Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 111
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Einbruch und Zellaktivator
Die Positronik der LAURIN-Jet gab stillen Alarm. Rhodan besah sich die Werte der Ortung, und sie gefielen ihm gar nicht.
Er wechselte einen raschen Blick mit Andra Erran, der Pilotin, die ihn im Einsatz begleitete – und die auf jeden Fall in der LAURIN zurückbleiben würde, während Rhodan die Ausweglose Straße betrat.
Die zierliche Terranerin gehörte seit vielen Jahren zur Beibootbesatzung der RAS TSCHUBAI. Rhodan war ihr nie zuvor begegnet, aber Farye hatte sie wärmstens empfohlen, und sie war ihm auf den ersten Blick sympathisch gewesen. Sie trug die Haare auf einen Zentimeter geschnitten und auffallend lila gefärbt.
Anders als sie es aufgrund der bisherigen Informationslage erhofft hatten, hüllte sich die Ausweglose Straße in einen Schutzschirm. Weder der abgehörte Funk noch Zemina hatten das als Standard beschrieben. Aber die Cairaner konnten unmöglich von seinem geplanten Vorstoß wissen.
Oder doch?
Durfte er sicher sein, dass sein Vordringen bislang unbeobachtet geblieben war? Dass es keine undichte Stelle gab, durch die seine Pläne schon im Voraus an die Ohren der Feinde gesickert waren? Sei es eine raffinierte, heimliche Abhörtechnologie, die irgendwie an Bord der BJO BREISKOLL geschmuggelt worden war, sei es ...
Er versuchte den Gedanken beiseitezuschieben, aber es gelang ihm nicht.
... oder sei es, dass Zemina Paath und der Paau ihn verraten hatten.
Er glaubte nicht daran.
Er wollte nicht daran glauben.
Vor allem blieb keine Zeit, darüber nachzudenken.
Die LAURIN-Jet bot das Optimum an Tarntechnologie der terranischen Wissenschaft. Oder genauer gesagt, das Optimum aus einer längst vergangenen Epoche, die 500 Jahre zurücklag. Allerdings hatte es bei den zurückliegenden Aktionen und Abenteuern nicht den Eindruck erweckt, als müsste die LAURIN deshalb als hoffnungslos veraltet gelten.
Rhodan überlegte, wie er weiter vorgehen sollte.
Kam ein Rückzug infrage – oder war er schlicht notwendig?
Andererseits galt der erhöhte Schutz der Ausweglosen Straße möglicherweise nicht ihm. War es zu einer Art Gefangenenaufstand gekommen? Es könnte sein, dass in der Strafanstalt völliges Chaos herrschte.
Und falls nicht, dachte er verbissen, bringe ich es vielleicht im Schlepptau mit mir.
Der Terraner folgte seiner Intuition und schaltete um.
Er ließ sich nicht abhalten! Nicht, solange es eine Möglichkeit gab, diese Mission erfolgreich abzuschließen. Und die sah er durchaus.
An Bord der LAURIN befand sich ein Kurzstreckentransmitter mit einer Reichweite von einem Lichttag ... seine Fluchtmöglichkeit. Er hatte gehofft, dass Andra die Jet an die Außenseite des Rings heranfliegen und sie unter dem Schutz des Deflektors dort zurückbleiben konnte. Diese Hoffnung hatte sich mit dem Anblick des aktivierten Schutzschirms zerschlagen.
Aber das bedeutete nicht das Ende der Mission. Es erforderte lediglich eine Planänderung.
Rhodan befahl Andra, in exakt zehn Stunden zurückzukehren – mit einer weiteren LAURIN zur Unterstützung.
»Ich hoffe, dass die Zeit genügt«, sagte er. »Oder besser gesagt: sie muss genügen.« Denn ein längerer Aufenthalt barg Risiken. Niemand wusste, wie der Vital-Suppressor sich trotz des Zellaktivators auswirken würde ... und ob die Cairaner Rhodan womöglich doch beim Eindringen entdeckten, sodass er ständig um sein Leben kämpfen musste. Dann wäre er für jede Minute weniger dankbar.
