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1.

Geduld und Entzugserscheinungen

»Erinnerst du dich an jenen Tag«, sagte Giuna Linh, »an dem wir unseren Sessel durch den Transmitter schickten? Wie teuer es war?« Sie lachte oder versuchte es zumindest. »Und wie die Akonen am Empfangsgerät das klobige Ding angestarrt haben? Sie dachten, wir wären verrückt.«

Sie sprach zu ihrem Mann, aber Lanko Wor antwortete nicht. Natürlich nicht. Er lag im Koma, seit sie ihn aus der Ausweglosen Straße befreit hatte. Mehr als zwei Wochen war er nun schon ein zerschlagenes, blasses, hinfälliges Etwas in der körperlichen Hülle des Menschen, den sie liebte. Und die Cairaner trugen daran die Schuld, im Namen des Friedens, den sie über die Milchstraße brachten.

»Na ja«, meinte sie, »vielleicht stimmte das ja auch. Wir dachten, die Galaxis gehört uns.« Und damit waren Lanko und sie lange durchgekommen. Sie hatten sich da und dort entlanggemogelt und am Ende eine interessante, herausfordernde Arbeit in der Baustelle eines akonischen Etappentransmitters gefunden.

Oder nein, das eigentliche Ende dieses Abschnitts ihres Lebens bildete jener Augenblick, als sich Lanko einem Cairaner widersetzte und auf die Ausweglose Straße deportiert wurde. Wie lange war das her?

Eine Ewigkeit.

Monate.

»Was denkst du?«

Giuna zuckte zusammen, als sie die Worte hörte. Einen winzigen Moment dachte sie, ihr Mann hätte gesprochen. Lächerlich. Sie drehte sich um und sah Spand an, den Ara, der Lanko medizinisch versorgte. Doktor Spand, um genau zu sein. Auf diesem Namenszusatz bestand er.

»Willst du es wirklich wissen?«, fragte sie.

»Wieso sollte ich dich fragen, wenn nicht?«

»Ich dachte daran, dass ich auf Frieden verzichten kann, solange er so aussieht wie das, was die Cairaner in der Milchstraße durchsetzen.«

Der Ara beugte sich vor. Das Stethoskop um seinen Hals baumelte frei. Der sonst stramm über dem Oberkörper sitzende weiße Kittel schlug eine Falte im Bauchraum. »Du denkst an Politik?« Sein Atem roch nach den blauen Zwiebeln des hiesigen hydroponischen Gartens und nach Fleisch. Offenbar hatte er gerade gegessen. War es Zeit dafür? Giuna vergaß es häufig, wenn sie bei Lanko saß. Was sie meistens tat.

»Hast du nichts Besseres zu tun«, fragte er, »hier im Krankenraum?«

Sie hob die Schultern. »Was schlägst du vor?«

»Iss etwas. Als dein Arzt kann ich nicht gutheißen, wie wenig du zu dir nimmst.«

»Ich wüsste nicht, dass du mein Arzt bist.«

»Du lebst in der TREU & GLAUBEN. Ich bin der Chefmediker an Bord.« Er schnippte mit Mittelfinger und Daumen beider Hände. »Also bin ich dein Arzt. Eine einfache Rechnung.«

Giuna stand auf. Der Stuhl, auf dem sie jeden Tag etliche Stunden verbrachte, war nicht sonderlich bequem. Ihre Wirbelsäule schmerzte, und der Rücken fühlte sich hart an. »Ich habe keinen Hunger.«

»Du lügst«, sagte er.

»Praktizierst du nebenbei auch noch als Kosmopsychologe oder gar als Prophet, Doktor Spand?«

»Ich nutze lediglich meinen gesunden Verstand. Du hast abgenommen, und das in zu großem Maß.«

»Was geht dich mein Gewicht an?«

»Ich bin dein Arzt«, sagte er trocken.

