Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 95
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Honams Verborgenheit: Die Ruine
Climba Ossy-Benk hatte im Sichtraum bereits Geier gesehen, aber sie verstand die Redewendung nicht, die der Mann in seinem seltsamen Akzent beschworen hatte. Bis auf diese Seltsamkeit und den seltsamen Schutzanzug wirkte er halbwegs normal. Nun ja, seine Aussprache war irgendwie drollig. Aber sonst ...
»Du bist oberhalb von Honams Verborgenheit in einem alten Observatorium«, antwortete sie nach einem Moment der Überraschung. »Ich bin Climba Ossy-Benk, das hier mein Kollege Sisual Okeno vom Wissens-Parlour. Und du ... bist du ein Ek-Agent?«
Was für eine selten dämliche Frage!, schalt sie sich sogleich selbst. Als ob er das zugeben würde. Aber wahrscheinlich gibt es gar keine Ek-Agenten, das sind alles Ammenmärchen.
Ein Moment flüchtigen Erstaunens huschte über das Gesicht des Fremden. »Ich bin Perry Rhodan«, sagte er.
»Nein!« Sie wich zurück. Lieber hätte sie es mit einem Ek-Agenten aufgenommen. Aber Perry Rhodan?
Einer der Furchtbaren Triumvirn!
»Bleib weg von ihr!«, rief Okeno und schob sich in einer rührenden Geste halb vor sie.
»Was habt ihr denn? Kennt ihr meinen Namen?«
Sie versuchte, ihn nicht direkt anzusehen. Ihr Gedächtnis spulte ab, was es vorfand. »Jedes Kind kennt die Namen der Mörder. Wir leben in Furcht vor euch, aber euch selbst fürchten wir nicht! Die Ewigen Triumvirn schützen uns!«
Sie biss sich auf die Lippe. Die Ewigen Triumvirn schützen uns? – Lachhaft! Daran glaubte sie schon längst nicht mehr ernsthaft.
Aber dieser Mann hatte sich als Perry Rhodan vorgestellt. Der Furchtbare Triumvir. Der Verführer. Einer der Unheilbringer.
Waren die anderen ebenfalls in der Nähe? Der Verderber und der Todbringer? War nun das Ende der Zuflucht gekommen?
Hatte nun alles Leid und alles Leben ein Ende?
Nein. Das durfte nicht sein. Wenn es so war, hatten die Ewigen Triumvirn doch ihre Berechtigung. Sie musste ihn melden.
Oder?
Er sah sie traurig an, aber er bewegte sich nicht. »So kennt ihr mich? Als Mörder? Wen oder was habe ich ermordet?«
»Das weißt du nicht? Du, Bostich und Adam habt das Leben selbst ermordet«, antwortete sie eisig. »Nur wir sind euch und eurem Ek-Feuer entkommen. Und jetzt willst du es zu Ende bringen.«
Er machte eine schwache abwehrende Bewegung, der nichts Bedrohliches anhaftete. »Bostich, Adam und ich? Darin liegt ein Körnchen Wahrheit, aber dennoch stimmt es nicht. Ich habe das Ek-Feuer gelöscht. Dort draußen liegt eine Milchstraße, die von Leben überquillt. Ihr seid nicht die letzten Menschen.«
Nicht umsonst nennt man ihn den Verführer. Man möchte jedem seiner Worte glauben, aber wenn man es tut, ist man verloren, dachte sie. War der Gründungsmythos also doch wahr? Tat sie den Ewigen Triumvirn unrecht?
»Hast du Beweise für deine Worte?«, fragte Okeno.
»Nein«, antwortete Perry Rhodan. »Nur mein Wort.«
*
Sie war eine Närrin, oh ja, daran bestand kein Zweifel. Zwei Männer lieben. Das Triumvirat verspotten. Und jetzt ausgerechnet Perry Rhodan vertrauen. Sie wusste, dass eigentlich jeder sie für vollkommen übergeschnappt halten musste.
Aber sie wusste auch, dass die einzigen Menschen, die ihr etwas bedeuteten, ihre Entscheidung billigen würden.
Vertrauen.
Er würde ihnen die Beweise liefern. Sprach er die Wahrheit, wäre damit das Triumvirat erledigt. Log er aber, würde es auf einen direkten Machtkampf hinauslaufen. Der herausgeschobene Tod der Zuflucht würde dann vollzogen – oder die Galaxis von einer entsetzlichen Geißel befreit. Die Chancen standen also eigentlich gar nicht so schlecht ...
