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3.

Paragraphen und ein Sarg

»Paragraph drei«, las Giuna Linh laut vor. Sie lehnte gegen Doktor Spands Schreibtisch am Rand der Medozentrale. »Sei niemandem verantwortlich außer dir selbst. Klingt doch gut. Du bist der Arzt der TREU & GLAUBEN und triffst deine medizinischen Entscheidungen nach deinem Gewissen.«

Spand stand vor ihr und hinter dem Holo, das den Text seines Anstellungsvertrags zeigte. »Lies weiter«, sagte er trocken.

Sie tat es. »Oh. Ach so.«

»Lies vor!«

»Sei niemandem verantwortlich außer dir selbst. Und mir. Stimmt. Das ist ein entscheidender Zusatz.«

»Nur falls es dir nicht klar ist: Mir bezieht sich auf unseren geschätzten Kommandanten, der den Vertrag verfasst hat. Ich muss also vor Kondayk-A1 Rechenschaft darüber ablegen, wie ich meine Patienten behandle. Das fordert er zum Glück nicht bei jedem verschnupften Besatzungsmitglied ein ... aber er bestimmt durchaus mit, wie ich mit deinem Mann Lanko umgehe. Und nur weil du mir vorgeworfen hattest, ich wäre exzentrisch ... lies den nächsten Paragraphen.«

Giuna räusperte sich. »Führe den Namenszusatz Doktor und trage einen weißen Kittel sowie ein Stethoskop. Der Namenszusatz gilt immer, die Kleidung/Ausrüstung nur während der Dienstzeiten.« Sie lächelte. »Einverstanden. Der Vertrag ist ein wenig wunderlich. Warum bist du ihn eingegangen?«

»Kondayk ist reich, und er zahlt gut. Ich werde nach meinem Einsatz hier an Bord meine eigene Klinik eröffnen können.«

»Also geht es dir nur um die Bezahlung?«

»Ist das nicht Grund genug?«

Giuna hob die Schultern. »Solange du mir hilfst, Lanko zu retten, ist mir das gleichgültig.«

»Ich führe eine positronische Liste, in der ich jeden Tag abhake, bis meine Dienstzeit hier beendet ist. Zehn Jahre insgesamt. 4,38 davon sind bereits vergangen.«

»Das weißt du so genau?« Sie fragte sich, wie man ticken musste, um Bruchteile von Jahren in Nachkommastellen eines Zehnersystems statt in Monaten anzugeben.

»4,382, um exakt zu sein«, sagte Spand. Doktor Spand. »Aber du hast das eigentliche Thema auf den Tisch gebracht: deinen Mann.«

»Das stimmt. Ich bin nicht gekommen, um deinen Vertrag zu lesen.« Sie versuchte ein Lächeln. »So interessant er sein mag.«

»Glaub mir, er bietet noch einige weitere Höhepunkte.« Der Ara winkte ab, das Holo mit dem Vertragstext erlosch. »Mir ist nur wichtig, dass du verstehst, wer ich bin ... und dass du mich nicht hiermit gleichsetzt.« Er griff nach dem Stethoskop, das um seinen Hals baumelte, und hob es demonstrativ vor sein Gesicht.

»Gut. Das wäre geklärt. Kommen wir zum Vitalparadox-Schocksyndrom.«

»Du hast dir meine Bezeichnung gemerkt«, lobte er.

»Du glaubst also auch, dass es helfen könnte, Lanko erneut der Wirkung eines Vital-Suppressors auszusetzen.«

»Besser gesagt, genau jenes Suppressors, unter dem er gelitten hat. Andere mögen in Stärke und Intensität abweichen, was sich mit großer Wahrscheinlichkeit verhängnisvoll auf den Zustand des Patienten auswirken würde.«

»Wir müssen also zurück zur Ausweglosen Straße.«

»Es mag nicht sonderlich verlockend klingen, aber – ja!«

Obwohl Giuna schon auf dem Weg zur Medozentrale versucht hatte, sich mit dem Gedanken anzufreunden, bewirkte er Übelkeit in ihr.

