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8.

Vitalität und Untergang

Die Autonome Medokapsel explodierte. Das Blut wich aus Giunas Gesicht.

Lanko!

Das konnte nicht sein. Sie durften nicht all das durchgemacht und am Ende Hoffnung geschöpft haben, nur damit er einfach so in einem dummen Gefecht starb, bei dem er sich nicht einmal wehren konnte! Während um sie der Kampf weitertobte, raste sie zu den Trümmern.

Von der Kapsel war nur ein verbogenes, verkohltes Gestänge geblieben. Einige Meter darunter allerdings trieb etwas: Der SERUN hatte der Explosion standgehalten, indem er den Helm über Lanko geschlossen und den Schutzschirm aktiviert hatte.

Giuna packte ihren Mann – und sah in seine Augen.

Er war endgültig wach, aber er sah sie fragend, verwirrt an. Sie umarmte ihn, jedoch nicht aus sentimentalen Gründen, sondern um ihn mit sich zu ziehen. Sie raste mit ihm los, raus aus dem Chaos. Sollten sich die anderen um den Kampf kümmern.

Sie stellte Funkverbindung her. »Ich bringe dich in Sicherheit.«

Es war eine glatte Lüge – es gab keine Sicherheit auf der Ausweglosen Straße, und schon gar nicht, während eine Schlacht tobte zwischen NDE-Agenten, cairanischen Kampfroboter und ...

... und wem auch immer. Cyprian hatte etwas von terranischen TARA-Robotern gesagt, von seltsam alten Modellen. Außerdem gab es einen einzelnen Kämpfer, der sich als extrem geschickt erwies.

Giuna schob die Gedanken beiseite. Momentan ging es nur darum, zu überleben. Sie musste sich um Lanko kümmern. Ihm beistehen. Dafür sorgen, dass er völlig zu sich kam und die Situation verstand.

»Hinter dir«, sagte er.

Sie wirbelte herum. Ein Kampfroboter näherte sich. Sie schoss, doch der Schutzschirm des Angreifers steckte den Treffer weg. Rundum schwirrte und sirrte es, Energien tobten sich aus, die Welt schien zu kochen.

Im Boden, weit unter ihnen, donnerten mehrere Explosionen. Dunkle Wolken stiegen auf, in der Schwärze loderten Feuerblitze.

Die fremde Maschine, die Cyprian TARA genannt hatte, raste heran und vernichtete den angreifenden cairanischen Roboter, doch sie attackierte weder Giuna noch Lanko.

Sie hat mich gerettet, begriff sie.

Aber vorher hatte sie die Medokapsel zerstört! Wie passte das zusammen?

Dann drang eine unbekannte Stimme aus dem Funkempfänger ihres Helms. »Ich bin Terraner, und wenn ich mich nicht täusche, seid ihr ebenfalls Gegner der Cairaner.«

Ein Terraner?

Irgendwo explodierte eine weitere Kampfmaschine. Die Reihen der feindlichen Roboter lichteten sich.

»Wer bist du?« Das war Cyprian Okri, natürlich über Funk.

Es folgten zwei Worte, ebenso nüchtern wie unfassbar: »Perry Rhodan.«

*

»Perry Rhodan«, sagte er – aus einer Intuition heraus. Diese Leute waren nicht seine Feinde, sondern potenzielle Verbündete. Sie mussten ihre Kräfte bündeln, um die letzten cairanischen Kampfroboter zu vernichten, und wenn dabei sein Name helfen konnte, sollte es so sein.

Möglicherweise hatten sie nie von ihm gehört, oder sie glaubten nicht, dass der Mensch Perry Rhodan jemals existiert hatte, weil er genauso ein Mythos war wie seine Heimatwelt Terra.

