Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 109
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Highlights und Prioritäten
Das Holo zeigte ohne Zweifel eine auf wenige Meter komprimierte, extrem detailreiche Darstellung der Milchstraße, aber etwas unterschied sie von allem, was Rhodan kannte. Er fühlte es schon, ehe sein Verstand es erfasste.
Die größte Helligkeit strahlte nicht im unmittelbaren Zentrum der Galaxis, wo die höchste Sternendichte herrschte. Es blieb dort sogar eher dunkel.
Weitaus grelleres Licht kam aus verschiedenen, scheinbar wahllos verteilten Regionen der Sterneninsel. Soweit es Rhodan beurteilen konnte, entsprachen Verteilung und Dichte der Sterne dem, was er kannte – nur gaben sie in diesem Holo nicht die Helligkeit ab, die sie eigentlich sollten.
»OXFORD«, sagte der Terraner, »zoome den Bereich des südlichen Quadranten auf das Tausendfache und wandere danach in Richtung galaktisches Zentrum.«
Die Hauptpositronik der BJO BREISKOLL folgte der Aufforderung, und genau wie erwartet bot das Holo genug Details, um nach wie vor perfekt präzise abzubilden. Noch immer glitzerten Millionen Sternabbilder im Raum.
»Ich kann die Darstellung weiter vergrößern«, bot OXFORD an, »teilweise bis auf die Planeten einzelner Sonnensysteme. Die Datenfülle ist erstaunlich, wenn auch nicht überall gleich exakt.«
»Das Diagramm ist nicht symmetrisch«, kommentierte der Paau, und es klang wie eine Bestätigung. Er nutzte das Wort wohl im Sinne von ausgeglichenem Detailreichtum. »Das ist nicht das Ziel des Abbilds.«
Rhodan lehnte ab, versuchte sich zunächst einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Die Quellen der extremen Helligkeit stimmten seiner Einschätzung nach mit den ihm bekannten Sternballungen überein. Die Schiffspositronik bestätigte das.
Dennoch leuchteten manche Sternenregionen intensiver als gewohnt.
Perry Rhodan bewegte eine dieser Helligkeitszentren direkt vor sich und wies die Positronik an, das Holo anzuhalten. Er ging einen Schritt vor, streckte die Hand aus. Ein Sternsystem wanderte über seinen Daumen, bis er völlig stillhielt. Der Stern glänzte auf seinem Fingernagel. Der Terraner drehte den Kopf und musterte die Darstellung von der anderen Seite. Sein Eindruck verstärkte sich: Die Lichteffekte beruhten nicht einfach auf einem Fehler – dahinter steckte mehr.
»Paau«, sprach er den Koffer an. »Nach welchen Kriterien stellt das Holo Helligkeitsunterschiede dar?«
»Was er wissen will«, ergänzte Zemina, »ist, wie du die Milchstraße siehst.«
»Sagte ich das nicht?«, fragte Rhodan.
»Es handelt sich nicht um eine normaloptische Darstellung«, erklärte die Bassstimme des Koffers.
»Sondern?«
»Um ein Hypersexta-Diagramm.« Der Paau sprach mit einer Betonung, die ein nicht ausgesprochenes Was denn sonst? geradezu hören ließ.
»Kannst du erklären, welche Werte es darstellt?«
Rhodan kam es vor, als würde eine leichte, kaum wahrnehmbare Bewegung durch den Koffer gehen. Vielleicht bildete er es sich nur ein. »Es zeigt die Verteilung der Messwerte, die ihr als Hypersexta-Modulparstrahlung bezeichnet.«
Hypersexta-Modulparstrahlung ... das hieß, dass es nicht um das tatsächliche Licht der Sterne ging, sondern die Helligkeit der Häufigkeit der Lebewesen mit höherem Bewusstsein entsprach.
Verkürzt gesagt: Je heller, desto mehr Intelligenzwesen lebten in dem entsprechenden Bereich.
Deshalb stimmte es grob mit der Verteilung der Sonnen überein – stieg die Anzahl der Sterne, galt das auch für das intelligente Leben in ihrem Umfeld. Die Rechnung mochte im Detail nicht aufgehen, doch die Tendenz passte.
»Hast du sie aufgezeichnet?«, fragte Rhodan.
»Diese Information steht nicht zur Verfügung.«
»Wieso nicht?«
»Diese Information steht nicht zur Verfügung.«
Der Terraner spazierte durch die Holodarstellung und dachte nach.