Nicht sonderlich verlockend.

Sie würde es anders nennen. Ihr kamen Beschreibungen wie entsetzlich oder Dümmste Idee seit Aufzeichnung der dummen Ideen in den Sinn. Doch sie schwieg. Für Lanko ging sie dieses Risiko ein. Sie konnte Cyprian Okri wohl kaum dazu drängen, endlich aktiv zu werden und gleich bei der ersten Gelegenheit selbst einen Rückzieher machen.

Sie umrundete den Schreibtisch und betrachtete gedankenverloren das Regal, das neben einem simulierten Holofenster hing. Kleine Figuren standen darin, im Verhältnis zueinander keineswegs maßstabsgetreu – eine Arkonidin, ein Haluter, ein Siganese, ein Insektoide, den sie keinem spezifischen Volk zuordnen konnte ... und viele andere. Was es damit wohl auf sich hatte?

»Wie gehen wir vor?«, fragte sie.

Doktor Spand kam zu ihr und verschob die Figur eines Cheborparners mit schwarzem Fell. Eines der Stirnhörner fehlte. »Ich brauche die Zustimmung des Kommandanten«, sagte er. »Ohne die können wir gar nichts tun. Und das nicht nur wegen Paragraph drei. Es gibt da noch ein paar andere, die in dieselbe Richtung zielen.«

»Deswegen wird sein Buchhalter bald kommen, um Kondayk-A1 anschließend zu berichten«, erklärte Giuna. »Cyprian Okri hat versprochen, in wenigen Minuten hier aufzutauchen. Ich habe mir die Freiheit genommen, ihn zu dir einzuladen.«

Dass Cyprian derjenige war, der als Chef des geheimen Agentenduos die Entscheidung fällen und den Barniter danach informieren würde, verschwieg sie wohlweislich.

»Ich bin überzeugt, dass wir in Kürze die Erlaubnis erhalten«, sagte sie.

»Du bist eine Optimistin.«

»Man hat mich schon schlimmer beschimpft.«

»Es ist mir ohnehin ein Rätsel, wie du deinen Mann hast befreien können. Seien wir ehrlich – hätte dich der NDE nicht unterstützt, wärst du chancenlos ge...«

»Du weißt davon?«, entfuhr es ihr.

»Hältst du mich für einen Narren?«, fragte er. »Hast du jemals nachgedacht, seit du hier an Bord bist? Überraschung: Der Kommandant und sein Buchhalter haben sich nicht nur dir offenbart! Viele der einfachen Besatzungsmitglieder wissen es nicht, und die Gäste selbstverständlich nicht ... aber ich bin nicht irgendwer, Giuna!«

»Klar«, sagte sie. »Entschuldige.«

»Akzeptiert. Übrigens ist das der zweite Grund neben dem Geld, warum ich mich auf der TREU & GLAUBEN verpflichtet habe. Ein Geheimdienst, der Widerstand gegen die Cairaner leistet, ist mir sympathisch.«

Weshalb Giuna wiederum den Ara um einiges sympathischer fand als noch vor einer Minute.

»Also warten wir auf Cyprian«, sagte Doktor Spand. »Ich möchte nicht alles zweimal erklären.«

*

Wenige Minuten später trat Cyprian Okri ein. »Wie findest du seine Sammlung?«

»Sammlung?«, fragte Giuna verwundert.

