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Die Franken blicken nach Osten

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Sizilien und al-Andalus waren erst der Anfang. 1096, nur wenige Jahre nach der Eroberung von Sizilien und dem Fall von Toledo, erreichten abendländische Heere mit Unterstützung byzantinischer Griechen die Küste von Anatolien, der heutigen Türkei. Dies war der erste Schritt zur christlichen Invasion des islamischen Nahen Ostens. Aber indem die Europäer von der mächtigen Hauptstadt Byzanz aus auf die asiatische Seite des Bosporus übersetzten, betraten sie staatenloses Gebiet, den Wilden Westen des Nahen Osten, und nicht, wie manche annehmen, das höfische Zentrum des türkischen Islams.

Die Kreuzfahrer, die nach Anatolien vordrangen, stießen daher auf eine soziale Grenzlandstruktur, die keine Ähnlichkeit mit dem hatte, was sie in Sizilien und al-Andalus mit ihren Stadtstaaten und opulenten Taifakönigreichen angetroffen hatten. Anatolien beheimatete die älteste und berühmteste Grenze zur christlichen Welt, die für die meisten Muslime nicht durch die vielen Kleinherrscher in Westeuropa, sondern durch das „Oströmische“ oder Byzantinische Reich der Griechen verkörpert wurde. Im 7. Jahrhundert, als muslimische Heere nach und nach die meisten byzantinischen Gebiete im Nahen Osten und in Nordafrika eroberten, wurde Anatolien zur Zuflucht und zum Kernland des Imperiums; selbst Muslime erkannten Anatolien als das römische Territorium par excellence an und nannten es Bilad al-Rum („Land der Römer“) oder einfach Rum. Mit der Zeit allerdings wurde es zur Pufferzone zwischen den imperialen Bestrebungen des Kalifats und des Byzantinischen Reichs und über die Jahrhunderte seit dem Aufstieg des Islams zum Schauplatz eines ewigen Hin und Her. Byzanz endlich zu erobern war das lang gehegte Ziel vieler auf Dschihad sinnender islamischer Krieger und der religiösen Eliten.36

Im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts waren indes turkmenische Stämme nach Iran, in den Irak und das östliche Anatolien eingewandert – Teil einer umfassenden Wanderung turksprachiger Völker aus Zentralasien. Die herausragende Gruppe unter ihnen war die Familie von Stammesfürsten aus dem Turkvolk der Oghusen, die man als Seldschuken kennt. Die Oghusen waren seit Langem mit der islamischen Zivilisation vertraut, da sie in den Heeren zahlreicher muslimischer Fürsten in Ostiran gekämpft hatten. Als sie den Irak erreichten, waren die Oghusen (und somit auch die Seldschuken) relativ treue Anhänger des Glaubens und, zumindest der Theorie nach, sunnitische Muslime. Daher hatten die Seldschuken ein spezielles Interesse an der Misere der abbasidischen Kalifen, die sie durch eine schiitische Dynastie, die Buyiden, bedroht sahen, die damals im Irak dominierten. Bis 1055 fegten die Seldschuken durch ganz Iran und vertrieben die Buyiden aus Bagdad. Als Gegenleistung für diese Dienste am Kalifat und dem sunnitischen Islam ernannte der Kalif den seldschukischen Stammesfürsten zum Sultan und übertrug ihm damit die Kontrolle über sämtliche Staatsgeschäfte, insbesondere im militärischen Bereich. Tatsächlich hatten die Abbasiden damit lediglich ihre Gefängniswärter ausgetauscht, und die seldschukischen Sultane (zur Unterscheidung von anderen Zweigen für gewöhnlich „Großseldschuken“ genannt) und ihre türkischen Truppen fügten sich nur zu gern in ihre neue Stellung als effektive Herrscher der islamischen Welt vom Irak bis nach Mittelasien.