»Darüber sprechen wir noch«, sagte eine fremde Stimme – die erste Reaktion auf seinen Funkanruf. »Zuerst bringen wir das hier zu einem Ende.«

Die TARAS wüteten, ebenso der verbliebene Doppelwürfel-Roboter der Unbekannten, die er hoffentlich bald seine Verbündeten nennen konnte. Rhodan griff weiterhin an, genau wie zwei der Fremden – die anderen hatten sich aus dem unmittelbaren Schlachtfeld zurückgezogen.

Nach weiteren Minuten fand der Kampf schließlich ein Ende. Rhodan setzte auf, blieb schwer atmend stehen.

Einer der Unbekannten landete nahe bei ihm. »Perry Rhodan«, sagte er. »Eine kühne Behauptung.«

»Wer bist du?«

»NDE.«

Das Kürzel kannte Rhodan inzwischen. »Nachrichtendienst Ephelegon. Der Nachfolger des Terranischen Liga-Dienstes TLD.«

»Wenn du mich mit Wissen beeindrucken willst, solltest du dir etwas anderes ausdenken als frei zugängliche Informationen.«

»Gut. Ich bin hier, um einen Vital-Suppressor zu sehen. Zu untersuchen. Zu stehlen. Was immer mir gelingen wird. Ich nehme an, du weißt, wovon ich rede.«

Der angebliche NDE-Agent sagte genau das, war Rhodan erwartete – es hatte einfach kein Zufall sein können. »Das ist auch unser Ziel.«

»Das Gerät befindet sich gleich dort hinten, unter einem Deflektorschirm. Als ich es fand, habe ich die cairanischen Roboter hervorgelockt.«

Der andere lachte. »Wir kamen dir gerne zu Hilfe.«

»Es bleibt wahrscheinlich nicht viel Zeit, bis eine Menge Nachschub eintrifft. Also – vertrauen wir einander?«, fragte Rhodan.

»Vorerst. Mein Name ist Cyprian Okri. Meine Begleiter wirst du kennenlernen, falls wir das hier überleben. Nun denn, die letzte Chance fürs Erste: Wer bist du wirklich?«

Rhodan grinste. »Perry Rhodan. Aber das sagte ich ja bereits.«

*

»Wir haben nicht mal Zeit«, sagte Giuna, »um dein Erwachen zu feiern.«

Lanko versuchte ein Lächeln. Es sah ebenso elend wie hinreißend aus. »Kommt noch.« Die Worte klangen rau, und er ächzte. »Jetzt hab ich ein paar Fragen.«

»Ach?«

»Ungefähr tausend.«

Giuna gab ihm keine Gelegenheit, auch nur eine davon zu stellen. Sie schilderte in knappen Worten die Situation – und schon kamen Doktor Spand und Kondayk-A1 zu ihnen. Zu viert eilten sie zu Cyprian und dem Fremden, dessen Auftauchen die Gesamtlage völlig auf den Kopf gestellt hatte.

Ein Mann, der behauptete, Perry Rhodan zu sein.

Verrückt.

Doch darum mussten sie sich später kümmern. Kein Zweifel, dass bald weitere Kampfroboter oder Truppen von Cairanern an diesem Ort auftauchen würden. Also sollten sie sich beeilen, um zum Vital-Suppressor vorzudringen.

Erst in diesem Augenblick, als sie zu Cyprian und Rhodan gingen, begriff Giuna das Ausmaß der Katastrophe. Als die Autonome Medokapsel explodiert war, hatte sie nur an Lanko gedacht ... aber mit der Kapsel war zugleich ihre einzige Möglichkeit zerstört worden, von der Ausweglosen Straße zu fliehen. Ohne diese Technologie saßen sie fest.

Ihr Magen revoltierte in einem plötzlichen Schub von Übelkeit.

»Wir dringen zum Suppressor vor«, empfing sie Cyprian. »Diesen Mann hier, nennen wir ihn vorerst tatsächlich Perry Rhodan, sehen wir als Verbündeten.«

»Ein Bündnis?«, fragte Doktor Spand. »So schnell?«

»Wir improvisieren«, stellte Cyprian klar.

