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Kapitel 2 Weit über das Meer

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Ibn al-Thumna trank gern, und das brachte ihn in Schwierigkeiten. Als einer von mehreren muslimischen Befehlshabern im Sizilien des 11. Jahrhunderts, die zu Herrschern eigener kleiner Fürstentümer aufstiegen, erhob er Anspruch auf die Städte Syrakus und Catania. Die weit entfernten fatimidischen Herren der Insel waren immer weniger in der Lage, sich um die dortigen Belange zu kümmern, was den Aufstieg von Männern wie Ibn al-Thumna begünstigte. Ein Anzeichen für seine wachsende politische Macht war, dass er die Schwester seines Rivalen Ibn al-Hawwas heiraten durfte, des Herrschers der wichtigen Städte Castrogiovanni und Agrigent und mächtigsten der kleinen Machthaber auf Sizilien.

Ibn al-Thumnas neue Ehefrau Maymuna war alles andere als ein Mauerblümchen. Eines Tages, als Ibn al-Thumna wieder einmal zu tief ins Glas geblickt hatte, sagte er etwas Unfreundliches zu ihr, und sie schimpfte angemessen zurück. Wütend über die Widerworte sann er auf grausame Rache. Er veranlasste, dass sie zur Ader gelassen wurde, und wollte sie, die antike Behandlungsmethode mit mörderischem Vorsatz missbrauchend, verbluten lassen. Glücklicherweise hatte sein Sohn den Streit mitbekommen und rief die Ärzte seines Vaters herbei, die Maymunas Wunden verbanden und sie pflegten, bis sie wieder bei Kräften war. Am nächsten Morgen bat der ausgenüchterte und reuige Ibn al-Thumna seine Frau um Verzeihung und schob die Schuld auf seine Trunkenheit. Maymuna, eine Veteranin der sizilianischen Bürgerkriege, heuchelte Vergebung und bat sittsam um die Erlaubnis, ihren Bruder zu besuchen, den mächtigen Befehlshaber Ibn al-Hawwas. Ibn al-Thumna willigte sogleich ein und gab ihr eine Vielzahl von Geschenken mit, wie es sich gehörte. Am Hofe ihres Bruder eingetroffen, erzählte ihm Maymuna die ganze schmutzige Geschichte, und Ibn al-Hawwas schwor an Ort und Stelle, nie wieder werde er seine Schwester zu Ibn al-Thumna zurückkehren lassen.

Dieser verlangte die Herausgabe seiner Gattin, und als seinem Drängen eine Abfuhr erteilt wurde, rief er seine Soldaten zusammen und machte sich auf den Marsch zu seinem Schwager, um sie zurückzuholen. Die beiden Heere bekämpften sich mit wechselnder Fortune in ganz Sizilien, bis es endlich so aussah, als wären Ibn al-Thumnas Truppen geschlagen. Im Mai 1061 verlegte sich Ibn al-Thumna auf eine bewährte Notfallstrategie und füllte seine schwer dezimierten Reihen mit Söldnern auf. Die Männer, die er anheuerte, waren Franken, genauer gesagt: kurz zuvor aus Nordfrankreich in Italien angelangte Normannen. Unter der Führung von Robert, genannt Guiskard („der Fuchs“), und seinem Bruder Roger, mit dem Segen und unter dem Banner des Papstes, setzten die Krieger aus dem Norden auf die Insel über und hatten 1091 ganz Sizilien für sich selbst erobert. Es waren die ersten Wellen dessen, was ein muslimischer Poet der Zeit nach dem Ersten Kreuzzug später „eine Flut“ nannte, „deren Ausmaß selbst die Sturzfluten des Ozeans in Schrecken versetzt“.1

Mit einer solchen Geschichte lässt sich tatsächlich etwas anfangen. Von den allerfrühesten Quellen an betrachteten muslimische Chronisten die Kreuzzüge gegen Syrien und Palästina nicht als radikal neues Phänomen, das vom Christentum ausging, sondern ganz einfach als neueste Episoden einer viel weiter zurückreichenden Reihe von fränkischen Angriffen auf das Haus des Islams. Diese Geschichte trat Mitte des 11. Jahrhunderts mit einer Reihe erfolgreicher, dauerhafter fränkischer Invasionen auf muslimisches Territorium in eine neue Phase – lange bevor Papst Urban II. zu dem berühmten Ersten Kreuzzug von 1095–99 aufrief. Aus dieser Perspektive betrachtet, war die erste der neuen und besorgniserregenden Invasionen jene, die dem Islam Sizilien entriss und weiteren fränkischen Eroberungen in al-Andalus, Nordafrika und schließlich dem Nahen Osten Tür und Tor öffnete. Sizilien brauchte also einen Sündenbock.

Die Chronisten, die von diesen Ereignissen berichteten, brauchten jemanden, um die muslimische Gemeinschaft von der kollektiven Bürde des Scheiterns zu befreien, und so schoben sie die Schuld auf einen Mann, mit dessen strategischen und moralischen Unzulänglichkeiten sich der Verlust von Sizilien und alles, was ihm folgte, hinreichend erklären ließen. Diesen Anforderungen entsprach Ibn al-Thumna perfekt. Fast schon zu perfekt. Es mag wahr sein, dass er Robert Guiskard und seine Männer angeheuert hatte, um ihm in seinem Kampf gegen Ibn al-Hawwas auf Sizilien zur Seite zu stehen. Aber die Normannen waren schon zuvor in die Belange Siziliens involviert gewesen. Und so lehrreich die Geschichte seiner Eheprobleme sein mag: Wir wissen wirklich gar nichts von Ibn al-Thumnas Stärken und Schwächen und eigentlich auch nicht von denen seiner Frau. Dass ihn die Historiker als arroganten Tyrannen und Trunkenbold karikierten, der seine Frau schlug – Eigenschaften, die muslimische Leser ohne jeden Zweifel verdammen würden –, sollte erst recht die Frage aufwerfen, wie viel man diesem einen Mann tatsächlich zuschreiben kann. Denn selbst wenn Ibn al-Thumnas Vorgehen den Verlust von Sizilien herbeigeführt haben mag, reicht es keinesfalls aus, um die folgenden Wellen fränkischer Eroberungen und Ansiedlungen im Haus des Islams während der restlichen Jahre des 11. Jahrhunderts zu erklären. Dazu sollten wir uns weniger auf die Ehe dieses Mannes konzentrieren als auf seine Umwelt und die Veränderungen, die in den Jahrzehnten nach der ersten Jahrtausendwende den gesamten Mittelmeerraum umgestalteten. Aber auch das ist etwas, wofür die arabischen Chronisten eine Menge Erläuterungen parat haben.

Der Kampf ums Paradies

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