Er wies auf das Regal mit den Figuren. »Wofür hast du es denn gehalten?«

»Keine Ahnung. Medizinische Hilfsmittel, die Holos der Physiologie dieser Völker projizieren können?«

»Ich bin nicht nur Arzt«, sagte Doktor Spand. »Die Figuren sind meine private Leidenschaft. Die momentan übrigens nicht zur Debatte steht. Selbst wenn unser neuer Gast neidisch ist.«

Cyprian grinste. »Glaub ihm kein Wort. Ich wundere mich nur, wie ein erwachsener Mann so viel Energie und Zeit in ein paar Staubfänger investieren kann.«

»Der pure Neid«, murmelte der Ara. »Aber zur Sache. Die Frau meines Patienten hat dich zweifellos informiert, dass es darum geht, Lanko Wor zu erwecken, indem wir ihn zur Ausweglosen Straße zurückbringen.«

Der hagere Terraner drehte sich zu Giuna. »Sie erwähnte derlei, ja. An Ideen mangelt es ihr nicht.«

»Der Figurensammler neben mir kam zum selben Ergebnis«, stellte sie klar. »Wenn auch aufgrund etwas medizinisch-wissenschaftlicherer Überlegungen.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Zitat Doktor Spand.«

»Ich erspare euch die Details«, sagte der Ara, »aber Lanko leidet meines Erachtens unter einem Schocksyndrom, wie es nie zuvor beobachtet und beschrieben wurde. Weil es bislang niemanden gab, der von einer Ausweglosen Straße geflüchtet ist. Ich führe sein Koma darauf zurück, dass Lankos ÜBSEF-Konstante bereits auf den ständigen Verlust von Vitalenergie durch den Suppressor eingestellt war. Das abrupte Ende dieser Entnahme überlastete ihn auf einer mentalen Ebene, die sich auf die Körpersysteme verheerend auswirkt.«

»Es ist ein psychisches Problem?«, fragte Cyprian verwundert.

»Die Spand'sche Krankheit, wie ich es in aller Bescheidenheit nenne, lässt sich – wenn ich die bislang mangelhaften Fakten extrapoliere – auf eine fatale Wechselwirkung zwischen Physis und Psyche zurückführen. Ob es speziell mit seiner ÜBSEF-Konstante zusammenhängt, also mit den Eigenarten genau seines Bewusstseins ... das ist die Frage, die mich interessiert.« Der Ara atmete geräuschvoll durch. »Vom Überleben meines Patienten natürlich abgesehen, das an erster Stelle der Prioritäten steht.« Er zwinkerte Giuna zu. »Paragraph zwölf.«

Sie fand es nicht sonderlich lustig. »Wenn ich dich richtig verstehe, könnte Lanko ein Einzelfall sein – oder ein solches Koma droht allen, die aus der Wirkung eines Vital-Suppressors befreit werden.«

»So sieht es aus.« Doktor Spand widmete sich mit Hingabe der filigranen Figur eines spindeldürren Wesens in seinem Sammlerregal. Er fischte mit spitzen Fingern eine Staubfluse von den ausgebreiteten Flügeln, die durchsichtig glänzten wie Glas. »Und diese Frage ist entscheidend wichtig für den NDE. Denn was nützt ein potenzieller Zugriff auf eine Ausweglose Straße oder die Befreiung einer Welt, die unter einem Vital-Suppressor leidet, wenn anschließend alle Befreiten ins Koma fallen?«

So schrecklich diese Vorstellung war, so sehr erleichterte sie Giuna auch. Ein besseres Argument, das Risiko einer Rückkehr zur Ausweglosen Straße zu rechtfertigen, hätte sie sich niemals überlegen können.

Das sah Cyprian Okri offenbar genauso, denn er ließ sich davon sofort überzeugen. »Wir werden gehen«, sagte er. »Da sich Giuna bestimmt nicht abwimmeln lässt ...«

»Was denkst du denn!«

»... wird es ein Einsatz mit fünf Personen«, beendete Cyprian seinen Satz in aller Seelenruhe.