»In Ordnung. Fangen wir neu an. Mein Name ist Climba Ossy-Benk. Und du bist Peregrinus. Nenn deinen anderen Namen nicht, solange du hier bist.« Sie streckte zögernd die Hand aus. Ihr Herz schlug laut und rasend schnell. Was sollte sie bloß tun, wie sollte sie sich verhalten?
»Ich freue mich, Menschen zu sehen. Gibt es noch mehr Terraner hier in der Tiefe?«
»Ja, die letzten Menschen sind alle hier versammelt«, mischte sich Okeno ein. »Mehr als dreieinhalbtausend. Dazu Arkoniden, Aras und einige Ferronen. Kennst du diese Völker?«
»Gewiss«, antwortete Peregrinus. Es schien, als wollte er noch etwas hinzufügen, aber er schwieg.
»Du musst uns alles erzählen«, sagte Climba. »Und wir berichten dir von unserer Welt. Aber das muss noch eine Weile warten«
Der Fremde zog ein fragendes Gesicht.
Sie deutete auf ihre Uhr. »Wir sind schon viel zu lange im Inneren des Observatoriums. Der Wächter der Meldestelle wird bald Verdacht schöpfen.«
»Wächter? Meldestelle?«
»Später. Morgen kommen wir wieder, dann wird sich alles klären.« Sie blickte Okeno an und suchte dessen stummes Einverständnis. Er nickte. »Ich bitte dich in deinem und unserem Interesse, dass du so lange hier im Observatorium bleibst. Andernfalls bekommst du große Probleme – und wir ebenfalls.«
Aber Perr... Peregrinus schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Es gibt Leute, die auf mich warten – und die sich auf mich verlassen. Ich bin hier, weil ich eine Frau suche, die vor Kurzem in Honams Verborgenheit gelangt sein muss. Sie heißt Zemina Paath. Habt ihr diesen Namen schon einmal gehört?«
Climba und Okeno schüttelten gleichzeitig den Kopf. »Wenn ein neuer Bewohner nach Honams Verborgenheit gelangt, bleibt er einige Tage im Gewahrsam der drei Ewigen und wird anschließend in unsere Gemeinschaft eingegliedert. Sollte er aber als Ek-Agent identifiziert werden, lässt das Triumvirat eine Hetzjagd auf ihn veranstalten.«
»Ich kenne diese Begriffe nicht. Was ist das Triumvirat der Ewigen? Was sind Ek-Agenten? Und weswegen veranstaltet ihr eine Hetzjagd?«
»Du vor allen anderen solltest die Ek-Agenten kennen, wenn die Legende wahr wäre«, sagte Climba. Aber sie ist offenbar so wenig wahr wie das meiste, was uns hier erzählt wird. »Ek-Agenten werden bis zu ihrem Tod gejagt. Das ist keine schöne Sache.«
»Wie dem auch sei: Ich komme mit euch«, sagte Peregrinus bestimmt. »Einer von euch wird mir ein Versteck besorgen und mich aufklären, was in dieser Kaverne vor sich geht.«
»Unmöglich! Das Überwachungsnetz hat enge Maschen! Die Wachtiere würden dich sofort als Fremden identifizieren, und es wimmelt überall von ihnen.«
»Weißt du, was ein Deflektorschirm ist, Climba?«
Sie zögerte und dachte nach. »Altvorderentechnologie. Ich habe mal etwas darüber in den alten Unterlagen gelesen. Sie macht unsichtbar, nicht wahr?«
»So ist es. Damit kann ich mich vor Kameras und den Augen von Beobachtern verbergen. Niemand wird mich sehen. Du brauchst mich bloß in ein Versteck zu bringen, in dem wir uns ungestört unterhalten können.«
»Ich habe Kinder«, sagte sie schwach. »Ich habe einen Mann. Ich habe ein Leben. Ich kann das nicht alles in Gefahr bringen, einfach so. Wegen dem Mann, der an all dem die Schuld trägt.«
»Ich bitte dich, mir zu vertrauen. Ich werde euch nichts tun, und ich werde euch nicht enttäuschen. Ich bin ein Mensch wie ihr.«
Sie schluckte und sah weg. Weg von diesem Peregrinus, weg von Okeno.
Melstein ... was wirst du sagen, wenn ich dir davon erzähle?