Andere Gruppen turkmenischer Nomaden, die die Seldschuken in den Irak begleiteten, gelangten schon vor ihnen in den Nordirak, nach Armenien und Ostanatolien – die Länder von Rum –, wo sie umgehend die Rolle der ghazi (Grenzkrieger) übernahmen, die von Generationen muslimischer Kämpfer etabliert worden war, und sich von dem Land ernährten, indem sie Siedlungen überfielen, Vieh stahlen, ihre eigenen Herden weideten und hin und wieder als Söldner in den Dienst des Byzantinischen Reichs traten. Den Seldschuken waren solche Aktivitäten nicht unbedingt recht, und gelegentlich sahen sich die Sultane in ihrer Abhängigkeit von den Turkmenen gezwungen, die Nomaden mit Gewalt gefügig zu machen. In Anatolien kam es im Rahmen dieser Aktivitäten bisweilen auch zu größeren Feldzügen, wodurch der Druck auf das Byzantinische Reich im Laufe des Jahrhunderts stetig zunahm.37 Ihren größten Sieg feierten die Türken 1071 bei Manzikert in Armenien. Eine der vielen damit verbundenen Demütigungen war, dass der byzantinische Kaiser Romanos IV. Diogenes gefangen genommen und als Geisel gehalten wurde; der neue Sultan Alp Arslan ließ ihn jedoch bald frei. Und der Druck hielt an: Für die Turkmenen war Anatolien Weideland und Beutegebiet – eine Region, die noch nicht zur Annexion anstand.

Die Griechen konnten dagegen wenig ausrichten. Das Byzantinische Imperium, das so sehr mit den anatolischen Ländern identifiziert wurde, war schlichtweg nicht mehr in der Lage, sie zu verwalten. Seit der Katastrophe von Manzikert war das Reich angeschlagen und seine militärischen Kapazitäten erschüttert. Die Abwesenheit von Romanos IV. aus Konstantinopel während seiner Gefangenschaft hatte zu einer Reihe von Staatsstreichen geführt, angefangen mit der Thronbesteigung des Fürsten Michael VII. bis hin zu Kaiser Alexios Komnenos. Letzterer galt als sehr fähiger Feldherr, der sich mit der Niederschlagung von Aufständen auf dem Balkan und in Anatolien einen Namen gemacht hatte. 1081, als Alexios dabei war, ein Heer aufzustellen, um niemand anderem als dem Schrecken der Welt – Robert Guiskard und seinen normannischen Heeren – entgegenzutreten, kam es zu einer Palastrevolte, um ihn auf den Thron von Byzanz zu heben, als Begründer der Dynastie der Komnenen. In der Zwischenzeit ging jedoch fast ganz Anatolien verloren.

Aber auch die Sultane der Großseldschuken konnten schwerlich Ansprüche auf die Beute geltend machen, und so blieb Anatolien zum Großteil Niemandsland. Die frühen Sultane hatten großes Interesse an der Region gezeigt, insbesondere Alp Arslan und sein Sohn Malikshah. Beide bemühten sich – oft mit byzantinischer Hilfe –, die nun dort lebenden turkmenischen Stämme zu beherrschen. Aber das Interesse war kurzlebig, und keinem der Sultane gelang es, auf dem Erfolg bei Manzikert aufzubauen. Anatolien war schließlich nur ein Grenzgebiet ihres expandierenden Reichs, das sich nach Osten bis nach Iran erstreckte und eine bewegte, vielversprechende Front im Norden von Syrien umfasste, wo Malikshahs Bruder Tutush nach weiteren Händeln mit dortigen Turkmenen (denen wir uns in Kapitel 3 zuwenden werden) das Heft in die Hand genommen hatte. Zudem wurde das Sultanat selbst nach Malikshahs Tod 1092 von einem Bürgerkrieg zerrissen, in dem sein Sohn Barkyaruq seinen Thron drei Jahre lang gegen alle Herausforderer verteidigte. Vor diesem Hintergrund war kaum zu erwarten, dass die Großseldschuken in Iran ihren Einflussbereich auf Anatolien ausdehnten.