»Wir drehen uns im Kreis. Und wenn ich ehrlich sein soll, bist du mir zu exzentrisch, als dass ich mich dir anvertrauen könnte.«

»Ich?« Er klang aufrichtig irritiert. »Wieso?«

»Der Kittel. Das Stethoskop um deinen Hals. Dein Beharren darauf, Doktor genannt zu werden.« Giuna winkte ab. »Muss ich weitermachen?«

»Diese Dinge stehen in meinem Vertrag. Er verlangt von mir, so aufzutreten.«

Das verschlug ihr die Sprache. Ihr fiel nur ein verblüfftes »Was?« ein.

»Die TREU & GLAUBEN gehört Kondayk-A1. Das dürfte dir nicht neu sein. Falls du jemanden exzentrisch nennen willst, dann bitte ihn. Er hat all diese Punkte vertraglich fixiert. Wenn du mich fragst, sollte er lieber Handel treiben, als sich in medizinische Belange einzumischen, denn das kann er. Dafür ist er berühmt. Und weil ich – von solchen Äußerlichkeiten abgesehen – ein guter Arzt bin, ordne ich hiermit an, dass du etwas essen musst. Ich hingegen kümmere mich um meinen Patienten.« Er wies in Richtung Ausgang. »Raus hier! Sofort!«

Giuna ergriff die Hand ihres Mannes und drückte sie. Er reagierte nicht. Sie ging nach draußen, und wie immer, sobald sie die Medostation verließ, fühlte sie sich verloren.

Nach Lankos Deportierung hatte sie ein klares Ziel verfolgt – ihn zu befreien. Das war gelungen, wenn auch nicht so wie erhofft. Wegen der verzweifelten Aktion musste sie ganz nebenbei ihr bisheriges Leben hinter sich lassen. Die Cairaner kannten ihren Namen, wussten, dass sie ihren Mann befreit hatte.

Damit galt sie als vogelfrei, durfte sich weder im akonischen Etappentransmitter noch sonst irgendwo in der Milchstraße frei bewegen. Die Cairaner und ihre Spione waren überall.

Dass Giuna in der TREU & GLAUBEN Zuflucht gefunden hatte, sah sie als wahren Segen an, denn das Schiff war mehr als das, was es zu sein schien. Der Kommandant Kondayk-A1 und dessen Buchhalter Cyprian Okri gehörten dem Nachrichtendienst Ephelegon an – dem Geheimdienst der Liga Freier Galaktiker, der im Geheimen gegen die Cairaner arbeitete. Das wusste nicht einmal die sonstige Besatzung, die glaubte, im Handelsschiff eines extrem erfolgreichen Barniters Dienst zu schieben.

Kondayk und Okri hatten geholfen, Lanko zu befreien. Zum Glück waren die beiden dabei unentdeckt geblieben, sodass die TREU & GLAUBEN nach wie vor einen sicheren Hort bildete und nicht im Fokus ihrer Gegner stand.

Aber dieser Zufluchtsort beschränkte Giuna auch. Gewissermaßen war sie eine Gefangene, die weder in ihr altes Leben zurückkehren noch den Raumer verlassen durfte.

Sie schob die Grübeleien wegen ihrer unsicheren Zukunft beiseite. Was sollte sie als Nächstes tun? Tatsächlich etwas essen, wie Doktor Spand es ihr befahl?

Kaum dachte sie darüber nach, knurrte ihr der Magen. Aber sie wollte die Zeit nicht allein verbringen. Ihre Gedanken befanden sich in einer Abwärtsspirale, seit die Umstände sie zum Nichtstun als Partnerin eines Komapatienten zwangen. Sie sehnte sich danach, die Dinge anzupacken, die Lage zu ändern, vielleicht gegen Cairaner zu kämpfen, bis sie unterging ...

Stattdessen saß sie in diesem Schiff fest und wartete.

Und wartete.

Sie hasste es.

Sie hob den Arm und tippte den Notfallcode in das Kommunikationsarmband, der eine Verbindung zum wichtigsten Mann der TREU & GLAUBEN aufbaute: dem äußerlich so unauffälligen Anführer des geheimen Agentenduos.

»Ja?«, meldete sich Cyprian Okri, offiziell der terranische Buchhalter, Diener oder Sklave des barnitischen Kapitäns, je nachdem, wen man fragte. Gut kam er dabei sehr selten weg, was ihn jedoch nicht im Geringsten scherte.