Sie sah sein liebes Gesicht vor sich, sein Lächeln, und spürte beinahe, wie er ihr sanft die Tränen wegwischte. Clim, Vertrauen ist alles, was uns bleibt, würde er sagen, wie so viele Male zuvor.
»Wir tun es«, sagte Okeno in diesem Moment. »Wir haben doch nichts zu verlieren. Im schlimmsten Fall bekämpfen wir Feuer mit Feuer.«
Peregrinus hob eine Hand. »Ich werde euch helfen, so gut ich kann.«
Sie sah ihn immer noch nicht an. »Wie willst du uns denn helfen? Du bist bloß ein einzelner Mann. Du hast keine Ahnung, wie mächtig die Ewigen sind.«
»Ich ... Ich bin Perry Rhodan«, sagte er. Sein Mundwinkel zuckte kurz, als hätte er etwas unerhört Komisches gesagt. »Ich lasse niemanden im Stich. Und ich bin nicht allein hier. Zunächst aber muss ich wissen, wo Zemina Paath steckt.«
»Dann ist es beschlossen. Wir nehmen dich mit. Du kommst zu mir in den Sichtraum. Dort kannst du dich notfalls sogar zwischen den Holos verstecken.«
»Das kannst du nicht tun!«, unterbrach Okeno sie. »Du darfst ihn nicht mit zu dir nehmen. Du bringst deine Familie in größte Gefahr!«
»Haben wir uns denn nicht ein Wunder herbeigewünscht, als wir das Observatorium betraten? Rhodan ist dieses Wunder.« An den Fremden gewandt, sagte sie: »In unserem Gemeinheim Zur Guten Gesellschaft wird der Sichtraum nur selten genutzt. Zudem ist er frei von Überwachungsgeräten. Dort kannst du für die Nacht unterkommen.«
*
Perry Rhodan versuchte, Ordnung in sein gedankliches Chaos zu bringen. Er hatte darauf spekuliert, einem Einzeltäter auf der Spur zu sein. Einem begabten Wesen, das über besondere Fähigkeiten verfügte und dem es auf geschickte Art und Weise gelungen war, Zemina Paath von Bord der BJO BREISKOLL zu entführen.
Nun aber fand er sich in einer Kaverne mit wenigen Kilometern Durchmesser wieder, in der mehr als dreitausend Wesen lebten – und das seit mehreren Jahrhunderten.
Wenn alle so waren wie Ossy-Benk und Okeno, handelte es sich um ein zum Untergang verurteiltes Gemeinwesen. Sie wirkten so müde und ausgelaugt, voller Angst und Hunger. Wenn sie nur wieder lernten, ihrem Bauchgefühl zu trauen und Sehnsucht zu entwickeln. Ossy-Benk schien eine solche Flamme zu nähren, aber sie ließ niemanden an sich heran.
Ich muss ihnen irgendwie helfen, dachte er, während er ihnen unsichtbar durch das Observatorium folgte, das ein vergessenes Volk in einer vergessenen Zeit errichtet hatte.
Die steinernen Wände schränken nicht nur den räumlichen, sondern auch den geistigen Horizont ein. Nach mehreren Jahrhunderten in dieser Abgeschiedenheit und Enge ändert sich viel, ändert sich alles.
Rhodan passierte den blassen Wächter der Meldestelle, danach ging es hinab in die Tiefe der Höhle, vorbei an einsamen Gehöften, die wie restaurierte Bergbauernhöfe des Alpinraums wirkten.
An das Zwielicht würde er sich erst gewöhnen müssen. Gewitterblitze zuckten über ihn hinweg. Donner grollte. Und dort, unter ihm lag die sogenannte Zuflucht.
Eher eine Gewitterstadt, dachte er. Aber wozu dienen die Blitze? Wenn ich das richtig sehe, herrscht hier Energieknappheit. Sie wären eine ideale Energiequelle.
Rhodans Begleiter schenkten den Blitzen keinerlei Aufmerksamkeit.
Rhodan hörte Schweine quieken und einen Hahn krähen. Auch ein ausgezehrter und halbwilder Hund lief ihnen über den Weg. Katzen, Eidechsen und arkonidische Bekkars, die terranischen Ratten ähnelten, beobachteten Rhodans neue Begleiter. Sie hatten schlecht verheilte Narben am Hinterkopf und trugen Manschetten mit rot blinkenden Knöpfen.