Die Pilotin bestätigte. Sie sah ihm ins Gesicht. Ihre Augen waren lilafarben, genau wie die Haare. Faszinierend, fand Rhodan. »Die Zeit läuft. Ab jetzt.«
Er startete über seinen SERUN einen Countdown.
Nach Ablauf der Frist sollte Andra wiederholen, was sie auch in diesem Augenblick begann: den Punktbeschuss auf den Schutzschirm der Strafanstalt.
Gleichzeitig schleuste der Terraner aus, begleitet von drei TARA-Robotern und einer TARA-INSIDE-Spezialmaschine, die gewaltige Kampfkraft bündelte.
Die Roboter schützten sich genau wie Rhodan mit einem Deflektor. Seine Hoffnung basierte darauf, dass er mit den Maschinen unbemerkt durch den Schutzschirm schlüpfen konnte, sobald dieser zumindest punktuell unter Andras Beschuss kollabierte.
Er wartete ab, bereit, den SERUN mit Vollschub zu beschleunigen.
Andra feuerte mit der vollen Kraft der LAURIN und löste die Jet gleichzeitig aus der Unsichtbarkeit, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein heikles Spiel – denn sie begab sich damit in Gefahr. Ihr Befehl lautete, sich notfalls sofort zurückzuziehen. Ihr eigenes Überleben ging vor.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Geschütze der Ausweglosen Straße antworteten. Zunächst hielten beide Schirme – die der Station ebenso wie die der Jet. Aber die LAURIN konnte nicht lange standhalten, das stand außer Frage. Das kleine Fluggefährt war nicht für eine Offensivschlacht ausgerüstet.
Rhodans und Andras Chance lag im Überraschungsmoment, in einem kühnen, unerwarteten Angriff, der den Schutzschirm wenigstens kurzzeitig überlastete.
Die Systeme des SERUNS hielten alles unter genauer Beobachtung. Sie blendeten eine schematische Darstellung der Umgebung auf Rhodans Sichtscheibe. Er sah ein Symbol für die Ausweglose Straße, für die LAURIN, für die TARAS, für sich selbst.
Die Anzugpositronik meldete den bevorstehenden Zusammenbruch über einem Bereich von wenigen Metern Durchmesser.
Der Terraner startete.
Der SERUN nahm Funkverbindung mit der Jet auf und funkte ihr den erwarteten Kurs zu. Die dortige Positronik würde den Beschuss sofort einstellen, wenn Gefahr bestand, Rhodan oder eine der TARA-Maschinen zu treffen.
Rhodan raste auf das tobende energetische Chaos zu und spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Einen solchen Anblick steckte man nicht einfach mal eben so weg ...
Aber er vertraute auf das Zusammenspiel von SERUN und LAURIN-Jet. Ihm blieb nichts anderes übrig.
Der Schutzschirm der Raumstation flackerte und flammte auf, ehe ein rotes Leuchten das ganze All zu überziehen schien, denn Rhodan war längst so nahe, dass er nicht einmal die gesamte Ausweglose Straße sehen konnte.
Er jagte dem Rot entgegen.
Er würde kollidieren.
Sein Mund wurde trocken. Er fühlte sich wie in seinen ersten Jahren als Risikopilot: Er führte einen unmöglichen Flug aus.
Er durfte nicht stoppen, sonst war alles verloren.
Er musste vertrauen.
Plötzlich tauchte in dem Flirren ein schwarzes Feld auf, direkt vor ihm – die Strukturlücke des Schirms.
Die LAURIN-Jet feuerte weiter, aber nicht mehr auf diesen Bereich, sondern um etliche hundert Meter zur Seite versetzt. Scheinbar deshalb, weil sie auswich und ein Fluchtmanöver startete.
Rhodan jagte im Schutz der Unsichtbarkeit durch die Lücke und hielt die schematische Orterdarstellung im Auge.
Die ersten beiden TARAS passierten die Lücke problemlos, ebenso im letzten Augenblick der dritte. Die INSIDE-Maschine schaffte es jedoch nicht mehr – sie wäre in den sich bereits wieder schließenden Schirm gerast. Sie bremste selbsttätig ab und kehrte um.