Nicht alle helleren Regionen entsprachen den Zentren der Besiedlung, wie Rhodan sie kannte, aber das wunderte ihn nicht. In den vergangenen 500 Jahren hatte sich gewiss einiges verändert und verschoben – wohl nicht zuletzt, weil viele Galaktiker vor den Symptomen des Weltenbrands geflohen waren, die in manchen Bereichen schlimmer, in anderen harmloser wüteten. Außerdem mussten in dieser Zeitspanne zahllose Kolonien der unterschiedlichsten Völker gegründet worden sein.
Perry Rhodan ließ das Holo wieder verkleinern, bis er die gesamte Milchstraße sah und sogar eine Satellitengalaxis: Sagittarius. Er bemerkte sie deshalb, weil sie eines der hellsten Zentren bildete. Offenbar lebte dort inzwischen eine weitaus größere Gesamtbevölkerung, als er es in Erinnerung hatte.
Er überlegte sich seine nächste Frage genau, und doch fiel sie schlicht aus: »Warum?«
»Worauf zielst du ab?«, fragte der Paau.
»Du siehst die Milchstraße so, wie du sie hier zeigst ... als eine Verteilung von Bewusstseinen. Das erscheint mir nicht selbstverständlich.«
»Die bessere Bezeichnung in der Terminologie, die OXFORD mir zur Verfügung stellt, lautet ÜBSEF-Konstante«, sagte der Koffer.
»Mag sein«, sagte Rhodan. Auf derlei Spitzfindigkeiten kam es ihm nicht an. »Wieso blickst du auf diese Weise auf die Milchstraße?«
»Der Paau ist kein Lebewesen«, warf Zemina ein. »Er hat keinen Grund. Er funktioniert so, wie es eben ist.«
»Aha.« Diese Argumentation überzeugte ihn nicht. Es kam ihm eher so vor, als wollte Zemina vom Thema ablenken. Was ihm wieder in Erinnerung rief, wie wenig er über sie wusste. Und dass Atlan ihn vor blindem Vertrauen einer völlig Fremden gegenüber gewarnt hatte.
Rhodan vertraute ihr keineswegs bedingungslos, aber er wollte ihr offen und positiv begegnen. Was eine gewisse Vorsicht nicht ausschloss.
»Das Leben ist schön«, sagte der Paau plötzlich, wie als etwas verzögerte und überraschend emotionale Antwort auf Rhodans Frage. »Es anzuschauen, ist wertvoll. Genügt das als Begründung?«
Rhodan nickte. »Dieser Einschätzung kann ich uneingeschränkt zustimmen.«
Zemina sah verwirrt aus. Oder ängstlich? Er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.
»Ist das Hypersexta-Diagramm aktuell?«, fragte er. »Oder stammt es aus einem Datenspeicher?«
»Es wird verwaltet«, antwortete der Paau.
»Also ist es keine aktuelle Momentaufnahme?«
»Es entspricht nicht dem momentanen Stand und wird nicht aktualisiert.«
»Wie alt ist es?«
»Diese Information steht nicht zur ...«
»Schon gut«, fiel Rhodan dem Koffer ins Wort. Er wies darauf hin, dass es einige besonders hell strahlende Regionen gab – Highlights, wie er sie für sich selbst nannte. Er fragte den Paau, worauf sie zurückgingen.
Der Paau gab zu, das nicht zu wissen, und ergänzte: »Allerdings müssen diese Zentren vor nicht allzu langer Zeit entstanden sein. Sie nehmen an Intensität zu, wie vorherige Versionen des Diagramms beweisen.«
»Dir liegen also ältere Aufzeichnungen vor?«
»Das Hypersexta-Diagramm wird verwaltet«, wiederholte der Koffer. »Aber nicht kontinuierlich.«
»Rechne die Steigerung der Intensität zurück«, bat Rhodan. »Wann sind diese Highlights demnach entstanden?«
»Es gibt keine sichere Aussage.«
»Eine unsichere genügt mir.«
»Vor zwei- bis dreihundert Jahren.«
Was in etwa dem Beginn der Cairanischen Epoche entsprach, soweit Rhodan das bislang beurteilen konnte – die Datenlage war noch immer katastrophal unklar, weil tausend Versionen im Funk- und Datennetz kursierten. Dennoch, er glaubte nicht an einen Zufall.
Wie viele solcher Highlights es in der gesamten Milchstraße gab, ging aus dem Holo nicht klar hervor. Er bat OXFORD, es genauer zu untersuchen und es auszuwerten.
Die Positronik entdeckte in relativer Nähe des galaktischen Zentrums eine Besonderheit. Gleichzeitig zoomte sie diesen Bereich an, bis er zwischen Rhodan, Zemina und dem Koffer schwebte.