Die Tiere überwachen die Bewohner von Honams Verborgenheit, machte sich Rhodan klar. Ich messe Funksignale an. Eine ganze Menge. Es müssen Tausende von Tieren sein, die mit Kameras und Mikrofonen ausgestattet sind und überall umherstreunen. Vermutlich werden sie gesteuert. Es gibt wohl kaum einen Flecken im Inneren der Kaverne, den dieses Triumvirat nicht kontrolliert.
Rhodans Wut wuchs. Alles hier deutete auf Armut und eine technische Rückentwicklung hin. Die Überwachungsmöglichkeiten jedoch waren perfektioniert worden. Vermutlich verfügte die Meldestelle über die größtmöglichen Mittel, während die Bevölkerung darben musste.
»Bist du da?«, hörte er Ossy-Benk flüstern.
Er schob sich im Schutz des Deflektors neben sie. »Ja, bin ich.«
Die Frau zuckte zusammen und griff sich an das Haar, als zöge sie eine Strähne glatt. »Daran werde ich mich nicht so schnell gewöhnen. Ein unsichtbarer Mann ... Wenn das Triumvirat von dir wüsste, würde es dich in aller Stille hinrichten lassen. Du dürftest gar nicht existieren.«
»Warum nicht?«
»Alles zu seiner Zeit. Ich erkläre es dir, sobald ich dich in meinem Versteck untergebracht habe.« Ossy-Benk sah sich immer wieder um. Sie suchte wohl nach Katzen und Eidechsen, und deutete dann, als sie sich ihrer Sache sicher war, ins Tal hinab. »Du siehst den Crank?«
»Du meinst dieses schmale, trübe Bächlein?«
»Wir bezeichnen ihn als Fluss. Nimm den Crank zur Orientierung. Etwa auf Höhe des vorderen Drittels siehst du ein großes flaches Gebäude, das sich entlang des Flusses dahinzieht. Das ist die Kinderfabrik. Rechts davon, im kreisrunden Bau, wohne ich gemeinsam mit meinem Mann Melstein und den Kindern. Dort liegt unser Ziel.«
»Die Wohnanlage nennt sich Gemeinheim mit dem erbaulichen Namen Zur guten Gesellschaft«, ergänzte Okeno und schnaufte vernehmlich. »Was für ein Hohn!«
Die Gebäude bestanden allesamt aus Stein und sahen abgewohnt aus. Selbst aus dieser Distanz und Höhe waren Schäden im Dach und an der Fassade zu erkennen.
»Wirst du deiner Familie von mir erzählen?«, fragte Rhodan.
»Je weniger sie wissen, desto besser für sie. Und jetzt still! Dort vorne lauert eine Wachkatze.«
Sie schwiegen für den Rest des Weges. Jeder hing wohl seinen eigenen Gedanken nach. Die Luft schmeckte bitter. Aus einfachen Schornsteinen quoll dicker, schwarzer Rauch.
Rhodan lagen eine Menge Fragen auf der Zunge. Doch sie mussten warten. Entlang des Weges saßen unzählige Wacheidechsen. Die Lampen auf ihren Schädeln blinkten ununterbrochen, während sie den wenigen Passanten hinterherstarrten.
*
Der Raum, in dem ihn Ossy-Benk unterbrachte, war ein feuchter Verschlag mit einigen Nischen, in denen billige Propagandafilmchen liefen. Manche Gegenden, die die Holoprojektoren präsentierten, kamen Rhodan bekannt vor. Sie zeigten naturbelassene terranische Landstriche, aber auch arkonidische Wüsteneien oder eine urtümliche Canyonlandschaft in einem der ferrolschen Naturparks.
»Ich verwalte den Schlüssel für den Sichtraum«, sagte Ossy-Benk leise. »Ich werde hinter dir abschließen und behaupten, dass renoviert werden muss.«
»Ich dachte, wir reden jetzt gleich?«
»Ich muss mich um Melstein, die Kinder und den Ü-Freund kümmern. Danach werde ich zurückkehren.«
»Was ist ein Ü-Freund?«
»Ein Überwachungsfreund. Er wird uns zugeteilt und ist Mitglied der Familie. Seine Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass wir ein ehrsames Leben führen.«
»Ein Denunziant, der mit euch das Leben teilt?« Rhodan wollte nicht glauben, was er da hörte.
