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Terror Mundi

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Die kurze Darstellung des Niedergangs der Fatimiden soll verdeutlichen, weshalb die Fatimiden, obwohl sie eine der islamischen Supermächte waren, nichts entgegenzusetzen hatten, als ihre fernen Provinzen, vor allem im Westen, bedroht waren. Der Zusammenbruch der fatimidischen Macht in den Provinzen lieferte also den unmittelbaren Hintergrund für Ibn al-Thumnas Schachzüge auf Sizilien und die langsame, aber alarmierende Eroberung der Insel durch die Normannen bis 1091. Aus naheliegenden Gründen sind die islamischen Quellen recht wortkarg, was den Verlust von Sizilien betrifft, aber christliche Autoren wie Gaufredus Malaterra und Amatus von Montecassino ergänzen die fehlenden Einzelheiten.16

Muslime des frühen Mittelalters kannten Sizilien als Grenzprovinz, als Zone des Dschihads in unmittelbarer Nachbarschaft zum Haus des Krieges. Seine Lage und die vielen guten Häfen machten Sizilien zudem zum Handelsknotenpunkt, und der raue Boden lieferte Bodenschätze, Holz und, dank natürlicher Bewässerung, Obst, Getreide und andere Feldfrüchte. Zwar wurde die Insel als Zentrum muslimischer und sogar religionsübergreifender Bildung berühmt, aber ein nicht geringer Teil der legendären kulturellen Leistungen sizilianischer Muslime auf dem Gebiet der Literatur, Wissenschaft und Kunst fiel in das spätere Mittelalter unter christlicher Ägide. Das frühe islamische Sizilien brachte jedoch ebenfalls Dichter und Intellektuelle hervor. Zudem siedelten sich auch viele Angehörige der Klasse der Ulama, möglicherweise angelockt von den Aussicht auf die Früchte des Dschihads, auf Sizilien an und machten die Insel zu einer guten Adresse für das Studium des (sunnitischen) islamischen Rechts und der Theologie. Andererseits behauptet der aus den Grenzgebieten von Syrien und Anatolien stammende Geograf Ibn Hawqal in seiner berühmten Darstellung aus dem späten 10. Jahrhundert, er sei empört gewesen über die Ignoranz der sizilianischen Ulama und ihre lasche Auffassung dessen, was seiner Ansicht nach ihre Pflicht zum Dschihad war. In den 1050er-Jahren hatten die muslimischen Führer auf Sizilien mit Dschihad nicht viel im Sinn.17

Zu dieser Zeit war die Insel unter diverse wetteifernde Kriegsherren und lokale Kleinfürsten aufgeteilt, von denen Ibn al-Thumna lediglich der bekannteste war. Unter obskuren Umständen im Syrakus der 1050er-Jahre zu Bedeutung gelangt, ergriff er die Macht in Catania, tötete den dortigen Herrscher und heiratete dessen Witwe. Offenbar hielt er sich außerdem für den Nachfolger der Kalbiten-Emire als Herrscher der gesamten Insel und maßte sich den fatimidischen Titel al-Qadir an. Wenn die Misshandlung seiner Frau tatsächlich zu dem Zerwürfnis mit Ibn al-Hawwas, dem zweiten großen Machthaber auf Sizilien, führte, machten Ibn al-Thumnas grenzenlose Ambitionen die Sache mit Sicherheit nicht leichter. Da er als Emporkömmling antrat, war es an Ibn al-Thumna, sich zu beweisen; so kam es zwangsläufig zum Streit mit Ibn al-Hawwas, und als sein Stern im Sinken war, richtete er den schicksalsträchtigen Appell um militärischen Beistand an die Normannen in Süditalien, denen er muslimischen Quellen zufolge anbot, ihnen die Kontrolle über die gesamte Insel abzutreten.