»Und wir sitzen fest«, erklärte Giuna tonlos.

»Was?« Das war Lanko.

»Ohne die Medokapsel kommen wir hier nicht weg.«

»Rhodan hat zugesagt, uns zu helfen. Er erwartet eine Befreiungsaktion in ...« Cyprian stockte. »Wann?«

»Zwei Stunden«, sagte der Fremde, ohne zu zögern. Wer immer er sein mochte. An Perry Rhodan glaubte sie nicht. Vor Kurzem hatte sie nicht einmal an Terra geglaubt, doch der Kontakt mit dem NDE brachte diesen Nicht-Glauben ins Wanken. Aber ... Rhodan?

»Wir bleiben zusammen«, befahl Cyprian. »Und wir dringen jetzt in den Bereich vor, den der Deflektor schützt. Dort improvisieren wir, je nachdem, was uns erwartet.«

»Ich weiß ebenso wenig über die Vital-Suppressoren wie ihr«, sagte Rhodan. »Weder, wie groß das Gerät ist, noch ...« Er brach ab. »Nun, wir werden sehen.«

»Also, auf zur nächsten Überraschung!«, sagte Giuna.

*

Keine Überraschung, dachte Rhodan, als sie nicht in den Deflektorbereich vordringen konnten, weil zusätzlich ein Schutzschirm darüber lag.

Die TARAS und der Doppelwürfel-Roboter traten mit konzentriertem Punktbeschuss in Aktion, und der Schirm kollabierte nach wenigen Sekunden.

Rhodan wunderte es nicht, dass die beiden Männer mit ihm an der Spitze gingen, die sich als NDE-Agenten vorgestellt hatten – der hagere Terraner und der massige Barniter. Der Ara, die junge Frau und der zweite, blasse Terraner folgten mit einigen Metern Abstand. Rhodan hoffte, früher oder später die Geschichte hinter diesem seltsamen Einsatzteam zu erfahren.

Endlich sah er, was bislang verborgen geblieben war. Zwei Gebilde fielen sofort auf, und das vordere zog all seine Aufmerksamkeit auf sich.

Mitten auf dem Feld aus Gestein und Geröll ragte eine gewaltige, eigenartig schöne Konstruktion, Rhodans Schätzung nach fünfzehn Meter breit und etwa ebenso hoch, bei einer Tiefe von nur wenigen Metern.

Der Vital-Suppressor?

Sehr wahrscheinlich.

So viel zu dem Gedanken, das Gerät möglicherweise zu stehlen.

Der Suppressor bestand aus einem riesigen metallischen Ring, der aufrecht stand und langsam rotierte – am unteren Ende weitete er sich zu einer elliptischen Basis, die in einer Schale ruhte. Oder in einem Schiff, dessen Seiten nur etwa hüfthoch aufragten.

Außen glänzte der Suppressor mattweiß, im Inneren in einem Grün, das sich nach oben stets erhellte, am oberen Bogen fast leuchtete.

Rhodan ging weiter. Niemand hinderte ihn daran – kein Roboter, kein Cairaner, kein sonstiges Wesen.

Je näher er kam, desto stärker wurde das Gefühl der Müdigkeit und Mattheit ... doch umso intensiver pochte und pulste auch der Zellaktivator. Schwachheit und Belebung kämpften in seinem Leib. Seine Muskeln kribbelten. Er fühlte Schwindel.

Wie mochte es den anderen gehen, direkt an der Quelle ihrer Schwäche? Oder waren sie davor geschützt? Sie hatten bislang kein Wort darüber verloren.

Der Anblick seiner neuen Verbündeten bewies sofort, dass sie keinerlei Schutz genossen. Sie sahen aus, als müssten sie jeden Moment zusammenbrechen. Aus der Nase der jungen Frau lief Blut. Der Barniter wankte – und bewies deutlicher als alles andere, wie es um diese Leute stand. Cyprian Okri hielt sich offenbar nur mühsam auf den Beinen.