»Ich bin's«, sagte sie. Ihren Namen musste sie nicht nennen.

»Ich weiß. Du bist die Einzige, die diesen Notfallcode nutzen kann. Aber du klingst nicht, als gäbe es einen echten Notfall.«

Giuna dachte an Lankos regloses, eingefallenes Gesicht. »Oh doch. Den gibt es. Mein Arzt sorgt sich um mich und hat mir eine Mahlzeit verschrieben. Hast du Zeit?«

*

Das Brotgebäck verschwand in der kochenden Sauce. Eine Luftblase stieg auf und platzte. Es roch nach Birnenpilzen – und einem Hauch Alkohol.

Cyprian Okri stocherte mit einer Langgabel in der dunkelblauen, zähen Flüssigkeit. Der eher schmächtig gebaute Terraner war – anders, als sein Anblick vermuten ließ – ein geübter und geschickter Kämpfer. Er trug das Haar grau gefärbt, um älter und damit harmloser zu wirken – eben ein Buchhalter, den man sofort vergaß, nachdem man an ihm vorbeigelaufen war. Er fand das Stück wieder, spießte es auf, zog es zurück und drehte es bedächtig in der Luft. Es dampfte und verbreitete einen verführerischen Duft.

»Also, Giuna, worum geht es?«

Sie hatte ihr bestelltes Essen bisher nicht erhalten. Ob es Zufall sein konnte? Oder erhofften sich die Restaurantbetreiber einen Pluspunkt beim Buchhalter des Kapitäns?

»Wir müssen etwas tun, Cyprian«, sagte sie, während ihr Magen so laut knurrte, dass es ihr peinlich war. »Ich muss etwas tun. Sonst verliere ich den Verstand. Ich kann mich nicht länger hier verstecken wie ...« Sie brach ab.

Er legte die Gabel vor sich ab. »So wie ich?«

Sie saßen in einer abhörsicheren Nische des exklusiven Restaurants Brilagg, was in einem nahezu vergessenen barnitischen Dialekt Geschmack bedeutete – oder Abzocke, wenn man einem bösartigen Gerücht Glauben schenken wollte. Es lag in einem der beiden an den Handelsraumer angedockten Container, genau wie Kondayks riesiges Privatquartier.

Der übergroße, einen halben Kilometer durchmessende Container diente zudem als Ort für die nahezu ständig stattfindenden opulenten Feste, mit denen der Kommandant gute Vertragsabschlüsse und prächtige Gewinne feierte. Dort stellte er den Besuchern an jeder Ecke seinen Reichtum zur Schau, den er seinen genialen Fähigkeiten als Händler verdankte – und die blieben ihm trotz seiner Geheimidentität als NDE-Agent unbenommen. Obwohl es also meistens eine Menge Gäste im Container gab, erhielten nur die wenigsten Zutritt in dieses Restaurant.

Weil Giuna schwieg, wiederholte Cyprian: »So wie ich? Ist es das, was du sagen wolltest? Du kannst dich nicht länger verstecken, so wie Kondayk und ich?«

»Es liegt mir fern, euch ...«

»Hör mir zu!« Er hob die Gabel wieder auf. Ein tiefblauer Saucenfleck blieb auf der Tischplatte zurück. Er aß, kaute ... und spannte sie auf die Folter. »Die Dinge sind nicht so einfach, wie es uns manchmal vorkommt«, fuhr er schließlich fort. »Was genau sollen wir denn tun, deiner Meinung nach?«

»Jedenfalls habe ich mir das Leben von Agenten des terranischen Untergrund-Geheimdienstes nicht so vorgestellt wie eures.«

»Es gibt Zeiten für alles. An einem Tag wird man aktiv und bricht in einer waghalsigen Aktion in ein Straflager der Cairaner ein. An einem anderen gilt es, abzuwarten, bis ein ehemaliger Gefangener aus dem Koma erwacht, und zu hoffen, dass er über weitere Informationen verfügt.«