Die turkmenischen Stämme, die sich im anatolischen Grenzgebiet gut eingelebt hatten, profitierten nun von diesem Machtvakuum. Es gab lediglich zwei Konföderationen, die so etwas wie eine Struktur lieferten, um ihre Energien zu organisieren. Die erste wurde angeführt von einem abtrünnigen Zweig der Seldschukenfamilie, der die anatolischen Stämme als Schlüssel zur eigenen Macht betrachtete. Einer dieser seldschukischen Herrscher (aufgrund ihrer anatolischen Herkunft als „Rum-Seldschuken“ bezeichnet) war Kilidsch Arslan, einst Geisel seiner Stammesbrüder in Iran. 1092 wurde er befreit, flüchtete nach Anatolien und machte Nicäa (Iznik) zu seiner Hauptstadt. Der Machtbereich der Rum-Seldschuken umfasste Mittel- und Südanatolien und reichte im Osten bis Iconium (Konya), aber nicht weiter.

Im Nordosten dominierte seit den 1070er-Jahren eine weitere, obskurere Konföderation die nördlichen Straßen der Halbinsel und die Gegend von Sivas, Tokat und Amasya. Diese Turkmenen führte ein Mann, der den persischen Titel danischmend („weiser Gelehrter“) trug, was darauf schließen lässt, dass sein politisches System wie das so vieler Grenzvölker seine Wurzeln in einer Form von religiöser oder spiritueller Bewegung unter Stammesangehörigen hatte, die dem Dschihad anhingen. Die Räume von Anatolien zwischen den Rum-Seldschuken und den Danischmendiden blieben herrenlos; von dort übten die Turkmenen unablässig Druck auf das Byzantinische Reich aus.38

Diese „türkische Bedrohung“ im Osten, die „normannische Bedrohung“ im Westen und die völlige Instabilität in Konstantinopel brachten viele byzantinische Kaiser nach der Katastrophe von Manzikert dazu, militärischen und politischen Beistand im westlichen Europa bei den dortigen Herrschern und dem Papst zu suchen. Tatsächlich kamen abendländische Kontingente dem Kaiser in den Jahrzehnten vor dem Ersten Kreuzzug im Kampf gegen die Türken in Anatolien zu Hilfe. Der spektakulärste Waffengang von Westeuropäern gegen die Türken vor der Invasion von 1096 war sicherlich der von Roussel de Bailleul, einem normannischen Abenteurer, der auf Sizilien in der Schlacht von Cerami mit Roger gekämpft hatte und später als Söldner in Diensten des byzantinischen Kaisers Romanos IV. stand. Obwohl man ihn in Manzikert des Verrats beschuldigte, blieb Roussel in kaiserlichem Dienst und wurde mit einer großen fränkischen Streitmacht 1073 gegen die Türken in die Region Galatien entsandt. Daraufhin ernannte er sich prompt selbst zum Fürsten eines eigenen Reichs, zweifellos nach dem Vorbild seiner Stammesbrüder, die in Italien ähnlich vorgingen. Michael VII. bat die Seldschuken um Beistand, um ihn zu stürzen, aber Roussel entkam und verkroch sich in Amasya. Dort stöberte ihn 1074 Alexios auf, damals noch bloßer Heerführer und noch nicht Kaiser, und nahm ihn gefangen. 1077 wurde er jedoch gegen ein hohes Lösegeld freigelassen und als Führer einer Streitmacht gegen einen rebellischen byzantinischen Heerführer nach Anatolien geschickt, mit dem er sich charakteristischerweise verbündete und sich der Rebellion anschloss. Der Kaiser bat erneut die Seldschuken um Hilfe, die Roussel in Nikomedia gefangen nahmen. Er wurde nach Konstantinopel gebracht und hingerichtet.

Deshalb erwartete Alexios, nunmehr Kaiser, im Sommer 1096 mit einer gewissen Beklommenheit eine Gruppe von Westeuropäern, die aufgrund seines Ersuchens an Papst Urban II. beim Konzil von Piacenza im März 1095 auf dem Weg nach Konstantinopel war. Ohne Zweifel hoffte er auf mehr als die üblichen Trupps europäischer Söldner, die zuvor Konstantinopel passiert hatten. (Roussel etwa hatte seinen Kleinstaat in Galatien mit etwa dreitausend Mann errichtet, andere Kontingente waren wesentlich kleiner.) Was dann aber kam, übertraf, milde ausgedrückt, sämtliche Erwartungen: eine viele Zehntausende zählende Masse römischer Christen, Kämpfer und Zivilisten, Männer und Frauen, reich und arm, befeuert von unermüdlichen päpstlichen und volkstümlichen Predigten, von Lehns- und Treueeiden gebunden, auf bewaffneter Pilgerfahrt zur Hilfe ihrer christlichen Brüder im Osten und zur Befreiung von Jerusalem aus den Händen der „Heiden“ sowie, falls sich irdische Reichtümer nicht erlangen ließen, begierig nach etwas Ruhm. Spätere Generationen sollten diese Bewegung als Ersten Kreuzzug bezeichnen.

Nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, drängte Alexios diese erste Welle von Kreuzfahrern, die in den arabischen Quellen als „Franken“ bezeichnet werden, eine Weile in Konstantinopel zu bleiben, weil er erfuhr, dass sogar noch größere und besser organisierte Heere anderer fränkischer Herrscher noch im Westen unterwegs waren. Die von den nahe der Hauptstadt lagernden Neuankömmlingen verursachte Unordnung wurde jedoch schnell zur Belastung. Daher ließ Alexios sie über die Meerenge zu dem Außenposten Kibotos (fränkisch Civetot) verschiffen, wo sie, versorgt aus der Hauptstadt, auf ihre Landsleute warten sollten. Die Franken, die mehr als 1500 Kilometer gereist waren, um nach Jerusalem zu gelangen, saßen nun also an der Spitze von Anatolien fest. Nicäa, die Hauptstadt von Kilidsch Arslan, lag kaum vierzig Kilometer südöstlich.

Es fiel den Anführern der Franken zu, in der Hauptstadt über ihre Versorgung zu verhandeln. Während einer solchen Abwesenheit nahmen die Kreuzfahrer, die derweil untätig in Kibotos zurückblieben, die Dinge selbst in die Hand und schickten Trupps zum Plündern aufs Land, weiter und weiter nach Südosten. Daraus entwickelte sich bald ein riskantes „Wer zuerst kneift „…“-Spiel, bei dem verschiedene regionale Kontingente unter den Franken miteinander wetteiferten, wie nahe sie auf ihren Raubzügen gefahrlos an Nicäa herankommen konnten. Die Deutschen gewannen das Spiel – und erlitten dadurch eine schwere Niederlage. Einige Kilometer von Nicäa eroberten sie die Festung Xerigordon, verschonten die dort lebenden Griechen, töteten jedoch alle anderen Bewohner. Das erregte sofort die Aufmerksamkeit von Kilidsch Arslan, der den Ort von türkischen Truppen umzingeln ließ. Da diesen die Belagerung zu eintönig war, zündeten sie die Burg an, fingen die Deutschen auf der Flucht ab, nahmen einige als Sklaven und kehrten nach Nicäa zurück.

Etwa eine Woche später, im Oktober 1096, entsandte Kilidsch Arslan einen kleineren Spähtrupp, um die Lage in Kibotos zu sondieren. Er traf auf weitere Plünderer, die getötet wurden. Als Kilidsch Arslan erfahren hatte, was er wissen musste, stellte er eine größere Streitmacht zusammen und führte sie offenbar persönlich nach Kibotos, um den Störenfrieden ein Ende zu bereiten. Auf dem Weg begegneten sie unerwartet den übrigen Kreuzfahrern, die unterdessen beschlossen hatten, auf Nicäa zu marschieren, um das deutsche Debakel in Xerigordon zu rächen und „[Kilidsch Arslan] und seine Türken zum Kampf zu reizen“.39 Auf einer weiten Ebene, die ihrer Schlachttaktik entgegenkam, dezimierten die türkischen Bogenschützen die Kreuzfahrer und verfolgten den Rest auf der Flucht bis zurück nach Kibotos, das die Türken plünderten und dabei viele von den Franken zurückgelassene Zivilisten gefangen nahmen. Die wenigen fränkischen Überlebenden flohen in eine verlassene Festung an der Küste. Es gelang den Türken nicht, sie zu stürmen, ehe byzantinische Schiffe eintrafen und die Flüchtlinge zurück nach Konstantinopel brachten.

Der Kampf ums Paradies

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