Der Terraner erkannte sofort, worauf OXFORD hinauswollte. Er deutete auf das dort sichtbare Leuchten, das sich von den anderen grundlegend unterschied. Goldenes und dunkelblaues Licht wechselten sich ab.
»Was hat es mit der Zweifarbigkeit auf sich?«, fragte er. »So schön das Leben auch sein mag, es wird wohl nicht um Ästhetik gehen.«
Der Paau antwortete nach kurzer Pause – als müsste er seine Worte erst abschätzen. »Dort existieren ÜBSEF-Konstanten von angereicherter Vitalität.«
Diese Beschreibung weckte sofort eine Assoziation in Rhodan. Bewusstseine von angereicherter Vitalität. Konnte es sich um Zellaktivatorträger handeln? Und wenn der Koffer sie offenbar speziell wahrnahm ... was folgte daraus?
Er entschied sich, diesem Gedankengang nachzugehen.
»Leben dort Zellaktivatorträger? Du weißt, wovon ich spreche, nicht wahr?«
»Du nutzt ein solches Gerät. Und ja, deine Vermutung trägt eine gewisse Wahrscheinlichkeit in sich.«
»Erzähl mehr darüber.«
Er bekam genau die Antwort, die er erwartete: dass diese Information nicht zur Verfügung stand.
Perry Rhodan fragte sich, ob der Koffer auf diesem Weg überhaupt erst auf ihn, Rhodan, aufmerksam geworden war, als er in Suspension in der RAS TSCHUBAI lag. Hatte der Paau die Ausstrahlung des Zellaktivators gespürt und Zemina zu ihm geführt? Doch warum ausgerechnet zu ihm, wenn es mehrere solcher Highlights gab?
Eine andere Frage trieb ihn jedoch noch viel stärker um. Welche Zellaktivatorträger mochten sich in diesem speziellen Highlight in Zentrumsnähe aufhalten – im Ephelegonsystem, falls er sich nicht täuschte?
Dort lag ohnehin das Ziel seiner aktuellen Reise, weil er den Residenten treffen wollte ... Reginald Bull. Bully, seinen ältesten Freund.
Er hielt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit dort auf ... vielleicht auch Icho Tolot.
Und Homer G. Adams?
Falls sie alle noch lebten. In 500 Jahren konnte sich viel geändert haben.
Oder alles.
Und was war mit alten Wegbegleitern wie Dao-Lin-H'ay? Eine Ewigkeit lang hatte er von der Kartanin nichts gehört, seit sie sich in ihre Wahlheimatgalaxis Hangay zurückgezogen hatte. Er hielt auch nach einem halben Jahrtausend eine Rückkehr nicht für sehr wahrscheinlich.
Außerdem kam ihm ein anderer Name geradezu schmerzhaft intensiv in den Sinn. Er wagte es kaum zu hoffen, aber könnte dort nicht sein Sohn Michael auf ihn warten? Könnte Roi Danton mit der SOL in die Milchstraße zurückgekehrt sein?
Er schob die Gedanken beiseite. Vielleicht waren solche Überlegungen normal, doch sie brachten ihn nicht weiter. Bis er mehr wusste, blieben es haltlose Spekulationen.
*
»Du bist im Zwiespalt, Perry«, sagte Zemina Paath später.
Sie saßen wieder am Tisch, und Rhodan fühlte sich seltsam wohl; vielleicht, weil kein unberechenbarer Koffer mehr am Gespräch teilnahm. Es genügte ja, dass es eine unberechenbare Fremde gab, die einem unbekannten Sternenvolk angehörte.
»Kennst du das Gefühl?«
»Wer nicht? Manchmal glaubt man, es gehört zum Leben dazu. Eine der Grundkonstanten.« Sie lachte. »Essen, trinken, zerrissen sein.«
Er stand auf, ging zu dem in die Wand eingelassenen Schrank und sah Zemina fragend an. »Du erlaubst?«
»Was hast du vor?«
Sie weiß es wirklich nicht, dachte er. Sie hat noch keinen Blick hineingeworfen. Er öffnete und nahm zwei Gläser und eine Flasche mit goldfarbenem Fruchtsaft heraus. »Es gehört zur Standardeinrichtung. Wie auch andere Annehmlichkeiten. Sieh dich in deinem Quartier um, wenn du später allein bist.«
»Warum sollte ich?«
Rhodan lächelte, reichte ihr ein Glas und schenkte ein. Es roch süß nach arkonidischen Sternenäpfeln. »Koste«, bat er.
Sie nippte. »Köstlich«, meinte sie, stellte es aber wieder ab.