Vielleicht glaubten sie ihm nun, dass er Perry Rhodan war, weil sie Geschichten um den Zellaktivator kannten. Mochten sie glauben, was immer sie wollten.

Rhodan kam dem gewaltigen Gebilde zum Greifen nah, aber er scheute sich, das Material zu berühren. Er beugte sich vor, über den Rand der Schale, fixierte die Innenseite des Rings.

Zuerst sah sie völlig glatt aus, doch es gab winzige Öffnungen – vielleicht könnte man die Spitze eines Fingers hineinstecken. Keine lag nahe genug, dass er die Größe exakt abzuschätzen vermochte. Daraus kam ein grünes Leuchten, nicht gleichmäßig, sondern oszillierend.

Mit einem Mal waberte das leere Zentrum des Rings. Rhodan schnellte zurück und bemerkte ein Wallen, das die Luft verzerrte wie die Hitze eines Feuers. Das Phänomen verdichtete sich, und nach einem hellen Sirren sah es plötzlich aus, als würden sich feine Regenschauer bilden. Doch es blieb ein rein energetisches Gebilde, und die Tropfen fielen nicht etwa nach unten, sondern regneten ringsum in sämtliche Richtungen ... und verschwanden in den kleinen Öffnungen.

Danach kehrte Stille ein, und das Innere des Vital-Suppressors stand leer und frei, bis erneut ein immaterielles Wallen erschien und nach allen Seiten abregnete.

Die Assoziation, die Rhodan bei diesem Anblick empfand, bereitete ihm Übelkeit: Vitalenergie, die den Gefangenen geraubt und in das Gerät abgeschöpft wurde, ehe sie in die Öffnungen sickerte, wo ein Speichermedium sie aufnahm.

Ob diese Einschätzung der Wahrheit entsprach, konnte der Terraner nicht sagen. Er brauchte weitere Informationen. Unablässig zeichnete die Kamera des SERUNS alles auf, die Positronik wertete Daten und Messergebnisse aus. Doch das würde nicht genügen.

Rhodan riss sich von dem Anblick los und widmete sich erstmals dem zweiten Gebilde, das der Deflektorschirm verborgen hatte: eine flache Halle, deren Tür einladend offen stand.

Die NDE-Agenten gingen bereits darauf zu – genauer gesagt, trat der Barniter gerade ein, mit aktiviertem Schutzschirm, eine Strahlerwaffe in der Hand. Er sah sich um und winkte seinen Begleitern, ihm zu folgen.

Zu sechst betraten sie die Halle – mit einem der TARAS. Der zweite sowie der Doppelwürfel-Kampfroboter blieben draußen, um das Gelände zu sichern.

Der Raum durchmaß Rhodans Schätzung nach fünfzig Quadratmeter – von den äußeren Abmessungen des Gebäudes her schien es keine anderen Zimmer zu geben. Alles war schattenlos erhellt. Das Licht drang aus Decken und Wänden, ohne dass es eine sichtbare Quelle dafür gab.

Ein einziges Lebewesen stand mitten darin, in einer Schale, die dem Schiff unter dem Ring des Suppressors ähnelte, aber wuchtiger und stabiler aussah.

Ein Cairaner.

Die langen Beine hoben das humanoide Wesen weit über den Rand der Schale. Der Fremde trug einen roten, einteiligen Anzug. Die frei liegende Haut glänzte golden, von dunkleren Flecken abgesehen. Nur das Gesicht und die vier Hände lagen frei.

Cairaner hatten zwar nur zwei Arme, aber am Ende teilten sie sich jeweils in ein Händepaar – eine kräftigere Außenhand und eine feinere Innenhand.