»Und dann gibt es die Zeit«, ergänzte Giuna, »in der sich dieser andere Tag wochenlang hinzieht und man nicht länger warten kann, ohne verrückt zu werden, weil es einen innerlich zerreißt.« Sie presste die Lippen aufeinander. »Ich bringe es nicht mehr über mich, am Bett meines Mannes zu sitzen und ihn anzustarren. Ich erzähle ihm Dinge, die wir gemeinsam erlebt haben, als würde er sie hören, aber die verfluchten Geräte messen seine Gehirnströme, und dort tut sich nichts.«

»Doktor Spand wird ...«

»Er ist genauso hilflos wie ich! Lankos äußerliche Verletzungen sind geheilt, doch er erwacht nicht, und Spand kann daran so viel ändern wie du und ich – nämlich nichts! Wir haben Lanko befreit ... und was hat er davon? Auf der Ausweglosen Straße war er wenigstens lebendig!«

»Du warst dort«, sagte Cyprian ruhig. »Du weißt, wie es den Gefangenen geht und in welchem Elend sie existieren. Du hast die Wirkung des Vital-Suppressors am eigenen Leib erfahren. Die Mattheit. Die Antriebslosigkeit. Die ewige Schwäche, und doch muss man ständig vor Gefahren fliehen. Glaubst du nicht, dass Lanko von dort hat entkommen wollen, egal, um welchen Preis?«

»Wirklich? Um jeden Preis?«, fragte sie.

Er sah ihr in die Augen. »Um jeden Preis«, sagte er mit ruhiger Stimme.

Sie schwieg, nahm sich unaufgefordert ein Stückchen seines Brotgebäcks und kaute es langsam. »Aber in der Gefangenschaft konnte er wenigstens denken. Etwas empfinden.« Giuna sah Lankos regloses Gesicht vor sich. Seinen starr daliegenden Körper. »Er war jemand – und nicht nur eine körperliche Hülle, die irgendwie am Leben gehalten wird.«


Illustration: Swen Papenbrock

»Er ist immer noch die Person, die er war. Oder zweifelst du daran?«

»Nein«, gab sie zu. Nicht eine Sekunde lang.

Ein leiser Summton riss sie aus den Gedanken. Kurz flirrte die Luft, als ein Robotkellner den energetischen Vorhang durchquerte, der die Nische isolierte. In dem Augenblick, als die Strukturlücke ihn passieren ließ, drangen Geräusche von draußen herein – das Knarren eines Stuhls, das Lachen einer Frau.

Der mechanische Kellner war einem Barniter nachempfunden und damit weitaus massiger und einen Kopf größer als die beiden Terraner. »Dein Schmorgemüse an cheborparnischem Quallensud, bestreut mit in Antigravgärten gezüchteter Gurkenkresse.« Er stellte eine Schüssel und einen Teller vor Giuna ab. »Darf ich deinen Teller füllen?«

»Das übernehme ich selbst«, sagte sie und gab der Maschine einen Wink, sich zurückzuziehen – ein Wunsch, den diese sofort erfüllte.

Erneut flimmerte die Luft. Dieser Effekt diente allein dazu, den Gästen zu symbolisieren, wann sie wieder ihre abhörsichere Privatsphäre genießen konnten.

Die Mahlzeit sah köstlich aus, aber Giuna wusste nicht, ob sie auch nur einen Bissen hinunterbrachte.

»Iss!«, forderte Cyprian sie auf. »Und hör einfach zu. Du musst das, was ich jetzt mit dir teile, nicht kommentieren. Kondayk und ich verfolgen eine klare Mission. Wir versuchen, mehr über die cairanischen Vital-Suppressoren zu erfahren.«

»Das weiß ich«, sagte Giuna.

»Diesem Auftrag gehen wir seit etwa fünf Jahren nach«, fuhr der NDE-Agent ungerührt fort. »Auf etlichen Welten, deren Bewohner von den Cairanern unter Strafe gestellt worden sind, stehen diese verhängnisvollen Geräte. Es dauert nur wenige Generationen, und ganze Planetenbevölkerungen sterben aus. Der NDE hat auf zahlreichen Wegen versucht, an Informationen zu kommen. Unser Wissen steht nach wie vor fast auf null. Kondayk und ich sammeln Hinweise, und du glaubst nicht, wie viele es angeblich gibt. Nichts von Belang ... aber wir haben sie geprüft. Immer wieder.