»Es gab eine Zeit, an die ich mich noch erinnern kann, da hat sich die Meldestelle nicht so intensiv in die Familienangelegenheiten eingemischt. Aber die Dinge haben sich geändert. Es tut uns angeblich gut, wenn wir unsere Sorgen direkt mit einem Ü-Freund besprechen. So können Probleme vermieden werden, bevor sie entstehen.«
»Und? Funktioniert es?«
»Rat mal ...« Ossy-Benk verließ grußlos den Raum, gleich darauf war das Klappern eines primitiven Schlüssels zu hören.
*
Rhodan zog den SERUN aus und machte es sich in seiner Funktionsunterwäsche bequem. Er musste Kräfte sparen. Wer wusste schon, was noch auf ihn zukommen würde?
Ossy-Benk kehrte nach zwei Stunden zurück. Sie sah sich um, bevor sie den Sichtraum betrat und sorgfältig hinter sich abschloss.
Unter ihrer weit geschnittenen Bluse holte sie einen Teller hervor. Darauf lagen einige Kartoffeln und ein winziges Stück Fleisch.
»Es ist nicht viel«, sagte sie, »aber die Familie kommt nun mal zuerst.«
Rhodan griff zögernd zu. Es wäre unhöflich gewesen, das Angebot abzulehnen. Also aß er und kaute sorgfältig.
Er griff in eine Tasche seines SERUNS und kramte einen Essensriegel hervor. »Probier mal, Climba«, empfahl er.
»Was ist das?«, fragte sie argwöhnisch.
»Energiereiche Nahrung. Sie versorgt dich mit wichtigen Nährstoffen und ist mit Substanzen versetzt, die dir darüber hinaus das Gefühl einer Sättigung bescheren. Das ist zwar nicht die gesündeste Art der Ernährung, aber sie hilft bei Einsätzen.«
Ossy-Benk griff zu und knabberte an dem Riegel. Ein Ausdruck der Verwunderung zeigte sich auf ihrem Gesicht, dann einer des Wohlbefindens. Sie schloss die Augen. »Ich habe noch nie in meinem Leben so etwas Gutes gegessen.«
»Dann lass es dir schmecken.«
Fünf Minuten saßen sie da und redeten nichts. Ossy-Benk sollte diese besondere Mahlzeit genießen.
Rhodan wartete geduldig. Er wusste, dass sie mit dem Gefühl eines vollen Magens entspannter als zuvor sein würde. Er würde Antworten auf all die offenen Fragen erhalten, die sich ihm stellten.
Und so war es auch.
*
Ossy-Benk mochte von sich selbst glauben, dass sie eine kritische Wissenschaftlerin und Forscherin war. In Wirklichkeit hing sie selbst sonderbaren Theorien nach und erkannte nicht, wie verworren die Geschichte war, die Honams Verborgenheit zugrunde lag. Versatzstücke von Wahrheiten, gepaart mit Erfundenem und Verdrehtem. Aber alles pseudoreligiös aufgeladen, um die Lücken zu verdecken, die sich in den Berichten auftaten. Nichts war logisch, nichts ergab Sinn.
Die Zivilisation in Honams Verborgenheit baute auf Lügen auf, die von drei offenbar machtgierigen Männern immer wieder unterfüttert und ergänzt worden waren.
Cappleshort, Blaise O'Donnell und Spartakus Schmitt waren zweifelsohne Menschen, die vor über fünfhundert Jahren gemenische Zellaktivatoren erhalten hatten. Perry Rhodan wusste, dass an die Verleihung eigentlich hohe moralisch-ethische Ansprüche geknüpft gewesen waren, und ebenso wusste er, dass die Geräte im Gegensatz zu jenem, das er selbst trug, nur eine begrenzte Zeitspanne funktionierten. Er hatte eigentlich angenommen, dass die Gemenatoren samt und sonders bereits ausgebrannt waren. Was war geschehen, das die Triumvirn zu Despoten gemacht hatte? Und ... wann würden die Aktivatoren ausfallen?
»Warum sagst du nichts, Perry?«
»Es gibt Unstimmigkeiten, über die ich nachdenken muss.«
»Die gibt es wohl in der Geschichte eines jeden Volkes. Gib mir bloß die Antwort auf diese eine Frage: Wie ist es, wenn man in den Himmel blickt und nicht nur in Richtung eines künstlich erzeugten Horizonts?«
Er lächelte. »Schön und abwechslungsreich. Ein jeder Planet hat sein eigenes Licht und seine eigene Atmosphäre. Ich war schon auf vielen Welten – und keine glich einer anderen. Du wirst es ebenfalls bald sehen können. Eure Isolation muss enden.«
Rhodan sah die Sehnsucht in Ossy-Benks Blicken – und ihre Furcht. Die Vorstellung, in eine endlose Ferne blicken zu können, musste schrecklich für sie sein. In Honams Verborgenheit war alles begrenzt. Der Horizont, die Zahl der Bewohner, die Vorstellungskraft.