Das Gesicht sah flach aus, ähnelte dem eines Terraners grundlegend, doch die kaum erhobene Nase und vor allem die waagrecht stehenden Pupillen in den ockerfarbenen Augen ließen es fremdartig wirken.

Die inneren Hände des Fremden lagen in Mulden der Schalenkonstruktion, in der er stand. »Ich habe Verstärkung gerufen«, sagte er mit matter Stimme.

»Nichts anderes habe ich erwartet«, erwiderte Rhodan. »Aber danke für die Information.«

Cyprian Okri stellte sich neben ihn. »Wer bist du?«, fragte er. Auch er zog, genau wie Rhodan, keine Waffe.

»Patphan Dasdoid«, sagte der Cairaner. »Ich bin der Vital-Navigator.« Er machte weder Anzeichen, die Eindringlinge anzugreifen noch zu fliehen. Ob ihm die Kraft dazu fehlte?

»Der Herr des Vital-Navigators?«, vermutete der NDE-Agent.

»Der Suppressor erkennt keinen Herrn an«, antwortete Patphan Dasdoid. »Ich lenke ihn, aber er entzieht mir Vitalenergie, genau wie euch.«

»Und trotzdem bist du freiwillig hier?«, fragte Rhodan. »Wieso?«

»Ich diene der Gerechtigkeit. Einer muss seine Gespürhände zur Verfügung stellen, um den Suppressor zu steuern. Sonst ist es unmöglich, den Betrieb der Ausweglosen Straße aufrechtzuerhalten.«

»Gerechtigkeit?« Der Terraner ging einen Schritt näher. »So würde ich es nicht nennen.«

Diesen Einwand ignorierte Dasdoid. »Darüber hinaus werde ich bald abgelöst. Meine Einsatzzeit ist eng begrenzt, wie die aller Vital-Navigatoren. 248 Stunden. Eine Zeit, die ich gerne opfere.«

Vier mal 62 Stunden, dachte Rhodan. »Dennoch bist du ...«

»Außerdem schützt mich das Vital-Destillat«, fuhr der Cairaner ungerührt fort. Die inneren Hände verblieben in den Mulden. Ob er mit ihnen seine Aufgabe erfüllte und den Suppressor steuerte? »Was immer du über mein Volk gehört hast, wir sind keine Barbaren. Jeder Cairaner, der hier seinen Dienst verrichtet, wird geschützt, so gut es geht. Ich leiste ihn freiwillig, um meinen Teil dazu beizutragen, für den Frieden in dieser Galaxis zu sorgen. Würde ich dir all das erzählen, wenn ich der Feind aller ...«

»Frieden?«, schrie in diesem Augenblick die junge Terranerin.

Sie wankte einige Schritte näher, und Rhodan dachte schon, er müsste sie aufhalten, damit sie sich nicht vor Zorn auf den Fremden stürzte, doch sie behielt die Kontrolle. Oder war sie einfach nur zu matt für einen körperlichen Angriff, wie umgekehrt auch der Cairaner zu erschöpft schien, irgendeine Aktion zu zeigen?

»Hast du gesehen, wie die Gefangenen leiden?«, schrie sie.

»Es ist notwendig«, antwortete Patphan Dasdoid. »Sie sind Verbrecher, aggressiv und übeltätig. Der Vital-Suppressor mindert ihre Aggressivität und hemmt ihre zerstörerischen Aktivitäten. Niemals ist jemand ausgebrochen. Was sollten wir sonst mit diesen Gefangenen tun? Sie töten? Wäre das nicht barbarisch?« Seinen Worten und seiner Haltung zufolge handelte er wohl tatsächlich aus Überzeugung. »Warum seid ihr hier?«, fragte er, in ruhigem Tonfall. »Um Unruhe zu bringen? Den Kampf und den Krieg? Ihr findet mich schutzlos.« Die äußeren Hände bogen sich leicht nach oben.

»Erst, seitdem wir alle deine Roboter zerstört haben«, meinte Cyprian Okri.

