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Aufstieg und Untergang der Fatimiden
ОглавлениеObwohl seit der Mitte des 10. Jahrhunderts in Ägypten und der mächtigen Hauptstadt Kairo angesiedelt, war das Kalifat der Fatimiden mehr als ein ägyptischer Staat. Ihr Aufstieg begann als Bewegung des ismailitischen Zweigs der Schiiten. Im 9. Jahrhundert hatten Missionare der Ismailiten begonnen, ihre Lehren von Syrien und dem Osten aus zu verbreiten, und Anhänger in Nordafrika gefunden, vor allem unter den Kutama-Berbern. Von Sunniten wie von anderen Schiiten als Häretiker betrachtet, standen die Ismailiten dem Quietismus der schiitischen „Zwölfer“-Elite im Irak argwöhnisch gegenüber. Anfang des 10. Jahrhunderts machte die Bewegung – motiviert von messianischen Erwartungen (wobei ihr Führer den Titel al-Mahdi annahm), zusammengehalten von geschickten Administratoren und Führern und gestärkt von berberischem Militär – einen entscheidenden Schritt: Der Herausforderung ihrer nächstgelegenen Rivalen, der örtlichen Vertreter der Abbasiden in der Provinz Ifriqiya (in etwa dem modernen Tunesien), folgte ein schneller Sieg. Dort gründeten die Fatimiden ihren ersten Staat, anfangs – und angesichts ihrer Verbindungen mit den Berbern passenderweise – in der Provinzhauptstadt Kairuan nahe der Wüste, dann in der neuen Hauptstadt ihres Führers an der Küste, die nach ihm al-Mahdiya genannt wurde.
Viele Ismailiten wollten nicht akzeptieren, dass dieser verheißungsvoll benannte, ansonsten aber unbekannte al-Mahdi den Titel eines Kalifen annehmen sollte (was auf einen offenen Konflikt mit dem sunnitischen Kalifen und seinen Anhängern hinauslief), erst recht nicht den eines Imams (was in völligem Widerspruch zu den Nachfolgedebatten um Ismail stand). Aber die fatimidischen Kalifen, die al-Mahdi nachfolgten, konnten mit der Verwirrung leben, da sie schließlich Ägypten eroberten und nun, was immer ihre ismailitischen Religionsgenossen denken mochten, ein Reich vorzuweisen hatten, das sich von Nordafrika bis Ägypten und darüber hinaus erstreckte und Sizilien, Westarabien, den Jemen und einen Großteil von Palästina und Syrien umfasste. Die imperialen und missionarischen Bestrebungen der Fatimiden erreichten ihren Höhepunkt 1059, als al-Basasiri, ein Emir in Diensten der Abbasiden im Irak, gegen die er jedoch seit Kurzem offen rebellierte, sich den Fatimiden anschloss. Mit Geschick und Glück konnten er und seine Soldaten noch in demselben Jahr Bagdad einnehmen und einige Monate lang halten. Und so trat der Name des fatimidischen Kalifen auf den Predigerkanzeln von Bagdad an die Stelle dessen der Abbasiden, womit sich, wenn auch nur für kurze Zeit, die seit Langem gehegten Ambitionen der Fatimiden erfüllten und sie einen spektakulären Teilsieg in einem nun nicht mehr köchelnden, sondern lodernden Religionskrieg feierten.
