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14.

Penelope Assid

Die Hoschken waren halbkapselförmige Wägen auf Rädern, die mit einer elastischen Masse beschmiert worden waren. Einer Masse, die aus dem gehärteten Speichel der Vun bestand und stark federnd wirkte. Vor die Gefährte waren schweinsähnliche Kreaturen gespannt, die mit gemächlichem Schritt einen Weg parallel zum Wohnwald trabten.

Sysca plauderte mit Assid über Architektur. Über nachhaltige Bauweisen. Über die jahrzehntausendealte Zivilisation der Vun, herausragende Persönlichkeiten und berühmte Kollekts, über Ethik und Moral. Über ihr persönliches Umfeld und das Leben in den Waldstädten. Über biolumineszierende Tiere, Eichhörnchen ähnlich, die geduldet wurden, obwohl sie sich von den aus Dung und Lehm bestehenden Wänden der Städte ernährten. Sie waren wie bunte Tupfen in der zunehmenden Dunkelheit und sorgten für ausreichend Licht.

Sysca sprach über Erziehung, Kunst, Kultur, Redewettbewerbe, spielerische Sportjagden und Ringerwettbewerbe, die mit abgebundenen Fangbeinen stattfanden. Sie rezitierte Gedichte von trauriger Schönheit und sprach über Finessen der Vun-Sprache, die sechs Zukunftsformen kannte.

Assid hätte sich gerne in ihr Fachgebiet verbissen und mehr über xenolinguistische Feinheiten erfahren. Aber dies war nicht ihre Aufgabe. Sie musste so viel Wissen wie möglich anhäufen. So hatte es der Parolgeber Bru Shaupaard von ihr gefordert. Also hörte sie geduldig zu und speicherte eigene Gedanken in ihrem Armbandkom.

Die Stadt blieb hinter ihnen zurück, Dunkelheit umfing sie auf dem schmalen Weg. Kaum ein Geräusch war zu hören, nur das Rumpeln der Räder – und das aufgeregte Plappern anderer Expeditionsteilnehmer.

Fünf weitere Hoschken folgten ihrem Gefährt. In jedem saßen zwei oder drei Besatzungsmitglieder der RAS TSCHUBAI, während Bru Shaupaard ihnen zu Fuß folgte. Sein Kopf und sein Oberkörper leuchteten. Er hinterließ in der Dunkelheit eine Flimmerspur, was insbesonders die Vun faszinierend zu finden schienen.

Die Hoschke fuhr weiter, vorbei an im Wind wogenden Farnblättern und vereinzelt dastehenden Findelsteinen.

Schließlich erreichte die kleine Karawane die Kuppel eines sanften Hügels. Vor ihr lag der Einstich in ein steil hochragendes Felsmassiv. Ein Weg, der in den Stein geschlagen worden war und in mehreren Serpentinen hoch zum Plateau führte.

Dies war also der Weg zum Totenwald Tar?

»Sie kommen«, sagte die Vun und drehte ihren mächtigen Körper nach hinten.

»Wer?«, fragte Assid und folgte Syscas Blicken.

Sie entdeckte Lichter, kleine und große. Fackeln, die zu anderen Hoschken gehörten oder von Vun getragen wurden.

Sie kniff die Augen zusammen und blinzelte. Im Sternenlicht erkannte sie immer mehr der kleinen Lichtpunkte.

»Es müssen Zehntausende sein«, sagte sie.

»Die ersten Besucher aus den anderen Städten. Sie werden hier in der Ebene lagern und warten. So lange, bis die VECU erscheint. Sie wollen sie mit all ihren Sinnen erleben.«

Wollen die Vun bloß Zeugen eines besonderen Ereignisses sein? Oder dienen sie einem ganz anderen Zweck? Bin ich die Chronistin ihrer Auslöschung?

Assid gruselte bei der Vorstellung, dass sich unzählige Lebewesen freiwillig von der Superintelligenz berühren lassen wollten. Sie hatte am eigenen Leib miterlebt, wie es war, einen Teil der VECU in sich zu tragen. Und doch: Die VECU war eine positive Superintelligenz, die symbiotisch aufbaute und nicht parasitär aussaugte. Aber sie war in einer Ausnahmesituation, in der die normalen Maßstäbe womöglich nicht mehr angelegt werden konnten.

»Wir fahren den Berg hoch?«, fragte Assid.

»Richtig. Entlang der Straße siehst du erste Elemente des Totenwaldes Tar. Sie mögen auf dem ersten Blick unscheinbar wirken. Aber sie stehen für all das Gute und Besondere in uns.« Sysca deutete in Richtung zweier Steinansammlungen, die links und rechts des Weges in breiten Mulden standen. Unmittelbar vor der Rampe der ersten Steigung.

»Die elegischen Wächter«, sagte die Vun andächtig. »Die beiden Bauten sind mehrere Jahrhunderte alt.« Ihre Worte wurden undeutlicher. Sysca erzeugte eine Melodie mit ihren Fangbeinen.

Assid kniff die Augen zusammen, als sie die beiden etwa drei Meter hohen Steinansammlungen passierten. Es war, als hätte jemand kopfgroße Elemente übereinandergestapelt und dabei keinerlei Rücksicht auf die Gesetze der Schwerkraft genommen. Die Anhäufungen kragten weit nach links und rechts aus und hätten längst umkippen müssen. Beide ruhten in halbkugeligen Senken. Sie strahlen eine sonderbare Wärme ab. So, als hätten sie sich tagsüber mit Hitze aufgeladen und würden sie nun abgeben.