»Wie ich schon sagte, ist Verstärkung unterwegs. Euch bleiben nur wenige Minuten. Tötet mich, wenn ihr es müsst.«

»Das war nie unser Ziel«, sagte Rhodan. »Wir sind gekommen, um Informationen zu sammeln. Ich glaube dir nicht, Patphan Dasdoid.«

»So?«

»Dieses Gefangenenlager dient nicht bloß dazu, den Frieden zu wahren. Der Vital-Suppressor schöpft allen, die hier leiden ... auch dir ... Vitalenergie ab. Aber sie geht nicht verloren, sondern wird gesammelt. Wie eine Plantage, auf der gesät und geerntet wird. Die Gefangenen werden gesät ... ihre Lebensenergie geerntet. Ist es nicht so?«

Der Cairaner hob nun die Hände und streckte abwehrend die Arme aus. Die wuchtige Schale verließ er jedoch nicht. »Was du sagst, ergibt keinen Sinn.«

Warum nur glaubte ihm Rhodan nicht? »Der Vital-Suppressor ist nicht nur ein Unterdrücker, um Gefangene ruhigzuhalten. Er ist eine Vitalpumpe! Aber wohin wird die Vitalenergie verbracht?«

»Du irrst dich.«

»Tatsächlich?« Rhodan dachte an das Holo, das der Paau projiziert und das ihn überhaupt erst zur Ausweglosen Straße geführt hatte. An die Ballung und Sammlung von Vitalenergie im Highlight. »Oder täuschst du dich womöglich? Weil du es nicht besser weißt – und auch nicht wissen willst?«

Der Cairaner blickte ihn aus ockerfarbenen Augen an, und die Pupille weitete sich. Die goldene Gesichtshaut glänzte. »Vielleicht werde ich doch noch gerettet«, sagte er.

Im selben Moment gab der TARA Alarm von draußen.

Rhodan empfing die Warnung via Helmfunk. »Cairanische Kampfroboter nähern sich. Zu viele.« Er wechselte einen Blick mit Cyprian Okri.

Der NDE-Agent schätzte die Lage genauso ein. »Rückzug!« Nun zog er doch noch eine Waffe und schoss auf den Cairaner.

Patphan Dasdoid sackte in sich zusammen.

»Paralyseschuss«, sagte der Agent.

Sie verließen die Halle – und in dem Augenblick, als Rhodan den Vital-Suppressor wiedersah, wusste er, dass er nicht tatenlos gehen durfte. »Haltet mir den Rücken frei«, forderte er. »Meine TARAS werden euch unterstützen.«

Mit diesen Worten berührte er die Schale, in der der Vital-Suppressor ruhte.

Nichts geschah.

Rhodan schwang sich über die Wand der Schale und stellte sich in den Ring. Es kostete nur einen Schritt, und eine der kleinen Öffnungen lag vor ihm. Nach wie vor leuchtete es darin grün.

Der Terraner sah hinein. Wenn er sich nicht täuschte, lag dort ein Kristall – zweifellos ein Hyperkristall.

Er zog eine Waffe und feuerte einen scharf gebündelten Strahl auf den Ring. Er schnitt durch das Material, das keinen großen Widerstand entgegensetzte. Rhodan vergrößerte die Öffnung.

Bald lag der Hyperkristall frei in einer Höhlung.

Hinter Rhodan wurde Kampflärm laut. Kampfroboter jagten heran. Schüsse sirrten.

»Du solltest dich beeilen«, hörte er Cyprian Okris Stimme.

»Ich bin fast so weit«, sagte Rhodan und griff nach dem Kristall. Er war kaum größer als die ursprüngliche Öffnung – maximal zwei Zentimeter im Durchmesser. Rhodan nahm ihn mit Daumen und Zeigefinger.

Und konnte ihn nicht anheben.