Doktor Spand streckte die Hand aus und zählte mit den Fingern mit: »Kommandant Kondayk-A1. – Deine Wenigkeit, Cyprian Okri. – Unsere gute Giuna Linh. – Mein Patient Lanko Wor.« Er blickte vielsagend auf den noch eingeknickten Daumen. »Wer fehlt in dieser Aufzählung?«

»Du«, stellte Cyprian klar. »Oder willst du dir entgehen lassen, die Auswirkungen auf das einzige Studienobjekt in Sachen Spand'sche Krankheit vor Ort zu beobachten?«

»Ich bin hin- und hergerissen«, sagte der Ara. »Zwischen medizinischer Forschung und dem Wunsch zu überleben.«

»Die Forschung hat hiermit gewonnen«, entschied Cyprian, drehte sich um und ging Richtung Ausgang. »Befehl von ganz oben«, ergänzte er, ohne sich umzudrehen.

»Du kannst mir nichts befehlen! Ich gehöre nicht zum NDE.«

»Aber zum Widerstand gegen die Cairaner.«

»Das wusste ich noch gar nicht.«

Die Tür schloss sich hinter Cyprian.

»So was«, sagte Doktor Spand.

Giuna versuchte ein Grinsen. »Steht vielleicht auch in deinem Vertrag.«

*

Giuna fühlte eine unbestimmbare Ruhe in sich, als das Beiboot aus der TREU & GLAUBEN ausschleuste.

Doktor Spand hatte eine Autonome Medokapsel an Lankos Bedürfnisse angepasst, ein Modell, das auch für die Rettung von Schiffbrüchigen aus dem Weltall genutzt wurde.

Lanko lag in dem medizinischen Hightech-Gerät, und Giuna versuchte verzweifelt, sich von der unpassenden Assoziation, die sich ihr immer wieder aufdrängte, nicht überwältigen zu lassen: Er liegt aufgebahrt in einem gläsernen Sarg.

Sie war mit ihm allein in einem engen Laderaum des Beiboots. Es gehörte zu den kleinsten, in die sie sich zu fünft samt zweier Kampfroboter hineinquetschen konnten. Sie trugen SERUNS – sogar Lanko war mit einem dieser Schutzanzüge ausgerüstet, denn falls er tatsächlich erwachte, würde er die Medokapsel verlassen.

Die medizinische Einheit erinnerte an eine waagrecht liegende Linse, die mit ihrem Durchmesser von drei Metern den Raum nahezu völlig ausfüllte. Nur ein Schott trennte diesen Laderaum vom freien All, in das die Kapsel in Kürze starten sollte, wenn alles nach Plan lief.

Theoretisch konnte die Autonome Medokapsel drei Verletzte aufnehmen, die entweder saßen oder lagen. Den Zugang bildete eine seitliche Flügeltür. Im Sockelbereich unter dem Patientenraum versammelten sich Energiespeicher, Generatoren, Projektoren, medizinische Apparaturen jeder nur denkbaren Art ... und diverses Zusatzmaterial, von einem Techniker der TREU & GLAUBEN speziell für diesen Einsatz hinzugefügt.

Der kleine, aber leistungsstarke Impulsantrieb sowie die HÜ-Schirmprojektoren der Einheit waren verstärkt worden.

Wenn alles gut ging, wollten sie mit der Kapsel von der Ausweglosen Straße fliehen, indem sie sich zu fünft hineinquetschten und starteten. Gleichzeitig sollten die beiden Roboter in Kamikazemanier ein Loch in die transparente Umhüllung der Strafanstalt sprengen, durch das die Kapsel anschließend hindurchjagte, ehe die Schutzsysteme griffen und die Flucht verhinderten – eine genau getaktete Aktion. Im All würden sie die Medoeinheit vernichten, damit ihren Tod simulieren und in den SERUNS weiterfliegen. Dabei sollte ein vorbereitetes Notsignal abgehen, sodass ein weiteres Beiboot der TREU & GLAUBEN die fünf Flüchtlinge aufnehmen konnte.

So lautete der Plan, der darauf fußte, dass sie diverse Technologien nutzten ... was den Gefangenen unmöglich war. Für sie blieb die Ausweglose Straße weiterhin absolut ausbruchsicher, und das verleitete die Cairaner hoffentlich selbst nach Lanko Wors Befreiung zu einer gewissen Nachlässigkeit. Das hofften Kondayk-A1 und Cyprian Okri zumindest, die diese Strategie entwickelt hatten.