Der Terraner bediente sich ebenfalls und trank seines leer. Es erfrischte, und die Süße perlte auf der Zunge. »Was würdest du in meiner Situation tun?«
»Du bittest mich um meinen Rat?«
»Überrascht dich das so sehr?«
»Ja.«
»Ich höre gerne Meinungen meiner Begleiter, ehe ich mich entscheide. Also gut – die Berichte sind eindeutig, sogar wenn man davon ausgeht, dass keine Information in dieser Galaxis mehr sicher ist. Terra befindet sich nicht länger im Solsystem. Sonst könnte sich der Mythos nicht halten, es hätte diese Welt nie gegeben.«
»Falls es ein Mythos ist«, sagte sie.
»Ist es.«
»Akzeptiert.«
»Weiter: Terra ist meine Heimat. Ich möchte mich vergewissern. Aber ich darf nicht. Das Solsystem wird von den Cairanern gut bewacht, erst recht, seit sie wissen, dass ich zurückgekehrt bin. Nach allem, was wir aus dem abgehörten Funkverkehr wissen, ist es Sperrgebiet. Sie können außerdem meinen Zellaktivator orten, wenn auch nur in einer Raumkugel von einigen Lichtjahren Durchmesser, ohne mich sofort ausfindig zu machen. Das heißt, sobald ich im Solsystem auftauche, liefere ich mich ihnen aus. Da will ich mich nicht auf den fragwürdigen Schutz eines Paratronschirms verlassen wie bei Ollfa.«
»Da du ja nach meiner Meinung fragst: Deine Worte klingen, als würdest du dich vor dir selbst rechtfertigen, nicht dorthin zu fliegen.«
»Das trifft es ziemlich genau.« Rhodan seufzte. »Ich werde dort sein, früher oder später. Aber das muss besser vorbereitet sein. Und was bringt es, mit eigenen Augen zu sehen, dass Terra verschwunden ist?«
»Ein schwaches Argument«, sagte sie.
»Findest du?«
»Ich höre dir an, dass es dich selbst nicht überzeugt.«
Er lächelte. Sie hatte recht, und er war froh, sie um Rat fragen zu können. »Allen abgefangenen Nachrichten und Bildern zufolge zieht dort ein anderer Planet seine Bahn. Das ist klar, aber mehr lässt sich darüber nicht herausfinden. Ich will wissen, was es damit auf sich hat. Wo diese Welt herkommt. Wer darauf lebt. Wieso er ...«
»Siehst du?«, fiel sie ihm ins Wort. »Jetzt klingst du eher so, als würde dein Herz dafür brennen.«
»Dennoch kann ich nicht einfach ins Solsystem fliegen. Meine Gefühle sind eine Sache – der Verstand spricht dagegen. Ich brauche mehr Informationen. Deshalb werde ich den Residenten aufsuchen.«
»Reginald Bull.«
»Im Ephelegonsystem.«
»Das wolltest du auch vorher schon – wir sind schließlich mit der BJO BREISKOLL nur aus diesem Grund unterwegs. Um ins Ephelegonsystem zu reisen, deinen alten Freund zu finden und zu hören, was er dir über die vergangenen 500 Jahre berichten kann. Was bringt dich also jetzt dazu, dieses Ziel infrage zu stellen?«
»Dein Koffer. Oder genauer gesagt, das Hypersexta-Diagramm und die darin verzeichneten Highlights.« Rhodan schloss die Augen, rief sich die Bilder in Erinnerung. »Eines davon liegt nicht weit entfernt. 5000 Lichtjahre.«
»Nicht ganz auf dem Weg«, sagte Zemina süffisant.
»Aber fast. Nahe genug, um einen Abstecher dorthin zu machen und zu sehen, was es damit auf sich hat.«
»Warum zögerst du dann noch?«
Er stand auf. »Das ist die richtige Frage. Danke. Es gibt eigentlich keinen Grund.«
»Du hast alle Argumente selbst vorgebracht«, sagte Zemina.
»Und dabei hast du mir als Gegenüber geholfen.«
Nun trank sie doch etwas. Ein Tropfen rann ihr über das Kinn. Sie wischte ihn nicht weg. »Hat OXFORD das Ziel genauer bestimmen können?«
»Das Highlight verweist in die Nähe des Jamondi-Sternenozeans.«
»Das sagt mir nichts.«
»In das Afallachsystem.«
»Oh«, machte sie.
»Das scheint dir sehr wohl etwas zu sagen.«
»Ich hörte davon.«
»In welchem Zusammenhang?«
»Dort liegt eine der gefürchteten cairanischen Strafanstalten. Eine Ausweglose Straße.«
*
Die BJO BREISKOLL erreichte das Ziel nach wenigen Stunden Flug und stoppte in einiger Entfernung zum Afallachsystem im Leerraum.