Die Strukturlücke hatte exakt 3,4 Sekunden bestanden.
Immerhin, dachte Rhodan. Eine Schweißperle rann ihm in die Augenbraue. Ihm blieben drei Kampfroboter. Es hätte schlimmer ausgehen können. Machen wir das Beste draus.
Nichts und niemand griff ihn oder die beiden TARAS an, während sich inzwischen fast 1000 Kilometer entfernt Andra Erran mit der LAURIN-Jet zurückzog.
Er bremste den rasenden Flug ab. Die Kampfroboter gingen in Parallelflug zu ihm.
Die glasartig-undurchsichtige Wand, die die Seiten des gewaltigen Ringgebildes verschloss, lag etwa hundert Meter vor ihm, bald nur noch zwanzig. Er musste sich Zugang verschaffen, und das brachte Probleme mit sich.
Ein Loch in die Glaswand zu sprengen, verbot sich von selbst – es wäre erstens zu auffällig, und zweitens würde sofort Atmosphäre aus dem Inneren der Ausweglosen Straße entweichen, bis automatische energetische Schutzfelder alles abdichteten. Im Ergebnis könnte er ebenso auf einer Breitbandfrequenz funken, dass er plante, in die Strafanstalt einzubrechen.
Aber er hatte einen der TARAS schon an Bord der BJO BREISKOLL entsprechend vorbereitet.
Er landete auf der Glaswand, die TARAS folgten nach Sekunden. Er stand etwa in der Mitte des Rings – die bewohnte Innenseite lag jeweils etwa drei Kilometer unter, über, rechts und links von ihm. Rhodan erahnte Strukturen, Landschaften – ein karger, braungrauer Anblick wie der eines kaum bewohnbaren Planeten. Nirgends gab es aus dieser Entfernung Grün oder Wasserflächen zu sehen.
Der Roboter trat in Aktion und projizierte eine Schutzkuppel über sich, die anderen TARAS und den Terraner. Die Maschine füllte die Kuppel aus einem mitgeführten Hochdruckbehälter mit Atemluft und schnitt anschließend eine saubere Öffnung in die Scheibe. So konnte keine Atmosphäre entweichen, es kam nicht einmal zu einem kleinen Druckabfall. Wie erhofft, wurde deshalb kein automatischer Alarm ausgelöst.
Rhodan schlüpfte mit zwei Kampfrobotern hindurch – der dritte blieb zurück, um weiterhin die Energiekuppel zu projizieren. Im Notfall konnte der Terraner ihn anfunken und zu sich rufen. Ging jedoch alles gut, würden ihm das Loch und die Schutzkuppel in zehn Stunden als Ausgang dienen, sobald Andra mit Begleitung zurückkehrte und erneut eine Strukturlücke in den Schutzschirm schoss.
Aber darum musste er sich später kümmern. Zunächst galt es, den ersten Erfolg zu feiern: Der Einbruch war gelungen.
*
Feiern?
Ein seltsamer Gedanke, obwohl Rhodan ihn nie wörtlich gemeint hatte. Aber welchen Grund gab es denn, die Dinge positiv zu sehen? Es stand denkbar übel.
Er war gefangen, und er hatte sich zudem freiwillig in diese Situation begeben.
Er fühlte sich müde von den tausend Abenteuern, die hinter ihm lagen.
Erschöpft und ausgelaugt.
Ausgezehrt.
Hatte er denn nicht genug geleistet, mehr als jeder Mensch sonst? Seit Jahrhunderten, ja sogar Jahrtausenden? Wieso sollte er nicht einfach aufgeben?
Wenn es jemandem zustand, dann ihm! Er hatte buchstäblich die Geschicke nicht nur seines Planeten, seines Sonnensystems verändert, sondern die der ganzen Milchstraße und vieler Galaxien darüber hinaus.
War das nicht genug für ein Leben? Gab es nicht auch für einen Perry Rhodan irgendwann die verdiente Ruhe?
Er fragte sich nur am Rande, woher diese Gedanken kamen, denn er fühlte sich unendlich müde. Er durfte schlafen.