Wie zur Bestätigung der fatimidischen Propaganda fielen diese weitläufigen Bauarbeiten an einem Imperium mit einer Phase bemerkenswerter ökonomischer Prosperität zusammen. Ägypten war eine legendär lukrative Provinz, der Brotkorb für jedes Reich, das darüber herrschte, und eine wichtige Quelle für Textilien und beträchtliche Mengen an Mineralien. Folglich war der Handel Hauptnutznießer der Herrschaft der Fatimiden, auch weil gleichzeitig rivalisierende Handelsstraßen zwischen Ostafrika und Indien sowie den Persischen Golf hinauf unterbrochen wurden oder ganz ausfielen. In den Jahrzehnten nach dem Jahr 1000 verlagerte sich der Handel am Persischen Golf weiter westlich zum Roten Meer und geriet somit fest in die Hand des fatimidischen Ägyptens. So wurde das Land (und insbesondere Kairo) ein kommerzieller Schmelztiegel, in dem sich Wohlstand und Luxusgüter des Mittelmeerraums und des Indischen Ozeans mischten, konsumiert und weitervertrieben wurden. Zufällig war der erwachende westeuropäische Markt – Firandscha selbst – eine der Randregionen, die nun in den von Fatimiden beherrschten mediterranen Handel hineingezogen wurden, was den Verkehr zur See verstärkte und grundlegende Verbindungen zwischen Ägypten und Italien sowie (weniger direkt) zwischen Ägypten und Europa jenseits der Alpen schuf. Der Handel mit den alten fatimidisch beherrschten Gebieten in Tunesien, dem kommerziellen Drehkreuz des Mittelmeerraums, das Ägypten und seine Geschäftsleute mit Nordafrika, al-Andalus und Sizilien verband, setzte sich derweil unvermindert fort.12
Imperiales Selbstbewusstsein, ökonomischer Wohlstand und der Glaube an die inhärente Gerechtigkeit der islamischen Gesetze verbanden sich unter den Fatimidenkalifen von Kairo zu einem Umfeld, das insbesondere Nichtmuslimen und sogar sunnitischen Untertanen entgegenkam. Während der fatimidischen Epoche bestand die ägyptische Bevölkerung, vor allem auf dem Land, überwiegend aus koptischen Christen. Juden lebten in den meisten Städten, wobei Kairo das Zentrum der großen und lebendigen jüdischen Gemeinde Ägyptens war. Die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung, die sich vor allem in den Städten konzentrierte, waren jedoch Sunniten. Mit anderen Worten: Die herrschenden Fatimiden bildeten eine kleine Minderheit, die ihren nichtismailitischen Untertanen kaum in die Quere kam, was den Glauben anging. Tatsächlich stellt man sich die von ihnen gegründete mächtige „Stadt“ Kairo besser als Palastkomplex vor, in dem die Fatimidenkalifen, die Soldaten und die ismailitische Elite lebten, prunkvoll abgeschieden von den umliegenden Vierteln der Stadtbewohner, mehrheitlich Sunniten, die an der Siedlung Fustat festhielten, der benachbarten alten Hauptstadt von Ägypten, die während der arabischen Eroberungen gegründet worden war und als jener Bezirk in die Stadt integriert wurde, den man heute Alt-Kairo nennt. Die Regierung besetzte ihre Verwaltung ebenso mit Christen und Juden wie mit Muslimen, was vielleicht nicht viele Übertritte zum Ismailitentum beförderte, aber ohne Zweifel die Verbreitung der arabischen Sprache und die Entstehung einer fatimidischen Leistungsgesellschaft. Im fatimidischen Ägypten musste man kein Ismailit sein, um Karriere zu machen.