Im Jahr 1061, als Ibn al-Thumna nach Mileto (beziehungsweise laut christlichen Quellen Reggio) auf der italienischen Halbinsel übersetzte, um den normannischen Heerführer Roger zu treffen, waren sich beide der Lage des anderen sehr bewusst. Ein großer Teil der sizilianischen Bevölkerung insbesondere im Nordosten bestand aus griechischen Christen mit engen Beziehungen zu den griechischen Gemeinden in Süditalien, die zu jener Zeit unter normannischer Herrschaft standen. Ebenso hatte die kleine muslimische Gemeinde in Reggio sicher Kontakt zu ihren Glaubensbrüdern auf der Insel. Diese beiden Gemeinden dienten den Normannen und den sizilianischen Muslimen als wichtige Informationswege. Es gab indes noch andere, direktere Kanäle. Zum einen unternahmen sizilianische Piraten seit Jahren Raubzüge in Kalabrien und Apulien und wussten sehr gut über das Vordringen und die Machtverhältnisse in diesen Regionen Bescheid. Andererseits stand Sizilien schon seit Längerem auf der Eroberungsliste der Normannen.

Um 1050 waren die süditalienischen Normannen längst nicht mehr die Wikinger, als die sie sich im 9. und 10. Jahrhundert in der Normandie angesiedelt hatten. Seit dem frühen 11. Jahrhundert dienten normannische Heerführer und ihre Truppen als Söldner und Hilfssoldaten in den Heeren von Süditalien, bald an der Seite, bald als Gegner der Byzantiner, des Heiligen Stuhls und der vielen kleinen lokalen Machthaber auf dem italienischen „Stiefel“. Zur Mitte des Jahrhunderts hin hatte sich das Blatt gewendet; nun hatten sie Länder erobert, beherrschten sie unabhängig und waren eine eigenständige Kraft, mit der zu rechnen war. Der wachsende normannische Einfluss in Italien zeigte sich am deutlichsten im Jahr 1059. Im August erkannte Papst Nikolaus II. den normannischen Führer Robert Guiskard als seinen Vasallen und Herrscher der Länder an, die dieser erobert hatte und die ihm der Papst mittels einer fiktiven Schenkung als Lehen des Heiligen Stuhls übertrug. Obwohl Nikolaus aus Eigennutz um die Unterstützung der Normannen ersucht hatte, war sein Vorgehen folgenreich für die islamische Welt, da Roberts Gefolgschaftsschwur zwar viele Versprechungen zum Schutz des Papsttums vor Feinden in der Heimat enthielt – aber eben auch direkte Forderungen gegen das Haus des Islams. Der Wortlaut des Eids benennt Guiskard als „Robert, von Gottes und Sankt Petri Gnaden Herzog von Apulien und Kalabrien“ sowie „in Zukunft, mit beider Hilfe, von Sizilien“, einem Territorium, das er erst noch erobern musste. Als Symbol für Roberts neue Rolle als Beschützer und Vasall des Papstes übergab ihm Nikolaus das päpstliche Banner, um damit in die Schlacht zu ziehen.18

Und so brachte im Herbst 1060 Roger, Robert Guiskards Bruder und Statthalter in Kalabrien, pflichtgemäß die etwa zwei Meilen bewegter See von Reggio aus hinter sich und landete mit gut sechzig Rittern nahe Messina, dem wichtigsten Hafen auf der dem italienischen Festland zugewandten Seite Siziliens. Ein Trupp muslimischer Soldaten aus der Stadt machte sich auf, um sich den Invasoren zu stellen, und offenbar ging die Sache unentschieden aus: Roger und die Seinen zwangen die Kämpfer aus Messina zur Flucht zurück in die Stadt, aber für mehr war seine Streitmacht zu klein, und so segelten sie ebenso schnell, wie sie gekommen waren, nach Reggio zurück. Im Winter darauf schloss sich Roger in Apulien seinem Bruder an, und Robert eröffnete seinen Vasallen, er plane für den Sommer 1061 eine Expedition nach Sizilien. Damit war die Einnahme von Sizilien beschlossene Sache, noch ehe Süditalien vollständig erobert war und bevor Ibn al-Thumna irgendetwas mit den Normannen zu tun hatte. Die muslimischen Chronisten, so scheint es, hätten sich im Grunde gar nicht weiter mit dem Sündenbock abzugeben brauchen, da Ibn al-Thumna die normannische Invasion in Sizilien nicht etwa ins Rollen brachte, sondern lediglich zu einer bereits laufenden Eroberung beitrug.