»Aus welchem Material bestehen die Wächter? Sie wirken so leicht, so anmutig.«

»Das sind die Kopfkapseln unserer Verstorbenen«, sagte Sysca mit leiser Stimme. »Wir beißen die Schädel unserer Toten zu ihrer Ehrung ab und erhalten sie. Sie wurden einzig für den morgigen Tag konserviert.«

*

Penelope Assid wusste, dass man das eigene Verhalten nicht auf andere umlegen durfte. Menschliches Tun war anders als das von Halutern, Blues, Maahks oder das von genetischen Verwandten wie den Arkoniden. Selbst umweltangepasste Imarter oder Epsaler wollten nicht mit einem Terraner verglichen werden.

Die Vun waren so schrecklich anders, dass selbst Assid mit all ihrer Erfahrung mit Fremden Mühe hatte, Syscas Worten zu folgen und sie zu verstehen.

»Es ist eine große Ehre, bei einer Todeszeremonie dem Sterbenden den Kopf abzubeißen«, sagte Sysca und fügte mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme hinzu: »Ich durfte bereits dreimal zuschnappen.«

»Und ... danach trocknen die Köpfe aus?«

»Sie werden von den Mitgliedern des Klage-Kollekts mit Körperflüssigkeit besprüht. Sie erzeugen eine kühlende Schutzschicht, das Glacee.«

»Was ist das Klage-Kollekt?«

»Die Mitglieder des dritten Geschlechts versammeln sich in Gruppen zu acht Mitgliedern. Sie sind genetisch nicht darauf ausgelegt, sich zu vereinen. Sie bleiben meist isoliert.«

»Sie werden also geächtet?«

»Ganz im Gegenteil. Sie sind lebensnotwendig für den Fortbestand unseres Volkes. Sie sind voll mit Pheromonen, Botenstoffen und Sekreten, die sie für den geeigneten Anlass verwenden. Sie helfen bei der Eiablage, indem sie Glücksgefühle der Mütter fördern. Sie sorgen dafür, dass die Mitglieder eines Kollekts stets beisammenbleiben und füreinander den höchsten Respekt empfinden. Sie unterstützen beim Zeugungsvorgang, bei Konflikten, bei Streit zwischen Kollekts. Sie sorgen dafür, dass ein Sterbender schmerzfrei und zufrieden ist, wenn ihm der Kopf abgebissen wird.«

»Ich ... verstehe. Was hat es mit diesem Glacee auf sich?«

Sie erreichten die dritte Kehre der Serpentinenstraße und hatten damit etwa die Hälfte des Weges geschafft. Das Land unter ihnen war von Myriaden von flackernden Lichtern getupft. Immer mehr kamen aus allen Richtungen hinzu.

»Es ist ein kühlendes Sekret, das die Restwärme aus dem Kopf des Toten zieht. Sobald der Tag beginnt und du den Totenwald siehst, wirst du ein Hitzeflimmern über den Glacee-Schalen erkennen, in denen die Kopftürme unserer Toten ruhen.«

»Das alles ist sehr fremd für mich«, gestand Assid. »Wir haben ebenfalls Rituale, die uns helfen, den Tod eines Geliebten oder Angehörigen besser zu verarbeiten. Aber sie sind nicht so komplex wie eure.«

»Ihr seid auch nicht das Volk, das die VECU ausersehen hat.« Stolz schwang in Syscas Stimme mit. Die Vun trieb die laut schnaufenden und grunzenden Hoschkentiere mit einer langen, dünnen Gerte an. »Es ist unsere Aufgabe, sie zu beschützen und ihr zu helfen. Wir sind ihr letztes Volk.«

Sysca hieb kräftig zu, die Räder ihres Gefährts knirschten laut über Sand und Stein.

*

Ein sonderbares Glimmern lag über dem Plateau. Oder waren es bloß Assids überreizte Augen, die ihr diesen Eindruck vermittelten?

Im Licht der Sterne erahnte sie unzählige Glacee-Schalen, in denen die Köpfe der Vun hochgestapelt waren. Die Konstrukte spotteten den Gesetzen der Schwerkraft. Es war, als hätten es die Architekten dieser Nekropole darauf angelegt, die Totenschädel in möglichst waghalsigen Bauten zur Schau zu stellen.

Bas Amanje trat an Assids Seite. »Ich habe eine Spionsonde losgeschickt«, flüsterte ihr der Nexialist ins Ohr.

»Das hättest du nicht tun sollen«, murmelte Assid. »Es ist respektlos.«

»Ich weiß. Aber was die Sonde gefunden hat, ist wichtig.«

»Und zwar?«

»Das Gelände ist gewaltig groß. Weit größer, als wir es von hier aus überblicken können. Es müssen Abermillionen Vun-Köpfe hier aufgebahrt sein.«

»Und?«

»Dieses Glacee muss ein wahres Wundermittel sein. Wenn ich ein wenig davon abzweigen und analysieren könnte ...«

»Untersteh dich, Bas! Dieser Totenkult ist für die Vun von allergrößter Bedeutung. Sag mir endlich, worum es dir eigentlich geht.«

»Das Glacee hat den Kopfkapseln nicht nur die Restwärme entzogen und sie geschützt, sodass sie über lange Zeit hinweg konserviert bleiben. Die Sonde hat in ihnen darüber hinaus geringe elektrische Aktivität festgestellt.«

Assid zuckte zusammen. »Möchtest du mir etwa sagen, dass diese Köpfe immer noch Leben in sich tragen?«

Amanje nickte. »In gewissem Sinne – ja. Diese Vun sind niemals ganz gestorben.«

Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2)

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