Dennoch standen die Erfolge der Dynastie der Fatimiden auf tönernen Füßen. Gerade als dieses schiitische Kalifat drauf und dran schien, die sunnitische Welt zu dominieren, begann seine Macht zu schwinden, und seine imperiale Ausdehnung erwies sich als größtenteils symbolisch. Westarabien zum Beispiel war alles andere als sicher in fatimidischer Hand. Die Herrscher der heiligen Städte Mekka und Medina, die fast völlige Freiheit gewohnt waren, erkannten lediglich als Gegenleistung für üppige Zuschüsse die Autorität von Kairo anstatt jener von Bagdad an. In Tunesien und dem Maghreb war die Lage kaum günstiger. Dort hatten die Fatimiden nach ihrem Umzug nach Kairo eine eigene Dynastie von Gouverneuren aus der Berberdynastie der Ziriden eingesetzt, die weitgehend autonom regierte. Sobald die Fatimiden Tunesien verlassen hatten, bekamen die Ziriden große Schwierigkeiten, der regelmäßigen antiismailitischen Pogrome Herr zu werden, die ihre Stellung in Nordafrika untergruben. Da die Imame im fernen Kairo saßen und der kleinen Ismailitengemeinschaft in Tunesien die Ausrottung drohte, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Ziriden aufgaben und sich auf die Seite der Abbasiden in Bagdad schlugen. Das taten sie im 11. Jahrhundert mehrmals, wobei sie offenbar hofften, Abbasiden und Fatimiden zu ihrem eigenen Vorteil gegeneinander ausspielen zu können, was aber ihre vormaligen Herren lediglich erzürnte. Die arabischen Quellen nutzen diese Episode, um den verheerenden Zustrom der Banu Hilal zu erklären, eines nomadischen Stammes aus Ägypten, der im 11. Jahrhundert einen großen Teil des zentralen Maghrebs überrannte, wodurch nur eine Handvoll Städte unter der Kontrolle der Ziriden blieb. Diesen Autoren galten die Banu Hilal als Pest, die ein rachsüchtiger Herrscher der Fatimiden aus Ägypten geschickt hatte, um die Treulosigkeit ihrer Vertreter zu bestrafen. Was auch immer der Grund war – die Autorität der Fatimiden in Nordafrika geriet jedenfalls ins Wanken und war in den 1060er-Jahren verloren.13
Sizilien, traditionell eng mit Nordafrika verbunden, war für die Fatimiden eine weitere Problemzone. Zwar hatte es schon seit der Frühzeit muslimische Raubzüge auf Sizilien gegeben, ganz erobert wurde die Insel jedoch erst im 9. Jahrhundert von den Statthaltern der Abbasiden in Tunesien. Die muslimische Kontrolle dort war folglich erst in jüngster Zeit und hart erkämpft worden. Als die Fatimiden im frühen 10. Jahrhundert Tunesien eroberten, war Sizilien praktisch ein abhängiges Schutzgebiet der Provinz, auf das die Fatimiden daher ebenfalls Anspruch erhoben. Wie die Abbasiden vor ihnen wollten sie die strategische Bedeutung der Insel für die Führung des Dschihad nutzen, um Raubzüge gegen die christliche Schifffahrt zu unternehmen und bei Gelegenheit kleine Teile der italienischen Küste zu besetzen. Als die Imame der Fatimiden nach Ägypten zogen, ließen sie auf Sizilien wie schon in Nordafrika einen Vasallen zurück, der sie vertreten sollte: einen vertrauenswürdigen Emir, dessen Nachfahren, die Kalbiten, die Insel pflichtgetreu, aber sehr unabhängig regierten. Wie das Nordafrika der Ziriden nach dem Auszug der Fatimiden nach Ägypten und in den Osten zerfiel auch die sizilianische Herrschaft der Kalbiten. Lokale Kleinfürsten stritten oft untereinander und mit dem kalbitischen Emirat, dessen letzter Inhaber 1052/53 von der Bevölkerung von Palermo vertrieben wurde. Danach zersplitterte ihr Reich in rivalisierende Stadtstaaten unter Machthabern, die dem trinkfreudigen Ibn al-Thumna und seinem Schwager Ibn al-Hawwas sehr ähnelten, mit deren Geschichte dieses Kapitel begann. Eine direkte Kontrolle der Fatimiden über Sizilien stand unter diesen Umständen nicht zur Debatte.