Dann tauchst du auf – und wir gehen mit dir mitten in eine Strafanstalt der Cairaner. Zum ersten Mal gelingt dem NDE ein Zugriff auf einer Ausweglosen Straße. Wir befreien deinen Mann. Er könnte mehr über die Vital-Suppressoren wissen, weil er so lange unter ihrem Einfluss lebte und geschickt ist, was Technik angeht. Und das liegt nicht einmal einen Monat zurück. Nicht einmal – einen – einzigen – Monat!«

Sie ließ die Predigt über sich ergehen, ohne ihr Essen anzurühren. »Du glaubst also, ich sollte Geduld lernen?«

Cyprian tauchte in weiteres Stück Brot in die Sauce. »Eine Tugend, die jedem gut zu Gesicht steht.«

Giuna erhob sich. »Danke für die Einladung zu dieser zweifellos teuren Mahlzeit. Du verzeihst mir, wenn ich sie unangetastet zurückgehen lasse.« Sie wandte sich zum Gehen.

Er stand auf und packte sie am Arm. »Nein, das verzeihe ich dir nicht.«

Sie wollte sich dem Griff entziehen, doch er verstärkte ihn.

»Wir sind nicht tatenlos«, versicherte er. »Der NDE arbeitet unablässig. Aber die Cairanische Epoche ist bereits vor Generationen angebrochen, die Strukturen sind festgefahren ... und die Dinge lassen sich nicht binnen einiger Tage ändern!«

»Wer sagt das? Ist das ein ungeschriebenes Gesetz?« Sie starrte seine Hand an, und er öffnete den Griff. »Ich pfeife darauf, was du und von mir aus tausend Geheimdienstler als Tatsache ansehen! Wenn Doktor Spand meinem Mann nicht helfen kann, suche ich mir jemanden, der ihn entweder aufweckt oder von seinem Elend erlöst!«

»Wir haben nie von einer einzigen Person gehört, die von einer Ausweglosen Straße gerettet worden wäre«, sagte Cyprian. »Lanko ist wertvoll! Wir dürfen sein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel setzen!«

Sie stellte sich dicht vor ihn. »Denkst du wirklich, dass du mir das sagen musst? Für dich mag er eine mögliche Informationsquelle sein ... für mich ist er mein Leben!«

»Was hast du vor, Giuna? Wo willst du hin? Du kannst die TREU & GLAUBEN nicht verlassen.«

»Sind wir Gefangene des NDE?«

»Unsinn! Aber die Cairaner suchen dich. Du bist vogelfrei! Sobald sie dich in die Hände bekommen – und das werden sie, wenn wir dich nicht schützen –, verhören sie dich so lange, bis sie aus dir herauspressen, wie du auf die Ausweglose Straße gelangen konntest.«

»Eher sterbe ich.«

»Das wissen sie zu verhindern, glaub mir.«

Giunas Hände zitterten. »Ich danke dir für deine Gastfreundschaft und dass du meiner Bitte um ein Gespräch nachgekommen bist. Ich werde dich nicht mehr belästigen.«

Diesmal ließ er sie gehen.

*

Giuna machte sich auf dem Weg zu ihrer luxuriösen Privatkabine im angedockten Scheibencontainer, die Kondayk-A1 ihr zur Verfügung stellte.

Sie kam an einem Akonenpärchen vorbei, das auf der aktuellen Feier offenbar zu viel Alkohol genossen hatte. Die beiden lehnten mit dem Rücken an der Wand, die von barnitischem Efeu überrankt wurde, und sie sahen blass aus. Giuna hatte lange genug mit Akonen zusammengearbeitet, um den Blick der leicht verschleierten Augen richtig deuten zu können und zu wissen, dass sie wahrscheinlich in sehr redseliger Stimmung waren.

Darum hastete sie an den beiden vorbei, um nicht in ein sinnloses Gespräch verwickelt zu werden.