»Dort draußen ... werden wir frei sein?«
Rhodan schwieg. Lange. Wie sollte er der Wissenschaftlerin beibringen, dass er es nicht wusste? Dass sie womöglich die Knute der Triumvirn nur durch eine andere Form der Unterdrückung tauschen würden? Dass er nicht einschätzen konnte, wie es sich in der Cairanischen Epoche wirklich lebte?
»Die Zustände in der Milchstraße sind ... verwirrend«, sagte er wahrheitsgemäß. »Ich weiß längst nicht alles, was zwischen den Sternen vor sich geht.«
»Du bist allein?«
»Nein. Ich reise mit einem Raumschiff und mit anderen Raumfahrern. Wir sind erst vor Kurzem wieder in die Milchstraße zurückgekehrt.«
»Ich ... verstehe.« Ossy-Benk klang enttäuscht.
»Dann bist du klüger als ich. Aber ich stehe zu meinem Wort: Ich kann und werde euch helfen. Erzähl mir mehr über das Triumvirat der Ewigen.«
»Wieso lernst du sie nicht selbst kennen?«, erklang eine neue Stimme.
Ein Mann stand in der Tür.
»Equidur.«
Ossy-Benk sank in sich zusammen, alle Kraft schien ihr aus den Gliedern zu weichen.
*
Der Mann war hochgewachsen und etwas füllig – geradezu fett, wenn Climba und Okeno als Maßstab herhielten –, blass, mit ausdruckslosen Augen und graugelben, strähnigen Haaren, die einfallslos gerade herabhingen, als hielte der Mann Friseure für eine Legende.
»Was für eine Enttäuschung du doch bist, Climba«, sagte der Mann. »Ich dachte, wir wären Freunde.«
Rhodan hob den Kopf ein bisschen mehr und warf dem Mann einen scharfen Blick zu. »Du bist der Ü-Freund, nehme ich an?«
»Equidur«, wiederholte Ossy-Benk leise.
»Ja. Equidur. Dein Ü-Freund.« Der Mann kam einen Schritt näher. »Den du betrogen hast.«
Er schüttelte den Kopf. »Du weißt doch, was auf Verrat folgt? Strafe, Säuberung und Auslöschung. Wirklich, es ist überaus bedauerlich.«
Rhodan bot Ossy-Benk einen Arm, an dem sie sich hochziehen konnte. »Lass sie in Ruhe!«, sagte er scharf. »Sie hat nichts getan, dessen sie sich schämen müsste.«
»Ach?« Das Verziehen der Lippen hätte ein Lächeln werden können, wenn sich auch die Augen verändert hätten, aber sie blieben wie kalte Flusskiesel. »Die Zusammenarbeit mit dem Feind ist also nichts? Ich habe alles gehört. Die Meldestelle hat selbstverständlich Zugang zu allen Räumen – Still- und Sichträume eingeschlossen – und kann sie abhören. Was wir auch tun. Es gibt keine anderen Orte, an denen man mehr über Verräter wie dich erfährt, du Närrin.«
Er drehte sich verächtlich von ihr weg und griff nach der Tür. »Du machst also nicht bloß gemeinsame Sache mit einem Ek-Agenten, sondern sogar mit einem der Furchtbaren. Ich bin sicher, das Ewige Triumvirat wird ...«
Rhodan ließ Ossy-Benk los, schnellte vor und verpasste dem Mann einen kräftigen Kinnhaken.
Equidur verdrehte die Augen, prallte gegen die Türzarge und polterte zu Boden.
»Was hast du getan, Perry? Du hast einen Ü-Freund getötet!«
»Ganz ruhig. Er ist nicht tot, ich töte nicht einfach so jemanden, selbst keinen wie diesen Büttel eines Terrorregimes.«
Er kniete sich hin und durchsuchte das blaue Cape und die die Jacke des Mannes, die aus einer Art Cordstoff bestand, der seine besten Tage schon lange hinter sich hatte. Er förderte allerlei Krimskrams zutage, Gutscheine, Notizen und einen Funkempfänger, aber keine Waffen bis auf ein Taschenmesser und eine Art Schlagring.