Wie die Praxis aussah, musste sich zeigen. Giuna zweifelte nicht daran, dass sie früher oder später gezwungen sein würden, zu improvisieren, um irgendwie zu überleben und zu entkommen.

Wäre es nicht eine Ironie sondergleichen, wenn sie am Ende alle in dem cairanischen Straflager festsäßen?

Ohnehin galt es zunächst einmal, in die Ausweglose Straße einzudringen. Das konnte diesmal nicht mithilfe eines gekaperten Transmitters geschehen, wie bei ihrem ersten Vorstoß – kein Zweifel, dass die Cairaner diese Zugangsstationen inzwischen besser bewachten.

Deshalb flogen sie momentan in diesem Beiboot in Richtung der Ausweglosen Straße.

Eine knappe Stunde Flugzeit lag noch vor ihnen. Das hieß, Giuna blieb nur wenig Ruhe, bis sie sich sammelten und alles ein letztes Mal durchsprachen. Sie legte die Hand auf die gläserne Hülle der Autonomen Medokapsel.

Ungefähr ein halber Meter trennte sie von ihrem Mann. Fünfzig Zentimeter ... und ein Koma, hervorgerufen von der Spand'schen Krankheit, an deren Existenz sie keine Sekunde mehr zweifelte.

»Wir holen dich zurück, Lanko«, sagte sie. »Gleich geht's los. Es ist sogar aufregender als zu unseren besten Zeiten, während wir uns durchs Leben gemogelt haben.«

Bei den Erinnerungen, die bei diesen Worten in ihr aufstiegen, lächelte sie.

Etwa, als er zum ersten Mal seine Fähigkeiten als Positroniker rücksichtslos zu ihrem eigenen Vorteil eingesetzt und ihnen unter falscher Identität eine Passage über insgesamt neunzehn akonische Etappentransmitter verschafft hatte. Das terranische Pärchen, das wenig später feststellen musste, dass es die gebuchte und bezahlte Reise nicht antreten konnte, tat ihr zwar leid ...

... aber für Lanko und Giuna war diese Aktion ein Neuanfang gewesen.

Du bist jetzt mit einem waschechten Posizider zusammen, hatte er gesagt und sie angegrinst, auf seine schelmische Art.

Wenn man der verworrenen Datenlage nach der Datensintflut Glauben schenken wollte, stammte der Begriff aus dem frühen 17. Jahrhundert NGZ, war zuerst bei den Blues aufgetaucht und beschrieb jemanden, der sich zu fremden Positroniken Zugang verschaffte und sie eigennützig manipulierte.

Die Bezeichnung gefiel Giuna, weil sie ihr irgendwie charmant vorkam – wahrscheinlich nur dank der Assoziation mit Lanko. Jedenfalls hatte sie damals mit einem Kriminelle unter sich gekontert und ihn geküsst.

Die Tür öffnete sich.

Doktor Spand trat ein. »Störe ich?«

»Ja«, sagte Giuna.

Er zog sich trotzdem nicht zurück. Wohin auch, in dem winzigen Beiboot? »Tut mir leid. Privatsphäre gibt es in diesem Gefährt nicht.«

»Bald werden wir schlimmere Probleme haben.«

»Eben.« Er nestelte in der Beintasche seines SERUNS und zog eine kleine Dose heraus. »Ich wollte mir das hier nicht bei den beiden Agenten gönnen, und einen Raum für mich allein habe ich leider nicht zur Verfügung.« Er schraubte den Behälter auf.

»Was ist ...?«

»Ein Extrakt der Muhl-Drüse der größten Affenart von Manturla III«, erklärte er, ehe sie ihre Frage beenden konnte. »Besser bekannt als Prytokain.«

»Ein Medikament?«, fragte sie skeptisch.