»Nein«, sagte er. Und lauter: »Nein!«
Natürlich sprach er nur zu sich selbst, doch das half ihm, diese unwirklichen Überlegungen von sich zu schieben. Sie kamen nicht von ihm. Ja, er hatte sie gedacht, aber nicht aus eigenem Antrieb. Sie rührten daher, dass seinem Körper urplötzlich, von einem Atemzug zum anderen, Vitalenergie entzogen wurde.
Und das wird so bleiben, solange ich mich in der Ausweglosen Straße und im Wirkungsbereich des Vital-Suppressors aufhalte.
Nun, da er diese Wirkung verstand, konnte er damit umgehen, wenngleich er es nach wie vor spürte – diese Müdigkeit, diesen Wunsch, aufzugeben, diese Ermattung und Erschöpfung. Er fühlte, wie der Zellaktivator in seinem Brustbein pochte und pulsierte. Belebende Ströme gingen davon aus, jagten durch den ganzen Körper.
Wie musste es sich ohne den Schutz dieses Gerätes anfühlen?
Rhodan graute es, sich die Lage der Gefangenen vorzustellen, die Qual, unter der sie in jeder Sekunde ihres Daseins litten. Und das – nach allem, was er an Gerüchten kannte – während ihnen ständig wechselnde Gefahren drohten.
Er spürte den Wirkungen des Vital-Suppressors und des Zellaktivators in sich nach. Es glich sich fast völlig aus – er empfand eine gewisse, ungewöhnliche Müdigkeit, aber er glaubte, nahezu normal handeln zu können.
Er sah sich um und flog über einer kahlen Steinwüste, die sich unter ihm in alle Richtungen erstreckte. Geradeaus lag das andere Ende der Innenseite des Rings; nach rechts und links bog sich die Landschaft in die Höhe, was er nur dank seiner erhöhten Position wahrnehmen konnte. Der Ring war so groß, dass ein Lebewesen auf dem Boden die Krümmung nicht erkennen würde. Er blickte nach oben und erahnte in der Ferne eine kahle Erdfläche.
Langsam sank er tiefer, und die beiden TARAS folgten ihm.
Etwa dreihundert Meter entfernt entdeckte er eine Gruppe von Gefangenen – Humanoide, das erkannte er, doch welchem Volk genau sie angehörten, sah er nicht. Rhodan mied die Begegnung und setzte vorsichtig in einiger Entfernung auf, dank der Deflektorfunktion weiterhin unsichtbar.
Er war an diesen Ort gekommen, um mehr über den Vital-Suppressor zu erfahren. Aber selbst wenn das gelang ... durfte er es dabei belassen?
Die Gefangenen dieser Strafanstalt waren von den Cairanern verhaftet worden. Das hieß jedoch nicht notgedrungen, dass sie keine Strafe verdient hatten. Mit großer Wahrscheinlichkeit entledigten sich die Cairaner auf diese Weise unliebsamer Aufständler oder Gegner, die man getrost zu den Guten rechnen konnte.
Die Cairaner beherrschten – zumindest bis zu einem gewissen Maß – die Milchstraße. Doch nicht als reine Diktatoren, soweit sich Rhodan einen Überblick hatte verschaffen können. Sie waren teilweise gefürchtet ... aber auch geliebt, denn sie brachten den Frieden und sorgten dafür, dass er anhielt. Die eigentliche Geißel der Galaxis bildeten eher die Ladhonischen Scharen, über die er noch nicht viel wusste, obwohl ein erster Kontakt mit Angehörigen dieses Volkes hinter ihm lag.
Welche Rückschlüsse ließ all das auf die Gefangenen in der Ausweglosen Straße zu? Sicher befanden sich Unschuldige unter ihnen, ebenso wohl echte Verbrecher, Mörder – was auch immer. Die Insassen waren nicht notwendigerweise gut, nur weil es sich um eine Strafanstalt der Cairaner handelte.
Aber auf diese Weise durften sie nicht bestraft werden!
Dieser Ort war unmenschlich – daran bestand kein Zweifel.
Und daraus ließ sich nur ein Schluss ziehen: Rhodan musste den Gefangenen helfen. Sie befreien.