Die Mitarbeiter der Meldestelle erzeugen allein durch ihr Auftreten Angst und Schrecken. Sie benötigen keine Waffen.
Rhodan legte den Funkempfänger auf den Boden und zertrat ihn. »Den braucht er sowieso erst mal nicht.«
Ossy-Benk stand da, mit blassem Gesicht, von der Situation völlig überfordert.
»Er hat alles mit angehört«, sagte sie. »Er hat alles mit angehört.«
»Richtig. Und deshalb muss er verschwinden.«
»Du willst ihn also doch töten?«
»Nein. Ich werde ihn wegschaffen. An einen Ort, an dem er uns nicht stört. Ins Observatorium.«
Rhodan schlüpfte in den SERUN. Er fluchte, als er die Alarmsignale sah, die die Positronik des Anzugs gesendet hatte. Er war zu vertieft in die Unterhaltung mit Ossy-Benk gewesen, um darauf zu achten.
Er drehte sich einmal im Kreis und suchte mithilfe des SERUNS nach Spionsonden. Er schalt sich einen Narren. Er hatte sich beim Betreten des Sichtraums nach hochtechnologischen Erzeugnissen umgesehen und völlig verkannt, wo er sich befand. Die beiden Wanzen, die er hinter einem Sofa und unter einem Stuhl entdeckte, hätten am ehesten ins 20. Jahrhundert alter terranischer Zeitrechnung gepasst.
»Ich denke, dass nur Equidur mitgehört hat, was wir besprochen haben. Wenn ich ihn wegschaffe, ist dein Problem vorerst gelöst. Und bis er zurückkommt, hast du vielleicht schon ein neues Leben.«
»Wie meinst du das?«
»Ich habe es dir versprochen. Sobald ich meine Freundin Zemina Paath gefunden habe, werde ich ein paar Takte mit den drei Ewigen reden. Vielleicht auch schon vorher. Sie lügen euch an, beuten euch aus und verbreiten Terror. Das werde ich nicht dulden.«
*
Einblicke (2)
Cappleshort lächelte versonnen. Er trug seine unvermeidbare Kutte, von der er offenbar annahm, sie stünde ihm gut, und tauchte aus der Wand auf, unmittelbar vor Zanosh.
»Schön, dich zu sehen«, sagte er und wurde wieder materiell. »Hast du etwas dagegen, wenn ich dich zur Medostation begleite? – Nein, wie solltest du? Du würdest ja nie etwas gegen einen Triumvir sagen. So ist es doch, geschätzter Heiler?«
Seine Stimme war so alt, wie Cappleshort aussah. Zanosh hatte noch nie einen Menschen gesehen, den er als Greis hätte bezeichnen können. Außer Cappleshort.
»Keineswegs, Dritter, keineswegs. Ich gehe auch gerne langsamer, damit du mir folgen kannst. Falls du mir folgen kannst ... willst, heißt das.« Er legte eine albinoweiße Hand auf ein Sensorfeld, und die Tür glitt in die Wand. Im Palast der Triumvirn stand genügend Energie zur Verfügung und waren wertvolle Materialien verbaut, die auch die Bauern und Handwerker der Zuflucht gut hätten gebrauchen können.
Aber irgendwie musste schließlich unterschieden werden können zwischen diesem einfachen Volk und den erhabenen Triumvirn.
Cappleshort ließ sich nicht anmerken, ob er die Doppeldeutigkeit der Worte erkannt hatte, aber Zanosh ging davon aus. Wenn es um Boshaftigkeiten ging, machte dem Alten so leicht niemand etwas vor.
»Hast du dich endlich um das Problem meines Gemenators kümmern können?« Der Greis zerrte eine Kette aus seiner Kutte, an der ein kleiner, eiförmiger Gegenstand hing.
Zanosh hatte diese Frage schon so oft gehört, aber da Cappleshort nicht müde wurde, sie zu stellen, gestattete sich der Ara nicht die Arroganz, ihm die Antwort zu verweigern. »Es handelt sich nicht so sehr um ein medizinisches als um ein technologisches Problem. Das kann ich mit meinen Mitteln und Fähigkeiten nicht lösen. Ich kann dir eine Behandlung angedeihen lassen, die deine Alterung zumindest geringfügig revidiert, aber einen Zellschwingungsaktivator kann ich nicht reparieren.«
»Ach was! Technologiefirlefanz. Das verdammte Ding stottert nun einmal und bürdet mir schubweise Jahrzehnte auf, die es eigentlich fernhalten sollte. Ich bin sehr unzufrieden damit. Du bist ein Mediker, Heiler. Du solltest dich mit so was auskennen.«
Cappleshort grinste hinterlistig.
