte dasselbe von der unseren gesagt. Als Anhaltspunkt zeigt Karte 1 die von Idrisi dargestellten Bereiche mit modernen Bezeichnungen, aber ausgerichtet in mittelalterlich-islamischer Weise. Der Mittelpunkt von Idrisis Weltkarte ist nicht – wie in vielen christlichen Karten des Mittelalters – Jerusalem, sondern die Arabische Halbinsel und die heilige Stadt der Muslime, Mekka, die die zentrale Stelle des mittleren „Klimas“ einnimmt (ein „Klima“ im antik-geografischen Sinne ist einer der von Parallelen auf der Karte markierten Breitengürtel der Erde), als Beleg für die Perfektion, mit der Gott die Wiege des Islams gesegnet hat.

Dominiert wird diese Welt nicht vom Mittelmeer und Europa, sondern vom Indischen Ozean und Afrika, das im Süden über einen Großteil der oberen Seitenhälfte ragt und dessen Horn weit in den östlichen (linken) Horizont hineinreicht, während der Rest des Kontinents sich grenzenlos ausdehnt und das südliche Viertel bedeckt, eine undifferenzierte Leere von Terra incognita. Von dem ganzen Kontinent ist nur die Mittelmeerküste von Nordafrika erkennbar, von Ägypten bis Marokko am westlichen Ende der Welt. Der Nil fließt von Süden nach Norden, umrahmt von zwei Gebirgsketten, und führt zum herausragenden Merkmal des Kontinents, den Quellen des Nils, die in vielen einzelnen Strömen von den mythischen Bergen des Mondes in drei große kreisrunde Seen münden.

Verglichen mit Afrika wirkt die eurasische Landmasse, vom Kaspischen Meer durchschnitten, geradezu überladen; die Topografie von Iran, Mittelasien, Irak, dem Vorderen Orient und Arabien ist höchst detailliert wiedergegeben. Anatolien, in etwa die heutige Türkei, ragt als ziemlich teigige Halbinsel nach Nordwesten fast an Europa heran. Und Europa selbst, so klein und erbärmlich es ist, weist so viele Einzelheiten auf wie Asien. Während der Indische Ozean mit seiner Vielzahl von Inseln Idrisis kartografische Fähigkeiten offensichtlich überforderte, ist das Mittelmeer ebenso genau dargestellt wie der Rest der Karte; mit klarem Schwergewicht auf Kreta, den Inseln und Idrisis zeitweiliger Heimat Sizilien. Von Osten nach Westen erkennt man deutlich die Balkanhalbinsel, den italienischen Stiefel und al-Andalus mit seinen vielen Flüssen.


Karte 1 Nachzeichnung von Idrisis Karte mit modernen Ortsnamen (© 2013 Elisabeth Alba)

Diese – detaillierteren – Bereiche von Idrisis Karten umfassen die Welt der mittelalterlichen Muslime, die manche modernen Historiker unter Verwendung eines griechischen Begriffs die islamische oikumene nennen, die „bewohnte Welt“: Mittelasien, den Nahen Osten, Nordafrika und Europa. Es war insgesamt eine wesentlich größere Welt als jene, die das mittelalterliche Europa kannte. Selbstverständlich war die Oikumene mittelalterlicher Muslime beherrscht vom Haus des Islams, aber auch nichtmuslimische Gegenden fanden darin ihren Platz. Die Oikumene war das große Spielfeld der Zivilisation, der urbanen Kultur und der wahren Religion, wo die Lehren alter, versunkener Reiche der Vergangenheit ihren mittelalterlichen Erben als Beispiel dienten und wo zeitgenössische Herrscher gegen ihre Rivalen fochten. Für mittelalterliche Muslime der Zeit vor den Kreuzzügen waren die Völker, die weit unten im Norden im christlichen Europa lebten, ferne und fragwürdige Teilnehmer am Spiel der Zivilisation, die nicht wirklich interessierten.

Der Kampf ums Paradies

Подняться наверх