Im März 1061 folgte der Erkundungsfahrt des vergangenen Herbstes eine größere, aber immer noch bescheidene normannische Streitmacht von 150 Rittern, die an der Nordküste landete und „in frohem und lustigem Geiste“, wie Amatus berichtet, Land und Viehbestände der Gegend um Rometta plünderte.19 Wie zuvor marschierten muslimische Truppen aus Messina ihnen entgegen, mit Fackeln bestückt, um bei Nacht den Weg zu leuchten. Diesmal aber fiel ihre Niederlage eindeutig aus; es wird von vielen muslimischen Gefallenen berichtet, obwohl anzunehmen ist, dass die Verteidiger in der Überzahl waren. Schlechtes Wetter machte jeden Versuch zunichte, die tückische Meerenge zurück nach Italien zu überqueren, und so waren die Normannen gezwungen, ihr Lager am Strand aufzuschlagen, wo sie von den verbliebenen muslimischen Kämpfern mit einem Hagel von Pfeilen überzogen wurden. Roger aber hatte die Feinde kommen sehen und eine Abteilung Soldaten losgeschickt, um sie zu umzingeln und ihnen den Rückweg nach Messina abzuschneiden. Als die Männer aus Messina dorthin zurückkehren wollten – Malaterra spricht unwahrscheinlicherweise von einem „Rückzug“ –, wurden sie hinterrücks überfallen. Nur wenige schafften es lebend nach Messina. Solcherart ihrer Streitkräfte beraubt, bewaffneten die Muslime von Messina sämtliche verfügbaren Bürger, auch Frauen, um die Stadtmauern zu verteidigen, „als kämpften sie um ihr eigenes Leben“, als Roger am nächsten Morgen mit der Belagerung der Stadt begann.20 Roger muss sich über die Torheit seines Vorgehens im Klaren gewesen sein. Von schlechtem Wetter festgesetzt, einen robusten Gegner belagernd, dessen Unterstützer anderswo auf der Insel jederzeit von der Bedrohung Wind bekommen konnten, entschied er sich für die Vernunft: Sobald es die Witterung zuließ, hob er die Belagerung auf und blies zur Rückkehr nach Reggio.

Roger war vorausschauend: Seine Raubzüge in und um Messina hatten den Zorn der herrschenden Obrigkeit erregt – Ibn al-Hawwas war nun effektiv Herrscher von Sizilien, da Ibn al-Thumna sein Mäntelchen nach dem Wind gehängt hatte, und begriff fraglos, dass es für ihn lebenswichtig war, Messina zu halten, wollte er weitere normannische beziehungsweise christliche Angriffe über die Meerenge verhindern. Daher entsandte er aus Palermo, Hauptstadt und wichtigster Hafen von Nordsizilien, eine Flotte samt einigen schweren Kriegsschiffen, um die Meerenge zu überwachen und Messina zu sichern. Nun waren die Schiffe der Normannen zwar klein, sie verfügten jedoch über eine große Anzahl, und so konnte Roger im Mai 1061 seine Schiffe von der Flotte seines Bruders abziehen und im Schutze der Nacht unentdeckt übersetzen. Robert blieb derweil mit der Hauptflotte in Kalabrien und verhielt sich aller Welt (und den sizilianischen Beobachtern) gegenüber so, als hätte die Invasion noch nicht begonnen. Als Roger daher mit einer nunmehr doppelt so großen Streitmacht plötzlich vor den Toren von Messina stand, konnte er die bereits geschwächte Stadt im Handstreich einnehmen. Einige Bewohner versuchten zur Flotte aus Palermo zu fliehen. Nicht allen gelang dies; es wird von einem vornehmen Muslim berichtet, der seine junge Schwester lieber eigenhändig tötete, als sie von den Franken schänden zu lassen.21

Mit Messina in normannischer beziehungsweise christlicher Hand war der einzige Hafen der Muslime im Nordosten verloren und ihre Flotte vom Nachschub abgeschnitten; daher zogen sich ihre Schiffe und wem immer die Flucht aus Messina gelungen war, nach Palermo zurück. Robert Guiskard, der nun freie Bahn hatte, setzte mit seiner Hauptflotte über, schloss sich Roger an und machte sich an die Eroberung der restlichen Insel, von der er glaubte, sie werde in Windeseile vollendet sein. Die sizilianischen Muslime sorgten jedoch dafür, dass sie sich dreißig Jahre lang hinzog.

Der Kampf ums Paradies

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