»So kann man es auch nennen. Es beruhigt meine Nerven.«

Giuna fühlte Zorn in sich aufsteigen. So kann man es auch nennen? »Soll das etwa heißen, der Arzt, der meinen komatösen Mann behandelt und mit dem ich gerade in einen selbstmörderischen Einsatz ziehe ... nimmt Drogen?«

Der Ara griff mit Daumen und Zeigefinger ein wenig von dem Pulver und streute es sich auf die Zungenspitze. Kurz hielt er den Mund geschlossen, ehe er vorschlug: »Bleib doch bei der Bezeichnung Medikament. Klingt besser. Und keine Sorge: Ich habe es unter Kontrolle.«

Ihr lag Das sagen alle auf der Zunge, aber sie verkniff sich diese Bemerkung. Eine Diskussion hätte nichts gebracht. »Wenn du meinst«, sagte sie stattdessen.

»Ich lebe mit diesem Zeug seit meinem ersten Tag in den Diensten des hochgeschätzten Kondayk-A1. Es ist sogar im Vertrag geregelt. Paragraph 78.«

»Du ... musst es nehmen?«

»Diese Vertragsergänzung stammt von mir. Ich habe mich lediglich abgesichert, dass mir niemand einen Strick daraus drehen kann.«

Im selben Moment wechselte die Beleuchtung; ein wenig Rotlicht mischte sich hinein. Im Beiboot herrschte ab sofort eine stille Alarmstufe.

»Wir gehen in einen Orientierungsstopp«, ertönte Cyprians Stimme über Funk. »Kein Grund zur Besorgnis. Die Positronik berechnet den restlichen Überlichtflug. Hier ist das Ergebnis. Wir wechseln in Kürze erneut auf Überlichtgeschwindigkeit. Verbleibende Flugdauer: 28 Minuten. Genießen wir das Leben bis dahin, ehe der Vital-Suppressor auf uns wirkt.«

»Eben«, meinte der Ara und gönnte sich eine weitere Dosis Prytokain.

»Falsch«, dröhnte die Stimme von Kondayk-A1 durch die Funkverbindung. »Finale Einsatzbesprechung: Jetzt! Ich erwarte alle sofort im Pilotenraum.«

Doktor Spand verdrehte die Augen. Gemeinsam mit ihm verließ Giuna den Raum. Sie gingen durch einen winzigen Gang, an dessen Seiten sich Aggregate und technische Geräte stapelten, deren Sinn Giuna nicht erkannte – Lanko wäre daraus mit einiger Wahrscheinlichkeit schlau geworden.

Am Ende des Gangs warteten die beiden Kampfroboter im Stand-by-Modus. Es handelte sich um Maschinen in Form zweier aufeinanderliegender Würfel, die vor allem durch ein Merkmal glänzten – die Offensivbewaffnung.

Dem Minikorridor schloss sich eine Tür an, die automatisch zur Seite glitt, als sie sich ihr näherten. So erreichten sie den einzigen anderen Raum des Beiboots, in dem sich die beiden NDE-Agenten auf den Pilotensitzen zu den Neuankömmlingen umdrehten.

»Es wird Zeit, die letzten Details zu besprechen«, dröhnte Kondayk-A1, dessen wuchtige Gestalt den Sitz zu sprengen drohte. Er musste sich ohnehin überall ducken, denn das Beiboot war ein terranisches Modell und nicht für Barniter gedacht, die den Terranern zwar sehr ähnelten, aber um einiges größer und breiter waren.