Ein weiterer Punkt auf seiner nicht gerade kleinen Erledigungsliste ...
Er wollte zunächst so lange wie möglich im Schutz der Deflektoren unentdeckt bleiben, und das galt für seine Kampfroboter ebenfalls. Es blieben etwa neun Stunden bis zur Rückkehr der LAURIN-Jet.
Nicht viel Zeit.
Sie musste genügen.
Drittes Zwischenspiel
Irgendwann endete das Feuer weit über ihnen, nur um nicht allzu lange danach wieder aufzuflackern.
»Kämpfe«, sagte der Aankhpanali Relas.
»Was meinst du damit?« Die Worte kamen nur leise, und Tsaras fragte sich, ob seine Begleiter ihn überhaupt hören konnten. Die allgegenwärtige Kälte der Ausweglosen Straße umklammerte ihn längst wieder.
Desach und Lirach zogen ihn auf der Trage – auch Relas hatte geholfen, etwa als es darum ging, die steil ansteigende Kraterwand zu überwinden. Inzwischen lag der Krater weit zurück, und die Stärkung durch das Fleisch und die Wärme schienen ihm wie der Teil eines früheren Lebens.
Einige Hundert Meter vor ihnen begann ein Wald aus alten, abgestorbenen Bäumen, die aus der Ferne wie versteinert aussahen. Tsaras kannte ihn – dieser tote Wald zog sich über einen ganzen Kilometer, und darin lebte nichts außer Heerscharen von Insekten.
»Dort oben haben Raumkämpfe getobt, direkt bei der Ausweglosen Straße«, sagte der Aankhpanali. »Die grelle Helligkeit der Energiesalven hat die Abdunkelung der eigentlich durchsichtigen Seitenwand durchdrungen. Ich schätze, es gab einige Explosionen.«
»Wer sollte ...«, setzte Lirach an.
»Jemand, der all dem hier ein Ende setzen will!« Relas blieb abrupt sehen. Er beugte sich vor. Die Hände schleiften auf dem Boden. Der Körperpanzer knirschte. »Ein Feind der Cairaner!«
»Du glaubst an eine Befreiungsaktion?«, warf Desach ein.
»Unmöglich«, sagte Lirach, und die Brüder begannen einen raschen Schlagabtausch:
»Heißt es nicht, dass erst vor Kurzem jemand entkommen ist?«
»Ein Märchen. Lächerlich!«
»Aber du weißt es nicht!«
»Für wie wahrscheinlich hältst du es? Sag schon!«
Desach schwieg.
»Ganz genau! Nie zuvor ist jemand entkommen! Warum gerade jetzt?«
Desach ließ die Trage los, sodass sie nur noch im Griff seines Bruders hing. »Vielleicht haben die Cairaner nur das Wissen um frühere Ausbrüche unterdrückt.«
Lirach setzte die Last ab. »Hoffnung! Nur darum geht es.«
Zehn Augen richteten sich auf ihn – zwei terranische, zwei echsenartige, sechs des Aankhpanali. So unterschiedlich sie waren, in allen stand dieselbe Frage: Wie meinst du das?
Relas zog die Arme enger an den Körper. Der schwarze Panzer knackte.
»Was macht diese Geschichte mit euch?«, fragte Lirach. »Angeblich ist jemand entkommen! Das schenkt Hoffnung. Und darum versucht ihr weiterzumachen ... doch diese Hoffnung wird zerschlagen, weil sich nichts ändert! Nichts! Und das Leben fühlt sich danach noch unerträglicher an als zuvor. Es ist eine neue Teufelei der Cairaner!«
»Hoffnung wecken, nur damit sie wieder vergeht«, murmelte Relas. »Das halte ich nicht für unmöglich, was den angeblich befreiten Gefangenen angeht. Aber dort oben ...« Er wies in das graue Wallen, das den Blick ins All verwehrte. »... ist etwas anderes geschehen.«
»Ein Kampf, ja«, sagte Lirach. »Und weiter? Wer immer es war wurde besiegt. Abgeschossen und getötet! Was hilft es uns?«
Sein Bruder stand plötzlich neben ihm und rammte ihm die Faust in den Magen. »Hör auf mit deiner Schwarzmalerei! Mit deiner Todessehnsucht! Noch sind wir nicht gestorben! Wir leben – und solange es so bleibt, werden wir ...«
Lirach krümmte sich, doch er riss das Knie hoch und rammte es zwischen die Beine seines Bruders. Mit einem Aufschrei ging Desach zu Boden.
