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Der Zusammenbruch von Rum

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Der Anblick byzantinischer Schiffe, die die Franken nach Konstantinopel beförderten, war für die Türken ohne Zweifel ein Beweis dafür, dass die Invasoren mächtige Freunde hatten; Kilidsch Arslan wird einen solchen Beweis aber kaum gebraucht haben, weil er durch seine regelmäßigen diplomatischen Kontakte mit Konstantinopel wohl über die byzantinischen Verbindungen zu den Franken informiert war. Spätere Quellen bestätigen die formelle, wenn auch problematische Bindung der Franken an Alexios. Ein Chronist namens al-ʿAzimi aus Aleppo behauptet gar, vor ihrer Ankunft habe Alexios „den Muslimen geschrieben, um sie vom Kommen der Franken zu unterrichten“; er führt aber nicht näher aus, welche Muslime auf diese Weise gewarnt wurden.40 Der Sultan (denn so bezeichneten sich die Anführer der Rum-Seldschuken mittlerweile) traf daher eine schlechte Entscheidung, als er beschloss, die absehbare nächste Invasion der Franken nicht bereits im Keim zu ersticken, sondern die Gegend insgesamt zu verlassen und sich seinen Ansprüchen auf Malatya (Melitene) zu widmen, eine weit im Osten gelegene Stadt, um die er mit den Danischmendiden stritt. Im April 1097 kamen die Franken zurück – in größerer Zahl, mit stärkeren Anführern und Verbündeten, und schon im Juni lagerten sie vor den Toren von Nicäa. Modernen Schätzungen zufolge waren sie 75.000 Mann stark, eine außerordentlich große Streitmacht von Kriegern und Gefolge, die unweit versammelten byzantinischen Truppen nicht mit eingerechnet. Innerhalb weniger Tage vernichteten sie Kilidsch Arslans Heer, eroberten seine Hauptstadt und übergaben sie dem Byzantinischen Reich.41

Da es in Anatolien keinen festen muslimischen Hofstaat gab, existieren keine dynastischen Chroniken eventueller Heldentaten von Kilidsch Arslan (oder jemand anderem) gegen die Franken und keine Dokumente zu Einzelheiten über den Vormarsch der Franken durch Anatolien, die mit den lateinischen Quellen vergleichbar wären. Da Anatolien streng genommen ohnehin eine überwiegend christliche Zone war, hegten muslimische Historiker an dieser Etappe der fränkischen Invasion des Nahen Ostens wenig Interesse, bis die Franken das stärker muslimisch besiedelte Syrien erreichten. Die Quellen machen aber immerhin deutlich, dass die Rum-Seldschuken nach dem Fall von Nicäa in der Defensive waren. Kilidsch Arslan zog seine Truppen in den Osten zurück. Etwa zu dieser Zeit zeigten Berichte der neuesten fränkischen Invasion der Länder des Islams weit entfernt in Damaskus Wirkung. „In diesem Jahr [1097]“, teilt uns der dortige Chronist Ibn al-Qalanisi mit, „ging eine Folge von Berichten ein, die Heere der Franken seien aus der Richtung des Meeres von Konstantinopel erschienen, mit einer Streitmacht sonder Zahl.“ „Als ein solcher Bericht auf den nächsten folgte“, fährt er fort, „und sie sich weit und breit herumsprachen, geriet das Volk in Angst und Verwirrung.“42 Kilidsch Arslan, der es nun eilig hatte auf dem Weg in den Osten, in das Territorium seiner Rivalen, der Danischmendiden, konnte die turkmenischen Stämme überzeugen, ihre Differenzen beizulegen, und appellierte an die Pflicht zum Dschihad. Selbst die Danischmendiden standen ihm zur Seite.43 Die vereinten türkischen Streitkräfte machten sich daran, mit einer massiven Kampagne der verbrannten Erde den Vormarsch der Franken nach Osten aufzuhalten; sie brannten Festungen nieder, blockierten Wasserquellen und lauerten ihnen auf jedem Weg, den sie nahmen, auf. Viele kamen ums Leben.

Aber die Franken schienen unaufhaltsam. Im Juli fiel Kilidsch Arslan bei Doryläum, einem verlassenen byzantinischen Heerlager einige Tagesmärsche östlich von Nicäa, über die Franken her, die sich in zwei Gruppen geteilt hatten, um ihren Marsch zu beschleunigen. Das erste Kontingent konnte dem Angriff einen guten Tag lang standhalten; dann traf der Rest des fränkischen Heeres ein. Die unerwartete Verstärkung überwältigte die Türken: „Als [Kilidsch Arslan] solcherart eine große Zahl getötet hatte, wandten sie ihre Streitkräfte gegen ihn, besiegten ihn und zerstreuten sein Heer, wobei viele getötet und viele gefangen genommen wurden. […] Die Turkmenen, die die meisten ihrer Pferde verloren hatten, ergriffen die Flucht. Der König der Römer kaufte eine Vielzahl derer, die [die Franken] versklavt hatten, frei und ließ sie nach Konstantinopel schaffen.“44 Das Ergebnis war für Kilidsch Arslan „eine schmähliche Katastrophe für die islamische Sache, [und daher] wurde die Furcht des Volkes akut, und Angst und Besorgnis nahmen zu“.