Sofort traten die Orter in Aktion – doch es gab nichts in der unmittelbaren Umgebung, das dem Schiff hätte gefährlich werden können. Weder andere Raumschiffe noch sonstige Probleme.
Kommandant Muntu Ninasoma saß auf seinem Platz in der Zentrale, die Beine lang ausgestreckt und leicht gespreizt, den Oberkörper nach vorne gebeugt. Er gab keine Befehle – allen war klar, worauf es ankam: einerseits höchste Wachsamkeit, andererseits das Sammeln möglichst vieler Informationen.
Nach einiger Zeit ohne Katastrophenmeldungen entspannte sich der Kommandant sichtlich. Er winkte Perry Rhodan zu sich, der neben seiner Enkelin Farye Sepheroa am Rand der Zentrale die Ankunft am Ziel abgewartet hatte.
Farye genoss eine Art Sonderstatus an Bord. Sie erfüllte keine offizielle Aufgabe, aber als Expertin war sie durchaus in der Lage, das Schiff sowohl zu pilotieren als auch zu kommandieren, sollte es zu einem Notfall kommen. Rhodan hingegen war der Expeditionsleiter und hielt sich gerne dezent im Hintergrund, was die alltäglichen Routineabläufe betraf.
Sie gingen an einigen Offizieren der Zentralebesatzung vorbei zum Kommandantensessel. Muntu Ninasoma war ein dunkelhäutiger Mann mit kurzem schwarzem Haar. Ein ruhiger, überlegter Terraner Marke Fels in der Brandung.
»Was glaubst du, Muntu?«, fragte Farye.
»Du willst über Religion reden?«, fragte der Kommandant grinsend. »Da schweige ich lieber. Was allerdings unsere momentane Lage angeht, gehe ich davon aus, dass keine Gefahr droht, solange wir uns hier im Leerraum aufhalten.« Er sah auf die Uhr, und sein Grinsen verbreiterte sich. »Also nicht mehr lange, wie ich dich kenne, Perry.«
»Kommt darauf an, was wir in den nächsten Minuten herausfinden«, sagte Rhodan.
Zemina wusste nicht viel über die von ihr erwähnte Ausweglosen Straße – nur, dass es sich um ein Gefängnis der Cairaner handelte, von dem man üble Geschichten erzählte. Angeblich ein grauenhafter Ort. Aber sie hatte sich nie darum gekümmert. Ihren Worten nach gab es etliche solcher Strafanstalten in der Galaxis verteilt – unter anderem eben im Afallachsystem.
OXFORD suchte den allgemeinen Hyperfunkverkehr im System nach diesem Schlagwort ab.
Zurzeit schob die Terranerin Linn Eawon Dienst als Kommunikationsoffizierin. Sie wertete alles aus, was die Positronik für sie ausfilterte. Die zierliche Frau blieb wie meistens unauffällig und bot ein Bild höchster Konzentration, während sie auf ihre Konsole starrte und nur die Hände bewegte. Bald schickte sie ein erstes Datenpaket an den Kommandanten, ohne selbst etwas dazu zu sagen. Sie vertiefte sich weiter in die Auswertung des Funkverkehrs.
Muntu Ninasoma rief die Daten auf und überflog sie. »Man spricht im Afallachsystem über diese Ausweglose Straße. In der Nähe liegt ein akonischer Etappenhof, der einiges Publikum anzieht. Es gibt eine Art Protestbewegung dagegen, weil das im unmittelbaren Umfeld zur Strafanstalt stattfindet.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Unwichtig. Hier: Die Inhaftierten leiden offenbar besonders, weil ihnen Vitalenergie entzogen wird. Genauere Aussagen darüber finde ich nicht ... Aber Schuld daran trägt wohl eine cairanische Technologie, die Vital-Suppressor genannt wird. Dieses Gerät raubt den Gefangenen Lebensenergie und lässt sie ermatten.«
Er las weiter. »Oder wahlweise sterben, wenn man anderen Gerüchten glaubt. Was wenig Sinn ergibt, weil man sie sonst nicht ins Gefängnis bringen müsste.«
Farye schnippte mit Daumen und Zeigefinger. »Das passt genau! Im Hypersexta-Diagramm ging es um Vitalstrahlung! Und nun erfahren wir, dass den Sträflingen Vitalenergie entzogen wird.«
»Es passt überhaupt nicht«, widersprach der Kommandant. »Im Gegenteil. Wenn Lebensenergie gestohlen wird, müsste es weniger davon geben, nicht mehr, wie es dieser seltsame Koffer angeblich wahrgenommen hat!«
Rhodan nickte. »Stellt sich die Frage, was mit dieser Vitalkraft geschieht. Sollte sie verpuffen, hättest du recht, Muntu. Eine Maschine, die den Insassen Energie entzieht, nur um sie zu entziehen, erscheint mir allerdings sinnlos. Eine Menge Aufwand, um Gefangene zu schwächen, die ohnehin weggesperrt sind. Das ist nicht logisch. Dieser Vital-Suppressor raubt nicht nur Lebenskraft. Er sammelt sie vielleicht sogar.«
»Eine interessante Theorie«, urteilte Farye.