»Wir haben in der TREU & GLAUBEN nicht alle Einzelheiten genannt«, ergänzte Cyprian. »Man weiß nie, ob die Cairaner mithören.«

»In eurem Schiff?«, fragte Giuna. »Ernsthaft?«

»Es ist mein Schiff«, verbesserte Kondayk. »Und ich fühlte mich dort gut aufgehoben. Doch wie mein Kollege schon sagte: Man weiß nie. Sicher ist sicher. Seit wir dich aufgenommen haben, Giuna, und nebenbei den ersten Flüchtling von einer Ausweglosen Straße, leben wir gefährlicher. Trotzdem hoffen wir, dass es keine Spuren bis zu uns gibt.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Bei unserem zurückliegenden Vorstoß in die Strafanstalt konnten wir ein paar Sonden ausschicken und Daten aufzeichnen.«

»Wieso weiß ich davon nichts?«, entfuhr es ihr.

»Weil wir keinen Grund sahen, dich darüber zu informieren«, antwortete der Barniter trocken. »Es sind NDE-interne Details.«

Giuna schluckte den Ärger hinunter. »Und diese Daten helfen uns jetzt?«

»Exakt.« Cyprian tippte am Armbandkommunikator seines SERUNS und projizierte ein Holo vor sich.

Ein winziges Abbild der Ausweglosen Straße zeigte den eigentlich mehrere Kilometer durchmessenden Ring, dessen Seiten scheinbar offen blieben, tatsächlich aber durch ein glasartiges Material verschlossen wurden. Die Strafanstalt stand im Orbit des Eisriesen Pelorius im Afallachsystem. Ein Teil der gewaltigen Krümmung des Eisplaneten war am Rand des Holos zu sehen – eine weiß glitzernde Wüste mit zerklüfteten, viele Kilometer hohen schroffen Bergen.

Cyprian zoomte näher heran, bis das Holo nur noch das halbe Gebilde zeigte, schließlich einen Teil der metallenen Wandung. »Wir fliegen im Schutz eines Deflektors heran. Kein Zweifel, dass uns die Schutzsysteme der Cairaner früher oder später entdecken. Hoffentlich später. Sobald ein Schutzschirm geschaltet wird, feuern wir so lange, bis er kollabiert ... oder bis wir abziehen müssen. In dem Fall ist die Mission gescheitert und wir können nur hoffen, mit dem Leben davonzukommen. Fragen?«

Alle schwiegen.

»Wenn wir durchkommen, landen wir genau dort.« Cyprian tippte auf eine Stelle der Metallwand – zumindest sah es so aus. Tatsächlich bot das Holo natürlich keinerlei Widerstand. »Wir schleusen aus, in den SERUNS und mit der Medokapsel, jeder mit individuellem Deflektorschutz und damit für die Cairaner und ihre Roboter unsichtbar. Das Beiboot wird in einer hübschen Explosion vergehen und uns vielleicht etwas Zeit verschaffen. An der von mir bezeichneten Stelle des Rings gibt es eine Mannschleuse. Sie führt in einen Korridor, der uns zu einer Innenschleuse bringt. Wir gehen durch und sind drin.« Der hagere Terraner grinste. »Ende des ersten Teils.«

»Wie stark ist dieser Bereich bewacht?«, fragte Doktor Spand.

»Das konnten wir leider nicht herausfinden. Vermutlich dienen robotische oder sonstige Schutzsysteme eher dazu, unbewaffnete Gefangene am Ausbruch zu hindern als dazu, Eindringlinge abzuwehren. Das sollte uns eine Chance geben.«

»Es klingt nicht sehr überzeugend«, gab der Ara zum Besten. »Ich könnte einige Möglichkeiten nennen, die ...«

»Einsatzpläne für heikle Missionen können nie alle Eventualitäten abdecken«, meinte Kondayk-A1 trocken. »Das definiert eine heikle Mission. Also, weiter. Sind wir erst mal drin, ziehen wir uns zurück, verbergen uns ... und suchen den Vital-Suppressor. Er ist das Hauptziel. Noch Fragen?«

Ungefähr tausend kamen ihr in den Sinn, aber Giuna schwieg.

Während Cyprian die genauen Details des Plans nannte, dachte Giuna nur: für Lanko. Vielleicht konnten sie danach irgendwie verschwinden, sich aus diesem ganzen Irrsinn zurückziehen.

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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