Zuerst dachte er, der Kristall wäre in der Struktur des Vital-Suppressors verankert, bis er begriff, dass der winzige Kristall schlicht zu schwer war. Er versuchte, ihn mit beiden Händen zu greifen, was bei einem derart kleinen Objekt kaum möglich war. Außerdem setzte er den Kraftverstärker des SERUNS ein.

Endlich gelang es ihm, den Kristall vorzuziehen. Er lag auf seinen Händen – gerade einmal zwei Zentimeter groß. Der SERUN teilte mit, dass der Kristall 25 Kilogramm wiege.

Rhodan verließ die Schale, doch ehe er sich mit seinen Begleitern zurückzog, feuerte er so lange auf den Vital-Suppressor, bis der Ring zerbrach und die Bruchstücke im Fall die Schale zerschmetterten.

Immer mehr cairanische Roboter rasten heran.

Rhodan übergab den Kristall, dessen Gewicht ihn trotz der Kraftverstärkung des SERUNS hinderte, einem TARA.

»Gehen wir!«

*

Giuna erlebte es wie in einem Traum – oder am Rand der Erschöpfung. Die Gefühle überwältigten sie. Lanko war wach und lebte noch ... die Flucht schien dank Perry Rhodan tatsächlich zu gelingen ... Konnte es wirklich der legendäre Terraner sein, der die Führung der Gruppe übernommen hatte, weil er offenbar am wenigsten unter der Wirkung der Suppressoren litt?

Sie fühlte sich fast, als würde sie zusehen ...

... wie sie der erneuten Schlacht mit den heranstürmenden Kampfrobotern durch eine Flucht entkamen. Ihr Doppelwürfel-Roboter und einer der TARAS blieben zurück und hielten die gegnerischen Maschinen auf.

Wie sie sich in ihren SERUNS unter ihren Deflektoren verbargen und ihr neuer Verbündeter zielstrebig eine bestimmte Stelle der gläsernen Seitenwand des Straflagers ansteuerte. Dort befand sich, genau wie er behauptet hatte, eine Öffnung, auf der gegenüberliegenden Seite von einer energetischen Schutzkuppel verschlossen, sodass keine Atmosphäre entwich. Ein weiterer TARA-Roboter projizierte diese Kuppel.

Wie Rhodan – jede Minute kam es ihr wahrscheinlicher vor, dass er Realität und kein mythischer Tarnname war – die Uhr im Blick hielt. Er vertraute blind darauf, dass seine Leute wie verabredet auftauchen und den Schutzschirm der Ausweglosen Straße zum Kollabieren bringen würden.

Genau so kam es, und schließlich rasten sie zu sechst in SERUNS durchs freie All. Ein Beiboot nahm sie auf, eine junge Terranerin namens Andra Erran hieß sie willkommen.

Es war nicht das einzige Schiff, das dort auf sie wartete. Das Mutterschiff, ein Kugelraumer namens BJO BREISKOLL, stand ebenfalls im System. Das schien Rhodan zu überraschen, aber Andra konterte seine Verblüffung mit den Worten: »Dachte mir, dass wir vielleicht etwas mehr Feuerkraft brauchen, Perry.«

Sie wechselten auf die BJO BREISKOLL.

Dort speicherte Rhodan eine Botschaft auf ein Dutzend TARA-Roboter, die er sofort danach in die Ausweglose Straße schickte.

In dieser Nachricht verkündete er, dass die Gefangenen sich sammeln sollten – mithilfe der TARAS, die sie als Scouts zu zwei Rettungsbooten führen würden. Dazu bestimmte er Beiboote der BJO BREISKOLL, die er ausschleuste.

»Den Rest müssen die Gefangenen selbst erledigen«, sagte Rhodan. »Wir verschwinden von hier, ehe cairanische Augenschiffe auftauchen.«

»Bist du sicher, dass ...«, setzte Giuna an.