»Ich werde sie überprüfen.«
»Wir«, verbesserte seine Enkelin.
»Darüber sprechen wir noch«, meinte Rhodan. »Vielleicht ist es besser, nur Roboter zu schicken. Oder Sonden.«
»Es hörte sich für mich ebenso an«, sagte Farye, »als wolltest du selbst gehen, Perry.«
Ganz recht, dachte er. Ich habe lange genug herumgesessen. Aber das heißt nicht, dass ich dich dieser Gefahr aussetzen werde.
»Diese Information steht nicht zur Verfügung«, meinte er lapidar. Er hatte seiner Enkelin von der Floskel des Koffers erzählt.
Sie sah ihn wütend an und fand es wohl gar nicht witzig.
Während OXFORD weitere Informationen sammelte, ging der Orteroffizier an die Arbeit und stellte ein Brevier zum Afallachsystem zusammen.
Die Ausweglose Straße schwebte als ringförmige Raumstation im Orbit des Eisplaneten Pelorius. Der Planet hatte eine atembare Atmosphäre, war aber bis auf einige Stationen offenbar unbewohnt.
Im Sonnensystem hielten sich keine cairanischen Schiffe auf – bis auf eines, das beim akonischen Etappentransmitter stand und mutmaßlich nicht wegen der Strafanstalt vor Ort war. Dennoch musste man es in die Planung einbeziehen. Ob es weitere feindliche Truppen im System gab, blieb zur Stunde unklar. Jedenfalls bewachte keine Raumflotte das Gefängnis.
Der weitere Funkverkehr brachte keine nennenswerten Fakten über den Vital-Suppressor ans Licht – es kursierten nur Gerüchte, die einander widersprachen, wie es derzeit in der Milchstraße leider allzu üblich war.
Linn Eawon durchsuchte parallel OXFORDS Speicher und erwähnte, dass der Begriff bereits vor Tagen aufgefangen worden war, im allgemein abgehörten Hyperfunkverkehr. Damals hatte die Positronik es allerdings als eines von vielen Schlagworten beurteilt und nicht näher untersucht.
»Echte Informationen liefert auch dieser alte Treffer nicht«, erklärte die Kommunikationsoffizierin. Sie räusperte sich und lächelte ein wenig scheu. »Der genaue Zusammenhang war die Aussage eines Cheborparners: Die verdammten Cairaner mit ihrem Vital-Suppressor! Nicht sonderlich erhellend.«
»Oh doch«, urteilte Farye. »Es zeigt, dass die Cairaner mithilfe dieser Technologie Angst verbreiten. Ein Abschreckungsmittel.«
»Und mehr als das«, gab sich Rhodan überzeugt. Er glaubte nach wie vor, dass das Gerät zum Sammeln von Vitalenergie diente.
»Wenn Gefangene unter dem Einfluss des Suppressors Lebenskraft verlieren«, sagte er, »heißt das, dass ich der ideale Mann für einen Einsatz in der Ausweglosen Straße bin. Mein Zellaktivator wird mich wahrscheinlich wenigstens teilweise schützen.«
»Außer mir«, sagte Farye. »Als Enkelin eines Zellaktivatorträgers könnte ich dagegen genau wie du zu einem gewissen Maß gewappnet sein.«
Er suchte ihren Blick. »Oder auch nicht.«
»Du willst mich schonen«, erkannte Farye.
»Ich brauche dich an Bord ... falls ich nicht zurückkomme, kannst du eine Rettungsmission starten. Das ist deine Aufgabe.«
»Du darfst nicht allein gehen!«
»Muntu«, sagte Rhodan, »wird mir sicher einige TARAS zur Verfügung stellen.«
»Ich hätte da einen INSIDE«, sagte Kommandant Ninasoma. »Und noch ein paar andere schöne Spielereien ...«
Zweites Zwischenspiel
»Wie heißt du?«, fragte Tsaras.