Die Schwäche der Fatimiden in den Provinzen fiel mit kräftezehrenden Problemen im Zentrum zusammen. Zum fast vollständigen Zusammenbruch des Kalifats kam es erst Mitte des Jahrhunderts, aber Vorzeichen dafür gab es bereits viel früher. Das berühmteste Beispiel für den Niedergang der Fatimiden im 11. Jahrhundert ist die Herrschaft des Kalifen al-Hakim. Sein Auftreten als Kalif lässt sich mit viel Nachsicht als impulsiv beschreiben. Mehr als selbst im fatimidischen Kairo üblich war seine Herrschaft geprägt von blutigen Säuberungsaktionen und Verschwörungen, die die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen stark beschädigten. Al-Hakim selbst sorgte bei seinen Untertanen für Furcht und Unsicherheit, indem er radikale Edikte erließ, um sie dann plötzlich zu widerrufen. Einmal verbot er allen Frauen, das Haus zu verlassen, und ließ (feindseligen Quellen zufolge) sogar die Läden von Schustern schließen, die Frauensandalen herstellten. Ein anderes Mal führte er neue Speisegesetze ein und änderte seit Langem gebräuchliche schiitische Rituale. Entgegen der fatimidischen Tradition erließ er repressive Maßnahmen gegen Nichtmuslime (und Sunniten). Im Jahr 1009 richtete sich ein solcher Erlass gegen christliche Pilger in Ägypten und Palästina, als al-Hakim befahl, die Grabeskirche in Jerusalem – die dem Glauben der Christen zufolge die letzte Ruhestätte Christi enthielt – einzureißen. Die Kirche blieb in Trümmern, bis sie Jahrzehnte später mit byzantinischer Hilfe wiederaufgebaut wurde. Die Reaktionen der westlichen Christenheit auf den Abriss fielen relativ verhalten aus; eine Urkunde berichtet jedoch (wenn es sich nicht um eine Fälschung handelt), Papst Sergius IV. habe an die italienischen Stadtstaaten appelliert, ein Heer bewaffneter Pilger zu entsenden, um „nach Syrien zu segeln und den Erlöser und Sein Grab zu rächen“.14 Falls es diesen Appell wirklich gab, war er ein wichtiges Vorzeichen. Im Jahr 1021 verschwand al-Hakim während eines Ausflugs in den Hügeln vor Kairo. Wahrscheinlich ließ ihn seine Schwester im Zuge einer Palastrevolte ermorden, aber die mysteriösen Umstände seines Todes ließen ihn nur noch dunkler und geheimnisvoller erscheinen. Manche Zeitgenossen, etwa die Drusen, hielten das exzentrische Verhalten und rätselhafte Verschwinden des Imams für ein Zeichen seiner Göttlichkeit. In jüngerer Zeit haben Gelehrte die neuplatonische Philosophie und messianische Glaubenslehren herangezogen, um seine Taten zu erklären. Vielleicht war er einfach nur verrückt.15
Wahnsinnige Gottkalifen waren für die Fatimiden erst der Anfang. Mit den 1060er-Jahren begann eine Epoche von politischem Chaos, die Chronisten das Zeitalter des „großen Unheils“ (al-shidda al-ʿuzma) nennen. Neben dem Scheitern in den Provinzen, das die Steuereinnahmen schmälerte, löste eine Reihe von Niedrigwassern des Nils zwei Jahrzehnte lang fast ununterbrochen Hungersnöte aus und brachte den Kalifen in die demütigende Lage, den Kaiser von Byzanz um Getreide bitten zu müssen. Die angespannte steuerliche Lage sorgte in den fatimidischen Heeren, deren Bezahlung sowieso im Rückstand war, für Ungehorsam und Aufruhr. Schon bald fochten Abteilungen türkischer und schwarzafrikanischer Sklavensoldaten – die mittlerweile die Berber ersetzten, die die Fatimiden an die Macht gebracht hatten – offene Schlachten auf den Straßen Kairos aus. Der Kalif al-Mustansir sah sich schließlich gezwungen, einen Teil der königlichen Schätze zu verkaufen, um sich die Mittel zu verschaffen, die Ordnung wiederherzustellen – ohne Erfolg. Aus Verzweiflung ließ er 1073 Badr al-Dschamali rufen, den skrupellosen Statthalter von Akkon, und ernannte ihn zu seinem Wesir. Badr und sein Privatheer armenischer Soldaten erzwangen die Wiederherstellung von Recht und Ordnung in der Hauptstadt, leiteten damit aber auch eine Phase zunehmender Militarisierung des Fatimidenstaats ein, die bis um Abtritt der Dynastie 1171 anhielt.