»Mehr kann ich momentan nicht tun«, unterbrach er sie. »Wenn die Massenflucht nicht gelingt, werden wir zurückkehren.« Er wandte sich an Cyprian Okri. »Der NDE wird mich in diesem Vorhaben zweifellos unterstützen.«

Der hagere Terraner nickte. »Ich sehe es wie du. Wir müssen weg von hier. Der Macairun ist zu wertvoll.«

»Du sprichst von dem Hyperkristall?«

»So nennen ihn die Cairaner. Wir kennen die Bezeichnung, haben aber nie einen dieser Steine gefunden.«

»Ich lasse ihn dem NDE gerne zukommen«, sagte Rhodan. »Nach unseren Untersuchungen. Am liebsten würde ich ihn Resident Bull höchstpersönlich in die Hand drücken.«

»Ich werde dem Residenten weiterleiten, dass ... du um ein Gespräch bittest.«

Rhodan entging das Zögern nicht. »Du glaubst mir immer noch nicht, dass ich es wirklich bin?«

»Wie ich es einschätze, spielt keine Rolle«, behauptete Cyprian. »Reginald Bull wird entscheiden, ob er dich treffen will. Hiermit lade ich dich in mein Schiff ein. Oder besser gesagt: in das meines Partners.«

Giuna fand die Vorstellung, in die TREU & GLAUBEN zurückzukehren, unendlich erleichternd. Dass sie sich vor kurzer Zeit darin noch wie eine Gefangene gefühlt hatte, schien eine verschwommene Erinnerung an ein anderes Leben zu sein.

Während die BJO BREISKOLL das Afallachsystem verließ, umfasste Giunas Hand die ihres Mannes. Eine unbekannte Zukunft wartete auf sie. Sie fürchtete sich nicht davor, sondern sah ihr voll Zuversicht entgegen.

*

Am 27. September 2045 NGZ betrat Perry Rhodan in leichter Maske die TREU & GLAUBEN – als Gast des erfolgreichen barnitischen Händlers Kondayk-A1. Der Herr des Schiffes rief ein rauschendes Fest aus, weil er angeblich einen perfekten Geschäftsabschluss getätigt hatte. Der Mann an seiner Seite war – ebenso angeblich – der Tefroder Bilar Torann, und auch er wirkte recht zufrieden.

Rhodan fand, dass die Dinge sich in der Tat ziemlich gut entwickelten.

Zwar interessierte ihn die Aufführung der Gaukler kaum, und dem reichlich fließenden Wein sprach er weit weniger zu, als man es erwarten könnte. Aber ihm gefiel das Gespräch mit dem Sekretär des Barniters, einem unscheinbaren Mann namens Cyprian Okri, der fast wie ein Sklave seinem Herrn ergeben diente.

Cyprian versicherte in der abhörsicheren, isolierten Nische eines noblen Privatrestaurants, dass der NDE eine Botschaft zu Resident Bull schicken würde. Und dass bis spätestens am 9. Oktober mit einer Antwort zu rechnen sei.

Nicht früher?

Nein, leider nicht früher.

Die TREU & GLAUBEN zog sich in ein abgelegenes Sonnensystem zurück, von dem Rhodan nie zuvor gehört hatte. Das Agnisystem hatte in seinem langen Leben bislang nie eine Rolle gespielt. Aber er wusste, dass er zurückkehren würde.

Am 9. Oktober, wenn die TREU & GLAUBEN ebenfalls wiederkam und dort auf ihn wartete.

Zunächst jedoch wechselte er auf die BJO BREISKOLL, die dem Barniterschiff heimlich gefolgt war. Es blieben zwei Wochen, bis er hoffentlich von Bully hörte.

Zeit, die er zu nutzen gedachte.

Das Solsystem konnte er nicht aufsuchen ... aber er wollte sich zumindest in dessen Nähe umsehen. Die Wega wäre ein guter Ort.

Er würde sehen ...

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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