An diesem Punkt scheint Kilidsch Arslan beschlossen zu haben, es sei das beste für seine Länder, die Franken so schnell wie möglich passieren zu lassen, und so ließ er sie offenbar in Ruhe. Die Franken drangen weiter nach Südosten vor und „ergriffen dabei alles, was ihnen in den Weg kam, […] in den Grenzfestungen und Gebirgspässen“.45 Die christlichen Quellen bestätigen, dass sich die Franken bei Eregli (Herakleia) in Südostanatolien in zwei Gruppen teilten. Die kleinere zog über den als Kilikische Pforte bekannten Pass in das fruchtbare offene Land Kilikien, das, an der Südküste der heutigen Türkei gelegen, an Nordsyrien grenzt. Dort vertrieb sie ohne Mühe die türkischen Garnisonen in Tarsus und Mamistra. Die zweite Gruppe, die eigentliche Streitmacht, wandte sich nordwärts nach Kayseri (Caesarea) in Kappadokien und weiter durch das Anti-Taurusgebirge nach Marʿash. Unterwegs leisteten vereinzelte türkische Garnisonen kaum Widerstand; die Franken knüpften neue Verbindungen mit der örtlichen armenisch-christlichen Bevölkerung und installierten in einigen Fällen Statthalter von Alexios’ Gnaden.

In Kilikien trat ein armenischer Kriegsherr und ehemaliger Sträfling an einen Anführer der Franken, Balduin von Boulogne, heran und drängte ihn, ihm bei der Eroberung türkisch kontrollierter Städte weiter im Osten zur Seite zu stehen. Balduin ließ sich nicht lange bitten. Als die übrigen Franken sich südwärts auf den Weg nach Syrien zu ihrem Ziel Jerusalem machten, sammelte er etwa hundert Ritter um sich und brach in die Grenzgebiete von Anatolien und Nordsyrien auf, wo er Ende 1097 die Städte Tall Bashir und Rawandan einnahm. Wie die Kreuzfahrer in Kappadokien ebenfalls festgestellt hatten, schien allein der Ruf des Schreckens, der ihnen vorauseilte, zu genügen, um viele türkische Garnisonen dazu zu bewegen, ihre Stellungen zu übergeben beziehungsweise zu verlassen.46 Balduins Präsenz war sicherlich günstig für die armenischen Kriegsherren der Region. Sein Vormarsch erregte die Aufmerksamkeit von Toros, dem armenischen Herrscher der Stadt Edessa (Urfa) jenseits des Euphrats. Die muslimischen Quellen erwähnen nicht, wie Edessa (oder al-Ruha, wie es auf Arabisch hieß) an Balduin fiel, die armenischen und lateinischen Chroniken sind jedoch einigermaßen klar. Toros, der bei seinen Untertanen aufgrund seiner engen Verbindungen zu Byzanz (dessen Kirche Armenier als Häretiker betrachtete) in Misskredit stand und so gut wie umzingelt von türkischen Gegnern war, hoffte, Balduin werde nach Osten kommen und ihn ebenfalls „befreien“. Das tat dieser Anfang 1098 auch, doch im März wandte sich die Bevölkerung gegen Balduins verhassten Patron, tötete ihn und erhob Balduin zum Herrscher von Edessa. Als Inhaber dieses Amts kaufte er die Festung des nahegelegenen Sumaysat (Samosata) von deren türkischem Herrn, machte ihn zu seinem Vasallen und errichtete in Sarudsch auf Einladung des dortigen türkischen Herrschers Balak eine fränkische Garnison. Damit gründete er die Grafschaft Edessa, die ersten der mehr oder weniger fränkischen Herrschaften im islamischen Nahen Osten.47

An diesem Punkt verbreitete sich Panik im Orient. Es schien, als wären sämtliche Grenzen des einst unangreifbaren Hauses des Islams auf einmal zusammengebrochen. 1098 war Sizilien verloren und das, was von al-Andalus noch übrig war, belagert. Fränkische Schiffe befuhren ungehindert das zentrale und westliche Mittelmeer. Und nun hatten es selbst die Rum-Seldschuken und die Danischmendiden mit ihren wilden, furchterregenden Kämpfern nicht geschafft, die Franken an der Durchquerung von Anatolien zu hindern. Der Zusammenbruch der Grenze des Rum-Seldschukenreiches ermöglichte es Byzanz, seinen Herrschaftsbereich östlich nach Anatolien auszuweiten; Balduin jedoch konnte eine feste Stellung in Edessa errichten, die Nordmesopotamien und – wer konnte das wissen? – möglicherweise den Irak und Bagdad selbst bedrohte, das Herz der islamischen Welt. Der überwiegende Teil der Franken hatte sich derweil vor den Toren von Antiochia gesammelt, an der Schwelle zu Syrien. Das Schicksal von Ibn al-Thumna und seinen Rivalen auf Sizilien sowie den zersplitterten Taifareichen von al-Andalus sollte Warnung genug gewesen sein, dass die Aussichten der gespaltenen syrischen Eliten nicht gut waren.

Der Kampf ums Paradies

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