»Nun denn. Ich hoffe, du enttäuschst unseren geliebten Ersten nicht so wie mich«, sagte der Greis leichthin, während er mit kurzen, trippelnden Schritten neben ihm herging. »Spartakus verzeiht nicht so schnell wie ich.«
»Es geht dem Ersten Triumvir gut. Er wird bald wieder der Alte sein.«
»Schön, schön, das freut mich zu hören. Und wie steht's um dich? Fühlst du dich nach wie vor wohl in unserer Nähe?« Cappleshort blieb stehen und bewegte hektisch die Arme und Hände, als dirigierte er ein Heer von Medorobotern bei einer schwierigen Operation.
Zanosh ging ebenfalls nicht weiter. »Ich bin zufrieden damit, dem Triumvirat der Ewigen dienen zu dürfen«, sagte er glatt.
»Aber, aber, lieber Zanosh! Dieser Versuch, uns zu schmeicheln, ist billig. Aber wenn er der Wahrheit entspräche, gefiele er mir. Du stehst in unserer Gunst, aber es ist nicht gesagt, dass sie anhält.«
»Aber Dritter! Wie kannst du ...«
»Lass das! Erhalte dir meine Gunst, indem du mir verrätst, wie du die Lebensbedingungen unseres geplagten Volkes verbessern würdest. Das willst du doch ebenso wie wir, nicht wahr«
Damit könntest du sogar recht haben. Das Volk ist euch schließlich egal, dachte Zanosh und sagte laut: »Selbstverständlich unterbreite ich dir gerne einige Ideen. Denk nur an die Möglichkeiten, die sich uns bieten, wenn wir jedem Säugling nach seiner Geburt einen Kontrollchip einpflanzen ließen. Alles wäre um so viel leichter. Wir könnten jederzeit auf die Bevölkerung zugreifen, sie einschätzen, sie lenken, sie vor Unheil bewahren ...«
»Wir?«, fragte Cappleshort scharf, seine Augen verengten sich zu Schlitzen, und er wackelte warnend mit dem Kopf.
»Ich meinte selbstverständlich das Triumvirat der Ewigen, dem ich mit Rat und Tat beiseitestehen darf.«
»Jaja«, sagte Cappleshort abwesend, als wäre er plötzlich mit seinen Gedanken ganz woanders.
Zanosh setzte nach. Er kannte die Stimmungsschwankungen des Greises. »Darf ich dich in den nächsten Tagen zu einer Routineuntersuchung bitten? Seit deinem letzten Alterungsschub scheinst du mit der Körperkoordination Probleme zu haben.«
»Das ist nichts, lieber Freund.«
»Deine Hände zittern stärker als zuvor.«
»Wie erfrischend es doch ist, die Stimme eines Ara-Medikers zu hören! Eines Mannes, der nur wenig Wert legt auf die Konventionen der Höflichkeit. Zumindest dann, wenn es um sein ureigenstes Metier als Arzt geht.«
»Ich heile für das Ewige Triumvirat.« Zanosh deutete eine Verbeugung an.
»Genug davon! Beweis mir deine Loyalität, indem du eine neue Patientin untersuchst. Sie ist ungewöhnlich. Menschlich und doch wieder anders. Ich muss wissen, ob wir sie gebrauchen können.«
Zanosh horchte auf. Es gab also frisches Blut für den Genpool von Honams Verborgenheit? Das wäre ausgezeichnet. »Sehr gerne. Wo finde ich sie?«
»Bist ein bisschen eifrig, was? Nein, kümmere dich nur erst um den guten Spartakus. Danach findest du sie in der Klinik.«
»Selbstverständlich. Wie hat sie deine schleichende Teleportation überstanden?«
»Wer ist hier der Mediker, du oder ich? Meinem Dafürhalten nach ist sie in Ordnung, wenn auch ein wenig lethargisch.«
»Wie überaus interessant. Die meisten Neuankömmlinge sind eher aufgeregt. Ich komme so schnell wie möglich.«
»Sie wird dir nicht weglaufen. Ich erwarte dich in einer Stunde in der Klinik.« Cappleshort nickte kurz, dann verschwand er durch die Wand.
»Ich werde dort sein«, sagte Zanosh düster. »Ich heile für das Triumvirat ... Ha!«