Und plötzlich erinnerte sie sich an etwas.

Wir haben noch nie von einer Person gehört, die aus einer Ausweglosen Straße befreit worden wäre.

Das hatte Cyprian gesagt.

Noch nie.

Lanko war der Erste, der für längere Zeit in der Vergangenheit unter dem Einfluss eines Vital-Suppressors gelebt hatte.

Was bedeutete das? Hieß das nicht, dass es keinen medizinischen Präzedenzfall gab? Dass man ihn anders als alle Patienten vorher behandeln musste? Gab es eine andere Ursache für seinen Zustand als die, von der man automatisch ausging? Lag er vielleicht nicht deshalb im Koma, weil der Suppressor ihn derart geschwächt hatte ... sondern weil ihm nun etwas fehlte?

Der Gedanke kam ihr verrückt vor, aber er setzte sich in ihr fest.

Sie war mit ihrem Mann durch die Milchstraße gereist, dahin und dorthin, ehe sie ihre Beraterstellen im akonischen Transmitterhof gefunden hatten, von dem Lanko schließlich in die Strafanstalt deportiert worden war. Ein junges Pärchen, das sich auf diese oder jene Art etwas ergaunert hatte.

Und das genau wie tausend andere Vagabunden mit Drogen experimentierte. Natürlich nur, um den Wundern der Galaxis näher zu kommen – so hatten sie sich selbst in Tasche gelogen. Wenigstens waren sie schlau genug gewesen, auf harten Stoff zu verzichten ... dennoch wusste Giuna, wie sich Entzugserscheinungen anfühlten.

Drogen zerstörten einen Körper – doch sobald man sie nicht mehr einnahm, wurde es umso schlimmer.

Ein völlig normaler Gedanke, den jeder Mediziner kannte.

Ließ er sich auf Lankos Situation übertragen?

Das hieße, dass der Vital-Suppressor für seinen Zustand verantwortlich war – aber dass dieser sich ohne den Einfluss der verhängnisvollen Maschine weiter verschlechterte. Genauer gesagt: Er lag im Koma.

Und wie linderte man Entzugserscheinungen?

Entweder mit Zeit ... was der Methode Geduld entsprach, die Spand und Cyprian Okri propagierten.

Oder mit einer neuen Drogendosis, die sich zwar keineswegs heilend auswirkte, aber die Symptome kurzzeitig beseitigte. Würde Lanko also aufwachen, wenn er auf die Ausweglose Straße zurückkehrte?

Sie hob ihren Armbandkommunikator und gab den Sprachbefehl, Kontakt zu Doktor Spand aufzubauen.

Der Ara meldete sich rasch, und sie teilte ihm ihren Verdacht mit.

Zu ihrer Überraschung lachte er sie nicht aus. »Ein interessanter Gedanke«, sagte er. »Ich hege dieselbe Vermutung, wenn auch auf Basis etwas wissenschaftlicherer Überlegungen als deine Drogenerfahrungen.«

»Ach?«

»Ich nenne diese Theorie das Vitalparadox-Schocksyndrom. Sollte sie sich bewahrheiten, habe ich die Bezeichnung Spand'sche Krankheit bereits im Ara-Zentralregister vorgemerkt.«

»Was ... was soll das heißen?«

»Dass das Phänomen nach mir benannt werden wird, weil ich der Entdecker bin. Du kannst darauf keinerlei Anspruch erheben.«

»Das ist mir völlig gleichgültig«, versicherte Giuna. »Du glaubst also, dass eine Rückkehr zur Ausweglosen Straße Lanko retten könnte?«

»Ich erkläre dir meine Theorie gerne. Vielleicht solltest du mich besuchen.«

Oh, das würde sie. »Ich bringe Cyprian Okri mit«, sagte sie. Er wusste noch nichts von seinem Glück – aber sie brauchte seine Unterstützung und die seines barnitischen Einsatzpartners ebenfalls.

Denn wenn auch nur die geringste Chance bestand, dass Lanko wieder erwachte, konnte sie nichts und niemand davon abhalten, zur Ausweglosen Straße zurückzukehren.

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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