Hört auf!, wollte Tsaras schreien, aber die Stimme versagte ihm, vor Kälte, vor Schock und Schwäche.
Desach zog sein Messer, quälte sich auf die Füße und stand wankend. Er richtete die Klinge drohend auf seinen Bruder. »Wenn du sterben willst, bitte! Ich kann dir helfen.«
Stopp! Tsaras war hilflos, Glieder und Kehle erstarrt.
Die Waffe ruckte vor, nicht in einem ernsthaften Angriff. Noch nicht.
Die beiden Terraner starrten einander in die Augen.
»Ist es endlich so weit, ja?«, fragte Lirach. »Zeigen wir, was wirklich in uns steckt? Du hast mich damals dazu verleitet, gegen die Friedensstiftung vorzugehen! Du bist schuld, dass unsere Familie untergegangen ist und dass wir hier feststecken! Ohne dich hätten die Cairaner mich niemals ...«
Desach brüllte zornig, riss den Arm nach oben, sprang vor und stieß zu. Das Messer raste auf Lirachs Hals zu. Er schrie und schloss die Augen, wohl um nicht zu sehen, wie er seinen Bruder tötete.
Sein Arm schmetterte gegen eine unsichtbare Wand. Der Klammergriff um die Waffe löste sich. Die Finger bogen sich auf, der Daumen knickte zurück. Es krachte.
Die Waffe hing einen Herzschlag lang lose in der Luft, ehe sie zur Seite zischte, sich überschlug und auf den Boden fiel. Dort schlitterte sie noch einige Meter, bis sie still lag.
Lirach stand mit offenem Mund.
Desach krümmte sich vor Schmerzen, presste die Hand an den Brustkorb. Der Daumen ragte in unnatürlichem Winkel nach hinten, fast vollständig auf den Handrücken gebogen. Die Augen des Terraners verdrehten sich. Ein Speichelfaden lief ihm über das Kinn. Seine Knie knickten ein. Er stürzte.
Relas stand daneben. Sein Augenkranz wirkte wie verschleiert, das Rot der Iriden war blasser als zuvor. »Es tut mir leid«, sagte er, die Worte zwischen schweren Atemzügen hervorgepresst. »Ich wusste nicht ...«
Desach wälzte sich auf die Seite.
Lirach bückte sich zu seinem Bruder. »Sei vorsichtig! Dein Daumen ist gebrochen.«
Desach streckte die gesunde Hand abwehrend aus. Sie zitterte. »Wenn du nicht eingegriffen hättest«, sagte er zu dem Aankhpanali, »wäre ich jetzt ein Brudermörder.« Und, nach einer kurzen Pause: »Danke.«
Tsaras strengte sich an, so laut wie möglich zu reden. Nun, mit weitaus mehr Ruhe als vorhin, fand er die Kraft dazu. »Du hast gesagt, dass du auf deine telekinetische Gabe kaum zugreifen kannst. Das sah anders aus. Beeindruckend.«
»Ich hatte Angst«, sagte der Aankhpanali. »Es ging um Leben und Tod. Es war weit stärker als je zuvor in der Ausweglosen Straße. Fast wie früher.«
Im selben Moment raste eine Feuersäule durch den Wald der versteinerten Bäume. Die Druckwelle einer Explosion trieb Äste und Holzsplitter vor sich her. Ein großes, metallisches Etwas jagte blitzend auf die kleine Gruppe zu.
Eine brennende Kugel krachte wenige Meter vor ihnen auf. Sie zerbrach, und Metallfetzen schwirrten auf Tsaras zu. Ein scharfkantiges Bruchstück hackte nur eine Armweite vor ihm in den Boden und blieb zitternd stecken.
Tsaras hob den Blick.
Der Wald brannte, und in wallendem Rauch tobte eine apokalyptische Schlacht.