Der Aankhpanali kaute auf dem gebratenen Fleisch. Die nadelspitzen Zähne blieben sogar zu sehen, wenn der Mund geschlossen war, denn er schloss sich nie vollständig. Etwas Speichel rann darüber. Die sechs kreisförmig darum liegenden dunkelroten Augen richteten ihren Blick auf Tsaras. »Ich habe keinen Namen. Nicht mehr, seit ich mein Leben verlor und auf der Ausweglosen Straße gelandet bin.«
»Wie hat man dich früher genannt?«
»Was spielt es für eine Rolle?«
»Es ist wichtig«, sagte Desach, »weil du immer noch jemand bist. Nicht nur ein Gefangener.«
»Ich fühle mich aber nicht so«, sagte der Aankhpanali. »Ihr etwa?«
»Wir sind Brüder. Damals und heute genauso. Außerdem ...«
»Ihr seid Terraner, richtig? Ihr seht zumindest so aus.«
»Hast du etwas dagegen?«
»Hätte ich mich dann an euch gewandt? Es ist immer ein Risiko, jemanden anzusprechen.« Der Aankhpanali biss erneut von seinem Fleischstück ab.
»Du besitzt eine Paragabe«, sagte Lirach. »Das ist mehr, als die meisten sagen können.«
»Viele aus meinem Volk sind derart begabt«, erklärte das Wesen mit dem Augenkranz. »Die Cairaner wissen das. Deshalb holen sie uns hierher.«
»Sie haben ... Angst vor euch?«, fragte Desach.
»Sie stehlen mit dem Vital-Suppressor unsere Vitalenergie, die dank der Paragabe besonders ist«, widersprach der Fremde. »Zumindest glaube ich das. Wie sollte ich es beweisen? Ich habe anderes zu tun. Zum Beispiel zu überleben.«
Alle schwiegen und aßen.
»Schmeckt dir dein Willkommensgeschenk?«, fragte Tsaras.
»Nein. Aber es hilft, den Hunger zu stillen. Ich habe nie Fleisch gegessen. Es ekelt mich an.«
»Du bist ...«
»Ich bin ehrlich. Was ist uns denn sonst noch geblieben?« Er schlang den letzten Bissen hinunter.
Tsaras' Zeitgefühl sagte ihm, dass der Tag sich dem Ende zuneigen müsste – doch wie immer blieb es gleichbleibend hell. Der Sliwaner fürchtete sich vor dem Moment, an dem das Feuer abbrannte und sie ihr Lager und den Krater verlassen würden.
Vor der Kälte, die auf ihn wartete und die das Erstarren seines Körpers mit sich brachte.
Davor, dass er wieder auf die Hilfe seiner Freunde angewiesen war, die ihn auf einer Trage mit sich schleppen mussten.
Unvermittelt bebte die Erde. Zuerst war es eher ein Gefühl, als dass Tsaras tatsächlich etwas spürte, dann rollten Steine die Kraterwand hinab. Sie rissen weitere mit sich, die donnernd hinabkrachten.
Alle sprangen auf, auch Tsaras konnte sich dank der Hitze des Feuers geschmeidig bewegen.
Der See einige Meter tiefer kochte mit einem Mal auf, die Giftschwaden wallten höher als zuvor, und eine Wasserfontäne spritzte wie ein Geysir auf. Sie versprühte zu Millionen Tropfen, die sich weit ausbreiteten – und plötzlich in einem Schutt herabregneten und die Gefährten überschüttete.
Zischend verdampfte Feuchtigkeit im Lagerfeuer, bis das Feuer erlosch.
Der Schock des eiskalten Wassers lähmte Tsaras. Es fühlte sich an, als würden seine Schuppen erstarren oder ihm herausgerissen werden. Er versuchte zu atmen und bekam kaum Luft.
Er schmeckte das Salz des Wassers, das ihm in den Mund rann.
Desach und Lirach standen klatschnass da, die Kleider klebten ihnen am Leib.
Der Aankhpanali schrie auf, mit seltsam schriller Stimme. Wasser rann in Strömen über seinen dunklen Körperpanzer. Der Augenkranz weitete sich. »Wir müssen weg hier!«
»Warte!«, rief Lirach ihm zu.
»Was ...«
»Ich glaube, es war ein einmaliges Beben. Hör doch ... es bleibt still.«
Die Welt verschwamm vor Tsaras. Noch immer konnte er nicht atmen, als würde etwas seinen Körper zusammenpressen und jede Luft aus ihm quetschen.
Dieser plötzliche Kälteschock!
Die Stimmen der anderen klangen wie ferne Erinnerungen hinter einem Nebelschleier.
»Behalt die Umgebung im Auge.« War das Desach?
»Es strömt mehr Giftgas aus!« Lirach?
»Komm so...« – »Aber es ...« – »...hal...to...«
Er konnte nichts mehr zuordnen.
Jede Silbe verhallte.
Und: Stille.
*
Etwas an der Schwärze tröstete ihn. Sie verhieß Ruhe, vielleicht sogar ein besseres Leben. Gab es also doch etwas im Danach. Wie gerne hätte Tsaras es den großen Denkern seines Volkes mitgeteilt. Seltsam, dass er zuerst die Ausweglose Straße hatte betreten müssen, um diese Erkenntnis zu gewinnen.
Ja, es war gut, an diesem Ort zu sein.
Mit der Zeit würde er sich vielleicht orientieren können.
Ob es andere Wesen gab auf der Straße?
Oder existierte nur noch er selbst?
Verging Zeit?
Er wusste es nicht, aber mit einem Mal änderte sich etwas. Zuerst drang Wärme zu ihm durch. Sie kroch über seinen Oberkörper, umschmeichelte die Schuppen, pulste in sein Blut, das nicht mehr so träge dahinfloss.
Es fühlte sich friedlich an, stark und lebendig. Tsaras nahm seinen Körper wahr und verstand, dass er nicht gestorben sein konnte.
Es gelang ihm, die Augen zu öffnen. Er sah in sechs rote Ringe. Dazwischen schnappten Zähne, und der Anblick erschreckte ihn. Doch die Angst verschwand, als er begriff, dass er in das Gesicht des Aankhpanali schaute.
»Korelasimata«, sagte der Fremde, dem er Fleisch geschenkt und der ihm im Gegenzug ins Leben zurückgeholt hatte. Er befand sich dicht bei ihm. »Das war mein Name.«
»Das ist er immer noch«, widersprach Tsaras. Seltsam, er fühlte sich in der Lage zu reden, und glaubte sogar, sich bewegen zu können.
»Meine Freunde, und zu denen zähle ich dich«, fuhr der Aankhpanali fort, »nennen mich Relas.«
»Wie hast du mich ...«
»Erweckt?« Der Fremde schloss den Mund, so weit er ihn eben schließen konnte. Er war so nah, dass Tsaras die Zähne aufeinander knirschen hörte. »Die terranischen Brüder haben mir gesagt, wo dein Problem liegt, Wechselwarmer. Die plötzliche Kälte hätte deinen Körper fast versagen lassen. Ich gab dir, was du brauchst, um dir zu helfen.«
Zum ersten Mal seit seinem Erwachen wandte der Sliwaner den Blick vom Gesicht seines Retters – und verstand. Relas lag auf ihm. Der Fremde hatte den schwarzen Körperpanzer geöffnet und die Hälften um Tsaras' Oberkörper wieder geschlossen.
»Mein Volk ist extrem widerstandsfähig gegen Kälte«, sagte der Aankhpanali. »Der Panzer schützt uns, indem er Wärme abgibt. Unter dem Einfluss des Vital-Suppressors weniger als sonst, aber immer noch genug, um wenigstens nicht unter der Kälte zu leiden. Und um dich zu retten.«
»Danke.«
»Ich glaube, du wirst Gelegenheit bekommen, dich zu revanchieren.« Korelasimata löste sich von ihm, und für einen Augenblick sah Tsaras blasse, dunkelblau geäderte Haut, ehe sich der Körperpanzer um den Aankhpanali schloss.
Sofort wich die lebendig machende Wärme – aber nur bis zu dem Zustand, den der Sliwaner aus vielen Tagen der Gefangenschaft kannte. Er würde überleben. Sein Körper hatte den Schockzustand überwunden. Er konnte mit seinen Gefährten weiterziehen – oder besser gesagt, sich von ihnen wieder mitschleppen lassen.
Was blieb ihm sonst übrig?
Er sah ein Flackern im Augenwinkel – seitlich oben, dort wo sonst nur ein schmutzig graues Etwas, eine undurchdringliche Nebelwand stand, die den Blick nach draußen verschleierte.
Man hätte von der Innenseite der Ausweglosen Straße eigentlich ins freie All schauen müssen. Das allerdings gönnten die Cairaner ihren Gefangenen nicht, denn es würde womöglich Hoffnung in ihnen wecken, die Sterne wieder zu erblicken. Nur von außen sah man durch das glasartige Material in den Ring der Strafanstalt.
Dort oben flackerte es erneut, und Feuer blitzte auf, einen Atemzug, bevor der Donner einer Explosion durch die Ausweglose Straße hallte.
Nun hoben alle den Blick und sahen den schmutzigen Nebel brennen. Wahrscheinlich schauten derzeit sämtliche Gefangenen dorthin.
»Etwas kommt«, sagte Lirach, und es klang wie eine düstere Prophezeiung.